Direkt zum Inhalt

Magie im Mittelalter



Eine ermunternde Erkenntnis zunächst: Liebeszauber ist als solcher nicht ganz ungefährlich, doch Erfolg hat man auch ohne ihn; man muß nur fest an die Geneigtheit des Objekts seiner Begierde glauben.

Richard Kieckhefer ist Professor für Geschichte des Christentums an der Northwestern University in Evanston (Illinois) und stützt sich entsprechend weitgehend auf die englischsprachige Literatur. So hat er sich eine Pointe aus der deutschen entgehen lassen: daß gerade die Frauen mit Hilfe der Magie ihre Stellungsnachteile in der mittelalterlichen Gesellschaft kompensieren wollten. Dafür ließen sich auch entsprechende Belege anführen, doch die liegen ungedruckt in den Archiven, und dergleichen fehlt in der vorliegenden Arbeit.

Wofür war die Magie im täglichen Leben gut, vielleicht subjektiv sogar notwendig? Daß gerade die Kleriker sie verwendeten, erstaunt nicht, die Schriftgelehrtheit und das "wissenschaftliche Interesse" verleiteten dazu. Aber daß sie zum Teil heftigen Liebeszauber und Schatzheben mittels Dämonenbeschwörung betrieben, hätte einige Sätze – vor allem über Motive – verdient.

Gleiches gilt für Rolle, Funktion und Bedeutung der Magie für das Leben aller Schichten. Quellen dafür gibt es in Inquisitionsakten und sonstigen Gerichtsprotokollen. Hier stehen wieder die Recht setzenden, normativen Texte im Vordergrund. Im Literaturverzeichnis wird auch nicht ganz klar, worauf sich der Autor stützte: Hat er die maßgebenden Editionen benützt oder englische Übersetzungen? Hat der Übersetzer die Originale wiedergegeben oder rückübersetzt? Zu den authentischen Quellen gelangt man so nicht, unter anderem, weil der Verfasser – wie im englischsprachigen Bereich üblich – mit den Fußnoten sparsam umging.

Das Problem fängt mit der Definition an: Was ist Magie? Kieckhefer grenzt "natürliche" Kräfte, praktisch die mittelalterliche Naturwissenschaft, aus. Wird auf diese Kraft oder auf Gott gebaut, handelt es sich nicht um Magie; werden okkulte Naturkräfte oder dämonische Mächte herangezogen, dann ist es dämonistische beziehungsweise dämonische Magie, wobei der Unterschied zwischen letzteren nirgends recht deutlich wird.

Danach folgt ein chronologischer Überblick über die einschlägige antike und mittelalterliche Literatur. Kieckhefer geht noch kurz auf die germanisch-keltischen Wurzeln ein (mit den "Beichtbüchern" sind die Bußbücher gemeint, und mittlerweile sind durch die Archäologie doch zahlreiche Amulette und Talismane ans Licht gekommen) und spricht den arabischen Einfluß seit dem hohen Mittelalter an. Sehr anschaulich geht er auf die Entstehung der Astrologie und die Horoskope ein. Auch die Belletristik wird eingehend gewürdigt, deren fiktionale Gestalten und Praktiken von späteren Lesern für bare Münze genommen wurden.

Im Christentum gibt es selbst eine magische Komponente. Heilungen durch Zauber und Dämonenaustreibungen finden statt, doch letztlich werden alle anderen Religionen und deren Formen als dämonisch abgetan und damit bekämpfbar. Des weiteren geht es um Zukunftsschau und ihre Techniken, um Heiler und ihre Praktiken: vom Besprechen bis zur Applikation von pflanzlichen und tierischen Mitteln.

Die Möglichkeiten des Schadenszaubers erwecken die männliche Angst vor spezifischer Behexung oder liefern eine willkommene Ausrede: "Als Lothar II. sich außerstande sah, die Ehe mit seiner Braut zu vollziehen, weil ein magischer Bann ihn lähmte", das heißt, weil er seine Konkubine vorzog, "...entschied man schließlich, daß die Ehe für ungültig erklärt werden konnte, wenn alle Versuche, den Schaden zu heilen, nichts fruchteten und wenn feststand, daß ein böser Zauber an dem Übel schuld war" (Seite 101). Hier, wie in vielen spätmittelalterlichen Fällen, war Impotenz das legale Hintertürchen zur Eheaufhebung. Kein Wunder, daß gerade an den Höfen derartige Praktiken geübt oder geargwöhnt wurden und wegen der üblichen Geldverlegenheit auch die Alchimie, um den "Stein der Weisen" und damit die Umwandlungsformel von unedleren zu Edelmetallen zu finden – ein Feld auch für Schwindel und Betrug.

Die spätmittelalterliche Nigromantie (Dämonenbeschwörung), die zugehörigen Riten, Praktiken und deren Betreiber rufen die Verfolgung durch die weltlichen und geistlichen Tribunale auf den Plan. Ob man allerdings die Nigromantie "als parodistisches Seitenstück zur spätmittelalterlichen Theorie und Praxis des Rituellen auffassen" sollte, möchte ich bezweifeln. Eher wirkte immer noch der frühmittelalterliche "Tun-Ergehen-Zusammenhang": Was ich tue, zieht analoge Folgen nach sich, und durch "richtiges" Handeln ist auch Gott entsprechend zu bewegen. Hier merkt man Kieckhefers Spezialisierung auf sein spätmittelalterliches Forschungsgebiet und beim Thema der Bekämpfung das Fehlen der neueren fremdsprachigen Literatur. Was schließlich den Übergng zu den Hexenprozessen anlangt, hätte man sich doch einige Erklärungen mehr – vom Fachmann – erwarten dürfen.

Kieckhefer hat, in der traditionell-deskriptiven Forschungstradition stehend, ein gut lesbares, anschauliches und instruktives Buch vorgelegt, eine Zusammenfassung des bestehenden Wissens, dazu neue Quellen eingebracht. Die Brücke zur "Volksfrömmigkeit" wurde nicht überschritten, was vielleicht auch nicht gewollt war. Aber hier wären neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Der magische Strom begleitet das Christentum seit den frühen Zeiten. Die Kirche hat, wegen ihrer Eigenheiten und Eigenschaften, nicht nur heute mit Aberglauben und Charismatikern aller Schattierungen zu kämpfen, sondern hatte es auch im Mittelalter. Bei widrigen Lebensumständen wird Hilfe gesucht, wo immer auch nur eine Hoffnung besteht.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1994, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.