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Tomographie: Magnetresonanz mit Elektronenkick

Ein neuartiges Kontrastmittel und der "Overhauser-Effekt" verstärken das Signal von Kernspintomographen. Das ermöglicht patientenfreundlichere, offene Geräte.


Bilder aus dem Inneren des Körpers faszinieren den Laien, für den Arzt sind sie heute ein unentbehrliches Hilfsmittel bei der Diagnosestellung und Therapieplanung. Für den Patienten hingegen bedeuten sie oft eine starke psychische Belastung. Das gilt insbesondere für die Kernspin- beziehungsweise Magnetresonanztomographie (MRT): Große Spulen erzeugen die notwendigen starken Magnetfelder, der Patient muss bei den Aufnahmen unbeweglich in ihrem Inneren liegen und erleidet leicht Platzangst. Zudem lassen die Felder die Spulen vibrieren ? Lärm ist die Folge.

Eine Alternative bietet die von dem Physiker Albert W. Overhauser Mitte der fünfziger Jahre an der Universität Berkley (Kalifornien) entdeckte Möglichkeit, das Signal durch Elektronenanregung zu verstärken.

Das überrascht, denn ein Kernspin-tomograph arbeitet sonst nur mit Wasserstoffatomen, deren Kerne nur aus einem Proton bestehen. Ein magnetisches Hauptfeld richtet sie aus, ein zweites, hochfrequentes stupst die Protonen sozusagen an, sodass sie um die Ausrichtungsachse kreiseln und ihrerseits ein hochfrequentes Magnetfeld senden. Um auch zu wissen, aus welcher Körpertiefe ein Wasserstoffkern sein Signal sendet, überlagert man dem Hauptfeld noch ein so genanntes Gradientenfeld, dessen Stärke von einem Minimum auf der einen Seite zu einem Maximum auf der anderen ansteigt. Aus dem empfangenen Signal lässt sich nicht nur der Ort, sondern auch die Stärke der Wechselwirkung der Atomkerne mit ihrer Umgebung berechnen ? Daten, die letztlich die Darstellung des Gewebes ergeben.

Leider tragen nur wenige Millionstel des insgesamt im Körper vorhandenen Wasserstoffs zu solchen Schnittbildern bei. Der überwiegende Teil der Protonen erscheint darin nicht, denn das statische Magnetfeld erlaubt parallele und antipa-rallele Ausrichtungen. Daraus resultieren aber Signale mit entgegengesetztem Vorzeichen, die sich bei der Messung gegenseitig auslöschen. Die parallele Ausrichtung ist die energetisch günstigere, am absoluten Nullpunkt also die einzig mögliche. Mit steigender Temperatur ergibt sich aber ein Gemisch aus beiden Zuständen, und bei Raumtemperatur ist das antiparallele Niveau lediglich leicht unterbesetzt. Nur diese kleine Differenz trägt zum eigentlichen Nutzsignal bei.

Durch Einstrahlen eines hochfrequenten Feldes in das Gewebe lassen sich nun Protonen in das obere Energieniveau "pumpen", womit eine sehr viel größere Differenz zwischen den Niveaus erreicht wird. Die Spinzustände von Protonen und Elektronen sind nämlich miteinander gekoppelt. Overhauser entdeckte den für uns wichtigen Effekt: Werden die Elektronen durch ein Feld geeigneter Frequenz gezwungen, sich auf die ihnen möglichen Energieniveaus gleichmäßig zu verteilen, treibt das aufgrund der Kopplung Protonen in den antiparallelen Zustand.

Theoretisch lassen sich die Nutzsignale im Vergleich zur konventionellen MRT um das Hundertfache und mehr verstärken. Es böte sich also an, die Auflösung der Bilder zu erhöhen oder ? wenn diese ausreicht ? stattdessen die Messzeit zu verkürzen (was das Signal wieder verschlechtert). Tatsächlich liegt der Vorteil des Effekts aber an anderer Stelle.

