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Mikroalgen als Zellgäste

Einzellige Algen besiedeln höchst unterschiedliche Lebensräume, vom alpinen Firn bis zur feuchten Astgabel im tropischen Regenwald. Eine besonders ausgefallene Heimstatt bieten die Zellen von Protozoen und wirbellosen Tieren. Hier gehen die Algen folgenreiche Partnerschaften ein, die allen Beteiligten zugute kommen – eine echte Symbiose.

Wenn Biologen dies- und jenseits des Atlantiks von Symbiose sprechen, meinen sie nicht unbedingt dasselbe. Vorgeschlagen hat diesen Begriff der deutsche Botaniker Heinrich Anton de Bary 1878 auf der 58. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Kassel – allerdings für jegliches enge Zusammenleben (griechisch symbiosis) artverschiedener Organismen, einschließlich des Parasitismus. In dieser weitgefaßten Form wird der Terminus noch immer in den Vereinigten Staaten verwendet. Im europäischen Raum spricht man dagegen meist nur dann von einer Symbiose, wenn unter dem Strich für alle Beteiligten stoffliche oder ökologische Gewinne oder beide zu verbuchen sind oder die symbiontischen Partner so eng aufeinander angewiesen sind, daß sie getrennt nicht mehr existieren können. Dies ist der Idealfall der Gegenseitigkeit (auch als Mutualismus bezeichnet), die irgendwo zwischen Förderung, Ergänzung oder sogar Abhängigkeit rangiert.

Freilich kann das Zusammenleben verschiedener Organismenarten wie in einer problembelasteten Ehe auch mit permanenten Auseinandersetzungen einhergehen. Die Symbiose wäre dann, wie für Flechten (Doppelorganismen aus Alge und Pilz) etwas boshaft formuliert wurde, eher ein wechselseitiger oder sogar zur Einseitigkeit neigender Parasitismus. Hier bieten die Partner nach außen ein Bild ausbalancierter Kooperation, beuten sich bei näherem Hinsehen aber wechselseitig nach Kräften aus. Tatsächlich kann die Kosten-Nutzen-Bilanz in einer Symbiose fallweise und je nach Blickrichtung unterschiedlich ausfallen. Zwischen Mutualismus und Antagonismus liegt ein Kontinuum von Möglichkeiten; die Grenzen sind also fließend.

Bei den meisten Symbiosen geht es im Kern darum, die Ernährung sicherzustellen oder zu verbessern. Besonders deutlich zeigt sich dies bei den Endosymbiosen (griechisch endos, innen). Hier lebt ein kleinerer Partner, der Symbiont, auf Dauer innerhalb eines größeren Wirtsorganismus – etwa in dessen Darm oder Leibeshöhle, selten zwischen den Zellen des Gewebes wie bei dem Strudelwurm Convoluta roscoffensis: Er beherbergt in seinem Körpergewebe hautnah etwa 30000 Algenzellen und ähnelt damit einer schwimmenden Algenfarm, die ihn bestens ernährt. Tatsächlich ist das rund 5 Millimeter lange Tier von den Stofferträgen seiner spinatgrünen Insassen direkt abhängig, weil seine Mundöffnung bereits im frühen Larvenstadium zuwächst und er deshalb keine Nahrungspartikel mehr aufnehmen kann. Umgekehrt profitieren die Algen von den Abfallprodukten des tierischen Stoffwechsels, den sie speisen. Auf diese Weise entstehen im Grunde genommen neue und höhere Ordnungsgefüge: Einzelorganismen mit völlig unterschiedlicher genetischer Ausstattung und physiologischer Konstitution schließen sich zu einem System zusammen und kooperieren darin fortan wie sonst die Organe eines Individuums.

