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Mütterliches Hormon bei Krallenaffen-Vätern


An sich regt das Hypophysenhormon Prolactin bei weiblichen Säugetieren die Milchproduktion an. Doch wird es in geringerer Menge auch vom männlichen Organismus gebildet. Der Grund dafür ist unklar. Immerhin gibt es unter Fischen und Vögeln zwei wohlbekannte Beispiele, daß Prolactin auch bei Männchen eine Funktion bei der Aufzucht des Nachwuchses hat: Bestimmte Buntbarsche veranlaßt es zur Produktion eines Nährschleims für die Jungen und Täuberiche zur Bildung der sogenannten Kropfmilch. Generell handelt es sich um ein entwicklungsgeschichtlich sehr altes Hormon mit vielfältigen Aufgaben. Bei männlichen Säugetieren schien es allerdings keinerlei Nutzen zu haben und wurde deshalb für ein funktionslos gewordenes evolutionäres Relikt gehalten.

Dem widersprechen nun neueste Befunde von Toni E. Ziegler, Frederick H. Wegner und Charles T. Snowdon vom Primatenforschungszentrum der Universität von Wisconsin in Madison an südamerikanischen Liszt-Affen (Saguinus oedipus). Diese Krallenaffen aus der Gruppe der Tamarine, deren Haarmähne an die des namengebenden Komponisten erinnert, leben wie andere Krallenaffenarten monogam, und das Männchen hilft, die Jungen aufzuziehen, was bei Säugetieren ziemlich selten vorkommt (siehe Spektrum der Wissenschaft, April 1993, Seite 62).

Als die Wissenschaftler den Urin der Primaten auf verschiedene Hormone hin analysierten, entdeckten sie in dem von Vatertieren höhere Prolactin-Mengen als bei anderen Männchen. Außerdem fanden sie um so mehr von dem Botenstoff, je öfter das zugehörige Weibchen Junge geboren hatte ("Hormones and Behavior", Band 30, Heft 3, September 1996).

Um herauszubekommen, was die Prolactin-Produktion überhaupt und ihre Steigerung mit der Zahl der Nachkommen auslöst, untersuchten die Forscher frischverpaarte Männchen, deren Weibchen erstmals trächtig waren. Dabei stellte sich heraus, daß die Prolactin-Konzentration eines werdenden Vaters bereits einige Zeit vor der Geburt der Nachkommen anzusteigen beginnt. Ob das Weibchen diese frühzeitige Reaktion durch sein Verhalten oder etwa durch chemische Signale bewirkt ist unklar.

Während der Aufzuchtphase korrelierte die Hormonmenge aber nicht, wie man vermuten könnte, mit dem direkten Kontakt des Vaters zu den Jungen, also mit sichtbarem fürsorglichem Verhalten. Liszt-Affen haben, gemessen an ihrem Gewicht von weniger als einem Pfund, sehr große Jungtiere – im Normalfall Zwillinge –, die einige Wochen lang von den Eltern auf dem Rücken getragen werden. Dabei hilft das Männchen von Beginn an: Nach dem ersten Wurf verbringt es oft mehr als zwei Drittel der Zeit mit einem oder beiden Jungen; manchmal beschränkt sich die Mutter allein aufs Säugen.

Spätere Würfe schleppt der Vater nicht mehr so eifrig, weil er dann Hilfe von den älteren Geschwistern hat. Bei Krallenaffen bleibt die Familie nämlich vereint, auch nachdem der Nachwuchs geschlechtsreif geworden ist. Sie kann so auf mehr als ein Dutzend Mitglieder anwachsen – aber nur das Elternpaar pflanzt sich fort; inzestuöse Paarungen werden durch das Eingreifen der dominanten Elterntiere und teilweise auch durch physiologische Mechanismen unterdrückt.

Mitunter streiten sich die älteren Geschwister nachgerade um das Vorrecht, sich um die Kleinsten zu kümmern. Der Vater läßt sie gewähren und greift nur in heiklen Situationen ein, etwa wenn die Jungen zum Trinken zur Mutter gebracht werden müssen, allein zu krabbeln beginnen oder selbst fressen lernen. Offenbar üben sich die Jungen in ihre spätere Elternrolle ein.

Woher aber rührt die vermehrte Prolactin-Bildung der Männchen? Denkbar wäre, daß sie mit den Aufregungen um die Geburt und den anschließenden sozialen Veränderungen zusammenhängt. Tatsächlich können Liszt-Affen ebenso wie andere Primaten bei Stress – etwa, wenn man sie einfängt – mit einem Anstieg des Prolactin-Spiegels reagieren.

Toni Ziegler und ihre Kollegen vermochten diese Vermutung jedoch zu widerlegen, indem sie in verschiedenen experimentellen Situationen zugleich die Konzentration der typischen Stress-Hormone maßen: Nur beim ersten Wurf stieg sie an – die erfahrenen Väter dagegen blieben gelassen und produzierten trotzdem höhere Mengen an Prolactin.

Auf die vermutliche Erklärung des Phänomens deuten Messungen an den ältesten Söhnen hin, die ihre jüngsten Geschwister versorgen halfen. Auch sie wiesen nämlich erhöhte Prolactin-Werte auf, während hormonelle Anzeichen für Stress fehlten. Für die Krallenaffen-Väter bleibt demnach als wahrscheinlich-ste Ursache der bislang erstmals bei männlichen Säugetieren nachgewiesenen Schwankungen des Hormonspiegels, was auch für Muttertiere gilt: daß das Prolactin die Fürsorglichkeit für den Nachwuchs steigert.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1996, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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