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Leserbrief: Mehr oder weniger postfaktisch

Der Essay von Ernst Peter Fischer in SuW 5/2017, S.38, erregte schon beim ersten diagonalen Überfliegen mein Misstrauen, was mich dazu veranlasste, seine Anmerkungen zu Millikan genau zu lesen. Tatsächlich stellt Herr Fischer sehr sportliche Behauptungen auf: "Als sich im frühen 20. Jahrhundert der Physiker Millikan an seine erwähnten Messungen machte, da war die Elementarladung der Materie zunächst nur ein Wunschkind seiner Fantasie."

Während meines Studiums der Physik von 1969 bis 1974 lernte ich, dass Thomson 1897 die von Stoney bereits 1874 aufgestellte Hypothese der Existenz von Elementarladungen bestätigte und 1906 dafür den Nobelpreis für Physik erhielt. Anlässlich des Essays von Fischer habe ich mich der Mühe unterzogen, die beiden Originalveröffentlichungen von Millikan durchzulesen und finde bestätigt, was ich seinerzeit gelernt habe: Millikan geht es nicht darum, die Existenz von Elementarladungen nachzuweisen, sondern deren Größe möglichst präzise zu bestimmen.

"Um daraus etwas Faktisches zu machen, publizierte Millikan nicht sämtliche Messungen, die er unternommen hatte. Er veröffentlichte nur, was ihm gepasst und gefallen hat ..."

Diese Behauptung stellt Herr Fischer ohne weitere Belege für deren Richtigkeit in den Raum. Tatsächlich hat sich David Goodstein in "In Defense of Robert Andrews Millikan" sehr ausführlich mit dieser Frage beschäftigt und kommt zu dem Ergebnis, dass Millikan sehr gute Gründe für das Weglassen von Punkten hatte:

"Of the remaining 75 or so, he chose 58 for publication. Millikan’s standards for acceptability were exacting". "Hätte Millikan tatsächlich all seine Daten präsentiert, hätten die Fakten nicht so schnell erkennen lassen, dass es eine Elementarladung gibt." Mit dieser Behauptung will Herr Fischer bestätigen, was er mit seinen ersten beiden Behauptungen sagen möchte. Tatsächlich gibt es aber wegen der Faktenlage keinen vernünftigen Grund für diese beiden Behauptungen.

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