Geradezu auf die Spitze getrieben wird der Systemzusammenschluß bei Endosymbiosen auf der Strukturebene der Zelle, Cytobiosen oder noch exakter Endocytobiosen genannt. Einzeller (Protozoen) oder auch Zellen von Geweben spielen dabei den Part des größeren Wirtes und nehmen wesentlich kleinere Zellen als Untermieter auf (Bild 1). Das können beispielsweise nicht-krankheitserregende Bakterien, hefeähnliche Pilze oder eben auch Mikroalgen sein. Letztere sind stets kräftig pigmentiert und zur Photosynthese fähig. Solche Zelle-in-Zelle-Systeme bieten Wissenschaflern die einzigartige Möglichkeit, organismische Interdependenz auch auf dem Niveau der kleinsten Struktureinheiten des Lebens zu analysieren.


Zuordnungsprobleme

Anders als höhere – landlebende – Pflanzen betreiben die Algen ihre Photosynthese durchaus nicht nur auf der Basis der grünen Hauptpigmente Chlorophyll a und b. Außer Grünalgen (Chlorophyceae), die mit den Landpflanzen in der Pigmentausstattung übereinstimmen, gibt es beispielsweise Rotalgen (Rhodophyceae) oder eine ganze Reihe mit gelbbräunlicher Färbung wie die Braunalgen (Phaeophyceae), Kieselalgen (Bacillariophyceae) oder Goldalgen (Chrysophyceae), bei denen bestimmte Carotinoide das stets vorhandene Chlorophyll überlagern. Entsprechend bunt sind auch die cytobiontischen Algen, so daß die kolonisierten Wirtszellen, von Natur aus unscheinbar oder völlig farblos, nunmehr ein farbiges Innenleben gewinnen. Als Wirte dienen überwiegend tierische Einzeller (Protozoen) oder vielzellige Wirbellose (Invertebraten), insbesondere Nesseltiere. Solche Endocytobiosen kommen nur in aquatischen Lebensräumen vor, in Binnengewässern ebenso wie im Meer.

Schon in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als der Hydrobiologe Karl Brandt Mikroalgen als Bewohner tierischer Gewebe nachwies, unterschied er praktischerweise nach dem vorherrschenden Farbeindruck grüne Zoochlorellen (griechisch chloros, grün) von gelbbraunen Zooxanthellen (griechisch xanthos, gelb). Gerade die kleinen grünen Zellbewohner hatten zunächst beträchtliche Verwirrung gestiftet, war es doch nach damaligem Kenntnisstand völlig unvorstellbar, daß Algen innerhalb von Tieren leben könnten. So tauchte für sie Mitte des vorigen Jahrhunderts der nach heutigem Verständnis kuriose Begriff "tierisches Chlorophyll" auf; man hielt die Zellen irrtümlich für Chlorophyllkörperchen. Erst mit der Formulierung des Symbiose-Konzepts durch de Bary 1878 wurde allmählich deutlich, daß sich offenbar auch hier wie bei den Flechten grundverschiedene Organismen zusammengeschlossen haben. Die Details dieser Zusammenarbeit blieben jedoch noch längere Zeit unklar, so daß Brandt und andere Forscher vorerst noch meinten, es handele sich um grüne oder bräunliche Zellparasiten.

Die beiden Begriffe Zoochlorellen und Zooxanthellen, zunächst nur als rein technische Kategorie eingeführt, verwendete Brandt auch als Gattungsnamen: Eine in Süßwasserschwämmen lebende Alge nannte er 1881 Zoochlorella conductrix, eine in Süßwasserpolypen entdeckte Form dagegen Zoochlorella parasitica. Mit seinem Vorschlag zur Nomenklatur ordnete er die grünen Untermieter den Grünalgen (Chlorophyceae) zu.

Viel schwieriger gestaltete sich die exakte Zuordnung für die ebenfalls von ihm beschriebene Mikroalge Zooxanthella nutricula, die er in der Bucht von Neapel in marinen Nesseltieren entdeckt hatte. Für sie wurden später weitere klangvolle Gattungsnamen wie Philozoon (wörtlich: Tierfreund) oder Zoorhabdella (Stäbchentier) vorgeschlagen. Jahrzehntelang blieb offen, welcher der verschiedenen Algenklassen mit braungelb pigmentierten Formen denn nun diese Form zuzurechnen sei. Das Problem war komplexer als vermutet; bis in die jüngste Forschungsgeschichte fanden sich mehrere, darunter gänzlich unerwartete Erklärungen.

