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Mikrosystemtechnik in der Umweltüberwachung

Mit miniaturisierten, automatisch arbeitenden Meßsystemen lassen sich die wichtigsten Umweltschadstoffe erfassen. An Beispielen aus der Luft- und Gewässerüberwachung wird deutlich, welches Potential diese neue Technologie bietet.

Industrie, Verkehr und Haushalte tragen gemeinsam zur Umweltverschmutzung bei. Um bei dieser Vielzahl von Schadstoffquellen entscheiden zu können, welche Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Ressourcen wie Luft, Gewässer und Boden am dringlichsten und am förderlichsten sind, müßten der jetzige Schadstoffausstoß und seine zeitlichen Veränderungen möglichst zuverlässig bekannt sein. Die dazu nötigen chemischen Analysen sind aber meist sehr aufwendig, personal- und kostenintensiv und lassen sich nur selten kontinuierlich und flächendeckend durchführen. Kleine, dezentral aufgestellte und automatisch arbeitende Meßstationen, die mit verschiedenen Sensoren die unterschiedlichen Schadstoffe schnell zu bestimmen vermögen, könnten hier wertvolle Dienste leisten.

Gas-Sensorik und Systemtechnik

Ein einfacher chemischer Sensor für Gase befindet sich bereits seit langem in vielen Haushalten: Im klassischen Hygrometer dient ein Bündel Haare – meist Roßhaare – als Meßfühler für die Luftfeuchtigkeit. Sie nehmen Wasserdampf aus der Umgebungsluft auf und ändern dabei ihre Länge, die über eine einfache Federwaage auf einer Skala als relative Feuchte angezeigt wird.

Ähnlich funktionieren die meisten der modernen chemischen Gas-Sensoren; als Meßwert dient jedoch ein elektrisches Signal (vergleiche auch das Schwerpunktthema Sensoren, Spektrum der Wissenschaft Januar 1994, Seite 92).

Chemische Sensoren bestehen aus einem Indikatormaterial, das über eine spezifische Reaktion einen bestimmten Stoff nachweist – im Beispiel des Hygrometers ist dies die Wasseradsorption durch die Haare. Auch die Lambda-Sonde, die in Kraftfahrzeugen mit geregeltem Katalysator den Verbrennungsvorgang und den Schadstoffausstoß überwacht, funktioniert nach demselben Grundprinzip. Das Indikatormaterial ist in diesem Falle ein Festkörper-Ionenleiter, durch den bei hohen Temperaturen Sauerstoff-Ionen diffundieren können. Die Differenz des Sauerstoffgehalts im Abgas und in der Umgebungsluft wird gemessen und die Kraftstoffzufuhr entsprechend eingestellt. Während ein Hygrometer die Feuchte lediglich anzeigt und dem Menschen als langsamem und nicht sehr genauem Regelkreis das Einstellen eines optimalen Feuchtegehalts überlassen bleibt, verfügt die Lambda-Sonde wie alle modernen Sensoren über einen Ausgang für elektrische Signale, die direkt über eine schnelle Rückkopplung regelnd eingreifen können.

Eine Vielzahl weiterer umweltrelevanter Gase sollte möglichst direkt und unkompliziert gemessen werden können – vor allem Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Stickoxide, Ozon und leichtflüchtige Kohlenwasserstoffe. Des weiteren kann auch außerhalb des Umweltschutzinteresses die Detektion bestimmter Gase erforderlich sein. So ist in manchen Ländern für jeden Gasherd die Messung explosiver Gase vorgeschrieben; und in Japan gibt es bereits Systeme, die Aromastoffe überwachen und damit den Kochvorgang steuern.

Viele dieser Substanzen lassen sich freilich nicht so einfach messen wie die Feuchte oder der Sauerstoff, weil ihre Konzentration in der Luft normalerweise um mehrere Größenordnungen geringer ist. Bei einer Luftfeuchte von 50 Prozent zum Beispiel beträgt der Wassergehalt der Atmosphäre immerhin bereits einige Gramm pro Kubikmeter, bei Sauerstoff sind es sogar 300 Gramm. Hingegen sollte gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz der Jahresmittelwert von Stickstoffdioxid unter 80 Mikrogramm je Kubikmeter Luft liegen; bei Schwefeldioxid sind es 140 und bei Kohlenmonoxid 10000 Mikrogramm. Für viele dieser Gase gibt es bereits Nachweisreaktionen, die mit der Mikrosystemtechnik kompatibel sind.

Das wohl bekannteste Material für Gas-Sensoren ist das halbleitende Zinndioxid, dessen elektrische Leitfähigkeit sich bei Temperaturen von einigen hundert Grad Celsius unter dem Einfluß oxidierender oder reduzierender Gase sehr stark ändert. Mit derartigen Sensoren lassen sich beispielsweise Kohlenmonoxid, Methan und Wasserstoff mit hoher Empfindlichkeit nachweisen.

