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MANNA - eine kleine deutsche Parallelrechner-Entwicklung

Ein in Berlin entwickelter skalierbarer Parallelcomputer hat nicht mehr nur ein einziges Betriebssystem, sondern gleich eine ganze Familie, von der je nach Anforderung verschiedene Mitglieder -gleichzeitig- zum Einsatz kommen.


Woran ist eigentlich SUPRENUM gescheitert? Vor mehr als drei Jahren war der Versuch, den "Superrechner für numerische Anwendungen" in nennenswerten Mengen zu verkaufen, aufgegeben worden; aber noch heute gibt es über die Gründe für seinen Mißerfolg die unterschiedlichsten Ansichten.

Er sollte so etwas wie der Bundesparallelrechner werden: die deutsche Realisierung des Prinzips einer Rechenfabrik, in der zahlreiche kleine Computer (die Prozessoren) unter einer Oberaufsicht gemeinsam ein Problem lösen – bei n Prozessoren im Idealfall n-mal so schnell wie ein einzelner Rechner. Vielleicht haben einfach zu viele Köche in dem 200 Millionen Mark teuren Brei gerührt, oder der Hauptfinanzier – das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) – war nicht bereit, ausreichend Energie und vor allem Geld für die Anlaufverluste in die Vermarktung zu investieren (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, März 1991, Seite 91).

Im Gegensatz zur Hardware lebt das Software-Konzept von SUPRENUM weiter und treibt neue Blüten. Durch Schaden klug geworden, hat Wolfgang K. Giloi, der Architekt des Rechners, für das Nachfolgeprojekt kein großes Konsortium gesucht und zum Ziel statt eines verkäuflichen Computers ein Demonstrationsgerät gesetzt. Unter Gilois Leitung entwickelte das Forschungsinstitut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD-FIRST) in Berlin-Adlershof einen Parallelrechner namens MANNA (massiv-parallele Architektur für numerische und nicht-numerische Anwendungen). Im FIRST sind drei Arbeitsgruppen aus der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR tätig.

Inoffiziell denkt man bei dem Namen des Projekts auch an die Fördermittel des BMFT, die wie das alttestamentliche Manna unerwartet und köstlich vom Himmel fielen. Nach dem Auslaufen der Förderung Ende 1993 ist das japanische Industrieministerium MITI der größte externe Geldgeber.

Erste Exemplare von MANNA sind inzwischen fertiggestellt und in Betrieb (Bild 1). Was ist das grundlegend Neue, das diesen Parallelrechner von den zahlreichen anderen Projekten unterscheidet?

Normalerweise gilt der Prozessor als das Herz eines Computers, weil er die eigentliche Rechenarbeit verrichtet. Überraschenderweise sind die vielen Herzchen eines Parallelrechners nicht das Entscheidende. Man kann sie – allerdings unter erheblichem Aufwand – austauschen und muß das in diesem Falle auch tun, weil man von der Politik der großen Prozessorhersteller abhängt. Der Designer eines Supercomputers könnte zwar im Prinzip einen Chip für die speziellen Anforderungen eines Parallelrechners entwickeln; dieser würde sich jedoch gegenüber einem nicht spezialisierten, aber durch Massenproduktion erheblich billigeren Prozessor nicht bezahlt machen.

In MANNA werden jetzt die Prozessoren der Firma Intel vom Typ i860-XP durch solche vom Typ PowerPC ersetzt, nicht etwa, weil der (zu Beginn der MANNA-Entwicklung erst im Stadium des Entwurfs befindliche) i860 bereits wieder veraltet wäre, sondern weil Intel beschlossen hat, diese Entwicklungslinie nicht weiterzuführen. Ein darauf basierender Rechner würde auf die Dauer unweigerlich ins Hintertreffen geraten. (Das Nachfolgemodell eines Chips ist üblicherweise aufwärtskompatibel zu seinem Vorgänger, so daß man durch schlichtes Austauschen von seiner höheren Leistung profitieren kann.)

