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Management von Agrarökosystemen - Beispiel Schorfheide-Chorin



Naturschutz wird vielfach als rein konservierende Strategie verstanden, die den Zustand verhältnismäßig kleiner Flächen zu erhalten sucht. Mit oft hohem Aufwand wirkt man dazu dem freien Lauf natürlicher Prozesse entgegen. Land- oder forstwirtschaftlich genutzte Gebiete werden im allgemeinen nicht berücksichtigt.

Solch statische Konzepte sind freilich für sehr große Gebiete nicht geeignet. So liegen 30,8 Prozent der Landesfläche Brandenburgs in 15 bestehenden oder im Aufbau befindlichen Großschutzgebieten. Deren Management erfordert Vorgaben, welche entweder die natürliche Dynamik der Ökosysteme berücksichtigen oder sich mit anderweitiger Nutzung verbinden lassen.

Ein gutes Beispiel für den letztgenannten, integrativen Ansatz ist das größte brandenburgische Schutzgebiet nördlich von Berlin; es umfaßt die Schorfheide, ein flachwelliges und wildreiches Waldgebiet, sowie die Kulturlandschaft um die Ruine des Zisterzienserklosters Chorin (Bild 1). Diese Region ist eines von derzeit etwa 330 Biosphärenreservaten weltweit, wurde also von der UNESCO im Rahmen des Programms "Der Mensch und die Biosphäre" als besonders schützenswert anerkannt. In der durch Gletscher während der letzten Eiszeit kleinräumig strukturierten Landschaft konnte sich eine außergewöhnliche Artenvielfalt ausprägen: Seen verschiedenen Typs und Nährstoffgehalts wechseln mit stillen Wäldern und Forsten, mit ausgedehnten Niedermooren und landwirtschaftlich genutzten Flächen; zudem finden sich Kleinstrukturen wie Sanddünen und Sölle (Kleingewässer, die durch den Einbruch des Erdbodens über abtauenden Toteisblöcken nach dem Rückzug der Gletscher entstanden). Bei nur 28 Einwohnern pro Quadratkilometer konnten hier viele Arten überleben, die andernorts verdrängt wurden.

Gleichwohl reduzierte die Intensivierung der Landwirtschaft in den siebziger und achtziger Jahren mit der damit einhergehenden Entwässerung und Großflächenwirtschaft auch dort die Artenvielfalt. Zwar sind nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 manche Äcker brachgefallen, und andere wurden in der Übergangszeit weniger intensiv bewirtschaftet, so daß sich seltene Pflanzen und Tiere wieder vermehrten. Doch ein weiterer Artenrückgang ist zu befürchten, Folge einer nach westlichem Standard optimierten Bewirtschaftung durch modernere Maschinen, Düngergaben und Zerstörung von Kleinstrukturen wie einzeln stehende alte Bäume oder Lesesteinhaufen.



Ziele sinnvoll setzen



Um den außergewöhnlichen Reichtum dieser Kulturlandschaft im Rahmen der landwirtschaftlichen Nutzung zu erhalten, wurde 1994 das Verbundprojekt "Naturschutz in der offenen agrar-genutzten Kulturlandschaft" beim Bundesforschungsministerium und bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt beantragt. Bis 1997 haben 23 wissenschaftliche Institutionen besonders schutzwürdige Tiere, Pflanzen und Landschaftsteile untersucht, anhand der Daten für die Region geeignete Umweltqualitätsziele abgeleitet und in verschiedenen exemplarischen Projekten entsprechende Strategien zur Umsetzung geprüft. Ein Beispiel für ein solches Qualitätsziel ist die Sicherung einer langfristig überlebensfähigen und sich ausreichend vermehrenden Population von Kranichen.

Die verschiedenen zu schützenden Arten sind gegen mancherlei äußere Einwirkungen empfindlich. So verätzt Kunstdünger die Haut von Kröten. Mit geographischen Informationssystemen wurden solche Empfindlichkeiten auf der Fläche dargestellt, so daß die Möglichkeit besteht, Düngergaben während der Krötenwanderung auf den entsprechenden Routen zu unterlassen. Anschließend ließen sich diese Angaben miteinander verknüpfen (Bild 2). Des weiteren hat man die Entwicklungspotentiale verschiedener Landschaften in gleicher Weise miteinander verschnitten, um beispielsweise zu entscheiden, ob ehemaliges Quellmoor weiterhin als Grünland genutzt oder wiedervernäßt werden sollte.

