Direkt zum Inhalt

Marketing und Design


Wenn man Design als planvolle Gestaltung serieller Artefakte mit starkem ästhetischem Bezug und deutlicher Wahrnehmungsorientierung betrachtet, dann wird bereits durch diese Umschreibung die Einbettung in unternehmerische Handlungsweisen deutlich: Unternehmen decken Fremdbedarfe (Ansprüche anderer), das Marketing entdeckt Fremdbedarfe, und das Design hilft bei der Gestaltung der Fremdbedarfsmittel. Daraus ergibt sich der enge Arbeitszusammenhang zwischen Marketing und Design.


Die Marketing-Perspektive

Marketing – ein in den USA geprägter Begriff – kann als eine Sozialtechnik aufgefaßt werden. Es befaßt sich mit der Beeinflussung von Partnern, zum Beispiel von Kunden oder Lieferanten. Sie gelingt um so besser, je mehr man auf deren Ansprüche eingeht. Im Marketing mischen sich somit egoistische mit altruistischen Bezügen.

Entwickelt wurde Marketing als Maßnahme von Unternehmen, den Absatz ihrer Produkte oder die Akzeptanz ihrer Dienstleistungen zu steigern. Inzwischen wurde diese Sozialtechnik erweitert und nicht nur auf die Beschaffung, sondern auch auf unternehmensferne Bereiche übertragen. So gibt es ein Kulturmarketing, ein Stadtmarketing, ein Kirchenmarketing und andere mehr.

Im Absatzmarketing interessiert die Kundenzufriedenheit vor allem aus zwei Gründen:

- Es widerspricht dem ökonomischen Prinzip, Angebote zu entwickeln, die keiner will; eine Werbung zur Beseitigung von Kaufwiderständen lohnt sich nur selten.

- Die Gewinnung neuer Kunden ist sehr viel teurer als das Halten zufriedener alter.

Um Zufriedenheit des Kunden zu gewährleisten, muß man sich intensiv mit dessen Ansprüchen beschäftigen und vor allem sozusagen sich seinen morgigen Kopf zerbrechen. Das ist leicht gesagt, beinhaltet aber das Problem, daß der normale Kunde vielfach nicht einmal weiß, was er heute will. So überrascht denn der Hinweis auch wenig, daß eine entsprechende Befragung potentieller Kunden wenig weiterhilft.

Im Marktgeschehen kommt überdies eine weitere Größe hinzu, der Wettbewerb. Somit ergibt sich eine Art Spannungsdreieck – der Anbieter muß sich in den Augen des Nachfragers gegenüber dem Konkurrenten profilieren. Daraus folgt:

- Entscheidend sind nur Produktleistungen, die der Nachfrager subjektiv wahrnimmt;

- entscheidend sind des weiteren nur solche, die ihm wichtig sind;

- kaufentscheidend sind die gegenüber dem Konkurrenzangebot als vorteilhaft bewerteten Produktleistungen; und

- der Anbieter muß dafür sorgen, daß seine akzeptierte Leistung auch immer wieder ihm selbst zugerechnet wird.

Gegen diese vier Prinzipien wird in der deutschen Wirtschaft häufig verstoßen. Nach dem Motto, man wisse ja nie so recht, was alles gewünscht werden könnte, werden Produkte mit Leistungen vollgestopft, die dann doch keiner nutzt. Viele Produkte könnten deutlich billiger sein, wenn man Kundenzufriedenheit ernst nähme.


Strategische Optionen

Aus dem Profilierungsgebot in einer Wettbewerbswirtschaft ergibt sich, daß entsprechende Strategien zu verfolgen sind. Wie kann man sich profilieren?

Im Bestreben um Kostenführerschaft bemühen sich Unternehmen vornehmlich um die niedrigsten Herstell- und Absatzkosten in einer Branche oder einem Produktfeld. Sie suchen große Mengen einer Ware kontinuierlich mit hoher Produktivität herzustellen und möglichst simultan zu verkaufen; Absatzschwankungen müssen vermieden werden.

Varianten sind die reine Niedrigpreisstrategie, wie man sie zum Beispiel mit Wegwerf-Feuerzeugen verfolgt, die Normproduktstrategie bei Standardartikeln, etwa Schrauben, und die Kreation modischer Billigprodukte, wofür die Swatch-Uhren typisch sind. Die dritte strategische Variante eröffnet bereits Spielräume für Designer: Während – um beim Beispiel zu bleiben – die Grundform der Uhr archetypisch stets flachrund ist, werden Komponenten wie Zifferblatt, Lünette und Armband von Saison zu Saison neu gestaltet.

