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Mikrostrukturen in Massenfertigung

Nahe der Universität Dortmund entsteht ein Zentrum für Mikrostrukturtechnik. Ein Konsortium will dort die neuartige LIGA-Technik zur industriellen Produktion von Miniatursystemen und -komponenten einsetzen.

In Dimensionen von tausendstel Millimetern sind zuerst elektronische, dann optische und schließlich mechanische Bauelemente hergestellt worden. Etwa seit Mitte der achtziger Jahre begann man, sie zu Mikrosystemen zu integrieren. Mittlerweile ist diese Technologie in einer dynamischen Eigenentwicklung begriffen (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1992, Seite 98); immer neue Komponenten und komplexe Anordnungen in Kleinstformat mit zum Teil bislang überhaupt nicht zu realisierenden Funktionen – von Zahnrädern und Düsen bis zu Zellmanipulatoren und implantierbaren, selbstregulierenden Insulinpumpen – werden vorgestellt.

Ihr praktischer Einsatz erfordert die hochpräzise Fertigung von Mikrostrukturen aus verschiedensten Materialien wie Metallen, Kunststoffen und Keramik oder sogar deren Verbund in großen Stückzahlen bei geringsten Kosten. Dabei müssen die allenfalls einige Mikrometer breiten Elemente häufig – anders als die meisten der jetzigen Elektronik – Tiefen bis zu mehreren hundert Mikrometern haben. Die vor allem in der Halbleitertechnik angewandten Lithographie- und Ätzverfahren sowie die Methoden der mechanischen Feinwerktechnik können dafür jedoch nur bedingt oder gar nicht genutzt werden: Manche sind lediglich bei wenigen Materialien geeignet, andere extrem teuer, wenn es um Massenfertigung geht, und mit wieder anderen läßt sich nicht die nötige Strukturtiefe erzielen.

Ein anfangs nur als äußerst lästig erachteter Nebeneffekt von Experimentieranlagen der Hochenergiephysik bot die Lösung: extrem parallele und intensive Röntgenstrahlen, wie relativistische Elektronen sie in einem Synchrotron oder Ringbeschleuniger abgeben. Da sie kurzwelliger sind als das sichtbare oder ultraviolette Licht, mit dem die Schaltkreismuster derzeit gängiger Elektronik auf die Halbleiter-Chips übertragen werden, lassen sich damit auch noch feinere Strukturen erzeugen.

Technologische Umsetzung mit LIGA

Aufbauend auf der Röntgen-Lithographie ist für die Zwecke der Mikrosystemtechnik das LIGA-Verfahren entwickelt worden. Das Akronym steht für Lithographie, Galvanisierung und Abformung (Bild 2): Eine Maske aus hauchdünnem Goldblech, die den Umriß der Mikrostruktur als scherenschnittartiges Muster trägt, bedeckt ein Plättchen aus strahlenempfindlichem Kunststoff, zum Beispiel Plexiglas (den sogenannten Resist). An den unbedeckten Stellen der Maske dringt die Synchrotronstrahlung einige hundert Mikrometer tief in das Material ein und baut die Kettenmoleküle strahlenchemisch ab. Mit einem Lösemittel kann man die kurzkettigen Fragmente entfernen, so daß entsprechend dem Muster der Maske Stege mit vertikalen Seitenwänden stehenbleiben. Diese Form kann schon das Endprodukt sein, ist aber in der Regel Mutterform für Verfielfältigungsprozesse.

Zur Herstellung weiterer Kopien werden die Zwischenräume nun durch Galvanisierung mit einem Metall, zum Beispiel Nickel, aufgefüllt und die Plexiglasstege anschließend entfernt. Hat man die so entstandene Mikrostruktur sozusagen als Positiv angelegt, liegt damit das Produkt als Einzelstück vor (Bild 1). Hat man sie als Negativ konzipiert, dient sie als Matrize – als metallene Spritzgußform zur Abformung von Kunststoffteilen (es lassen sich auch Mikrogießprozesse anwenden). So können Mikrostrukturteile aus Kunststoff in kostengünstiger Massenfertigung bei höchster Präzision (die Rauhigkeit beträgt weniger als 30 Nanometer) produziert werden. Für die Fertigung von Komponenten aus Metall oder Keramik (Bild 3) in großer Stückzahl dienen solche entsprechend als Negativ gestalteten Kunststoffteile ihrerseits als Formen.

Die LIGA-Technologie ist im Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) ursprünglich zur Herstellung von Trenndüsen für die Anreicherung von spaltbarem Uran für Kernkraftwerke entwickelt worden. Der Firma MicroParts gelang die Weiterentwicklung zum Konzept eines tauglichen Verfahrens der Mikrostruktur-Massenfertigung. Anteil an diesem Erfolg hat allerdings auch die Universität Bonn: An ihrer Synchro-tronstrahlungsquelle ELSA (Elektron-Stretcher-Anlage) wurden die erforderlichen Röntgenbestrahlungen durchgeführt; sie steht auch in Zukunft zur Ver-fügung, und das KfK beteiligt sich weiterhin an der Entwicklung der technologischen Grundlagen.

Die Kommerzialisierung betreibt die Firma MicroParts, an der die Unternehmen Hoesch, Hüls, Rheinmetall, Steag und VEW beteiligt sind. Innerhalb des kommenden Jahres werden die Aktivitäten von Karlsruhe nach Dortmund verlagert, wo ein Zentrum für Mikrostrukturtechnik mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen entsteht.

Dieser Transfer trägt dazu bei, den Standort alter Montanindustrien zwischen Lippe und Ruhr zu modernisieren. Vielleicht kann dies auch als Modell für den Wandel in den neuen Bundesländern dienen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1993, Seite 116
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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