Die in den verschiedenen Umweltqualitätszielen formulierten Ansprüche zu koppeln erforderte, Toleranzbereiche oder Schwellenwerte der jeweiligen Empfindlichkeiten anzugeben. So sind Verluste der Rebhuhn-Brut in geringem Maße akzeptabel, denn die Tiere bringen mitunter mehr als 20 Küken zur Welt. Eine entsprechend abgestufte Darstellung erlaubt auch die Qualitätsziele zu gewichten. Dieses Instrumentarium ließe sich auf andere Landschaftsräume übertragen; je mehr und je genauere Daten jeweils zur Verfügung stehen, desto verläßlichere und präzisere Aussagen sind möglich.

Um die aufeinander abgestimmten Umweltqualitätsziele für die Landschaft Schorfheide-Chorin zu erreichen, entwickelten Agrarwissenschaftler einen Maßnahmenkatalog. Er sieht beispielsweise eine Bindung von Agrar-Fördermitteln an eine den Zielen gemäße Bewirtschaftung vor sowie neue oder modifizierte landwirtschaftliche Techniken. Anhand von Szenarien künftiger Förderpolitik – von der subventionsfreien Landwirtschaft bis zur Beibehaltung der heutigen Zustände – wurde modelliert, wie sich die vorgeschlagenen Änderungen auf Landschaft und Betriebe auswirken würden.



Leitart Rebhuhn



Das Rebhuhn ist eine von mehreren im Projekt untersuchten Leitarten, die Ackerlandschaften des Nordostdeutschen Tieflandes charakterisieren. In den siebziger und achtziger Jahren schrumpfte die Population um mehr als 80 Prozent; derzeit leben maximal 1,5 Tiere pro Quadratkilometer.

Um ihren wichtigsten Feinden Habicht und Fuchs ausweichen zu können, benötigen Rebhühner eine kleinräumig strukturierte Agrarlandschaft. Der Acker, in dem sie ihre vegetarische Nahrung suchen, muß in Kopfhöhe übersichtlich sein, um Bodenfeinde rechtzeitig zu erkennen. Das nächste hohe Feld oder eine Hecke, wohin sie sich bei Angriffen von Greifvögeln flüchten können, sollte aber nur wenige Meter entfernt sein. Je kleiner die Felder und je vielfältiger die Bewirtschaftung ist, desto mehr Übergänge zwischen hoher und niedriger Vegetation gibt es. Die durchschnittliche Ackergröße lag im Untersuchungsraum zu Projektbeginn jedoch bei 31 Hektar.

Eine kleinräumigere Strukturierung der bewirtschafteten Feldflur wiederherzustellen, ohne daß die Bearbeitbarkeit leidet, war eines der Ziele. Dabei sollten keine zusätzlichen Wege angelegt werden, denn die geringe Erschließung ist ein weiteres Qualitätsmerkmal des nordostdeutschen Tieflandes, das beispielsweise den störungsempfindlichen See-adlern und Kranichen zugute kommt.

In zwei neu eingerichteten Betrieben wurden die Felder dementsprechend anders ausgelegt. Insbesondere sollte die Bodenqualität eines Ackers zur betrieblichen Optimierung möglichst gleich sein, so daß Bearbeitungstermine und Erntezeitpunkte übereinstimmen und sich eine Fläche an einem Arbeitstag bewältigen läßt. Vor allem aber wurden die Felder um ein Drittel auf 21 Hektar verkleinert. Zwischen ihnen verblieben Schutzstreifen, auf denen der Landschaftspflegeverband Hecken anlegte. Pufferstreifen um besonders sensible Landschaftsbestandteile wie die Sölle reduzieren den Eintrag von Agrochemikalien. Besonders wertvolle Stellen wie hagere Kuppen mit Trockenrasen wurden ganz aus der Bewirtschaftung genommen. Diese Maßnahmen kommen sowohl seltenen Arten als auch den Bauern zugute, etwa durch den Schutz der Felder vor Bodenerosion.