Die genauere Analyse der gelbbraunen Zooxanthellen deckte nämlich ein ganzes Kaleidoskop von Typen und Verwandtschaftsgruppen auf. Licht kam erstmals nach 1940 in die Sache, als es gelang, die von Brandt beschriebenen Zooxanthellen aus marinen Nesseltieren zu isolieren und in Kultur zu nehmen; während sie als etablierte Zellgäste eine kugelige Gestalt mit rundum geschlossener Zellwand und ohne Fortbewegungsorganellen haben (Bild 2 oben), zeigen sie freilebend in Kultur die charakteristische Kontur von Panzergeißlern (Dinoflagellaten): eine in polygonale Platten unterteilte Zellwand und außer einer Längs- auch eine gürtelartig verlaufende Quergeißel. Folgerichtig etikettierte man sie als Vertreter der Algenklasse Dinophyceae und ersetzte wenig später den Gattungsnamen Zooxanthella durch Symbiodinium (wegen der eigenartigen symbiontischen Lebensweise). Die Mehrzahl der vor allem in Medusen und Korallen lebenden gelbbrauen Cytosymbionten erhielt nun fast nur nach Augenschein die Artbezeichnung Symbiodinium microadriaticum, ungeachtet ihrer geographischen Herkunft oder ihrer biologischen Verbreitung.

In den letzten Jahren hat die Arbeitsgruppe um Robert Trench von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara das Problem der Artbildung innerhalb der Gattung Symbiodinium mit bemerkenswerter methodischer Vielfalt in Angriff genommen und dabei viele ungewöhnliche Eigenschaften aufgedeckt. So zeigte sich etwa, daß die aus verschiedenen Wirtsarten isolierten Algen sich in Zahl und Größe ihrer Chromosomen sowie im Volumen ihres Zellkerns deutlich unterscheiden. Anhand biochemischer Profile – wie der Ausstattung mit Enzymen gleicher Spezifität, aber unterscheidbarer Primärstruktur (sogenannten Isoenzymen) – ließen sich innerhalb des Symbiodinium-Komplexes mehrere Typen eindeutig trennen und verschiedenen Wirtsgruppen zuweisen.

Seit neuerem liegen dazu auch molekulargenetische Erkenntnisse vor: Bei Herkunft aus verschiedenen Wirtsarten lassen sich mehrere Genotypen sicher unterscheiden. So wurden aus der früheren Sammelart Symbiodinium microadriaticum unterdessen vier selbständi-ge Arten und noch einmal über ein Dutzend unterscheidbarer Stämme herausgelöst, die ebenfalls separate Spezies sein könnten.

Allerdings sind längst nicht alle Zooxanthellen Panzergeißler. Rudolf Röttger und Rolf Schmaljohann von der Universität Kiel fanden in tropischen Großforaminiferen – Protozoen mit formschönen gekammerten Kalkgehäusen – Abkömmlinge von Kieselalgen (Klasse Bacillariophyceae), die unter den Bedingungen der Endocytobiose ihre charakteristische Silikat-Schale ablegen und darum nicht sofort als Vertreter dieser Algenklasse erkennbar sind. Nach Isolierung aus der Wirtszelle können sie ihren Kieselpanzer jedoch ziemlich rasch regenerieren. Bei solchen Experimenten zeigte sich überraschenderweise, daß die Foraminifere Heterostegina depressa im Roten Meer und inmitten des Pazifiks (bei Hawaii) mit völlig verschiedenen Kieselalgen kooperiert.

Inzwischen sind noch zwei weitere Algenklassen – die Chrysophyceae und Haptophyceae – als Lieferanten von Zooxanthellen erkannt. Gelbbraune Zellgäste, nahezu ausschließlich auf marin verbreitete Wirtsorganismen beschränkt, haben sich somit nach eingehender Überprüfung als ausgesprochen heterogene Gesellschaft erwiesen. Ihre taxonomisch-systematische Vielfalt unterstreicht die heute nur noch sehr eingeschränkte Tauglichkeit des ursprünglich einmal hilfreichen Sammel- und Gattungsbegriffs Zooxanthellen.

