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Messer und Spatel für Moleküle

Rastersonden eignen sich auch als Werkzeuge, um atomare Systeme zu manipulieren und molekulare Maschinen zu bauen.


Technologische Entwicklungsschübe, in der Menschheitsgeschichte gern als Revolutionen bezeichnet, gingen stets mit der Entwicklung neuer Werkzeuge einher: Ohne den Faustkeil hätte der steinzeitliche Mensch nicht Holz, Fell und Knochen bearbeiten, ohne Pflug keinen intensiven Ackerbau betreiben können; die Erfindung der Dampfmaschine ermöglichte die industrielle Produktion, die des Computers die heutige Automatisierung. Rastersondenmikroskope eröffnen nun eine neue Dimension der Materialbearbeitung – die Manipulation von Atomen und Molekülen bis hin zum Bau von Nanomaschinen.

Um Sonden-Spitzen zum Greifen oder Schneiden gezielt einzusetzen, haben wir einen dreiachsigen Manipulator gebaut, der Handbewegungen in solche der Spitzen übersetzt. Der eigentliche Aktuator ist ein Piezokristall: Elektrische Impulse, von einem Computer errechnet und an je ein Elektrodenpaar für eine Raumrichtung gelegt, verändern seine Länge auf der Nanometerskala und bewegen so die Sonde.

Damit haben wir beispielsweise einzelne Atome einer Molybdänit-Schicht angefahren und die kleinsten künstlichen Löcher der Welt erzeugt, was uns auch 1995 ins Guiness-Buch der Rekorde brachte. Die oberste Lage dieses Minerals besteht aus in Dreiecken angeordneten Schwefelatomen. Weil die Spitze der Abtastnadel selbst nur ein Atom groß war, genügte ein Spannungsimpuls von einem Volt für eine tausendstel Sekunde, um ein enorm starkes elektrisches Feld zu erzeugen und damit ein Schwefelatom aus dem Oberflächenverband zu reißen. Der entstandene Defekt maß etwa 3,16 Angström im Durchmesser und wurde wieder mit der Sonde abgebildet (ein Vorteil dieser Methode: Werkzeug und Mikroskop sind nur zwei verschiedene Betriebsarten des gleichen Geräts). Ließe sich diese Methode zum Schreiben atomarer Bits nutzen, wäre eine Speicherdichte von 100 Terabyte pro Quadratzentimeter zu erreichen.

Einen Schritt "gröber" arbeitet eine Sonde, die einzelne Farbstoffmoleküle aus einer Oberfläche kratzt. Die Natur der dabei wirkenden Kräfte und ihre zuverlässige Beherrschung sind Gegenstand aktueller Forschung. Der freundliche Hai im Bild auf dieser Seite zeigt auf spielerische Weise die Möglichkeiten dieser Technik (wir sprechen hier großzügig von molekularem Pointillismus beziehungsweise Molekularismus).

Vom Kratzen zum Schneiden, vom Farbstoff- zum Riesenmolekül DNA (Desoxyribonukleinsäure). Eigentlich müßte man vom Sägen sprechen, nicht vom Schneiden: Indem die Spitze hoch- und runterschwingt, dabei in der Ebene verfahren wird, trennt sie das Molekül. Um so große Objekte zu bearbeiten, benötigt der Experimentator "Fingerspitzengefühl", das heißt eine Kraftrückkopplung. Dazu wurde die beim Schneiden wirkende Gegenkraft, die den Cantilever verbiegt, als Feedback-Signal verwendet.

Hat die Rastersondenspitze geeignete Geometrie oder Hafteigenschaften, kann sie als Nanoschaufel benutzt werden. Diese Art von Extraktion und Sampling mit ihren minimalen Probenmengen kann beispielsweise helfen, archäologische Artefakte oder Proben aus einem Zellkern zu analysieren. Wir selbst versuchen beispielsweise, Spuren außerirdischen Lebens in dem berühmten Marsmeteoriten ALH84001 zu entdecken, indem wir das Nanosampling mit spektrometrischen Verfahren kombinieren. Die bislang detektierten Spuren sind jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit abiotischen Ursprungs.

