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Luftblasenspiele Großer Tümmler

Die Delphine einer Station auf Hawaii unterhalten sich, indem sie aus der Atemluft Ringe formen; manche können sogar mit artistischem Geschick durch gezielten Flossenschlag solche Kringel in Wasserwirbeln driften oder Blasen sich zu langen Spiralbändern vereinen lassen.

Auf der Hawaii-Insel Oahu, am Fuße der steilen Klippen von Makapuu, liegt eine einzigartige Delphin-Forschungsstation. Hier beobachten Wissenschaftler das zwanglose Verhalten der Tiere, nicht in Dressurexperimenten, also ohne bestimmte Leistungen mit Futter zu belohnen. In diesem Projekt Delphis, getragen von der nicht-kommerziellen Umweltorgani- sation Earthtrust und dem Sea Life Park Hawaii, sollen Intelligenz und Selbstbewußtsein der Meeressäuger ergründet werden. Zwar steht sogar ein Computer mit einem eigens für die Bedienung unter Wasser eingerichteten Terminal zur Verfügung. Aber bei einer ihrer faszinierendsten, für sie selbst offenbar besonders vergnüglichen, Betätigungen brauchen die Delphine kein High-Tech-Gerät. Sie erzeugen einfach in Wasserwirbeln flottierende Ringe und Bänder aus Luft. Das Geschick und der Einfallsreichtum, mit dem sie dabei selbsterzeugte, unsichtbare Strömungen nutzen, lassen sogar Verhaltensforscher staunen.

Auch in manchen anderen Situationen scheinen Delphine gelegentlich ihrer Stimmung im Wortsinne Luft zu machen, etwa wenn sie aufgeregt, überrascht oder neugierig sind; dann lassen sie aus dem Atemloch große, unregelmäßige Blasen aufsteigen. Auch stoßen sie bei Lautgebungen hin und wieder Ströme von Luftperlen aus – vielleicht um Artgenossen zusätzlich ein sichtbares oder mit dem Ultraschall-Ortungssystem erkennbares Signal zu geben. Hingegen haben die Luftgirlanden von Buckelwalen eindeutig einen Zweck: Wie mit Netzen treiben diese Bartenwale damit Krill- und Fischschwärme zusammen.

Die Ringe und noch komplizierteren Luftgebilde, von denen Forscher an etlichen großen Meerwasser-Aquarien überall auf der Welt in letzter Zeit immer wieder berichten, machen Delphine aber wohl eher zum Zeitvertreib oder aus Lust am Spiel. Zum Standard-Verhaltensrepertoire von Tümmlern und anderen Zahnwalen gehört dies jedenfalls offenbar nicht, denn in jedem Delphinarium vollführen sie eigene Kunststücke. Große Tümmler (Tursiops truncatus) zum Beispiel spielen verschiedentlich mit Luftkringeln, und Belugas (Weißwale; Delphinapterus leucas) saugen mitunter aus dem Blasloch ausgeatmete Luftkugeln wieder in den Schnabel ein.

Wolfgang Gewalt, ehemaliger Direktor des Duisburger Zoos, hat beschrieben, wie Amazonas-Delphine (Inia geoffrensis) Luft in den Mund nahmen, dann bis zum Boden tauchten, dort warteten, bis das Wasser sich beruhigt hatte, und schließlich während einer Körperdrehung diese Luft aus dem Schnabel perlen ließen, so daß ein auftreibendes reifenförmiges Gebilde entstand. Durch diese Blasenkette schwammen sie, wenn möglich gleich zweimal, oder schnappten danach. Nie hatte jemand mit ihnen solche zirkusreifen Aktionen trainiert, und sie hatten auch keine Reifen aus festem Material zum Spielen erhalten. Noch erstaunlicher war, wenn ein Tier einen Besen am Stielende in den Schnabel nahm und kräftig ins Wasser hinabdrückte; Artgenossen warteten augenscheinlich schon darauf, sich in dem zur Oberfläche trudelnden Bläschenschwall wie in einer Art Luftdusche zu aalen.

In derartigem Verhalten im Aquarium vermag man leicht spielerische Elemente zu erkennen. Aber was mag es bedeuten, wenn freilebende männliche Schlank- wie auch Zügeldelphine (Stenella attennata beziehungsweise S. frontalis) bei Begegnungen mit ihresgleichen Ringe blasen? Oder sind Belugas der kanadischen Baffin-Bai wohl wütend, wenn sie immer wieder die Kiefer aufeinanderschlagen und dabei Luftringe ausstoßen?


Eine zirzensische Schule

Wir beobachten in der Station auf Hawaii seit fünf Jahren Große Tümmler, die ihren deutschen Namen erhalten haben, weil sie auch als Erwachsene noch gern herumtollen. Neun der 17 Tiere fabrizieren Ringe und andere komplizierte Luftgebilde. Der jüngste der Akteure war eineinhalb, der älteste 30 Jahre alt (viel älter werden diese Wale nicht). Manche können Kunststücke, die anderswo noch nicht gesehen wurden. Selbst für diese Art – eine der in Delphinarien häufigsten und bestuntersuchten – wirken einige Tricks besonders artistisch. Und mitunter scheint es sogar, daß unerfahrene Tiere den Experten etwas nachzumachen suchen, somit gewisse Fähigkeiten regelrecht tradiert werden.

