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Strassenverkehr: Maut ohne Mautstation

Ab August dieses Jahres sollen Lkws auf Autobahnen eine Gebühr bezahlen, die sich nach der zurückgelegten Strecke berechnet. Ein Fall für Satellitennavigation und Mobilfunk.


Rund 1,4 Millionen Lastkraftwagen, jeder mehr als zwölf Tonnen schwer, sind jedes Jahr auf deutschen Autobahnen unterwegs – mit steigender Tendenz. Etwa die Hälfte der Brummis stammt aus dem Ausland.

Schon lange fordern Experten, dass der Schwerlastverkehr stärker als bisher an der Instandhaltung der Straßen beteiligt werden sollte: Ein Lkw von vierzig Tonnen belastet die Verkehrswege 60000-mal stärker als ein normaler Pkw. Was Umweltschützer zudem bemängeln: Bislang können Alternativen wie der Transport per Bahn preislich kaum mithalten, da selbst Fahrten mit nur teilweise ausgenutzter Ladekapazität bis hin zu Leerfahrten kaum zu Buche schlagen. Andererseits klagen Spediteurverbände, dass die 1995 eingeführte Vignette sie im internationalen Wettbewerb benachteilige: Da die Steuerlast hierzulande wesentlich höher sei, könne die ausländische Konkurrenz Transporte viel billiger anbieten.

Ende August dieses Jahres soll deshalb eine streckenbezogene Autobahngebühr für Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von mehr als zwölf Tonnen eingeführt werden. Ihre Höhe soll – je nach Schadstoff-emissionsklasse und Anzahl der Achsen – zwischen 0,10 und 0,17 Euro pro Kilometer betragen. Eine solche streckenabhängige Maut wird die Fahrzeugbetreiber dann teurer kommen als die derzeitige, zeitbezogene Vignette, wenn sie ihre Ladekapazitäten nicht besser nutzen.

Bis vor kurzem stand der August als Einführungstermin allerdings zur Disposition. Denn eines der beiden um Aufträge ringenden Konsortien fühlte sich benachteiligt und zog vor Gericht. Die Angelegenheit scheint geklärt: ETC, ein Zusammenschluss von DaimlerChrysler, Deutscher Telekom und dem französischen Autobahnbetreiber Cofiroute, hat den Zuschlag für das Mautsystem erhalten. AGES, ein Konsortium aus Vodafone, Shell, Aral und anderen Firmen, wird vor allem für das manuelle Einbuchungssystem zuständig sein und über das D2-Netz einen Teil der Datenübertragung abwickeln.

Eine mögliche Form automatisierter Mautsysteme kennen deutsche Autofahrer von Urlaubsfahrten durch Frankreich und Italien: Beim Auffahren auf eine der privatwirtschaftlich geführten Autobahnen passiert man eine erste Station und zieht aus einem Automaten ein Ticket. Vor dem Abfahren oder beim Wechsel in den Bereich eines anderen Betreibers erhebt eine zweite Station die Gebühr.

Um die Abfertigung zu beschleunigen, Personalkosten zu senken und letztlich auch den Zahlungsverkehr weiter zu vereinfachen, nutzen diese Länder moderne Kommunikationstechnik: An den Mautstationen kommunizieren Antennen über den Fahrstreifen mit einem so genannten Transponder im Fahrzeug. Diese Geräte, wie sie in ähnlicher Form seit langem in Flugzeugen eingesetzt werden, entsprechen elektronischen Etiketten: Sie erkennen die Funksignale der Mautstation und senden eine Kennung mit den Fahrzeugdaten zurück. Passiert das Fahrzeug die Einfahrstation, hinterlegt das Mautsystem einen Einfahrbeleg in digitaler Form. Am Ausfahrpunkt berechnet es die zurückgelegte Strecke und anhand der Kennung die fällige Gebühr. Diese wird entweder – wie für die Telefonrechnung üblich – angesammelt und regelmäßig vom Konto des Fahrzeugbesitzers eingezogen oder aber direkt von einer aufladbaren Chipkarte in der Transpondereinheit abgebucht.

OBU zieht den Obulus ein

Für die Bundesrepublik eignet sich dieses Verfahren indes nicht, denn es setzt bestehende Mautstationen voraus. Sie nachträglich im Autobahnnetz einzurichten ist praktisch unmöglich. Die Alternative wären Portalrahmen, ähnlich den bereits vorhandenen Schilderbrücken, um darauf die erforderlichen Antennen zu montieren. Wegen der hohen Zahl an Zu- und Abfahrten im deutschen Autobahnnetz und der Vorgabe des Verkehrsministeriums, die Gebühr für jeden Autobahnabschnitt separat zu ermitteln, wären etwa 10000 solcher Installationen erforderlich. Auch das erscheint nicht praktikabel.

