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Mathematische Expeditionen. Ein Streifzug durch die moderne Mathematik


Das Buch enthält in acht Kapiteln Beiträge zu Themen wie Kartenfärbung, Primzahlen, Kryptologie, Topologie, Minimalflächen, Fraktale, Chaos und zelluläre Automaten. Der Wissenschaftsjournalist Ivars Peterson hat das Material während der sechs Jahre seiner Tätigkeit bei dem amerikanischen Magazin "Science News" angesammelt.

Peterson ist fasziniert von dem, was Mathematiker so treiben. Studiert hat er aber Physik und Chemie für das Lehramt, und so ist er zwar zu einem Be-wunderer der Mathematik(er) geworden, aber zu einem Verständnis für wirkliche Mathematik hat er es nicht gebracht.

Immerhin hat er sich um eine anschauliche, auch dem Laien verständliche Darstellung bemüht und einige mathematische Entwicklungen mit interessanten Anmerkungen versehen. Beispiele sind der Fehlschlag, den der britische Mathematiker Colin Rourke und sein portugiesischer Student Eduardo Rêgo 1986 mit ihrem Beweisversuch für die Poincaré-Vermutung erlebten, die Schwierigkeiten, mit denen Louis de Branges (nicht de Brange, wie er im Buch durchgehend geschrieben wird) 1984 zu kämpfen hatte, bis sein Beweis der Bieberbachschen Vermutung schließlich anerkannt wurde, und das Rennen, das 1984 um die Verallgemeinerung der Jones-Polynome einsetzte (Spektrum der Wissenschaft, August 1990, Seite 12). Wo es aber um die Erklärung mathematischer Sachverhalte geht, merkt der Fachmann an vielen Stellen, daß Peterson das Darzustellende selber nicht verstanden hat. Seine Ausdrucksweise läßt die für die mathematische Sprache typische Präzision oft vermissen. So geraten viele Aussagen zu Halbwahrheiten, sind unverständlich oder schlicht falsch. Die Übersetzung aus dem Amerikanischen ist holprig, viel zu wörtlich und trotzdem ungenau. Ein paar Beispiele:

"Jede zusammengesetzte Zahl... [besitzt] eine eindeutig bestimmte Menge von Primfaktoren... Es gibt keine andere zusammengesetzte Zahl mit derselben Menge von Primfaktoren" (Seite 35). Falsch, es gibt zum Beispiel unendlich viele Zahlen, für welche die Menge der Primfaktoren nur aus der Zahl 2 besteht. Beim mathematischen Mengenbegriff unterscheidet man eben nicht, ob ein Element mehrfach aufgezählt wird, bei der Primfaktorzerlegung aber sehr wohl.

"Eine Tangente, das heißt eine eindeutig bestimmte Gerade, existiert in keinem Punkt der von Kochschen Kurve" (Seite 127). Die sogenannte Schneeflockenkurve hat wirklich nirgends eine Tangente; aber Tangenten sind eben nicht bloß "eindeutig bestimmte Geraden".

Die auf Seite 159 als Beispiel für Chaos angegebenen Zahlenfolgen sind falsch, wie man beim Nachrechnen feststellt. Der Imaginärteil einer komplexen Zahl a+bi ist b und nicht bi (Seite 165). Die Ableitung einer reellen Funktion in einem Punkt gibt die Steigung der Tangente an, nicht die "Stellung der Kurve" (Seite 174). "Nun dehnt man die Tangente solange aus, bis sie die x-Achse schneidet" (Seite 174) – die Arbeit kann man sich sparen, denn die Tangente ist, wie Peterson wenige Zeilen zuvor schreibt, eine Gerade und deshalb ganz von alleine unendlich ausgedehnt. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Nirgends wird ein Gedankengang präzise und vollständig durchgeführt. Der Inhalt des Buches soll offenbar nur konsumiert, aber nicht denkend durchdrungen werden. Peterson findet alles "aufregend", "faszinierend" oder "interessant". Um zu erfahren, was Mathematik ist und warum sie so faszinierend ist, muß man selber ein bißchen Mathematik betreiben. Aber der Leser wird kaum zu eigenem Nachdenken angeregt.

Die vereinten Kräfte von Übersetzer und Lektorin haben nicht hingereicht, wenigstens den groben Unsinn zu eliminieren. Ein Beispiel ist das Kapitel über Turing-Maschinen (ab Seite 202), in dem vieles so mißverständlich oder falsch formuliert ist, daß einem vor dem Gedanken graut, unbedarfte Leser könnten das für bare Münze nehmen.

Für welchen Leserkreis wurde das Buch geschrieben? Mathematiker werden die faulen Stellen erkennen und sich das Richtige denken können, vielleicht auch den einen oder anderen Hinweis auf neuere Entwicklungen abseits ihres eigenen Spezialgebietes mit Interesse aufnehmen. Interessierte Laien werden, wenn sie sich von den stilistischen Mängeln nicht abschrecken lassen, zweifellos einen Eindruck davon bekommen, womit sich Mathematiker befassen und warum manche Leute Mathematik so faszinierend finden; aber sie werden hinnehmen müssen, daß sie vieles falsch oder gar nicht verstehen.

Es fehlt auch ein Index, was sich insbesondere deshalb störend bemerkbar macht, weil viele Kapitelüberschriften keinen Hinweis auf den Inhalt enthalten. Loben kann man jedoch die nach Kapiteln gegliederten Literaturhinweise: Hier findet der Nichtmathematiker viele Hinweise auf gute, auch für ihn verständliche Bücher und Zeitschriftenartikel.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1994, Seite 127
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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