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Perspektiven: Mehr Licht!

Gegen die Daten-Sintflut in Kommunikationsnetzen setzen die Entwickler auf den Ausbau der Glasfasernetze und rein optische Vermittlungsknoten.


Der Schrecken trägt viele Namen, etwa "Video-Napster" oder "Virtual Reality". Ihnen gemein sind Prognosen künftiger Datenströme im Internet, gegen die der gegenwärtige Verkehr auf den Hauptleitungen mit einer Billion Bit pro Sekunde geradezu lächerlich wirkt – das 10000fache könnte fließen, wenn Cineasten Kinofilme via World Wide Web austauschen oder online in künstlichen Fantasiewelten gegeneinander antreten.

Dass solche Szenarien prinzipiell möglich sind, weiß jeder, der zu "Stoßzeiten" im Internet unterwegs ist und sich die Übertragungskapazitäten mit Tausenden Nutzern teilen muss. Um den absoluten Datenstau zu vermeiden, versuchen Wissenschaftler weltweit neue Technologien zu entwickeln beziehungsweise aus den vorhandenen das letzte Quäntchen an Bandbreite herauszuholen. Vielversprechendster Kandidat ist die Glasfasertechnologie, die heute schon die "Backbones", die Hauptleitungen der Fern-Kommunikationsnetze stellt. Weit abgeschlagen finden sich derzeit die einzigen Rivalen: Mikrowellensender und Satelliten übermitteln nur ein Hunderttausendstel der Bandbreite. Täglich verlegen Techniker neue Kabel über Strecken, die dem dreifachen Erdumfang gleichkommen. Sollten die Fortschritte in dieser Technologie allerdings ihr bisheriges Tempo beibehalten, wird die Trägerkapazität in einer einzigen Glasfaser in etwa zehn Jahren "nur" einige hundert Billionen Bit pro Sekunde erreichen.

Doch es besteht Grund zur Hoffnung, nicht zuletzt für Analysten: Für die Photonik fließt Risikokapital immer üppiger. In den ersten neun Monaten des Jahres 2000 waren allein in den USA 3,4 Milliarden Dollar für optische Netze ausgegeben worden, verglichen mit 1,5 Milliarden im ganzen Jahr 1999. Solche Investitionen verleihen der Branche Flügel: Die Übertragungskosten für ein Bit Information halbieren sich mittlerweile alle neun Monate. Mag das auch ein Äpfel-Birnen-Vergleich sein: Die Kosten für integrierte Schaltkreise benötigen dazu 18 Monate.

Glasfasern hielten 1977 ihren Einzug in amerikanische, kommerzielle Kommunikationsnetze, als Minicomputer Stand der Technik waren und Personal Computer noch in den Kinderschuhen steckten. Eine solche Leitung besteht aus einem Glas- oder Plastikkern, der von einer "Cladding" genannten Schicht umhüllt wird. Beide unterscheiden sich im Brechungsindex (ein Maß für die Licht ablenkenden Eigenschaften eines Materials) derart, dass im Kern reisende Lichtwellen an der Grenzschicht zum Cladding reflektiert werden; nur an den Faserenden können sie ein- beziehungsweise austreten. Um Daten durch eine solche Faser zu schicken, müssen sie zunächst in Lichtsignale verwandelt werden. Das erledigt ein Laser oder eine Leuchtdiode, die einen Infrarot-Lichtstrahl mit 1,2 bis 1,6 Mikrometern (tausendstel Millimetern) Wellenlänge in die Faser einspeisen.

Ein solches Signal kann heutzutage etwa 80 Kilometer weit reisen, dann wird eine Auffrischung erforderlich, denn trotz aller Raffinessen bei der Faserherstellung lassen sich geringe Energieverluste nicht vermeiden. Anfangs wurden die Lichtwellen dazu in elektrische Signale umgewandelt, diese dann elektronisch verstärkt und wieder optisch eingespeist. Zu Beginn der neunziger Jahre kam Ersatz: spezielle Glasfaserabschnitte, die mit Ionen des Metalls Erbium aus der Gruppe der seltenen Erden dotiert sind. Wird eine solche erbium doped fiber mit einem Pump-Laser bestrahlt, verstärken die Ionen das gedämpfte Signal durch stimulierte Emission. Damit entfällt hier die opto-elektronische Signalumwandlung. Darüber hinaus lassen sich auf diese Weise viele verschiedene Sendekanäle beziehungsweise unterschiedliche Wellenlängen gleichzeitig verstärken.

