Nachgehakt: Die Crux mit den Zukunftsvisionen
Wie werden wir leben – in zwanzig, in fünfzig Jahren? Schon in naher Zukunft dürften die fossilen Energieträger zur Neige gehen; einen Vorgeschmack der dann auftretenden Spannungen und Verteilungskämpfe gab der jüngste Irak-Krieg, bei dem es zweifellos auch um den ungehinderten Zugang der Industrieländer zu billiger Primärenergie ging. Außerdem belasten die beim Verbrennen von Erdöl und Erdgas erzeugten Kohlen- und Stickoxide die globale Umwelt. Was wird erst, wenn die insgesamt rund zwei Milliarden Inder und Chinesen von Tieren und Fahrrädern auf Autos umsteigen? Alternativen zur fossilen Energiewirtschaft sind also dringend gefragt – aber welche? Wann sind sie einsatzbereit? Antworten kann nur die Wissenschaft liefern.
Doch Vorhersagen sind heikel. "Die Zukunft hat schon begonnen", titelte Robert Jungk vor vierzig Jahren und zitierte die seinerzeit aktuellste Prognose aus dem Jahre 1960: Binnen zehn Jahren würde der erste Mensch den Mond betreten – richtig! –, der Computer sollte die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns erreichen, Krebs heilbar sein und die Kernfusion technisch beherrschbar werden – alles falsch! Aber nicht nur als notorische Optimisten, auch als Kassandras hatten Zukunftsforscher meist wenig Fortüne. Das berühmte Weltmodell des "Club of Rome" von 1974 sagte eine baldige globale Katastrophe voraus. Es konfrontierte die unleugbare Tatsache, dass die Erde ein endliches System ist, mit exponentiell ansteigenden Kurven für Bevölkerungswachstum, Energie- und Nahrungsbedarf. Wenn aber ein Trend wie die steigende Anzahl der Autozulassungen mit einer Funktion, die schneller anwächst als jede Potenz, in die Zukunft extrapoliert wird, kommt blitzschnell der Tag, an dem die ganze Erde ein einziger Parkplatz ist. Darum sagte der "Club of Rome" den – bei ungebremstem Wachstum tatsächlich unausweichlichen – Kollaps des Weltsystems viel zu früh voraus. Solche Untergangsprognosen wiederum verführen, wenn sie nicht eintreffen, im Gegenzug zu grundlosem Optimismus (siehe "Die Lomborg-Kontroverse", SdW 8/2002, S. 36). Jüngst hat ein Team von amerikanischen und britischen Wissenschaftlern einmal mehr in aller Ausführlichkeit die Frage untersucht, wie der Mensch den global wachsenden Energiebedarf künftig befriedigen kann, ohne zugleich das Erdklima durch riesige Kohlendioxid-Emissionen aus dem Lot zu bringen (Science, Bd. 298, S. 981). Das Ergebnis ist ernüchternd: Selbst unter Einsatz aller derzeit verfügbaren Technologien sei dieses Ziel nicht zu erreichen. Darum setzen die Autoren der Studie in einer kuriosen Mischung aus Pessimismus und Science-Fiction erneut auf Technologien, deren Realisierbarkeit in den Sternen liegt. Unter anderem erwarten sie – wie schon weiland Robert Jungk – die baldige Nutzung der kontrollierten Kernfusion.
Zugleich machen sie abenteuerliche Vorschläge, das vom Treibhauseffekt aufgeheizte Erdklima künstlich zu kühlen – etwa den, Staub in die Stratosphäre zu schießen, um die Sonneneinstrahlung zu dämpfen. Sogar ein kosmischer Sonnenschirm von 2000 Kilometer Durchmesser wird erwogen. Traditionellen Umweltschützern sind solche Visionen natürlich ein Gräuel. Sie hoffen stattdessen mehr oder minder blauäugig, dass Maßnahmen zum sinnvollen Energiesparen das Wachstum des Energiehungers schon bremsen werden. Zudem setzen sie auf die klimaschonende Wirkung bereits verfügbarer Alternativenergien (Science, Bd. 300, S. 581). Dass die Wissenschaftler sich wieder einmal über die Zukunft nicht einigen können, ist zwar bedauerlich, aber kein Wunder. Wie der Philosoph Karl Popper betont hat, lässt sich die Zukunft schon allein deshalb nicht vorausberechnen, weil wir eben heute nicht wissen können, was Forscher morgen entdecken und Techniker übermorgen erfinden. Darum dürfen wir hoffen – und müssen uns Sorgen machen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2003, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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