Die Alternative zur Kostenführerschafts- ist die Leistungsführerschaftsstrategie. Dabei bemüht man sich, Ansprüche und Leistungen möglichst zur Deckung zu bringen. Die logische Folge gemäß der Vielfalt von Ansprüchen ist Produktdifferenzierung.

Je nachdem, wie die Differenzierung angegangen wird, kann man eine Kognitions- und eine Emotionsstrategie unterscheiden. Der rationale Leistungsvergleich nach Kriterien wie mehr, anders, besser oder billiger dominiert im Industriegüterbereich; Marken- oder Kundenbindungen sind dabei kaum möglich, und der Konkurrenzvorsprung ist immer nur von kurzer Dauer. Über Emotionen wird hingegen der ganze Mensch angesprochen. Aus der Vielzahl der Möglichkeiten ragen drei heraus: die technische Faszination (etwa die eines sportlichen Automobils), die ästhetische Faszination (das ist insbesondere der Fokus des Designs) und die gute Partnerschaft in Form von Beratung und Service.


Zielaspekte

Unter der Maßgabe, daß ein Unternehmen tunlichst seinen Umsatz und den Gewinn steigert und seine Selbständigkeit erhält, wird es Marketingziele setzen und das Angebot danach ausrichten. Design-orientierte Produkte, die uns hier interessieren, sind im Produktspektrum zwischen billiger Massenware und exklusiven Spitzenprodukten angesiedelt.

In der Bundesrepublik gibt es eine ganze Reihe von Firmen, die ihre Marketing- und Unternehmensziele mit deutlich design-orientierten Produkten erreichen. Eine solche Ausrichtung wird künftig, vor allem wenn man Weltmarktmaßstäbe zugrunde legt, noch bedeutsamer werden, eben weil Design die emotionale Leistungsdifferenzierung ermöglicht.

Design kann sogar sehr hoch in der Hierarchie eines Unternehmens verankert sein. Vor allem bei eigentümergeleiteten Firmen kann es die Grundorientierung des Handelns bestimmen und sich dann auch im Corporate Design – in der Architektur und Identität eines Unternehmens – niederschlagen.

Design hat dann also außer der Zweck-Mittel-Aufgabe auch die Funktion, das Selbstverständnis des Handelns zu definieren und auf seine Einhaltung hin zu überprüfen. Das kann unter anderem die Grundlage dafür sein, daß inkompetente Urteile bei der Auswahl von Produktentwürfen unterbleiben.


Konsequenzen

Aus den bisherigen Ausführungen lassen sich Antworten auf wesentliche Fragen zum Zusammenhang von Marketing und Design ableiten.

Was nutzt Design? Unternehmer, die das erwägen, werden als Ökonomen primär Kosten-Nutzen-Rechnungen anstellen wollen, weil Zahlen als objektive Daten gelten. In diesem Falle gehen aber schwer wägbare Parameter in die Kalkulation ein. Es gibt keine Kostenexperimente mit und ohne Design. Es wäre auch höchst trivial, einfach die Designkosten eines Produkts als Ausgangspunkt zu nehmen – dann wird nämlich übersehen, was Design spart: Über die Gestaltung zum Beispiel von Komponenten muß sich der Konstrukteur keine Gedanken mehr machen; und vielleicht kommt der Designer auch auf wesentlich ökonomischere Produktionsweisen oder auf besser herstellbare Formen.

Noch viel schwieriger ist die absatz-, also kundenbezogene Nutzenbetrachtung. Wegen der Ganzheitlichkeit der Leistungen ist es methodisch höchst problematisch, Nutzenbewertungen für Teilleistungen vorzunehmen.

Dennoch sind einige Vorteile design-orientierten Handelns offenkundig:

- Design dient der Identifikation der Mitarbeiter mit dem Sachziel des Unternehmens. Man findet das, was man tut, gut. Daraus und aus der externen Bewunderung der Produkte kann erhöhte Motivation erwachsen.

- Design dient der Profilierung gegenüber der Konkurrenz und wird sicherlich ein wesentliches Profilierungsinstrument der späten neunziger Jahre werden.

