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Nachgehakt: Bonner Luftnummer



Der Bericht des zwischenstaatlichen Klimabeirats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) vom Anfang des Jahres war eine gigantische Leistung in wissenschaftlicher wie organisatorischer Hinsicht. Allein im ersten der drei Teile, der die wissenschaftlichen Grundlagen behandelte, fassten 122 Hauptautoren die Beiträge von 515 weiteren Autoren zusammen. 21 Review-Redakteure arbeiteten die Änderungswünsche von 700 Reviewern ein. Heraus kam ein Dokument von 881 Seiten, an dem Arbeitsgruppen von Wissenschaftlern, Regierungen und Nicht-Regierungsorganisationen aus fast 200 Ländern mitgewirkt hatten (siehe SdW 5/2001, S. 90).

Seine Kernaussagen lassen an Deutlichkeit nichts vermissen: Falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, steigt die globale mittlere Temperatur bis Ende dieses Jahrhunderts um 1,4 bis 5,8 Grad. Zum Vergleich: Seit 1900 hat sich die Erde um 0,6 Grad erwärmt, "sehr wahrscheinlich" – so die Studie – durch menschliche Einwirkung.

Angesichts solcher Zahlen standen die Teilnehmer des Klimagipfels Ende Juli in Bonn in der Verantwortung, die Klimaschutz-Vereinbarungen von Kioto 1997 endlich in konkrete Abmachungen umzumünzen. Doch heraus kam nach tagelangem entwürdigendem Feilschen nur ein mehr als halbherziger Kompromiss – den die USA aber immer noch als "inakzeptabel" ablehnten. Er schreibt den Industrieländern ihre Wälder und Felder so extrem großzügig als biologische Auffangbecken für das Treibhausgas Kohlendioxid gut, dass die meisten Forscher über diesen Ablasshandel nur den Kopf schütteln können. Die größten Klimasünder sollen sich sogar Aufforstungen in Entwicklungsländern als Kompensation anrechnen dürfen. Die rein politisch motivierte Senkung der Standards kommt vor allem Kanada, Russland und Japan zugute. Nur Europa nimmt echte Reduktionen auf sich.

Dabei erweist sich immer mehr, dass Öko-Investitionen zwar etwas kosten, aber auch wirtschaftliche Vorteile bringen. Nach aktuellen Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe sowie des World Wide Fund for Nature lassen sich durch bessere Energienutzung in Deutschland CO2-Einsparungen um bis zu 30 Prozent erzielen. Die dafür nötigen Investitionen sind keineswegs nur Kostenfaktoren: Technische Innovationen im Energiesparbereich bauen die Vorreiterrolle Europas in diesem Sektor aus und mehren die Exportchancen für "ökoeffiziente" Technologien.

Wenn die Vereinigten Staaten in Klimafragen weiter so abseits stehen wie Ende Juli in Bonn, drohen sie – ähnlich wie seinerzeit beim Auto – die Entwicklung im Umwelt- und Energiesektor zu verschlafen. Zwar haben sie seit 1990 stolze 18 Milliarden Dollar unter dem Titel "Erforschung des globalen Wandels" ausgegeben. Davon entfielen allerdings 70 Prozent auf die Weltraumbehörde NASA für Satelliten zur Umweltüberwachung. Die meisten Computer-Simulationen für die jüngsten IPCC-Berichte leisteten keineswegs amerikanische Supercomputer, sondern Institute in Großbritannien und Deutschland, hier insbesondere das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg.

Dafür kommen aus den USA eher hilflos anmutende Vorschläge, man solle nicht gegen die CO2-Emissionen direkt vorgehen, sondern die Folgen nachträglich mindern. Dazu zählt die Idee, das klimawirksame Gas unter der Erde oder in der Tiefsee zu deponieren (SdW 5/2000, S. 48). Ist das noch halbwegs disku-tabel, so muten andere Vorschläge schlicht aberwitzig an. Etwa der des amerikanischen Astrophysikers und Science-Fiction-Autors Gregory Benford, die Wolkenbildung über den Weltmeeren durch den Bau von Kraftwerken auf entlegenen Inseln zu fördern, sodass dort Dampffahnen aus den Kühltürmen quellen und das Sonnenlicht abschirmen. Aber auch in Städten könnten, so Benford, weiße Dächer, helleres Straßenpflaster, schattige Bäume und sommerliche Textilfarben die Reflexion des Sonnenlichts fördern und die urbane Erwärmung mindern (FAZ vom 24.7.01).

Ganz gewiss wird das Verbot dunkler Anzüge den globalen Klimawandel nicht aufhalten. Wer angesichts des Bonner Klima-Trauerspiels Schwarz tragen möchte, mag das also ruhig tun. Als Trost bleibt nur, den winzigen Schritt als Zwischenstation auf dem langen Weg zur unerlässlichen Bewirtschaftung unserer Atmosphäre zu betrachten. Doch die Frist zum Abwenden einer Katastrophe ist nicht beliebig lang – schon bald kann sie abgelaufen sein.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2001, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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