Die Delphine vollführen ihre Tricks wirklich rein zum Zeitvertreib und nach eigener Laune, denn mit Befehlen oder Leckerbissen kann man sie dazu nicht bewegen. Nur mit viel Ausdauer vermochten wir Photo- und Videoaufnahmen der meisten Tiere zu machen (außer den hier gezeigten sind weitere sowie eine Filmsequenz unter den Internet-Adressen in den Literaturhinweisen abrufbar). Der Kunstfertigkeit der Tiere wird zwar keines der Medien gerecht; doch die Bilder halfen uns, die physikalischen Vorgänge näher zu untersuchen.

Soweit sich bislang erkennen läßt, erzeugen unsere Tümmler Luftgebilde auf drei verschiedene Weisen. Die einfachste ist, aus dem Atemloch Luft so auszublasen, daß sich sogleich kleine Ringe bilden, die sich beim Aufsteigen erweitern (Bilder 1 und 2 links). Das erwachsene Männchen Kaiko'o konnte sogar schnell nacheinander zwei solcher Kringel produzieren und zu einem vereinen.

Die Ringbildung ist zwar nicht schwer zu verstehen, aber doch verblüffend. Der Effekt tritt bei fast jeder annähernd kugelförmigen Luftblase auf, sofern sie mehr als zwei Zentimeter Größe hat: Weil der Wasserdruck mit der Tiefe zunimmt, wirkt der von unten etwas stärker; und sobald er die Oberflächenspannung des Wassers überwindet, entsteht in der Mitte ein Loch. Das durchtretende Wasser bildet eine Wirbelströmung um den Luftring und einen aufwärts gerichteten Strahl, der zusammen mit dem Auftrieb den Ring beschleunigt (Bild 2 rechts). Dessen Durchmesser wird beim Aufsteigen größer, der Röhrenquerschnitt kleiner. So einfach dieses Prinzip ist – Delphine müssen das Blasen stabiler Ringe doch offenbar erst üben. Demnach scheint es auf Feinheiten anzukommen wie geschicktes Abstimmen von Menge und Geschwindigkeit der ausgestoßenen Luft sowie das Vermeiden störender Turbulenz im Wasser.

Eine fortgeschrittene Methode ist schon, Ringe seitwärts oder sogar schräg abwärts gleiten zu lassen; dazu wendet sich das rasch schwimmende Tier kurz auf die Seite, so daß die Fluke (die Schwanzflosse) senkrecht steht, und vollführt damit einen kräftigen Schlag. Dadurch bremst es ab und erzeugt einen ringförmigen Wasserwirbel, der je nach Flukenstellung und Schlagrichtung horizontal oder schräg nach unten wandert (vergleiche auch Spektrum der Wissenschaft, August 1995, Seite 66). Nun wendet der Delphin rasch und pustet in den Wirbel Luft ein, die sich wegen des Soges darin sogleich ringförmig verteilt (Bild 3, obere Folge). Oft hört man unmittelbar vorher eine Folge von Klicklauten; wahrscheinlich orten die Tiere so die Turbulenz im Wasser.

Ein solcher Ring kann, bei Fingerdicke, bis zu 60 Zentimeter Durchmesser haben und je nach Schubrichtung, die das Tier dem Wasserwirbel gegeben hat, eine Weile ohne sonderlichen Auftriebseffekt driften. Ein zusätzliches Kunststückchen vollbringen manchmal unsere Tümmler, indem sie mit einer kurzen Seitwärtsbewegung des Schnabels ein kleines Ringsegment abtrennen, das sich ebenfalls zum Ring schließt; das steuern sie dann durchs Wasser.

Noch virtuoser ist das erwachsene Weibchen Laka. Zum Beispiel stellt es sich senkrecht kopfunter und schlägt mit der Fluke einen abwärts ziehenden Wirbel, den es mit Luft füllt; und manchmal vergrößert es kleine Ringe, indem es ein weiteres Mal Luft einbläst. Mitunter reckt Laka auch die Fluke aus dem Wasser und fängt gleich beim Schlag Luft ein (Bildkasten). Wir haben sie zudem dabei beobachtet, wie sie, den Kopf nach unten, Luft aus dem Schnabel perlen und an sich hochströmen ließ; mit einer raschen Flukenbewegung formte sie daraus schließlich einen Ring.


Luftschlangen

Tinkerbell sticht sogar ihre Mutter Laka aus. Als einziger unserer Delphine experimentiert das noch junge Weibchen mit der dritten Methode: dem Erzeugen regelrecht spiralig gedrehter Luftbänder. Sie hat zwei Varianten erfunden und perfektioniert – die kompliziertesten Luftspiel-Techniken, die wir je beobachteten.