Bündnisse mit Grünen und Roten

Ähnlich steht es um die eigentlich nur noch im historischen Kontext gültige Bezeichnung Zoochlorellen für die grünen Zellgäste. Werner Reisser von der Universität Göttingen hat in vergleichenden Untersuchungen überzeugend nachgewiesen, daß die aus verschiedenen Süßwasserwirten isolierten Zoochlorellen sich in wesentlichen feinstrukturellen und physiologischen Merkmalen unterscheiden, aber dennoch der Gattung Chlorella (genauer der ohnehin sehr komplexen Chlorella-vulgaris-Gruppe) zuzurechnen sind. Offenbar ist die Bildung von Arten bei jenen einzelligen Grünalgen, die in einzelligen oder wirbellosen Süßwasserorganismen ihre besondere ökologische Nische gefunden haben, nicht so weit vorangeschritten wie bei den symbiontischen Dinoflagellaten.

Die wenigen mit Meerestieren kooperierenden Zoochlorellen gehören hingegen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zur Gattung Chlorella und nicht einmal zur Klasse Chlorophyceae, sondern zu den Prasinophyceae. Wie unsere Untersuchungen ergaben, speichern Vertreter dieser Klasse im Unterschied zu den übrigen grünen Einzellern keine niedermolekularen Zucker vom Typ der Glucose (Traubenzucker) oder der Saccharose (Rübenzucker), sondern den etwas ausgefalleneren Polyhydroxyalkohol Mannitol.

Bei der fortschreitenden Inventarisierung der marinen Kleintierwelt fanden sich immer wieder auch Zellgäste von rötlicher oder sogar kräftig roter Couleur, die man weder den grünen Zoochlorellen noch den gelbbraunen Zooxanthellen widerspruchsfrei zuschlagen konnte. Ihre mitunter geradezu knalligen Farbstoffe erwiesen sich als Phycobiliproteine, die bei den zellkernführenden Algen nur in Vertretern der Rotalgen (Klasse Rhodophyceae) und der Cryptomonaden (Klasse Cryptophyceae) vorkommen.

Cryptomonaden sind inzwischen als stark abgewandelte Zellgäste bei anderen Protozoengruppen belegt. Und gemeinsam mit Röttger und Schmaljohann konnten wir anhand eines besonderen Photosyntheseprodukts nachweisen, daß es in einigen tropischen Großforaminiferen tatsächlich auch einzellige Rotalgen als Endocytobionten gibt.

Das Register der cytosymbiontisch lebenden Algen war damit auf Vertreter aus insgesamt acht Algenklassen angewachsen. Von einer neunten Organismenklasse, den prokaryontischen Cyanobakterien (früher Blaualgen genannt), sind ebenfalls intrazelluläre Symbionten bekannt. Aus mancherlei Gründen möchte ich sie aber aus der weiteren Betrachtung ausklammern.

Cytosymbiontische Mikroalgen sind zwar eine buntgewürfelte, aber nicht gerade kopfstarke Truppe; bislang kommt man allenfalls auf ein paar Dutzend symbiontischer Formen beziehungsweise Formenkreise. Gemessen am gesamten Artenaufkommen einzelliger Algen, das sich auf schätzungsweise knapp 50000 beläuft, ist der Anteil doch sehr gering.

Unter den Gastgebern hingegen finden sich Arten aus nahezu allen wichtigeren Verwandtschaftsgruppen von den Protozoen bis zu den Weichtieren (Mollusken). Innerhalb der Protozoen sind vor allem die Wimpertiere, Amöben, Foraminiferen, Heliozoen und Radiolarien (Sonnen- sowie Strahlentiere) mit einzelligen Algen bestückt. Bekanntestes Beispiel ist das Grüne Pantoffeltier (Paramecium bursaria; Bild 1); es sieht beinahe wie ein schwimmendes Mini-Gewächshaus aus. Die bislang bunteste Cytosymbiontenbesatzung mit Vertretern aus mindestens fünf verschiedenen Algenklassen haben übrigens die Foraminiferen oder Kammerlinge (Bild 2 unten).