Damit komme ich zu einem Projekt unseres Labors, das die Manipulation von immerhin bis zu einigen Mikrometer großen Objekten mit Rastersonden behandelt. Mit dem Rasterkraftmikroskop haben wir zunächst ganz gezielt geringe Mengen DNA aus Plasmiden – ringförmigen Trägern von Erbsubstanz im Zellplasma von Bakterien – und aus menschlichen Chromosomen herausgeschnitten und extrahiert. Diese DNA-Proben wurden dann mit einer speziellen Form der Polymerasekettenreaktion namens DOP-PCR vervielfältigt, bis eine ausreichende Menge für weitere Analysen bereitstand. Die möglichen Anwendungen dieser Kombination von Rastersonden-Sampling und chemischen Verfahren wären vielfältig und reichen von der Produktion spezifischer DNA-Sonden für die Genomkartierung bis hin zu medizinischen Diagnoseverfahren für kleinste Probenmengen.

Aus dem Verstehen natürlicher Prozesse hoffen wir, auch etwas darüber zu lernen, wie die Natur Nanosysteme bottom-up, also aus einfachen Grundbausteinen aufbaut. Die heute typische Vorgehensweise etwa in der Mikroelektronik-Industrie ist top-down, zum Beispiel das Fertigen eines Chips aus einem Silicium-Kristall mittels Lithoghraphie. Der amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman hat 1959 in seiner berühmt gewordenen Vorlesung "There is Plenty of Room at the Bottom" davon geträumt, daß Atome zu manövrieren seien; er setzte sogar einen attraktiven Preis für den ersten Beweis dieser Behauptung aus.

Die Natur hat den bottom-up-Ansatz in Jahrmillionen zur Perfektion entwickelt. Beispielsweise bauen Ribosomen genannte Zellorganellen als molekulare Nanomaschinen Proteine aus einzelnen Aminosäuren auf; den Bauplan dazu liefert die DNA.

Von einer Übertragung dieses Prinzips in Technik sind wir noch weit entfernt. Vorerst versuchen Wissenschaftler wie Gerd Binnig am IBM Forschungslabor Zürich in Rüschlikon und Calvin F. Quate an der Universität Stanford (Kalifornien) die Schritt-für-Schritt-Manipulation mit dem Rasterkraftmikroskop zu parallelisieren. Ihre Anordnungen von Sonden in Matrizen bringen einiges an Geschwindigkeit. Ein weiterer Ansatz ist, zunächst einen auf der Nanometerskala strukturierten Stempel zu schaffen und damit Oberflächen zu prägen.

Für große Systeme kann das noch nicht die Lösung sein. Vielmehr muß es gelingen, das Prinzip der Selbstorganisation von Molekülen zu nutzen. Die DNA ist dafür ein recht gutes Beispiel, sie enthält die Anweisung zu ihrer Vervielfältigung und nimmt ohne äußere Einwirkung die jeweils richtige räumliche Struktur ein. Mit der Polymerasekettenreaktion kann man sie beliebig vervielfachen, sie wäre damit als Baustein recht preisgünstig und leicht verfügbar. Für eine künftige Molekular-Elektronik hätte sie weitere Vorteile: Nach Modifikationen leitet sie Elektrizität, auf der Erkennung komplementärer Basen ließe sich eine Schaltungslogik aufbauen. DNA weist, wie Hermann E. Gaub an unserer Hochschule mit molekularer Kraftspektroskopie gezeigt hat, auch gute mechanische Kennwerte auf.

Freilich müssen solche Nanomaschinen mit der Makrowelt gekoppelt werden, um ihren Selbstbau anzuregen und zu steuern, um sie sichtbar zu machen, und um mit ihnen zu kommunizieren. Dazu eignen sich besonders die Rastersondenspitzen, die in Kombination mit einem Aktuator wie dem unseren gezielt Nanoobjekte ansteuern können. Selbst eine photonische Kommunikation ist möglich. Dazu haben wir eine Nanolichtspitze entwickelt und patentieren lassen. Sie besteht aus einem porösen Silicium-Kristall an der Spitze einer Rasterkraftsonde; seine Photo- und Elektrolumineszenz ermöglicht, selbst geringste Lichtmengen etwa eines Farbstoffmoleküls zu detektieren.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt: Hybriden Systemen aus molekularen und makroskopischen Komponenten wird immer eine gewisse Fragilität innewohnen. Zu den üblichen Problemen der Mikroelektronik wie Kontaminationen durch Staub und Feuchtigkeit gesellen sich neue wie Mikroorganismen, die eine DNA-Maschine als Nahrungsquelle betrachten könnten. Doch solche Anforderungen sollten nicht abschrecken, die Nanowelt weiter auszuloten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1999, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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