Allerdings ist es nicht einfach, bei geringer Konzentration zwischen zwei verschiedenen, aber in ihren Eigenschaften ähnlichen Gasen zu unterscheiden. Der Zinndioxid-Sensor beispielsweise reagiert auf das brennbare Kohlenmonoxid fast genauso wie auf den ebenfalls brennbaren Ethylalkohol. Hier bietet die Mikrosystemtechnik hervorragende Lösungen, denn die Indikatormaterialien und Sensoren lassen sich in ihren Eigenschaften gezielt beeinflussen: Zinndioxid zum Beispiel kann man mit Edelmetall-Ionen dotieren oder zum Teil durch ein anderes Metalloxid ersetzen. Auf diese Weise läßt sich eine ganze Familie gleichartiger Sensoren herstellen, die auf die verschiedenen Gase unterschiedlich reagieren (Bild 1).

Wollte man nun für die Auswertung die Signale mehrerer Sensoren miteinander verrechnen, wäre unter anderem eine sehr aufwendige mathematisch-physikalische Beschreibung der Metalloxid-Eigenschaften erforderlich. Eine bessere Lösung bieten hier empirische Verfahren wie künstliche neuronale Netze. Trainiert mit einer großen Anzahl im Labor vermessener Daten, können durch derartige Rechenverfahren die Signale interpretiert und damit die einzelnen Substanzen unterschieden werden. Mit der Mikrosystemtechnik lassen sich solche Sensoren kostengünstig produzieren – vielleicht sogar auf einem einzigen Chip – und somit einer breiten Anwendung zugänglich machen.


Chemische Sensoren für Flüssigkeiten

Auch für Flüssigkeiten gibt es bereits Sensoren, die sich mit den Methoden der Mikromechanik herstellen lassen. Ein interessantes Beispiel dafür ist der ionensensitive Feldeffekt-Transistor (ISFET, Bild 2). Er wird wie ein herkömmlicher Feldeffekt-Transistor mittels Halbleitertechnologie hergestellt und reagiert wie dieser auf elektrische Ladungen. Jedoch benötigt er keine Ansteuerelektrode, da er direkt in die zu analysierende Flüssigkeit eintaucht. Der chemisch empfindliche Bereich, der Gate-Isolator, besteht im allgemeinen aus einer Doppelschicht (zum Beispiel Siliciumdioxid/Siliciumnitrid). Reagiert der ISFET beispielsweise auf den pH-Wert, so beeinflußt die Wasserstoff-Ionenaktivität die Ladung an der Oberfläche des Gate-Isolators und damit die Einsatzspannung – also die Spannung, ab welcher der Transistor elektrischen Strom leitet. Eine in die Flüssigkeit eingetauchte Referenzelektrode dient der Erdung; bei Differenzmessungen ist auch der Kontakt zu einem beliebigen leitenden Material ausreichend.

Ein solches Grundbauelement läßt sich nun durch geeignete Beschichtungen für verschiedene Substanzen empfindlich machen. Mit Membranen aus dem Kunststoff PVC, die ein sogenanntes Ionophor – eine Substanz, die den Transport von Ionen durch Membranen ermöglicht – enthalten, kann man beispielsweise Natrium-, Kalium-, Cadmium-, Calcium- und Nitrat-Ionen messen.

Mit Enzym-Membranen lassen sich auch Enzymsubstrate nachweisen: So setzt zum Beispiel das Enzym Glucoseoxidase Glucose um, wobei sich lokal in der Membran der pH-Wert in Abhängigkeit von der Glucose-Konzentration ändert (siehe auch den Schwerpunkt "Biosensoren", Spektrum der Wissenschaft, September 1992). In diesen Fällen besteht somit ebenfalls ein chemischer Sensor aus einem Meßwertaufnehmer (hier einem ISFET) und einer geeigneten sensitiven Schicht, die aus einer chemischen, biochemischen oder biologischen Substanz bestehen kann.

Zu den Vorteilen chemischer Sensoren zählen ihre kleinen Abmessungen sowie die Möglichkeit, mehrere Elemente zu Arrays zusammenzuschalten, die dann auf verschiedene Substanzen reagieren können. Zudem läßt sich auch mittels CMOS-Technik die Signalverarbeitungselektronik direkt auf dem Chip integrieren. Die Herstellungskosten und der Energieverbrauch sind gering, und im Unterschied zu herkömmlichen Analysemethoden werden keine Reagenzien verbraucht.

Zu den bekannten Nachteilen derartiger Sensoren gehören die Drift der Kennlinien, ihre begrenzte Einsatzdauer (vor allem durch die Alterung der chemisch sensitiven Schichten verursacht) und mangelnde Selektivität.