Endocytosymbiontische Algen gibt es ferner bei den Schwämmen, Rädertieren und Strudelwürmern sowie – besonders verbreitet – bei den Nesseltieren. So sind alle der mehr als 3000 riffbildenden Korallen, ferner zahlreiche Weichkorallen, Einzelpolypen und Medusen der wärmeren Meeresgebiete mit Cytosymbionten der Gattung Symbiodinium ausgestattet. In den kälteren Meeren hingegen sind Zooxanthellen aus nicht genau geklärten Gründen offenbar entbehrlich. So führt kein Nesseltier der Nordsee solche Symbionten; erst im Ärmelkanal und im Mittelmeer gibt es Wirtsarten, darunter die elegant aussehende Wachsrose (Anemonia viridis). Als letzte Gastgeber sind schließlich noch die Weichtiere durch eine respektable Anzahl von Muscheln und Schnecken vertreten; Insekten, die ansonsten Zellpartnerschaften recht häufig mit Bakterien oder Pilzen eingehen, fehlen bereits in dieser Liste. Zwar beherbergen einige Libellenlarven bestimmte Grünalgen in gewissen Abschnitten ihres Enddarms, aber nur außerhalb der Zellen.


Drum prüfe, wer sich ewig bindet

Das Etablieren von Endocytosymbiosen ist in der Biologie der Wirtsarten eine so fest verankerte Leistung, daß dabei – wenn überhaupt – dem Zufall wenig überlassen bleibt. Dies zeigt sich bereits bei der Art und Weise, wie die Symbionten an die Folgegeneration weitergegeben werden. In vielen Fällen bekommt die Nachkommenschaft sie bereits als zelluläre Mitgift mit. Bei den meisten marinen Nesseltieren, aber auch beim Grünen Süßwasserpolypen (Bild 3 links), gelangen die Algenzellen kurz nach der Befruchtung in die im elterlichen Individuum verbleibende Eizelle. Wenn die sich entwickelte Larve frei wird, führt sie also bereits eine individuenreiche Startpopulation kompetenter Algen mit sich.

Es gibt aber auch genügend Beispiele dafür, daß die Fortpflanzungs- und Entwicklungsstadien symbiontenführender Wirte zunächst einmal keine Algenzellen enthalten. Das ist etwa bei der Meduse Cassiopea andromeda (Bild 3 rechts) und den Riesenmuscheln der Gattung Tridacna der Fall. Deshalb müssen in jeder Generation geeignete Algen neu erworben werden – normalerweise kein großes Problem, da die potentiellen Partner zumeist im selben Lebensraum vorkommen.

In einigen Fällen ist es mit einer recht simplen Methode gelungen, Wirtsorganismen symbiontenfrei heranzuziehen, so daß sich der Erwerb von Zellgästen im Labor studieren und manipulieren läßt. Grundsätzlich können nur solche Zellen eines Wirtes mit potentiellen Symbionten beimpft werden, die für die Aufnahme von Nahrungspartikeln eingerichtet sind; künftige Endocytobionten nehmen nämlich zunächst den Weg gewöhnlicher Nahrungsteilchen. Es ist darum im Experiment ohne weiteres möglich, nahezu beliebiges Zellmaterial – wie Mischsuspensionen verschiedener einzelliger Algen, dazu auch Sporen oder bewegliche Geschlechtszellen mehrzelliger Algenarten – einzuschmuggeln. Selektiert wird offenkundig erst im Anschluß, wenn die Wirtszelle zwischen einem zu verdauenden Objekt und einem zu ihr passenden Cytobionten unterscheiden muß. Diese Auslese funktioniert erwiesenermaßen zuverlässig – für geeignete Mikroalgen wird sie keineswegs zu einem russischen Roulette.