Die Schweiz hat im Jahr 2001 für die Erhebung einer Schwerverkehrsabgabe eine Technik gewählt, die keine ortsfesten Anlagen benötigt. Sie soll in Deutschland ebenfalls zum Einsatz kommen: Statt mit elektronischen Etiketten wird ein Fahrzeug mit einer so genannten On-Board-Unit (OBU) ausgestattet, die selbsttätig den im mautpflichtigen Netz zurückgelegten Weg anhand der Daten von Fahrtenschreiber, Bewegungssensoren und GPS-Empfänger ermittelt. Über eine Funkschnittstelle lässt sich dieses fahrzeugautonome Mautsystem beim Grenzübergang aktivieren beziehungsweise deaktivieren. In vorgegebenen Zeitabständen werden die in der OBU gespeicherten Informationen in eine Chipkarte ausgelesen und an die Abrechnungszentrale geschickt.

Fahrer ausländischer Lkws ohne eine solche OBU können sich beim Grenzübertritt an Terminals mittels Chipkarte an- und abmelden; dabei geben sie jeweils den aktuellen Kilometerstand ein. Diese Chipkarte speichert auch die Fahrzeugdaten. Das Terminal berechnet die Gebühr, die über Kredit- oder Tankkarte bezahlt wird.

Anders als in der Schweiz soll die Lkw-Maut in Deutschland nicht für das gesamte Straßennetz, sondern nur für Autobahnen erhoben werden. Das System muss also die verschiedenen Straßentypen unterscheiden. Das gewährleistet die satellitengestützte Fahrzeugnavigation. Die On-Board-Unit vergleicht die mit dem Global Positioning System (GPS) und diversen Sensoren bestimmten Positionsdaten mit den auf einem Speicherchip hinterlegten Koordinaten des Autobahnnetzes. Anhand der gespeicherten Längen einzelner Autobahnabschnitte ermittelt sie die Gebühren und hinterlegt eine elektronische Quittung für eventuelle Kontrollen. In regelmäßigen Intervallen sendet das Gerät die Summe der Einzelposten über ein integriertes Mobilfunkmodul an den Systembetreiber. Der stellt sie dem Nutzer in Rechnung.

Eine solche On-Board-Unit ist etwa so groß wie ein Autoradio und soll von lizenzierten Fachwerkstätten im Armaturenbrett oder im Hochdach des Lkws eingebaut werden. Eine hinter der Windschutzscheibe installierte Funkeinheit – und ein eigens etablierter Kommunikationsstandard – ermöglicht es den Fahrzeugen, auch stationäre Mautsysteme anderer europäischer Länder zu nutzen.

Keine Chance für Schwarzfahrer

Fahrzeuge ohne eine solche OBU müssen künftig unter Angabe der gewählten Route beim Systembetreiber angemeldet werden. Dies kann über das Internet erfolgen oder an speziellen Terminals, die an Raststätten oder Grenzübergängen installiert werden sollen. Registrierte Dauernutzer erhalten dazu eine Chipkarte.

Um Schwarzfahrern auf die Schliche zu kommen, errichten die Betreiber an stark befahrenen Autobahnabschnitten automatische Kontrollstellen mit Kameras und Infrarotsensoren. Anhand der Reflexionen eines Infrarotlasers erkennt eine solche Station die Abmessungen eines sich nähernden Fahrzeugs. Handelt es sich offenbar um einen Lkw, erfasst zudem eine Kamera dessen Front inklusive Kennzeichen. Verfügt der Wagen über eine On-Board-Unit, so werden seine Daten und die Quittung der letzten Mautabbuchung über eine Infrarotschnittstelle abgefragt; ihr Gegenstück befindet sich wie die Funkschnittstelle hinter der Windschutzscheibe. Weitere Sensoren bestimmen die Achsenzahl, um die Informationen der OBU zu überprüfen. Bleibt die Anfrage nach einer On-Board-Unit erfolglos, meldet die Station das Kennzeichen online an die Zentrale. Dort wird geprüft, ob der Fahrer durch Voreinbuchung berechtigt ist, diesen Abschnitt des Autobahnnetzes zu befahren. Mobile Kontrollen ergänzen das System, indem speziell ausgestattete Fahrzeuge während der Vorbeifahrt an Lkws deren OBU über die Infrarotschnittstelle abfragen beziehungsweise das Kennzeichen weitermelden. Konstatiert die Zentrale ein Mautvergehen, wird das Fahrzeug gestoppt oder der Fahrzeughalter anhand des Kennzeichens ermittelt und ein Gebührenbescheid ausgestellt.

Das Bundesverkehrsministerium rechnet derzeit mit jährlichen Einnahmen von etwa vier Milliarden Euro, wovon etwa 600 Millionen Euro pro Jahr für Aufbau und Betrieb des Mautsystems anfallen. Der übrige Betrag soll in die Infrastruktur investiert werden. Über das fahrzeugauto­nome Mautsystem sollen den Speditionen auch Telematikdienste angeboten werden, zum Beispiele zur Kontrolle ihrer Transportkette. Einige Staaten haben bereits Interesse an dieser Technologie bekundet.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 94
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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