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Mangelnde Effizienz herkömmlicher Trainingsmethoden für das Bewegungslernen

Im Widerspruch zu Intuition und landläufiger Meinung sind regelmäßige Rückmeldungen über den Übungserfolg und systematische Drill keine guten Methoden, die dauerhafte Beherrschung einer Körperbewewgung zu vermitteln.


Bewegungsfertigkeiten – zum Beispiel im Sport, aber auch beim Spielen von Musikinstrumenten oder beim Bedienen von Maschinen – müssen durch Üben erlernt werden. Wie geschieht das am wirksamsten? Nach einer weit verbreiteten Ansicht sollten Trainer das Ausführen der Bewegung möglichst oft kommentieren und korrigieren; dadurch würden Fehler so weit wie möglich vermieden und die Lernenden kontinuierlich an die optimale Bewegung herangeführt.

Ein anderes gern angewandtes Prinzip besteht darin, Bewegungen durch vielfaches Wiederholen gleichsam einzuschleifen, damit eine stabile Repräsentation davon im Gedächtnis entsteht. In der Praxis schlägt sich dies in einem drillmäßigen Vorgehen nieder, bei dem die Schüler eine Bewegung so lange üben, bis sie diese einigermaßen beherrschen, bevor die nächste Bewegung an die Reihe kommt. So wird in der Tanzschule jeweils nur ein Tanz pro Stunde durchgenommen und im Tennisunterricht in der Regel mit der Rückhand erst begonnen, wenn die Vorhand als relativ gefestigt erscheint.

Ergebnisse der motorischen Lernforschung aus den letzten Jahren zeigen nun allerdings, daß häufige Rückmeldungen und blockweises Einüben verschiedener Fertigkeiten keineswegs so effektiv für das Bewegungslernen sind, wie vielfach angenommen wird.

Wie mißt man Lernerfolg?


Die Wirksamkeit unterschiedlicher Übungsmethoden beurteilt man üblicherweise nach den Leistungsunterschieden zwischen entsprechend trainierten Versuchsgruppen. Dabei scheint es zunächst naheliegend, eine Methode als um so effektiver anzusehen, je raschere Leistungssteigerungen sie ergibt. Man muß jedoch zwischen Lernen und Leistung unterscheiden. Anders als die direkt beobachtbare Leistung drückt sich Lernen in einer relativ überdauernden Verhaltensänderung aus. Verschiedene Übungsformen haben nämlich nicht ausschließlich langanhaltende Lerneffekte, sondern können die momentane Leistung auch kurzfristig zum Beispiel dadurch beeinflussen, daß sie besonders anregend oder ermüdend wirken. Solche temporären Einflüsse verschwinden nach relativ kurzer Zeit und haben keinen Einfluß auf das, was tatsächlich gelernt wurde.

Aus diesem Grunde wird in experimentellen Untersuchungen der Lerneffekt durch sogenannte Retentionstests (Behaltenstests) ermittelt. Diese finden nach ein- oder mehrtägiger Pause statt, in der die temporären Einflüsse verschwunden sein sollten. Die dabei festgestellten Leistungsunterschiede zwischen den Versuchsgruppen lassen sich deshalb mit ziemlicher Sicherheit auf die unterschiedlichen Lerneinflüsse der Trainingsmethoden zurückführen.

Während die Unterscheidung zwischen Lernen und Leistung in der wissenschaftlichen Forschung inzwischen allgemein anerkannt ist, wird sie in der Praxis noch allzu oft übersehen. Naturgemäß sind Trainer bestrebt, die Leistungen der Übenden schnell zu steigern, so daß diese in möglichst kurzer Zeit ein bestimmtes Ziel erreichen beziehungsweise in der zur Verfügung stehenden Zeit möglichst große Fortschritte machen. Auch die Lernenden selbst, die unter Umständen viel Geld für das Training bezahlt haben, beurteilen den Erfolg nach ihren Leistungsverbesserungen. Paradoxerweise haben neuere Studien jedoch erwiesen, daß Trainingsmethoden, welche gute Leistungen während der Übungsphase ergeben, durchaus nicht auch das Lernen der Bewegungen begünstigen müssen, sondern es im Gegenteil sogar oft beeinträchtigen.

Rückmeldungen

und motorischer Lernprozeß


In einer der ersten solchen Untersuchungen aus dem Jahre 1990 befaßten sich Carol J. Winstein und Richard A. Schmidt von der Universität von Kalifornien in Los Angeles mit der optimalen Häufigkeit von Rückmeldungen beim Bewegungslernen. In ihrem Experiment ging es darum, mittels eines Hebels ein räumlich und zeitlich definiertes Bewegungsmuster zu produzieren. Dabei erhielt die eine Übungsgruppe nach jedem, die andere nur nach durchschnittlich jedem zweiten Versuch eine Rückmeldung über das tatsächlich hervorgebrachte Bewegungsmuster in Relation zur Vorgabe.

In der Übungsphase zeigten sich in dieser Untersuchung nur geringe Leistungsunterschiede zwischen den Versuchsgruppen (oft findet man hier jedoch auch Leistungsvorteile für Gruppen mit häufigeren Rückmeldungen). In einem Retentionstest aber, der nach zwei Tagen stattfand und in dem keine Rückmeldungen mehr gegeben wurden, erwies sich die zweite Gruppe der ersten als deutlich überlegen (Bild 1). Demnach hatten die Personen, die nur nach der Hälfte der Übungsversuche eine Rückmeldung erhielten, die Bewegung wesentlich besser gelernt als die Versuchsteilnehmer mit permanenter Erfolgskontrolle.