Die Wirtsorganismen verfügen demnach über einen hochorganisierten, in seinen molekularen Details allerdings noch großenteils unbekannten Sortierapparat. Eine Reihe interessanter Befunde dazu haben Leonard Muscatine und seine Mitarbeiter von der Universität von Kalifornien in Los Angeles beigesteuert: Wenn man einem symbiontenfreien Süßwasserpolypen der Gattung Hydra eine Suspension von Chlorella-Zellen in den hinter der Mundöffnung gelegenen Hohlraum spritzt, nehmen die ihn auskleidenden Verdauungszellen die Algen innerhalb weniger Minuten wie Nahrungspartikel durch Phagocytose auf – ihre Zellmembran schließt sich um das Objekt und schnürt sich als Bläschen ins Zellinnere ab. Die gleichsam verschluckte Alge befindet sich dann in einem eigenen kleinen wäßrigen Hohlraum, und diese – Phagosom genannte – Vakuole kann, statt die Alge letztlich zu verdauen, ihr zur Heimstatt werden (Bild 4).

Erstaunlich ist nun jedoch, daß die Wirtszelle nur Zellen solcher Chlorella-Stämme als Cytosymbionten akzeptiert, deren Vorfahren schon einmal in einem Artgenossen gelebt haben und daraus isoliert wurden. Chlorella-Zellen anderer Herkunft werden hingegen nach kurzer Zeit einfach wieder ausgeschleust.

Wie Dale Weis von der Staatsuniversität Cleveland (Ohio) am Grünen Pantoffeltier zeigen konnte, sind an der Erkennung sowohl spezifische molekulare Strukturen der Algen als auch komplementäre Rezeptoren der Wirtszelle beteiligt. Hinzu kommt, daß eine Chlorella-Zelle die bei Algen sonst sehr seltene Maltose (Malzzucker) abgeben können muß, damit sie überhaupt von einem Süßwasserpolypen oder einem Pantoffeltier als Zellpartner akzeptiert wird. An der Interaktionskette beim Aufbau der partnerspezifischen Endocytobiosen sind aber mit Sicherheit noch weitere induktive oder regulative Leistungen beteiligt, deren molekulare Natur man gegenwärtig noch nicht genau kennt.

Die Partnerschaft geht übrigens so weit, daß der Süßwasserpolyp seine Algen normalerweise selbst dann nicht verdaut, wenn diese sich zu stark vermehren. Überzählige Zellgäste werden durch eine Art umgekehrte Phagocytose wieder ausgeschleust. Das Grüne Pantoffeltier hingegen verdaut offensichtlich auch einige seiner Besatzungsmitglieder.


Intakte Zweierbeziehungen

Algen sind, weil sie Photosynthese treiben, autark und nicht wie Protozoen, Wirbellose und andere tierische Organismen auf organische, letztlich von Pflanzen hergestellte Nahrung angewiesen. Somit ist zu erwarten, daß der Photosynthesebetrieb der Zellsymbionten entweder die Produktionsbasis der gesamten Assoziation ist oder zumindest doch erheblich zur Ernährung beider Partner beisteuert. Einige Beispiele mögen verdeutlichen, wie sehr die photosynthetisch aktiven Zellgäste zum gemeinsamen Unterhalt beitragen. So verliert die mit Zooxanthellen der Symbiodinium-Gruppe ausgestattete Wachsrose Anemonia viridis, wenn man sie ohne weitere Nahrungszufuhr mehrere Wochen im Dunkeln hält, etwa so viel an Gewicht, wie die photosynthetische Produktion ihrer Cytosymbionten bei Vergleichsversuchen im normalen Hell-Dunkel-Rhythmus ausmacht. (Beide Partner zehren in dieser Zeit von ihren Reserven.)

Ein weiterer Beleg ist die beachtliche Produktivität von Korallenriffen gemessen an der Menge Kohlenstoff, die sie jährlich in Form von Biomasse zulegen. Mit bis etwa 20 Tonnen Kohlenstoff je Hektar reichen sie an die Produktionskraft tropischer Regenwälder oder den Flächenertrag optimal versorgter Kulturpflanzen heran – für eine von tierischen Organismen dominierte Lebensgemeinschaft eine erstaunliche Leistung. Sie wird allerdings verständlich, wenn man berücksichtigt, daß die pflanzlichen Primärproduzenten des in tierischer Biomasse gemessenen Zuwachses als Zooxanthellen in die zahllosen Korallenpolypen integriert sind. Durchschnittlich leben mehr als eine Million Algenzellen unter jedem Quadratzentimeter Riff- beziehungsweise Wirtsoberfläche, erheblich mehr als im normalen Phytoplankton des freien Wassers. Das enorme Produktionspotential eines Riffs ist somit nur ein anderes Maß für die aus der Photosynthese gespeisten Stoffexporte der Zooxanthellen in die gastgebenden Korallenpolypen.