Mit Elektronen und Protonen verhält es sich so wie mit einer Geigensaite: Um sie allein durch ein Signal von außen in Schwingung zu versetzen, muss dessen Frequenz stimmen; die Systeme geraten dann in Resonanz. Sie wächst mit der Stärke des statischen Hauptfeldes und mit dem so genannten gyromagnetischen Faktor (der g-Faktor ist die Proportionalitätskonstante zwischen magnetischen Momenten und Drehimpulsen). Umgekehrt wird die Wellenlänge des Signals immer kürzer. Für Elektronen ist g rund 660-mal größer als für Protonen. Das hat Konsequenzen: Geht man von der in der Kernspintomographie üblichen Feldstärke der statischen Hauptfelder aus, müsste das Anregungssignal für Elektronen Wellenlängen in der Größenordnung eines Millimeters haben. Solche elektromagnetischen Felder vermögen aber den menschlichen Körper gar nicht mehr zu durchdringen.

Aus der Not wird eine Tugend

Es bleibt nur eine Lösung, um den Overhauser-Effekt dennoch zu nutzen: Das Hauptmagnetfeld muss sehr viel schwächer sein, um die Resonanzfrequenz der Elektronen herabzusetzen, und zwar um etwa einen Faktor 100. Das geht leider auf Kosten der Bildqualität ? die erwünschte Signalerhöhung wird mithin kompensiert. Damit entfallen zwar die erhofften Optionen der verbesserten Auflösung oder der reduzierten Messzeit, doch nun zeigt sich der eigentliche Vorteil des Overhauser-Effekts für die Humanmedizin: Plötzlich ist man bei einem Niedrigfeldsystem mit Stärken von zehn Millitesla, das aber Bilder liefert, die denen eines konventionellen Ein-Tesla-Gerätes vergleichbar sind.

Niedrigfeldsysteme sind weniger aufwendig und lassen sich noch dazu offen bauen, sodass der Patient sich nicht eingeschlossen fühlen muss und der Arzt jederzeit Zugang hat. Darüber hinaus sind diese MRTs praktisch geräuschlos, denn die kleinen Felder reichen nicht aus, das System in Schwingungen zu versetzen. Schließlich entfällt auch der sonst notwendige Kühlaufwand für die Supraleitung, was Anschaffung und Betrieb der Systeme deutlich preisgünstiger macht.

Neben solchen praktischen Vorteilen bietet der Overhauser-Effekt auch eine Möglichkeit zur funktionellen Diagnostik: Seine Stärke wächst lokal mit der Konzentration des neuen Kontrastmittels SES, während sie umgekehrt mit der von Sauerstoff sinkt. Das ist seinen zwei ungepaarten Elektronen zu verdanken, die dem Effekt entgegenarbeiten, indem sie den Protonen Schlupflöcher bieten, vom antiparallelen in den parallelen Zustand zurückzufallen. Zwei Bilder, die mit verschieden starker Elektronenanregung erzeugt wurden, lassen sich rechnerisch so umwandeln, dass das eine die SES-Konzentration, das andere die des Sauerstoffs zeigt. So kann ein Onkologe die zur Abtötung eines Tumors notwendige Strahlendosis viel genauer bestimmen, denn dessen Zellen sind bei schlechter Sauerstoffversorgung meist resistenter. Andere Anwendungen betreffen die Charakterisierung und Quantifizierung von Organ- und Muskelschäden.

Die technische Umsetzung birgt einige Tücken, denn in ein konventionelles MRT muss ein zusätzlicher Sendekanal für die Elektronenanregung eingebaut werden (die Technik dazu ist aus der so genannten Elektronenspinresonanz gut bekannt). Würden Elektronen- und Protonen-Anregungsspule miteinander koppeln, ginge viel Sendeleistung etwa als Wärme verloren. Das ließe sich am besten verhindern, wenn die Spulen und damit auch die von ihnen erzeugten Feldlinien senkrecht zueinander stünden. Dies impliziert aber, dass das Hauptfeld, das während der Elektronenanregung anliegt, orthogonal zu dem ist, das während der Protonenanregung anliegt. Eine solche Drehung des Hauptfeldes hat es bislang noch nicht gegeben.

Zudem wäre es vorteilhaft, auch dessen Amplitude zur Protonenanregung von 5 auf etwa 15 Millitesla hochfahren zu können. Das muss aber innerhalb weniger Millisekunden vonstatten gehen, und zwar ohne dass das Feld nach dieser Modulation "wackelt". Es gibt derzeit noch keine Regelkreise, die eine solche Stabilität auf ein Millionstel genau gewährleisten können. Feldschwankungen rufen aber "Geister" im Bild hervor: Ein Objekt erscheint klar am korrekten Ort, schattenartig aber auch an anderen.