Untersuchungen von meinen Mitarbeitern und mir bestätigten diesen Befund. Außerdem haben wir differenzierter nachgeforscht, auf welche Aspekte der Bewegung sich die verringerte Zahl von Rückmeldungen besonders günstig auswirkt. Danach bezieht sich der lernfördernde Effekt auf das grundlegende Bewegungsmuster, also die Bewegungstechnik, während eher oberflächliche Merkmale wie die absolute Dauer oder der Umfang der Bewegung offenbar nicht besser, sondern in manchen Fällen sogar schlechter gelernt werden. Dieser mögliche Nachteil dürfte für die Praxis jedoch von geringer Bedeutung sein, weil die Lernenden diese Aspekte der Bewegung meist ohnehin – so sieht eine Golfspielerin, ob sie den Ball eingelocht hat oder nicht. Die Korrektheit und Effizienz der grundlegenden Bewegungstechnik können Lernende jedoch im allgemeinen von sich aus weniger genau beurteilen, so daß sie speziell dafür auf externe Rückmeldungen angewiesen sind.

Ziel eines jeden Lehr- und Lernprozesses muß jedoch sein, daß die Lernenden selbst einschätzen können, wie gut sie die jeweilige Bewegung ausführen. Gerade dies scheint durch zu häufige Rückmeldungen verhindert zu werden. Die Übenden lernen unter diesen Bedingungen nicht in ausreichendem Maße, ihre eigenen internen Rückinformationen zu interpretieren. Dadurch können sie keinen zuverlässigen internen Fehlerentdeckungs-Mechanismus entwickeln, der zur Aufrechterhaltung der Leistung erforderlich ist, wenn niemand sie mehr korrigiert. Ein weiterer Nachteil häufiger Rückmeldungen scheint zu sein, daß sie die Lernenden zu unablässigen Korrekturen veranlassen, was eine stabile Repräsentation der Bewegung verhindert.

Fragwürdiger Drill


Etliche Untersuchungen in den vergangenen Jahren galten auch der optimalen Übungsreihenfolge bei mehreren zu lernenden Bewegungsaufgaben. Dabei wurde in der Regel eine Versuchsgruppe, die blockweise trainierte (das heißt alle Versuche zu einer Aufgabe abschloß, bevor sie mit der nächsten begann), mit einer zweiten verglichen, die in zufälliger Reihenfolge (das heißt durcheinander) übte.

Zwar war in der Regel die blockweise übende Versuchsgruppe der unsystematisch übenden während der Trainingsphase – insbesondere zu Beginn – überlegen (Bild 2). Überraschenderweise zeigte sich jedoch in Retentions- und Transfertests, daß die Lernleistungen beim Üben in zufälliger Reihenfolge wesentlich besser waren – und zwar unabhängig davon, ob die Aufgaben in den Tests durcheinander oder blockweise gestellt wurden. Unsere eigenen Untersuchungen ergaben zudem, daß sich die Lernvorteile wiederum primär auf das grundlegende Bewegungsmuster und weniger auf oberflächliche Merkmale wie absolute Dauer oder gesamter Krafteinsatz beziehen.

Dies hat sich bei verschiedenen Sportarten wie Badminton, Baseball und Gewehrschießen inzwischen auch im praktischen Training bestätigt. Die so beliebten und oft verwendeten Drills sind also nur scheinbar effektiv, weil sie schnelle Übungserfolge liefern; tatsächlich aber führt ein häufiges Abwechseln der Aufgabe, welches das Lernen zunächst schwerer macht, im Endeffekt zu wesentlich besseren Lernergebnissen.

Zur Erklärung dieses kontra-intuitiven Phänomens gibt es unterschiedliche Vermutungen. Nach der sogenannten Elaborations-Hypothese ermöglicht das Üben in zufälliger Reihenfolge einen besseren Vergleich zwischen den Aufgaben als blockweises Training; dies veranlaßt die Lernenden, verschiedene Kodierungsstrategien zu verwenden, was eine differenziertere und ausgeklügeltere Gedächtnisrepräsentation der Bewegungen zur Folge hat. Die Rekonstruktions-Hypothese erklärt die Vorteile des Durcheinander-Übens dagegen damit, daß die Lernenden die Programme für die verschiedenen Bewegungen durch das zwischenzeitliche Ausführen der anderen Aufgaben immer wieder vergessen; dadurch müssen sie das Bewegungsprogramm für die nächste Aufgabe jeweils wieder erst rekonstruieren, was zwar die Leistung während der Übungsphase vermindert, letztlich aber dennoch bessere Lernergebnisse mit sich bringt.

Nach der von uns aufgestellten Feedback-Nutzbarkeits-Hypothese könnte auch eine Rolle spielen, daß die Versuchspersonen durch den Wechsel zwischen den Aufgaben nicht von den externen Rückmeldungen abhängig werden, weil sie diese nie direkt für die Korrektur der nächsten Bewegung (die sich ja von der vorangegangenen unterscheidet) nutzen können. Dies beeinträchtigt zwar ähnlich wie weniger Rückmeldungen möglicherweise die Leistung während der Übungsphase, sollte sich aber positiv auf den Lernerfolg auswirken. Auch wenn die genauen Gründe für die Lernvorteile randomisierten Übens noch nicht geklärt sind, steht jedenfalls fest, daß es sich um ein sehr robustes Phänomen handelt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1994, Seite 23
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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