Datenstau im elektronischen Flaschenhals


Das ermöglichte, sie so eng wie möglich zu legen; diese Technik wird als dense wavelength division multiplexing, kurz DWDM, bezeichnet. Die Durchsatzkapazität einer Glasfaser vergrößerte sich um die Anzahl der Kanäle, wobei jeder einzelne mit der gleichen oder einer größeren Informationsmenge beladen wird wie in herkömmlichen optischen Netzwerken. Heute übertragen die Fasern etwa 160 Frequenzen simultan, woraus sich eine Bandbreite von insgesamt 400 Gigabit pro Sekunde ergibt. Fast jeder Telekom-Netzbetreiber setzt mittlerweile DWDM ein, um die Kapazität seiner unterirdisch verlegten Leitungen zu steigern. Die Aufrüstung der Systeme kostet nur die Hälfte einer Neuverlegung und dauert nur einen Bruchteil der Zeit.

Ein Kommunikationsnetz besteht aber selten aus direkten Verbindungen, vielmehr benötigt der Datenfluss Vermittlungsknoten, die Bit für Bit an ihren Bestimmungsort steuern. Hier gelang es noch nicht, von einer elektronischen Zwischenstufe wegzukommen, und hier befindet sich der eigentliche Flaschenhals derzeitiger Glasfasernetze. Prozessoren und Speicherchips in Vermittlungsknoten haben heute schon mit dem massiven Datendurchsatz der neuesten Netze – etwa 10 Milliarden Bit pro Sekunde – enorme Probleme. Um mithalten zu können, müssen die elektronischen Komponenten aufgerüstet werden, und das kostet.

Dementsprechend arbeiten Wissenschaftler in Unternehmen und Forschungsinstituten weltweit daran, Licht mit Licht zu schalten. Die Photonik hat derzeit etwa das Stadium der Elektronik vor 30 Jahren erreicht.

Optische Schalter müssen im Endeffekt dasselbe leisten wie ein elektronischer Vermittler, im Fachjargon Router genannt: Sie müssen die Zieladresse eines Datenpakets und andere wichtige Informationen lesen können, um es weiterzuleiten (Datenströme im Internet werden dem Internet Protokoll, kurz IP, gemäß in Pakete aufgeteilt, die unabhängig voneinander im Netz reisen und am Bestimmungsort wieder zusammengesetzt werden). Rein photonischen Prozessoren gelang das bisher nur in Laborumgebungen. Die heute schon erhältlichen optischen Schalter basieren auf einer hybriden Technik: Zwar wird das eigentliche Signal nicht elektrisch vermittelt, aber das Lesen der Adresse und die entsprechende Steuerung des Schalters erfolgt elektronisch.

Auch wenn die rein optische Vermittlung von Datenpaketen in den großen Netzen Realität werden sollte, sind im Übergangsbereich zu den lokalen Telefonnetzen und den eigentlichen Sende- und Empfangsstellen Router nötig, die Datenpakete lesen und steuern. Dazu kommt das Problem der "letzen Meile", also der Verbindung von schnellen Leitungen zu Wohnungen und Büros. Einige amerikanische Bauunternehmer bieten an, neue Gebäudekomplexe schon entsprechend verkabelt zu errichten. Die Kosten allerdings verderben das Privatvergnügen. Bis vor kurzem waren hoch entwickelte optische Netzwerk-Komponenten wie DWDM selbst für regionale Telefonnetze noch zu teuer.