Arbeitsteilung: Rechnen und Kommunikation


Interessanter als die Prozessoren selbst – bei denen man nicht besser sein kann als die Konkurrenz – ist die Systemarchitektur. Die Prozessoren sitzen wie Knoten in einem Netz, das schon aus Kostengründen nicht jeden Knoten mit jedem direkt verbinden kann. Die Kommunikation unter den Prozessoren ist also in Grenzen zu halten und in geeignete Kanäle zu leiten: Wenn die Daten, die ein Prozessor von einem anderen zum Weiterrechnen erhalten muß, nicht rechtzeitig verfügbar sind, entsteht massenhafter Leerlauf, und die tatsächliche Rechenleistung sinkt weit unter das theoretische Maximum der Vollbeschäftigung (vergleiche "Kurze Anleitung zum Bau eines Supercomputers", Spektrum der Wissenschaft, März l99l, Seite 86).

Aus diesem Grunde ist das Konzept des gemeinsamen Speichers (shared memory) bei einer großen Anzahl von Prozessoren nicht mehr tragfähig: Allzuoft müssen diese beim Zugriff auf den Speicher aufeinander warten. Statt dessen hat in MANNA jeder Prozessor seinen eigenen Speicher (distributed memory), und die Kommunikation findet über ein message-passing statt: Für jede Datenübermittlung wird über einen Kreuzschienen-Schalter (crossbar switch) eine Leitung bereitgestellt, im Idealfall direkt von Prozessor zu Prozessor, bei größeren Anzahlen durch Vermittlung mehrerer (möglichst weniger) crossbars (Bild 2).

Damit die Kommunikation das Rechnen nicht unnötig aufhält, besteht ein MANNA-Knoten aus einem Paar baugleicher Prozessoren, die sich wie Chef und Assistent verhalten: Einer von ihnen macht die eigentliche Rechenarbeit, der andere regelt den Verkehr mit der Außenwelt. Dadurch reduziert sich für den Chef die Kommunikationslatenz – die Zeit, bis er sich wieder dem Rechnen zuwenden kann – auf wenige Mikrosekunden für das Ausstoßen einer wortkargen Anweisung an den Assistenten.

Maßgefertigte Betriebssysteme


Die bedeutendste Neuerung jedoch betrifft das Betriebssystem, jenes Stück Software, das die Ressourcen des Systems – vor allem externe Speichermedien – den Anwendungsprogrammen zugänglich macht. Ein Betriebssystem auf einem klassischen Computer teilt außerdem konkurrierenden Programmen und Benutzern Ressourcen zu, verhindert Übergriffe auf fremden Speicherplatz und erfüllt eine Vielzahl weiterer Funktionen. Auf einem Parallelrechner muß ein Exemplar des Betriebssystems auf jedem Knoten laufen.

Oft, aber nicht immer, ist ein Knoten ohnehin einem Programm exklusiv zugeteilt; eine Überwachung der Zugriffsberechtigung wäre deshalb Zeitverschwendung. In diesem Falle ist im Interesse der Arbeitsgeschwindigkeit ein bis aufs äußerste abgemagertes Betriebssystem erforderlich. Auf anderen Knoten hingegen sind weitere Funktionen des Betriebssystems nicht entbehrlich, so daß es in mehreren miteinander verträglichen Versionen zur Verfügung stehen muß.

Andererseits hat ein Betriebssystem eine Art Telephonverzeichnis zu führen, das sich im Verlauf einer größeren Berechnung fortwährend ändern kann. Wenn der Chef eine Information anfordert, muß der Assistent sich des Betriebssystems bedienen, um zu erfahren, welcher Knoten gerade über die gesuchten Daten verfügt, oder möglicherweise einen freien Knoten beauftragen, das Gewünschte auszurechnen.

