Direkt zum Inhalt

Mikropartikel für die Land- und Forstwirtschaft


Chemikalien gegen Insekten und andere Schädlinge, gegen Krankheiten, Pilze und Unkräuter haben wesentlich dazu beigetragen, die Erträge von Feld und Wald zu steigern. Doch sie sind zumeist giftig. Deshalb sind Mikropartikel als Wirkstoffträger für die Land- und Forstwirtschaft von hohem Interesse.

Die Verkapselung von Pflanzenschutzmitteln in Mikrometer großen Körnchen, deren Grundsubstanz oder Wand aus biologisch abbaubaren Polymeren besteht, kann den Einsatz dieser Mittel wesentlich effizienter und umweltverträglicher machen. Immerhin geht selbst in Mitteleuropa rund ein Fünftel der Ernte durch Kulturschäden verloren, während der Masseneinsatz von Pflanzenschutzmitteln Menschen und Nützlinge gefährdet sowie Boden und Grundwasser belastet. Durch die Mikroverkapselung können solche Gifte spezifischer wirken, insbesondere weil sich der Verlauf der Freisetzung geradezu maßschneidern läßt. Zudem sind sie vor Wasser, Luft und chemisch reaktiven Substanzen geschützt, und man kann sie gefahrlos handhaben.

Beispielsweise ließe sich ein Insektizid gegen Kartoffelkäfer in Mikrokapseln verpackt geringer dosiert auf die Pflanzen aufbringen: Indem die Larven und Käfer die Kapseln zerbeißen, nehmen sie das Gift in höherer Konzentration auf, als dies bei herkömmlichem flächendeckendem Versprühen der Fall ist. In der unversehrten Kapsel aber bleibt der Wirkstoff für andere Tiere wie für den Landwirt ungefährlich. Analoge Beispiele lassen sich auch für die Forstwirtschaft anführen.


Technologien

Bei der Mikroverkapselung wendet man im allgemeinen zwei Prinzipien an: Wirkstoff und Polymer-Grundsubstanz reagieren im Gemisch zu Mikropartikeln, so daß das Pflanzenschutzmittel in einer Kunststoff-Matrix eingebettet ist, oder an der Grenzfläche zwischen den beiden Komponenten bildet sich durch chemische Reaktionen eine Schale um den Wirkstoff-Kern.

Ob man solche Teilchen durch Lösungsmittelverdampfung, Ausfällen in einem zweiten Lösungsmittel (Koazervation) oder Sprühtrocknung gewinnt, richtet sich nach den physikalisch-chemischen Eigenschaften von Polymer und Wirkstoff sowie dessen Stabilität. Teilchengröße und Größenverteilung lassen sich durch die Prozeßbedingungen in weitem Umfang variieren.

Mikropartikel mit Matrixstruktur werden vorwiegend (außer für Arzneistoffe) für Unkrautvernichtungsmittel entwickelt. Geeignete Polymere finden sich unter den aliphatischen Polyestern, also solchen mit offenen Kohlenstoffketten, unter den Polyamiden und den Polyanhydriden. Weil die Ausgangsstoffe in großen Mengen verfügbar und – eine Voraussetzung für die Anwendung in der Pharmazie – biologisch verträglich sind, setzt man als aliphatische Polyester vor allem Mischpolymere aus Milchsäure und Glykolsäure ein; dabei werden die verschiedenen Bausteine meist rein zufällig anstatt nach Gruppen geordnet zusammengefügt.

Als Ausgangsstoff für Partikel mit einem Kern-Schale-Aufbau eignen sich Monomere mit zwei bindungsfähigen Stellen oder niedermolekulare Polymer-Vorstufen. Diese vernetzen miteinander und bilden so eine Membran um das wirkstoffhaltige Medium. Wird dabei Wasser abgespalten, spricht man von Polykondensation; enthalten die Monomere Kohlenstoff-Doppelbindungen, die sich bei der Reaktion aufspalten, von Polymerisation. Die Durchlässigkeit der so geschaffenen Hülle läßt sich wiederum durch den Verkapselungsprozeß sowie durch die Polymerstruktur gezielt beeinflussen.


Mikroverkapselung von Pestiziden

Bislang verkapselt man Schädlingsbekämpfungsmittel durch chemische Reaktion solcher monomerer Komponenten, die nur an der Grenze zum wirkstoffhaltigen Medium polymerisieren, so daß meist giftige Restmonomere in der Kapsel verbleiben. Mit der Zeit können diese in die Natur gelangen; zudem sind die ausgehärteten Kapselmaterialien nur schlecht biologisch abbaubar.

Deshalb entwickeln wir ein Verfahren, bei dem modifizierte Melamin- oder Harnstoffharze und deren Mischpolymere eingesetzt werden (Bild 1). Beide Vorstufen sind wasserlöslich und entstehen durch Reaktion von Formaldehyd oder anderen Aldehyden mit Melamin beziehungsweise Harnstoff; sie enthalten als charakteristisches Merkmal eine Hydroxymethyl-Gruppe (CH2OH). Melaminharze verwendet man sonst beispielsweise als Komponente in Einbrennlacken für Automobile und Haushaltsmaschinen. Aus Harnstoffharzen lassen sich unter anderem Schaumstoffe zur Wärme- oder Schallisolierung verfertigen. Wichtig für unsere Anwendung sind ihre besonders reaktionsfähigen Gruppen und die starke Aktivität an Grenzflächen.

