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Nachgehakt: Mozart für das Volk!


Wer das Ansehen der Forschung fördern will, darf einfache Worte nicht scheuen


Mozart war ein Genie, doch fördert seine Musik Intelligenz? Frances H. Rauscher, Psychologin an der Universität von Wisconsin, entdeckte 1993, daß das Anhören der Mozart-Sonate für zwei Klaviere KV 225 in D-Dur den Probanden bei bestimmten Tests einige Punkte auf der IQ-Skala brachte. Mozart-basierte Intelligenzförderer kamen auf den Markt. Zu wenig, möchte man meinen, klagen Wissenschaftler doch über mangelndes Verständnis seitens der Öffentlichkeit für ihr Metier.

Im August dieses Jahres veröffentlichte Christopher F. Chabris von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) eine Auswertung mehrerer Studien zum "Mozarteffekt" im Fachmagazin "Nature". Seine Schlußfolgerung: Es gibt ihn gar nicht, oder er ist vernachlässigbar. Rauscher erwiderte, sie habe im Unterschied zu den von Chabris verwendeten Studien ausschließlich räumliches Vorstellungsvermögen und die Fertigkeit, zeitliche Reihenfolgen zu bilden, getestet; die Studien seien mithin nicht vergleichbar.

Ein Streit unter Experten also, möchte man meinen, nicht uninteressant für die Erforschung der Intelligenz oder der Wirkungsweise von Musik. War Mozart nun ein Genie, weil er seine Art von Musik schrieb? Welchen Einfluß hatte das Geigenspiel Einsteins auf seine Relativitätstheorie?

Spaß beiseite, Intelligenz ist eine der Ressourcen, die dem Menschen Überleben und Fortschritt ermöglicht. Fördermittel nach Mozart-Art wären also wirklich ein Segen, um so mehr, als die Anforderungen an das geistige Vermögen steigen: In der Flut der jederzeit verfügbaren Informationen gehen schlechte Schwimmer unter. Die Wissenschaft hat ihren Teil dazu beigetragen, die Welt komplizierter zu machen, nicht zuletzt dank der Neigung, Erkenntnisse in unanschauliche Wortschöpfungen zu kleiden. Das Ergebnis: Unverständnis für ihr spezielles Anliegen und Mißtrauen.

Als vertrauensbildende Maßnahme propagieren die wissenschaftlichen Institutionen eine intensivere Kommunikation von Forschung. Doch wen wollen sie ansprechen, Akademiker und Ingenieure, wie allein die Wortschöpfung vom "Public Understanding of Science" nahelegt? Wie erreichen sie jene Menschen, die sich über die Regenbogenpresse oder Unterhaltungs-sendungen informieren?

Es hilft nichts: Forscher müssen lernen, ihr Tun auch in solchen Medien zu vermitteln, ohne dies als ehrenrührig zu empfinden. Vereinfachungen sind keine Schande, sondern notwendiges Verständigungsmittel.

Und so fragt sich ein einfach denkender Mensch: Welche meiner Geisteskräfte fördert denn nun der Mozarteffekt, Frau Rauscher, und was muß ich dafür tun? Und: Warum soll nun falsch sein, was zuvor als belegt galt? Ein bißchen mehr human touch kann nicht schaden, wenn die Forscher an die Presse gehen, denn schließlich zahlen alle in den Topf der Fördermittel. Ohne eine spezifische Ansprache auch nichtakademischer Bevölkerungsschichten geraten die gut gemeinten Kommunikationsprogramme zum Gesellschaftstanz in besseren Kreisen. Und die Kluft wächst weiter.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1999, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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