Beiden Anforderungen – mehrere kompatible Versionen des Betriebssystems und Ansprechen eines Programms oder einer Datei über einen Namen ohne Bezug auf die physikalische Realisierung – entspricht das Prinzip der objektorientierten Programmierung. Wolfgang Schröder-Preikschat vom FIRST hat solche Verfahren, die eigentlich im Bereich der höheren Programmiersprachen angesiedelt sind, auf die Ebene der Betriebssysteme übertragen und das von SUPRENUM übernommene Betriebssystem PEACE (process execution and communication environment) zu einer Betriebssystemfamilie gleichen Namens umgestaltet. Durch gezieltes Abmagern der entsprechenden Version sinkt die Kommunikationslatenz unter günstigen Bedingungen fast ins Unmerkliche.

Anwendungen


Wozu kann man das neue Gerät brauchen? Hier gerät MANNA in eine äußerst ungewisse Situation: Die Organisation des arbeitsteiligen Rechnens mit möglichst wenig Kommunikation unter den Prozessoren ist nach wie vor ein Problem, das sich einer automatisierenden Lösung hartnäckig widersetzt (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, November 1992, Seite 17). Vorzeigbar sind deshalb bisher nur spezielle Anwendungen.

Eine von ihnen ist am Fraunhofer-Institut für graphische Datenverarbeitung (IGD) in Darmstadt erarbeitet worden, dient zur Darstellung einer Szene mit Techniken der virtuellen Realität und erfordert überhaupt keine Kommunikation: Jeder Prozessor ist zuständig für eine gewisse Anzahl gedachter Gegenstände und berechnet immer wieder aufs neue, wie diese vom wandernden Blickpunkt eines virtuellen Beobachters aus aussehen würden. Ob dabei ein Gegenstand von einem anderen verdeckt wird, berechnet erst eine nachgeschaltete Graphik-Hardware, die sämtliche von den Prozessoren eingehenden Informationen sammelt. Der Kommunikationsprozessor jedes Knotens, der mangels Kommunikation unbeschäftigt wäre, wird mit zum Rechnen eingesetzt.

Die Gruppe von Achim Sydow am FIRST hat ihr Berliner Modell für Luftbelastungsanalysen (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1992, Seite 105 ) stark verfeinert. Mit der erhöhten Rechnerleistung kann man nun in kurzer Zeit auch detaillierte Vorhersagen über die Konzentration bodennahen Ozons treffen.

Auf die Dauer bedeutender sind jedoch die Bemühungen, dem Anwender die Anpassung seines Problems auf Parallelrechner weitgehend abzunehmen und, soweit möglich, ihm eine vom Rechnertyp unabhängige Oberfläche bereitzustellen. Die noch für SUPRENUM entwickelten Programmierwerkzeuge sind mittlerweile zu einer Art Standard namens MPI (message passing interface) herangewachsen.

Die Architektur von MANNA soll dem Benutzer die Illusion verschaffen, alle Prozessoren hätten Zugriff auf einen gemeinsamen Speicher (VSM wie virtual shared memory), weil das in der Regel die problemnähere Formulierung eines Programms ermöglicht. Es ist dann Sache der Software, Zugriffe auf fremde Speicher in Nachrichtenübermittlungen aufzulösen.

Noch einen Schritt weiter geht der – im experimentellen Stadium befindliche – parallelisierende Compiler namens SNAP (sequential and numerical application parallelizer). Aus dem Text eines in der traditionellen Programmiersprache Fortran geschriebenen Programms, allenfalls durch einige Hinweise (Compiler-Direktiven ) des Benutzers unterstützt, zieht dieses Übersetzerprogramm Schlüsse darauf, welche Teile der Rechenarbeit voneinander unabhängig und deshalb an verschiedene Knoten delegierbar sind, und zerlegt die Gesamtheit der Daten in annähernd gleiche Pakete zur Zuweisung an einzelne Knoten, so daß diese möglichst wenig kommunizieren müssen.

Eine Vermarktung von MANNA in Kooperation mit einem Industriepartner ist für Ende dieses Jahres geplant.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1994, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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