Zurück zum Rebhuhn. Dessen Küken sind in den ersten Lebenswochen ausschließlich auf Insektennahrung angewiesen. Versuche mit handaufgezogenen, auf den Menschen geprägten Tieren zeigten, daß die Küken in konventionell bewirtschafteten Feldern nur bei 29 Prozent aller Futtersuchen genug zu fressen fanden, eine Folge von mineralischem Dünger und Pestiziden (Bild 3). In biologisch bewirtschafteten Äckern hingegen werden sie immerhin bei 59 Prozent ihrer Ausflüge in ausreichendem Maße fündig. Zumal auch weitere Umweltqualitätsziele bei dieser Bewirtschaftungsform eher erfüllt werden, soll ihr derzeitiger Flächenanteil im Biosphärenreservat von derzeit 13 Prozent gesteigert werden.

Ein großes Problem der hier ansässigen Landwirte ist die Dominanz von Großunternehmen der Nahrungsmittelbranche, die niedrige Preise durchsetzen und so chemieintensive, arbeitskräftesparende Verfahren forcieren. Eine "Regionalmarke Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin" soll das Bewußtsein des Kunden für lokal produzierte Produkte schärfen und kürzere Transportwege ermöglichen.

Zeichnet sich die Landschaft dieses Biosphärenreservats insgesamt durch räumliche Abwechslung aus, gilt das sogar auf den – freilich immer noch relativ großen – Äckern selbst. So finden Rebhennen während der Aufzucht der Küken innerhalb eines Feldes sowohl nährstoffarme Kuppen, die von der Morgensonne als erste erwärmt werden, als auch feuchte Senken für die Nahrungssuche in der Mittagshitze. Der Erhalt dieser kleinräumigen Vielfalt ist eines der wichtigsten Umweltqualitätsziele. Dazu ist es allerdings erforderlich, daß ein Traktorfahrer beim Ausbringen von Dünger und Pflanzenschutzmitteln die Position auf dem Acker auf den Meter genau kennt. Aufgrund der zahlreichen Kuppen und Senken und der schieren Größe ist dies mit bloßem Auge häufig nicht möglich. Deshalb werden die Maschinen mit GPS-Empfängern ausgestattet (global positioning system, siehe auch Spektrum der Wissenschaft, Januar 1996, Seite 102). Einblenden der Ortsangabe in digitale Karten hilft Schützenswertes wie Bruthabitate und Amphibienwanderrouten oder auch erosionsgefährdete Partien zu berücksichtigen. Der Computer gibt auch eine auf den Qualitätszielen basierende Handlungsempfehlung. Kleinräumig abgestimmtes Ausbringen von Düngemitteln, insbesondere geringere Stickstoffgaben auf Sandlinsen, schützt zudem das Grundwasser und spart den Bauern 10 bis 20 Prozent Betriebsmittel.



Politische Rahmenbedingungen



Eine solche weitgehende Übereinstimmung von Interessen ergab sich während der Zielfindung immer wieder. Probleme stellte allerdings öfter die Förderpolitik der Europäischen Union und des Landes, die wesentlich Kulturen und Anbauverfahren bestimmt (20 bis 55 Prozent des Einkommens der Landwirte stammen aus Fördermitteln). Sie unterstützt eine Konzentration auf wenige kultivierte Arten mit vereinfachten Fruchtfolgen. Die von ihr gleichfalls geförderte Stillegung von Flächen kann überdies Fallstricke beinhalten: Auf brachliegenden hageren sandigen Böden brüteten Wachteln – und zwar ausschließlich dort – und Grauammern mit fünffach höherem Erfolg, doch die in den Förderrichtlinien vorgesehene Mahd solcher Flächen vernichtete ganze Populationen von Bodenbrütern, ohne dem Landwirt einen entscheidenden Vorteil zu bringen. Eine zukünftige Pflege der Stillegungen unter dem Primat des Naturschutzes muß, ebenso wie eine höhere Fruchtartenvielfalt, durch eine regionale Modifikation der Förderinstrumentarien erfolgen. Die von der Europäischen Union vorgelegte Agenda 2000 bietet hierfür erste erfolgversprechende Ansätze wie eine stärker regionalisierte Mittelvergabe oder zusätzliche Fördermöglichkeiten in Schutzgebieten. Gute Anregungen liefert auch der Vertragsnaturschutz, der dem Bauern Zahlungen für Leistungen gewährt, wie etwa für die zeitversetzte Mahd kleiner Parzellen statt der gleichzeitigen einer großen Wiesenfläche.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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