- Design differenziert nach innen. Ein bestimmtes Produktionsprogramm muß einen deutlich anderen Akzent setzen als ein weiteres.

- Mit der Profilierung hängt die Anspruchsbefriedigung zusammen. Das ist der spezifische Marketing-Aspekt.

- Nicht vergessen werden sollte der Beitrag von Design zur Alltagskultur, der Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit schafft.

Welches Design? Bis Mitte der siebziger Jahre dominierte der ästhetische Funktionalismus; gegenwärtig begegnen uns völlig unterschiedliche Stile, und neue kündigen sich an. Statt einer detaillierten Beschreibung mag eine Positionierung im Spannungsfeld der Dimensionen Ästhetik, Pragmatik und Symbolik genügen (Bild 1). Spannend wäre es, über die Ist-Aufnahme hinauszugehen und das morgen Wahrscheinliche herauszuheben; aber eine solche Prognose ist, da es nicht um technische, sondern um kreative Entwicklungen geht, nicht ganz einfach.

Design für wen? Verfolgt man die Diskussion unter Designern, dann ist der ästhetische Funktionalismus schon lange tot. Das ist aus Sicht des Marketings falsch. Wenn man sich mit Hilfe der Milieu-Forschung auf die Kundenrealität bezieht, dann kommt man zu ganz anderen Ergebnissen.

Um das annähernd nachvollziehen zu können, sei zuerst die Milieuwelt skizziert. Seit Ende der siebziger Jahre erhebt das Sozialwissenschaftliche Institut Sinus in Heidelberg Daten über Vorstellungen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Für 1991 ergab sich die in Bild 2 gezeigte Struktur.

Die jeweilige soziale Schicht wird geprägt von den Merkmalen Ausbildung, Beruf und Einkommen. Jedes der benannten Segmente ist durch eine zentrale Denk-, Gefühls- und Lebenswelt gekennzeichnet. Daraus läßt sich auf Bevorzugungen von Design-Prägnanzen schließen, wie sie in Bild 3 aufgelistet sind. Deutlich wird aus dieser Zuordnung zum einen, daß der ästhetische Funktionalismus in mehreren Milieus verbreitet ist; zum anderen erweist sich, daß das technokratisch-liberale Milieu für sehr viele Design-Stile offen ist – es handelt sich um das zentrale Marktsegment für design-orientierte Produkte. Mit ihm verbunden ist das aufstiegsorientierte Milieu, das sich vorrangig für Design-Klassiker interessiert, die sich im technokratisch-liberalen Milieu durchgesetzt haben.

Sind Tendenzen zu erkennen? Wenn auch prognostische Aussagen über künftige Design-Stile, wie gesagt, sehr wagemutig sind, lassen sich vorsichtig doch einige Tendenzen aufzeigen.

Die offenkundige Regionalisierung in Europa dürfte sich auch im Design ausprägen, indem regionale Bezüge als Stilmittel benutzt werden. Denkbar ist auch ein Fashion-Design, für das es Anklänge in der Swatcherisierung bereits gibt: Archetypische Produktformen werden durch neue Bezüge, austauschbare Oberflächendekore und dergleichen für den Geschmackswandel präpariert. Daraus ergibt sich eine Kombination von Longlife-Gestaltung mit kurzfristiger modischer Attitüde.

Da es zweifelhaft ist, ob alle in der Ausbildung befindlichen Designer anschließend Arbeit in der Industrie finden, wird es vermehrt Gründungen kleiner Werkstätten geben. Solche Designer stellen ihre eigenen Entwürfe her und vertreiben sie selbst. Der Übergang vom seriellen Artefakt zum Unikat wird nicht ausbleiben. Die Grenzen zwischen Kunst und Design könnten also mehr noch als bisher verschwimmen.

Eine schon zu beobachtende Romantisierung wird auch im ästhetischen Funktionalismus Spuren hinterlassen. Die rationale Sachlichkeit, an der Pragmatik orientiert, wird sich größerer ästhetischer Verspieltheit öffnen, ohne daß dabei die Gebrauchstauglichkeit verlorenginge.

Schließlich wird die ökologische Komponente im Design wesentlich höheren Stellenwert erhalten. Das betrifft nicht nur die Materialwahl und das Recycling; auch Prinzipien wie insbesondere Longlife-Gestaltung sind neu zu bedenken.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1994, Seite 100
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.