Zum einen atmet sie kleine Blasen aus, während sie an der Aquarienwand eine Kurve schwimmt. Dann macht sie eine Wendung und schlägt mit der Rückenfinne unter der Bläschenkette eine Folge von Wirbeln, in denen die Luft zu einem spiralförmigen, drei bis fünf Meter langen Band zusammenfließt (Bild 3, untere Folge). Zum anderen schwimmt sie eine große Kurve und gleich darauf ein zweites Mal; die Luft, die sie dabei ausbläst, schießt in die beim ersten Durchgang unsichtbar vorgezeichnete Wirbelstraße der Rückenfinne, so daß sich wiederum ein Spiralband bildet (Bildkasten unten).

Solches Können erfordert Übung. Ein junger Tümmler beispielsweise blies anfangs kaum beständige, unregelmäßige Kringel, lernte aber im Verlauf von zwei Monaten, kreisrunde Ringe zu erzeugen, die mehrere Sekunden lang glitzernd im Wasser trieben.

In unserer Kolonie gab freilich oft das Vorbild von Artgenossen den Anreiz, überhaupt mit Luftblasen zu spielen und sich darin zu vervollkommnen. Der erwachsene Keola hatte zwei Jahre mit Tieren zusammengelebt, die derlei nicht kannten, und machte auch selbst keine Anstalten dazu. Dann siedelte sein jüngerer Bruder Kaiko'o ins selbe Becken über, und Keola sah ihm oft lange beim Ringemachen zu. Nach einigen Monaten probierte er es dann selbst, mit anfangs noch dürftigem Ergebnis; doch allmählich wurde er geschickter.

Überhaupt beobachten die Delphine einander gern bei diesem Zeitvertreib. Wir haben den Eindruck, daß sie das Verhalten interessiert und zur Nachahmung reizt. Manchmal lagen Keola und Kaiko'o nebeneinander auf dem Boden und bliesen beide immer wieder große Kringel, mal genau gleichzeitig, mal im Wechsel mit einer Sekunde Abstand. Oder eines der Weibchen schwamm dicht hinter ein anderes, das Ringe blies, und brachte einen Schwall Luftperlen hervor. Den Star Tinkerbell hat allerdings noch kein anderes Tier nachgeahmt.

Selbst wir dürfen gelegentlich mitspielen. Einmal, als wir Tinkerbell filmten, kam das Weibchen jedesmal, wenn es einen Ring geblasen hatte, dicht ans Fenster, wie um uns zu animieren. Das brachte uns auf die Idee, es mit Seifenblasen zu probieren. Tatsächlich kam nach einigen Minuten ein Tümmler an die Scheibe und blies seinerseits einfache Kringel, die nach oben stiegen. Zu unserem Erstaunen traute er uns noch mehr zu: Er schwamm ein Stück fort und schlug mit der Fluke mehrere Wirbelringe, als ob wir wie er unsichtbare Strömungen wahrnehmen könnten.

Außer den Menschenaffen sind Große Tümmler die einzigen Säugetiere, die deutliche Anzeichen von Selbstbewußtsein aufweisen. Ihre Experimentierfreudigkeit und ihre Reaktionen auf das Verhalten von Artgenossen können uns viel über das Wesen der Intelligenz lehren.

Um so bedenklicher ist, wie wenig freilebende Delphine geachtet werden. Nach wie vor fängt man sie zusammen mit Thunfischen, oder sie verenden in riesigen Treib- und Stellnetzen; in manchen Meereszonen werden sie gar noch gezielt gejagt – bloß zum Sport oder des Fleisches wegen, das in falsch deklarierten Konserven auf den Markt kommt oder als Köder für den Krebsfang verwendet wird. Earthtrust und die Förderer dieser Organisation bemühen sich um Aufklärung, doch wird das gedankenlose Abschlachten der klugen Meeressäuger nur enden, wenn alle Menschen ihre Einstellung zu ihnen ändern.

Literaturhinweise

- Wale und Delphine, Spitzenkönner der Meere. Von Wolfgang Gewalt. Springer, Heidelberg 1993.

– Vortex Ring Bubbles. Von T. S. Lundgren und N. N. Mansour in: Journal of Fluid Mechanics, Band 225, Seiten 177 bis 196, März 1991.

– Evidence of Self-Awareness in the Bottlenose Dolphin (Tursiops truncatus). Von Ken Marten und Suchi Psarakos in: Self-Awareness in Animals and Humans: Developmental Perspectives. Herausgegeben von S. T. Parker, R. W. Mitchell und M. L. Boccia. Cambridge University Press, 1994.

– Using Self-View Television to Distinguish between Self-Examination and Social Behavior in the Bottlenose Dolphin (Tursiops truncatus). Von Ken Marten und Suchi Psarakos in: Consciousness and Cognition, Band 4, Heft 2, Seiten 205 bis 224, Juni 1995.

– Orinoco-Freshwater-Dolphins (Inia geoffrensis) Using Self-Produced Air Bubble "Rings" as Toys. Von Wolfgang Gewalt in: Aquatic Mammals, Band 15, Heft 2, Seiten 73 bis 79, Sommer 1989.

– Weitere Informationen unter http://earthtrust.org und ein Quicktime-Film unter http://www.sciam.com/0896issue/0896dolphins.html im Internet.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1996, Seite 80
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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