Weil die Mehrzahl der bekannten Pflanzenschutzmittel wasserabweisend ist, die kapselbildenden Harze sich dagegen nur in Wasser lösen, bildet sich an der Phasengrenze zwischen Wirkstoff und Wasser ein Gel, das im weiteren Verlauf durch Polykondensation aushärtet. Die dabei entstehende Membran kann als biologisch unbedenklich eingestuft werden. Je nach Temperatur und pH-Wert dauert dieser Prozeß nur wenige Minuten (Bild 2). Die Größe der fein verteilten Wirkstoffteilchen bestimmt den Kapseldurchmesser; er variiert zwischen 0,5 und 3,0 Mikrometern. Flüssige Wirkstoffe bilden sphärische Kapseln, während Feststoffe die Partikelgeometrie durch ihre Form bestimmen (Bild 3).

Man kann solche Pestizid-Kapseln ohne größeren apparativen Aufwand und organische Lösungsmittel sowie mit hoher Prozeßgeschwindigkeit synthetisieren. Schon geringe Änderungen der Synthesebedingungen erbringen sehr unterschiedliche Produkte und ermöglichen so eine Optimierung hinsichtlich der jeweiligen Anwendung.

Freisetzungsprofile

Ein großer Vorteil von Mikrokapseln ist ihr dynamischer Charakter: Der Wirkstoff ist nicht mit dem Ausbringen schlagartig vorhanden, sondern wird je nach den Kapselparametern im Laufe der Zeit freigesetzt. So geben ihn solche mit Kern-Hülle-Struktur entweder nach und nach durch die Membran frei oder auf einmal bei deren Zerstörung. Wirkstoffe hingegen, die in einer Matrix gebunden sind, werden einerseits durch deren Abbau und andererseits durch passive Transportmechanismen wie Diffusion freigesetzt; dieser Transport hängt von der chemischen Struktur von Wirkstoff und Polymer ab, so daß er sich mit dem Matrix-Abbau verändert.

Bei den von uns entwickelten Systemen für Pestizide bestimmt unter anderem die Dicke der Hüllmembran deren Durchlässigkeit; zwischen 40 und 400 Nanometer (millionstel Millimeter) lassen sich je nach Harz- und Wirkstoffkonzentration bei der Herstellung gezielt einstellen. Ein weiterer Faktor ist die Dichte der Vernetzungspunkte der Polymer-Komponenten: Mit Aminoharzen kann man sowohl vollkommen dichte als auch – in Abstufungen – für den jeweiligen Wirkstoff durchdringbare Mikrokapseln herstellen.

Soll der Wirkstoff unabhängig von der momentanen Konzentration mit immer gleicher Rate abgegeben werden, kann es auch erforderlich sein, die Freisetzung zu behindern (Bild 4). Dazu verwenden wir etwa eine zweite Umhüllung der zunächst gebildeten Teilchen oder deren Vereinigung zu größeren, schaumartigen Gebilden. Denn bei einfach verkapselten Produkten wird der Wirkstoff am Anfang oft sehr schnell freigesetzt, was sich auch durch eine dickere Kapselwand nur geringfügig unterdrücken läßt.

Unsere Modell- und Freilandversuche sowohl mit verschiedenen Insektiziden gegen Kartoffel- und Rüsselkäfer sowie Termiten als auch mit unterschiedlichen Unkrautbekämpfungsmitteln (Chlortoluron, Terbutryn und Atrazin) belegten, daß durch die Verkapselung der Wirkstoffe die Einsatzmengen um 30 bis 50 Prozent verringert werden können, die Wirkstoffe gegenüber Umwelteinflüssen stabiler sind und nicht unkontrolliert in den Boden eindringen. Zudem war die Arbeitssicherheit beim Ausbringen der Pestizide größer. In unseren weiteren Forschungs- und Entwicklungsvorhaben untersuchen wir die Mikroverkapselung neuartiger Giftstoffe, aber auch verhaltenssteuernder Substanzen, die Schadtiere abschrecken oder anlocken.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1994, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – »Das fühlt sich an wie eine Narkose«

Menschen im Winterschlaf? Was in dieser Zeit mit dem Körper passieren würde und wieso die Raumfahrt daran so interessiert ist, lesen Sie im aktuellen Titelthema der »Woche«. Außerdem: Zwischen den Zeilen einer Heiligenschrift aus dem Jahr 510 lässt sich das Alltagsleben am Donaulimes entdecken.

Spektrum der Wissenschaft – Wunderwelt der Pflanzen: Neue Erkenntnisse aus der Botanik

Wunderwelt der Pflanzen - Neue Erkenntnisse aus der Botanik • Grüne Jäger: Die Evolution der Fleisch fressenden Pflanzen • Landwirtschaft: Täter und Opfer der Klimakrise • Chemische Versuche mit Kastanien, Orangen und Rosen

Spektrum Kompakt – Grüne Gentechnik - Chancen und Risiken für die Landwirtschaft

Fluch oder Segen? Wenige Themen polarisieren so stark wie gentechnische Verfahren. Besonders deutlich wird das beim Einsatz Grüner Gentechnik in der Landwirtschaft.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.