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Menschen und ihre Stimmen. Aspekte der vokalen Kommunikation

Psychologie Verlags Union,
Weinheim 1994.
204 Seiten mit CD, DM 64,-.

"Sprich mir einen Satz, und ich sage dir, wer du bist." Eine solche Simplifikation wollen Hartwig Eckert von der Bildungswissenschaftlichen Hochschule Flensburg und John Laver von der Universität Edinburgh gerade vermeiden. Ein möglicher Zusammenhang von Stimme und Persönlichkeit (was auch immer das ist) bestehe nämlich, wie sie warnend anmerken, im Zweifelsfall mehr im Ohr des Hörers denn im Kehlkopf des Sprechers.

Eckert und Laver verfolgen hauptsächlich zwei Ziele: Sie wollen darauf aufmerksam machen, wie Stimmen klingen (können), und darüber aufklären, wie dieselben "funktionieren". Schließlich erhalten wir noch einige Hinweise, wie wir unsere eigene Stimme vielleicht etwas verbessern könnten. Da ein Buch über Stimmen, ohne solche jemals zu hören, wie ein Schwimmkurs ohne Wasser ist, legen die Autoren ihrem Text folgerichtig eine Compact Disc bei, auf der von Helmut Kohl bis hin zu "Sexy Susi" (Susanne Müller, Sprecherin beim Südwestfunk) allerlei Individuen mit bemerkenswerten Phonationsleistungen zu Wort kommen.

Die Aufklärung gelingt den Autoren, finde ich, recht gut. Man erfährt zum Beispiel, daß zusätzlich zum Atemdruck nur drei weitere Spannungsverhältnisse im Kehlkopf – plus fünf mehr oder weniger variable Parameter des Rachenraums – für die Vielfalt wahrnehmbarer Stimmqualitäten verantwortlich sind. Auf der CD kann man sich dann über die – teils aufregenden, teils verheerenden – Auswirkungen der jeweiligen Modulationen informieren.

Das klingt soweit alles sehr überzeugend. Nähert man sich dem Thema allerdings von der beschreibenden Seite – was Eckert und Laver praktisch nur bis zu der Alltagscharakterisierung von Stimmen in den Gegensatzpaaren "hoch/ tief" und "laut/leise" tun –, wird es einem vielleicht doch ein wenig mulmig. Warum haben wir, wie die Autoren selbst konstatieren, nur ein so mageres Vokabular zur Beschreibung von Stimmen? Näseln und Lispeln mögen wir ja noch mit einigermaßen hinreichender Übereinstimmung identifizieren; hier scheinen wir allerdings auch die jeweilige Ursache leicht lokalisieren zu können. Ob man sich aber unter einer "knarrenden", "sägenden", "schabenden" oder "kratzenden" Stimme etwas vorstellen kann, dürfte nicht zuletzt von unserer Vertrautheit mit den zitierten Analoggeräuschen abhängen. Daß beispielsweise der legendäre "Kissinger-Sound" des früheren amerikanischen Außenministers auf großer medialer Spannung und starker Adduktion der sogenannten Stellknorpel im Kehlkopf beruht, ist genau, was wir erst durch eine anatomische Analyse haben lernen müssen.

Eckert und Laver benennen die Effekte, deren Ursache im Kehlkopf liegt, mit "Knarren", "Behauchung", "Flüstern", "Falsett" und "Rauhigkeit", die des Rachenraumes mit "Fülle" und "Gepreßtheit". Hinzu kommen das zitierte Näseln sowie die Effekte bestimmter Zungenstellungen. Gibt es indessen nicht auch blecherne, klirrende, quietschende, hölzerne, heulende und hämmernde Stimmen? Wie kommen sie zustande (wenn es sich nicht um auditive Täuschungen handelt)? Und: Achten wir auf Stimmqualitäten nicht vielleicht immer erst und nur dann, wenn sie uns unangenehm klingen?

Das Buch hätte mithin in mindestens zwei Hinsichten präziser sein können: Erstens hätte man sich eine umfassendere Dokumentation naiv-alltäglicher Stimmcharakterisierungen gewünscht, zweitens hätte man gern gewußt, wie die anatomisch eindeutig definierbaren Kehlkopf- und Rachenraummodulationen sich denn akustisch manifestieren, so daß man sie vielleicht mit anderen Mitteln zu simulieren suchen könnte.

Schließlich die Frage: Können wir wirklich unsere Stimme ohne weiteres dauerhaft verändern? "Die meisten Menschen glauben, eine ganz andere Stimme zu haben als diejenige, die sie tatsächlich besitzen", behaupten die Autoren gleich eingangs, um uns dann in ihren Hörbeispielen mit einer Unzahl imitierter Stimmen zu konfrontieren. Welches wäre dabei die Stimme, die jemand "tatsächlich hat"? Wir sprechen, wie Eckert und Laver wiederum selbst feststellen, immer mit zwei Stimmen zugleich: der, die andere hören, und der, die nur wir selbst – nämlich von innen – hören können. Eine wie auch immer geartete "Stimmtherapie" hätte in jedem Fall beide in Betracht zu ziehen.

Kritischer noch ist die Frage, wie weit es uns gelingen kann, die für bestimmte Klänge verantwortlichen Mechanismen tatsächlich wirkungsvoll zu beeinflussen. Mir jedenfalls will es partout nicht gelingen, mein Gaumensegel so frei im Atemwind flattern zu lassen und meinen Schildknorpel im Kehlkopf so locker und leicht hin und her zu kippen, daß ich ebenso flott und flüssig von verfremdendem Falsett zu anheimelndem Näseln wechseln könnte wie Mick Jagger von den "Rolling Stones".

Dennoch: Trotz oder vielleicht gerade aufgrund der skizzierten Lücken, die in einem populären Text wahrscheinlich unvermeidbar sind, bieten Hartwig Eckert und John Laver eine höchst anregende und durchweg brauchbare Lektüre. Besonders interessant sind auch ihre Beobachtungen zu typischen Medienstimmen! Ein Buch, das bei aller Ernsthaftigkeit der Autoren auch Spaß macht – wiewohl ein geduldiges Abhören der 78 Kategorien von Stimmbeispielen in Arbeit ausarten kann. Aber man kann die Sache ja portionieren.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1996, Seite 130
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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