Mikrosensorik und klassische chemische Analytik

Was ist zu tun, wenn man der Anzeige eines Meßinstrumentes nicht traut und keinen natürlichen Vergleichsmaßstab wie beispielsweise bei der Temperaturmessung mit einem Thermometer hat? In einem solchen Falle kann man das Meßinstrument mit einer Probe testen, deren Parameter man kennt, und so das Gerät neu kalibrieren. Soll dies bei chemischen Sensoren automatisch durchgeführt werden, so bieten sich Fließinjektionsanalysen-Systeme (FIA-Systeme) an. Der Sensor befindet sich dabei in einer Durchflußzelle und wird die meiste Zeit über von einer Trägerlösung umspült, wodurch eine Null-Linie als Referenz festgelegt wird. Die zu untersuchende Probe gelangt nur kurzzeitig in Kontakt mit dem Sensor, der daraufhin ein Signal liefert und wieder zur Null-Linie zurückkehrt (Bild 3). FIA-Systeme bestehen aus einer oder mehreren Pumpen, Ventilen und verbindenden Elementen (wie beispielsweise Schläuchen). Derzeit bemüht man sich, solche Systeme zu verkleinern, um tragbare Geräte zu erhalten, die bereits komplexe chemische Analysensysteme umfassen; Stichproben lassen sich dann überall entnehmen und sofort analysieren.

Es ist damit zu rechnen, daß sich künftig durch den Einsatz der Mikrotechniken nicht nur die Sensoren noch weiter verkleinern lassen, sondern auch die ebenfalls benötigten Pumpen, Ventile und Kanalsysteme.

Mikro-Membranpumpen gibt es bereits: Sie bestehen aus mehreren strukturierten Siliciumchips (Bild 4). Die Pumpwirkung kommt durch das Zusammenspiel einer Antriebs- mit einer Ventileinheit zustande. Die Antriebseinheit wird von einer dünngeätzten, elastischen Membran aus Silicium und einer im Abstand von wenigen Mikrometern angebrachten unbeweglichen Gegenelektrode gebildet. Durch das Anlegen einer elektrostatischen Spannung wird die Membran an die Gegenelektrode gezogen, und beim Abschalten kehrt sie wieder in ihre Ausgangslage zurück. Dabei fließen jedesmal etwa 50 bis 80 Nanoliter Flüssigkeit durch die Pumpkammer, wobei Rückschlagventile dafür sorgen, daß die Flüssigkeit jeweils vom Einlaßschlauch angesaugt und in den Auslaßschlauch gedrängt wird, so daß sich auch kleinste Volumina hochpräzise dosieren lassen.

Derartige Mikroanalysensysteme, die aus mehreren Mikropumpen, Sensoren und einem Kanalsystem bestehen, verbrauchen noch weniger Reagenzien und Energie, sind robuster und leichter als herkömmliche Systeme (Bild 5). In Deutschland befaßt sich ein Konsortium aus acht Instituten unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Festkörpertechnologie mit derartigen Entwicklungen.

Mikrotechniken lassen sich also auf zweierlei Weise für Mikroanalysensysteme einsetzen: Zum einen können durch die Verwendung von Mikropumpen und -kanälen Mikro-FIA-Systeme aufgebaut werden, die noch präziser messen und deren Sensoren eine noch längere Betriebsdauer aufweisen. Zum anderen lassen sich herkömmliche analytische Methoden wie Gas- und Flüssigkeitschromatographie oder Kapillarelektrophorese mit Mikrotechniken realisieren. Führend auf diesem Gebiet sind Forscher der schweizerischen Ciba-Geigy AG, die sich mit der Miniaturisierung der Kapillarelektrophorese befassen.

Auf lange Sicht werden im Umweltschutz wohl verschiedene Bauelemente der Mikrosystemtechnik zur Anwendung kommen: Chemische Sensoren lassen sich als Einzelelemente – wie beispielsweise die Lambda-Sonde oder Gaswarnsensoren – für einfache Regelungen nutzen. Multisensorsysteme, bei denen Verfahren der elektrischen Signalverarbeitung integriert sind, werden die Gasüberwachung und Prozeßregelung vereinfachen und präzisieren. Mit Sensoren in chemischen Analysensystemen – zum Beispiel in FIA-Systemen – sowie mit Mikroanalysensystemen auf der Basis chemischer Sensoren oder klassischer analytischer Methoden läßt sich auch die mit vielen Substanzen belastete Umgebung von Industrieanlagen überwachen. Für die hochgenaue Laboranalyse und für Einzelmessungen behalten Geräte der klassischen Analytik weiterhin ihre Bedeutung.

Keine Technik wird alle Anforderungen erfüllen können. Je nach verlangter Genauigkeit und Meßhäufigkeit (einzeln oder kontinuierlich) sowie abhängig von Aufstellort und vertretbarem Kostenaufwand für die einzelne Messung oder für das Gerät und der zur Verfügung stehenden Meßzeit wird man mehr die eine oder die andere Methode bevorzugen. Dies erfordert die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Chemikern, Biologen, Ingenieuren und Physikern unterschiedlichster Spezialisierung. Die Mikrosystemtechnik eröffnet somit die Chance, die Möglichkeiten der Umweltüberwachung deutlich zu verbessern und so langfristig zum Schutz von Luft, Gewässern und Boden beizutragen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 116
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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