Auch die Gradientenfelder erfordern neue Konzepte. In der konventionellen MRT betragen ihre Amplituden etwa ein Prozent des Hauptfeldes; in der Overhauser-MRT geraten sie in dessen Größenordnung, weil ihre absolute Stärke unverändert bleiben muss ? die Ortsauflösung ist zu ihr proportional. Dadurch werden unerwünschte, aber prinzipiell unvermeidbare Querkomponenten nicht mehr durch die Nutzkomponente des Feldes überdeckt, und Bildverzerrungen sind die Folge. Mitunter lässt sich das nachträglich durch Bildverarbeitung, in schwierigeren Fällen nur durch komplexere Gradientenfelder korrigieren (deren Stärke beispielsweise nicht linear, sondern quadratisch wächst).

Schließlich können hochfrequente Felder biologische Gewebe erwärmen, die Stärke der Elektronenanregung muss also extrem vorsichtig dosiert werden. Da sie andererseits die Signalstärke und somit die Bildqualität beeinflusst, ist der Kompromiss zwischen diagnostischer Bildinformation und Patientensicherheit nicht leicht zu finden.

In den Hamburger Forschungslaboratorien des Unternehmens Philips wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Hersteller des Kontrastmittels SES, Nycomed Innovation in Malmö (Schweden) erstmals ein Prototyp für die Humanmedizin entwickelt und an Phantomen sowie in Tierversuchen getestet. Dabei ergaben sich je nach Konzentration der SES Verstärkungen bis etwa zum 50fachen. Die verwendeten Feldstärken betrugen sieben Millitesla während der Phase der Elektronenanregung (dies entspricht einer Resonanzfrequenz von rund 220 Megahertz) und 15 Millitesla während der konventionellen MRT-Phase (das entspricht einer Protonenfrequenz von rund 620 Kilohertz). Zwischen beiden Anregungen lagen etwa zehn Millisekunden. Ein diagnostisch relevantes Bild benötigte etwa eine Minute Aufnahmezeit, das ist etwa viermal so lang, als wenn es konventionell gemessen worden wäre; die Bestimmung der Sauerstoffkonzentration dauerte entsprechend doppelt so lang. Die räumliche Auflösung lag dabei im Millimeterbereich, wie bei herkömmlichen Geräten auch. Zur Aufnahme der Sauerstoffbilder können Auflösung und Messzeit so dimensioniert werden, dass eine Genauigkeit von zehn Prozent der maximalen Sauerstoffkonzentration gewährleistet ist.

Bis zum serienmäßigen Einsatz eines Overhauser-MRT ist es noch ein weiter Weg. Die Entwicklung eines Prototyps für die Humanmedizin kommt allerdings gut voran. Das nationale Krebszentrum der amerikanischen Gesundheitsbehörde verwendet unseren Prototypen bereits für Tumorexperimente mit Mäusen, um das Verfahren mit bisherigen zu vergleichen und die Ergebnisse zu validieren. Noch in weiter Ferne dürfte die Realisierung eines bildgebenden Systems sein, das in der Lage ist, außer Sauerstoff und SES auch körpereigene freie Radikale darzustellen. Für die Medizin wäre das von großem Interesse, denn diese Verbindungen spielen in vielen physiologischen Prozessen eine Schlüsselrolle, obgleich sie nur in minimalen Mengen vorkommen.


Das Kontrastmittel


Der Overhauser-Effekt ist in der Spektroskopie ein längst übliches Verfahren, etwa um Proteinstrukturen zu untersuchen. Für die Humanmedizin war er bislang nicht zu gebrauchen, denn er beruht auf der Wechselwirkung von Protonen mit ungepaarten Elektronen, also der Elektronenhülle freier Radikale. Diese Verbindungen sind im Körper normalerweise nur in geringsten Konzentrationen vorhanden und dürfen ihm aufgrund ihrer hohen Giftigkeit auch nicht zugeführt werden.

Mitte der neunziger Jahre gelang es aber, ein freies Radikal so zu "bauen", dass das ungepaarte Elektron durch das Restmolekül abgeschirmt wird und dem Körper nicht zu schaden vermag. Diese single electron substance (SES) genannte Kohlenwasserstoff-Verbindung aus der Familie der Triphenylmethyle, kurz Trityle, lässt sich gefahrlos in den in der Radiologie üblichen Dosierungen einsetzen. Nach Injektion in die Vene filtern die Nieren in etwa einer halben Stunde die Hälfte davon wieder heraus.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2000, Seite 91
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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