Nun stellt sich die Frage, inwieweit die Stoffproduktion der Algen eigentlich ausreicht, den Bedarf der gesamten Partnerschaft zu decken. Untersucht haben wir diesen Aspekt zusammen mit Armin Svoboda von der Ruhr-Universität Bochum und Dietrich Schlichter von der Universität zu Köln an der im Indopazifik verbreiteten Weichkoralle Heteroxenia fuscescens (Bild 5). Sie eignet sich aus mehreren Gründen besonders gut dafür: Ihr fehlen die Nesselzellen, und ihr Verdauungssystem ist weitgehend vereinfacht, so daß sie keine Beute mehr fangen oder überhaupt partikuläre Nahrung verwerten kann – sie scheint also gänzlich von den Stoffexporten ihrer Zooxanthellen und von gelösten organischen Stoffen zu leben, die sie aus dem Meerwasser aufnimmt. Außerdem scheidet Heteroxenia als Weichkoralle kein Kalkskelett ab. Ihre Zooxanthellen lassen sich aus dem Wirtsgewebe technisch sehr einfach isolieren – im Prinzip genügt dazu der Wasserstrahl einer handelsüblichen Zahnfleischdusche.

Aus Fütterungsversuchen mit radioaktiv markiertem Kohlendioxid (genauer Bicarbonat) beziehungsweise markierter Essigsäure ergibt sich nach unseren Befunden folgendes Bild: Heteroxenia erhält von ihren Zooxanthellen niedermolekulare Kohlenhydrate wie den dreiwertigen Alkohol Glycerin oder Glucose, dazu aber in weitaus größerer Menge freie Fettsäuren und verschiedene Lipide (Fette).

Alle diese Stoffe, die sich schon wenige Minuten nach Fütterung der markierten Ausgangsverbindungen in den Wirtszellen wiederfinden, stammen unmittelbar aus der photosynthetischen Produktion der Algen (Bild 6). Außerdem erhalten die Heteroxenia-Zellen noch den photosynthetisch freigesetzten Sauerstoff, den sie für den energieliefernden oxidativen Abbau dieser Substanzen brauchen.

Umgekehrt fließen Abbauprodukte aus dem tierischen Stoffwechsel – wie Kohlendioxid und kurzkettige Fragmente aus der Verwertung der Reserve-Lipide – direkt in die Zooxanthellen zurück und werden von diesen bei der Photosynthese energetisch erneut aufgewertet. Im Vergleich zu ihren freilebenden Verwandten haben die Mikroalgen in ihren Wirtszellen deutlich höhere Produktionsraten; sie profitieren dort nämlich von einem gewissen Gewächshauseffekt mit besserem Materialangebot. Zum Beispiel fördern die höheren Kohlendioxidkonzentrationen aus den Atmungsprozessen des Wirtes die Photosynthese, und dessen stickstoffhaltige Abbauprodukte wirken quasi als Dünger.

Auf- und Abbauprozesse sind in dieser Partnerschaft also zyklisch miteinander verschaltet; die Stoffwechselwege der Beteiligten verhalten sich gleichsam komplementär zueinander. Weil zudem anders als bei den Mahlzeiten üblicher Pflanzen- oder Fleischfresser kaum etwas als Abfall ausgeschieden wird, sind die Stoff-Flüsse vom Produzenten zum Konsumenten deutlich effizienter. Unter günstigen Bedingungen erzielt Heteroxenia fuscescens über die stofflichen Zuwendungen ihrer Zellpartner einen täglichen Produktionsüberschuß von etwa 0,2 Gramm Kohlenstoff je Kolonie, die sie in Form von Reservestoffen speichern kann. Dank ihrer betriebsamen Zooxanthellen ist die Weichkoralle Selbstversorger in einem Maße, als wäre sie selbst eine Pflanze.