Zulieferfirmen für Netzwerkkomponenten schielen außerdem neidisch auf die Elektronikindustrie, der es gelingt, alle Komponenten ihrer Schaltungen auf winzigen Chips zu integrieren. Methoden zum Bau kombinierter Module aus Lasern, Glasfasern, Filtern und Gittern (die zum Auftrennen der Wellenlängen dienen) sind hochbegehrt. Anders als Elektronen lassen sich Lichtwellen aber nicht einfach in Kondensatoren speichern oder mittels anderer Wellen steuern. Darüber hinaus liegt die Wellenlänge des Laserlichts für Glasfasern wie erwähnt im Infrarotbereich, das setzt Grenzen für die Miniaturisierung, die von elektronischen Schaltkreisen vor gut zehn Jahren überschritten worden ist.

Immerhin ist die Entwicklung der Technik keine Frage des Geldes: Die Photonik genießt einen ebensolchen Ruf als Zukunftsmarkt wie die Biotechnologie. Selbst für die verrücktesten Ideen gibt es Unterstützung, und sei es nur, um sich eine Option zu sichern, später Patente oder Experten einzukaufen. Gesetzt also den Fall, die Forscher lösten alle erwähnten Probleme und es entstünde ein durchgehend optisches Netzwerk. Zahlreiche Datenprotokolle würden dann obsolet, zum Beispiel der Kommunikationsstandard SONET (synchronous optical networks), der die elektronische Umwandlung der Informationen an den derzeitigen Vermittlungsstellen steuert. Vielmehr wird das Internet-Protokoll den Datenverkehr durchgängig beherrschen, gleich ob Sprache, Video und Computerdaten auf den Leitungen reisen. Ein Telefonat am Muttertag nach Hause würde als IP-Paket verschickt, das Telefonnetz entwickelte sich zu einem großen LAN (local area network). Um es zu nutzen, genügte eine Ethernet-Karte für Computer, Telefon oder Fernseher.

Bleibt nur die Frage: Was macht wer mit den schier unendlichen Bandbreiten? Nach Schätzungen von Lucent Technologies werden sie im Jahre 2010 ausreichen, um jedem Menschen, ob Mann, Frau oder Kind, ob in Sri Lanka oder San José, einen Netzzugang mit 100 Megabit pro Sekunde anzubieten. Das reicht für fünfzig Videoverbindungen oder mehrere hochauflösende Fernsehprogramme (high definition television, HDTV). Schöne neue Welt?

Allen Prophezeiungen über Verdopplungen im Datenverkehr via Internet in Abständen von wenigen Monaten zum Trotz zweifeln nicht wenige Beobachter daran, dass die Nachfrage so grenzenlos sein wird wie angenommen. Die Consultant-Firma Adventis aus Boston rechnet damit, dass sich im Jahre 2004 nur 15 bis 20 Prozent aller privaten Internetnutzer einen Breitbandzugang zum Netz leisten werden, und zwar über Kabel-Modems – also über das Fernsehkabelnetz – oder DLS (digital subscriber line) – einem Anschluss via Telefonkabel, wie ihn die Telekom in Deutschland anbietet. Darüber hinaus würden rein organisatorische Maßnahmen wie das Vorhalten von Webseiten auf bestimmten Servern die Belastung des Netzes ohnehin reduzieren. Das Unternehmen schätzt deshalb, dass etwa vierzig Prozent der Glasfaserkapazitäten in den USA ungenutzt bleiben, in Europa sogar fast 65 Prozent. Die Folge wäre ein Preisverfall, der die Märkte dann wieder antriebe. Diese Annahme eines Überangebots von Bandbreiten ist allerdings nicht sehr weit verbreitet.

