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Nachgehakt: Reinemachen in der Großforschung


Reinemachen in der Großforschung?
Konsequent wäre eine Privatisierung der Helmholtz-Gemeinschaft


Wieder einmal steht die deutsche Großforschung auf dem Prüfstand. Nach der Evaluation der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft sind nun nach der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) die in der „Blauen Liste“ zusammengefaßten Forschungsinstitute sowie die DFG an der Reihe. Gleichzeitig überprüft der Wissenschaftsrat einzelne Forschungsgebiete der Großforschung.

Das Gesamtergebnis aller laufenden Evaluationen wird Ende 2000 vorliegen. Damit soll eine – auch im Bundesforschungsministerium – Jahre dauernde Diskussion um die Reform der deutschen Forschungslandschaft ihren Abschluß finden.

Als Mitte der neunziger Jahre etwa die Industrie in der „Weule-Kommission“ forderte, die Anwendungsorientierung in der Großforschung auf 70 Prozent zu erhöhen, erhob sich soviel Geschrei um die „Freiheit der Forschung“, daß der Vorstoß sofort wieder vom Tisch war. Im Februar dieses Jahres dann zog der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) in die Schlacht – mit einer Studie unter dem Titel „Die deutsche Forschungslandschaft muß sich ändern“. Implizit ging es dem ZVEI dabei vor allem um die Dinosaurier FZ Karlsruhe und FZ Jülich. Diese dominieren die in der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF) zusammengefaßten Forschungsstätten – mit 16 Instituten, 22500 Mitarbeitern und 3,9 Milliarden Mark Jahresbudget ein kräftiger Kostgänger in der deutschen Forschungslandschaft.

Seitdem vor allem „Jülich“ und „Karlsruhe“ ihre ursprüngliche Mission der Kernforschung verloren haben, gibt es Orientierungs- und Ordnungsbedarf. Denn bei einem weit gefächerten Spektrum von Projekten besteht die Gefahr, daß sich die Institute in ihrer Arbeit verzetteln und oft nur noch Mittelmaß produzieren. In der Vergangenheit gab es freilich schon genügend Versuche, gezielt auf die HGF Einfluß zu nehmen – ein Sisyphus-Unterfangen, da die Trägheit des öffentlichen Dienstes nicht nur unsere Hochschulen in die „Planwirtschaft“ (Roman Herzog) getrieben hat. Der ZVEI fordert in letzter Konsequenz die

‰ Auflösung der HGF: Institute, die der Neugier- und Grundlagenforschung nahestehen, sollten der Max-Planck-Gesellschaft, andere mit Orientierung auf Innovationsentwicklung der Fraunhofer-Gesellschaft zugeschlagen werden.

Daß sich die HGF da heftig zur Wehr setzen würde, war zu erwarten. Ihr Vorsitzender Detlev Ganten moniert vor allem die ZVEI-Sicht auf den Bereich Elektrotechnik. Daraus Folgerungen für die gesamte Forschungslandschaft zu ziehen, sei jedoch „nicht hilfreich“. In der Tat läßt sich schwer nachvollziehen, was eine bloße namentliche Umwidmung der Zentren Jülich und Karlsruhe an Inhalten und Forschungsqualität ändern könnte.

Die HGF bestreitet indes einen Reformbedarf nicht, favorisiert aber ein

‰ Holding-Modell: Danach soll der lose HGF-Verbund in eine schlagkräftigere Struktur umgewandelt werden, an deren Spitze eine Art geschäftsführender Holding die Programmentscheidungen trifft. Das Zauberwort für die HGF lautet „Vorsorgeforschung“. In acht großen Gebieten – Umwelt, Erdsysteme, Energie, Gesundheit, Verkehr und Weltraum, Struktur der Materie, Information und Kommunikation sowie Schlüsseltechnologien – will sie ihre Zukunftsfähigkeit behaupten. Ganten schlägt vor, daß die Forschungsinteressen der Institute in diesen Bereichen „zentrenübergreifend in Verbünden koordiniert und interdisziplinär mit nationaler und internationaler Vernetzung bearbeitet“ werden könnten. Daraus spricht jedoch mehr Wunschdenken als Realismus. Denn es läßt sich bezweifeln, daß die HGF in der Lage ist, aus eigener Kraft eine Straffung der Programmstruktur durchzusetzen.

Interessanterweise bewertet der Wissenschaftsrat nicht einzelne Institute, sondern geht querschnitthaft nach der Programmstruktur vor – beginnend mit dem Thema „Umwelt“. Dies entspricht der Vorstellung des BMBF. Das sieht „Veränderungsbedarf vor allem darin, die Steuerung der HGF-Zentren über Programme zu realisieren und sie gleichzeitig von bürokratischen Fesseln zu lösen.“ Darüber sind sich freilich alle einig. Auch Detlev Ganten fordert für die HGF eine „Befreiung von den administrativen Fesseln und Überregulierungen“. Doch weil offensichtlich soviel Änderungsbedarf besteht, könnte der konsequenteste Vorschlag zur HGF-Reform Anhänge finden, das

‰ Privatisierungs-Modell: Alle HGF-Zentren würden in ihren Teilen nach den Kategorien „erkenntnisorientiert“ oder „industrienah“ unterschieden. Die industrienahen Institute würden auf eine mögliche Privatisierung hin geprüft. Dann können sie an einschlägige Firmen verkauft oder wirtschaftlich auf eigene Füße gestellt werden. Andere Institute würden entweder als reine Forschungsinstitute aufgelöst oder erhalten bleiben. Ihre Angliederung „zurück an die Universitäten“ hätte jedenfalls ein gelungenes Vorbild: die Abwicklung der ostdeutschen Akademie der Wissenschaft.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1999, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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