Zu vergleichbaren Ergebnissen kamen auch Arbeitsgruppen, die andere Partnerschaften analysiert haben. Die Kooperative mit den einzelligen Algen ist in solchen Fällen quasi ein Bund fürs Leben – sozusagen der klassische Fall einer intakten Zweierbeziehung oder, in der Terminologie der Systemtheorie, ein echter Synergismus, der allen Beteiligten nützt.


Modelle der Zellevolution?

So kurios die partnerschaftliche Zusammenarbeit von photosynthetisch aktiven Mikroalgen mit bestimmten Protozoen oder Wirbellosen auch scheinen mag, so interessant sind sie im theoretischen Kontext. Denn diese Kooperativen zeigen, daß insbesondere auf zellulärer Ebene eine gedeihliche Funktionsvernetzung genetisch und physiologisch grundverschiedener Einheiten möglich ist.

Daß selbständige, normalerweise freilebende Einzeller eine größere Wirtszelle besiedeln und sich schließlich funktionell integrieren, nimmt sich fast wie die Neuinszenierung einer früheren Aufführung der Zellevolution aus: Nach den wohlbegründeten und mittlerweile kaum noch strittigen Aussagen der Endosymbiontentheorie stammen die Organellen der kernführenden – eukaryontischen – Zellen von einzelligen freilebenden Prokaryonten (Bakterien) ab, die stoffwechselphysiologisch spezialisiert waren. Die Photosynthese-Organellen beispielsweise gehen vermutlich auf grüne Photobakterien zurück, bei Cryptomonaden und Rotalgen auf Cyanobakterien.

Heutige endocytosymbiontische Algen, die in artfremde Partnerzellen eindringen oder von diesen aktiv aufgenommen werden, sind dagegen photosynthesetreibende Eukaryonten, die sich in nicht-autarken Eukaryonten etablieren können – aber wiederum deshalb, weil sie attraktive Stoffwechselpotentiale mitbringen. Bei aller Unterschiedlichkeit der beteiligten Zelltypen sind die Vorgänge während der wechselseitigen Verschaltung doch den ersten Cytobiose-Schritten vergleichbar, die einst zu den Vorläufern heutiger Eukaryonten führten. Mit der detaillierten Analyse der Rahmenbedingungen, unter denen sich physiologisch komplementäre Organismen auf zellulärer Ebene zu neuen Funktionsgemeinschaften zusammenschließen, lassen sich mithin Prozesse nachvollziehen, die in der Frühzeit des Lebens eine Revolution der Zellentwicklung auslösten.

Literaturhinweise

- Metabolic Competence of Endocytobiotic Dinoflagellates (Zooxanthellae) in the Soft Coral, Heteroxenia fuscescens. Von D. Schlichter und B.P. Kremer in: Endocytobiology and Cell Research, Band 2, Walter de Gruyter, Berlin 1985.

– Cell to Cell Signals in Plant, Animal and Microbial Symbiosis. Herausgegeben von Silvano Scannerini, David Smith, Paola Bonfante-Fasolo und Vivienne Gianinazzi-Pearson. NATO Advanced Science Institute Series H: Cell Biology, Band 17, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 1988.

– Formen des Zusammenlebens. Symbiose, Parasitismus und andere Vergesellschaftungen von Tieren. Von Hans-Dieter Görtz. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1988.

– DNA Divergency and Speciation in Symbiodinium (Dinophyceae). Von R. Blank und V.A.R. Huss in: Plant Systematics and Ecology, Band 163, Seiten 153 bis 163, 1989.

– Molecular Systematics of Symbiotic Algae. Von R. Rowan in: Journal of Phycology, Band 27, Seiten 661 bis 666, 1992.

– Algae and Symbioses. Plants, Animals, Fungi, Viruses, Interactions Explored. Herausgegeben von Werner Reisser, Biopress Limited, Bristol 1992.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1994, Seite 48
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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