Dennoch werden Terabit- und Petabit-Netzwerke erst dann einen Durchbruch erzielen, wenn sich neue Möglichkeiten zu ihrer Verwendung auftun. So wie das World Wide Web ursprünglich eine Hilfestellung für Teilchenphysiker sein sollte, ihre Ergebnisse unter Fachkollegen zu veröffentlichen, könnte sich auch hier eine neue Nutzung an der Peripherie des Geschehens ergeben und nicht aus den Werbemaßnahmen großer Medienkonzerne, virtuelle Realität und Videos durch die Netze zu schicken. Vinod Khosla, Risikokapital-Geber bei Kleiner Perkins Caufield & Byers, setzt auf das so genannte Metacomputing: Rechner auf der ganzen Welt könnten in Kooperation umfangreiche Aufgaben bewältigen, etwa Daten aus Radioteleskopen nach außerirdischem Leben durchmustern oder die aerodynamischen Eigenschaften eines Jumbo Jets mit tausend Passagieren simulieren. Das wäre zumindest ein Beispiel dafür, was mit einem Datennetz anzustellen wäre, das im Takt von Quadrillionen Bit pro Sekunde pulsiert.

Lichtleitfasern



Im Glas gefangen


Die hauchdünnen Glasfasern bestehen aus zwei konzentrischen Schichten hochtransparenten Quarzglases – Faserkern und -mantel; sie sind zusätzlich von einem Schutzschlauch umgeben. Digitale Informationen werden als Lichtpulse codiert und in die Faser eingespeist. Ein solcher Puls wird nur im Kern weitergeleitet, da der Mantel einen niedrigeren Brechungsindex hat (das Maß für die Fähigkeit zur Lichtbrechung, eine Folge geringerer Lichtgeschwindigkeit im Medium) und somit totalreflektiert (rot). Ab einem Grenzwinkel entweicht ein Lichtstrahl aber dennoch (gelb). Durch ein ausgefeiltes Design der optischen Eigenschaften lassen sich Fasern für verschiedene Anwendungen maßschneidern.
John MacChesney, Bell Laboratorien

Eine Multimode-Stufenindexfaser hat einen dicken Kern mit einem Durchmesser von bis zu 100 Mikrometern. Infolgedessen reisen einige Lichtstrahlen eines digitalen Pulses direkt hindurch, andere im Zickzack. Auf Grund dieser unterschiedlichen "Moden" verschmiert der Puls am Faserausgang. Um Überlagerungen von Pulsen zu vermeiden, werden Fasern kurz gehalten. Folglich eignet sich dieser Fasertyp vor allem für die Informationsübertragung über kurze Entfernungen, zum Beispiel in Endoskopen.

Kern einer Multimode-Gradientenfaser hat einen radial nach außen abnehmenden Brechungsindex. Dementsprechend reisen Lichtstrahlen entlang der Achse langsamer als an der Grenze zum Mantel und durchlaufen den Kern auf einer schraubenförmigen Bahn, die kürzer ist als ein Zickzack-Weg. Außen laufende Strahlen treffen daher etwa gleichzeitig mit achsennahen am Empfänger ein und der digitale Impuls weitet sich weniger stark auf. Multimode-Gradientenfasern bilden oftmals das physikalische Medium für lokale Netzwerke.

Monomode-Lichtwellenfasern, die Basis für Telefonnetze und Kabelfernsehen, haben einen dünnen Kern von höchstens acht Mikrometern Durchmesser. Der Brechungsindex zwischen Kern und Mantel ändert sich weniger stark als bei Multimode-Fasern, sodass Lichtstrahlen parallel zur Faserachse reisen und eine geringere Impulsdispersion entsteht.


Gleichberechtigung der Daten


Heutige Kommunikationsnetze nutzen verschiedene Leitungen für Sprachverbindungen und Datentransfer. Hohe Verlässlichkeit erreichen sie durch ringförmige Organisation und den Kommunikationsstandard Synchronous Optical Network (SONET): Sobald eine Leitung unterbrochen wird, fließt der Datenverkehr über die andere Hälfte des Rings. Ein Multiplexer kombiniert die Datenströme.

Der Datenverkehr von morgen fließt einheitlich, also unabhängig von der Verbindungsart durch Glasfasernetze. Dabei werden die vielfach verknüpften Übertragungsstrecken des Internet genutzt: Bei einer Leitungsunterbrechung hat der Datenstrom genügend Alternativen zur Auswahl, um sich einen neuen Weg zu suchen. Grundlegende Komponenten solcher Netze werden optische Schalter sein.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2001, Seite 80
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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