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Nachweis eines Mantelplumes unter Frankreichs Zentralmassiv durch seismische Sondierung

Anhand der Laufzeiten von Fernbebenwellen wurde die Temperaturverteilung unter der großen vulkanischen Erhebung westlich des Rhone-Tals bei Lyon bestimmt. In Verbindung mit geochemischen und petrologischen Befunden legen die Ergebnisse nahe, daß sich dort ein säulenartiger Aufstrom von tieferem Mantelmaterial befindet.

Das französische Zentralmassiv gehört zu einem großen europäischen Vulkangürtel, der sich nördlich des Alpenbogens von Frankreich über Deutschland (Eifel) bis nach Polen und Tschechien (Egergraben) erstreckt. Er ist charakterisiert durch relativ primitive, das heißt beim Aufstieg kaum veränderte Magmen, die reich an Alkalimetallen und arm an Kieselsäure sind; sie weisen starke Ähnlichkeiten mit dem ozeanischen Basalt auf, der auf Vulkaninseln wie Hawaii oder Island austritt. Der Ursprung dieser alkalischen Schmelzen war bisher nicht bekannt.

Dagegen ist das Alter des Vulkanismus im Zentralmassiv durch Datierungen anhand des radioaktiven Isotops Kalium-40 und seines Zerfallsprodukts Argon-40 sowie mit der Radiokohlenstoffmethode sehr gut bestimmt. Demnach lag die Hauptaktivität im Tertiär (65 bis 2 Millionen Jahre vor der Gegenwart). Sie kulminierte in der Bildung zweier Schichtvulkane: dem Cantal vor 11 bis 2,5 und dem Mont Dore vor 4 bis 0,3 Millionen Jahren. Die jüngsten Eruptionen im Bereich der Chaine des Puys liegen nur ungefähr 4000 Jahre zurück.

Im Norden endet das Zentralmassiv am Limagne-Forez-Grabensystem, das seinerseits aus dem Oligo- und Miozän (der Zeit vor 38 bis 7 Millionen Jahren) stammt. Auch hier kam es vereinzelt zu lokal begrenztem Vulkanismus.

In einem großen seismischen Feldexperiment erkundeten wir von Herbst 1991 bis Frühjahr 1992 den Untergrund des Zentralmassivs, um Genaueres über den Ursprung des Vulkanismus zu erfahren. Für den Versuch installierten wir zusätzlich zu den 20 Stationen des permanenten seismisches Netzes in der Auvergne 80 mobile, digitale seismische Registriergeräte. Sie waren derart verteilt, daß sie die wichtigsten Vulkanzentren des Zentralmassivs und den Limagne-Graben möglichst gleichmäßig überdeckten (Bild 1). Im Mittel standen sie so dicht, daß sich im Zentrum des Netzwerks noch Strukturen von ungefähr 15 Kilometer Kantenlänge auflösen ließen. Andererseits erlaubte die Gesamtausdehnung des Netzes von 425 Kilometern in Ost-West- und 300 Kilometern in Nord-Süd-Richtung, ein Bild des Untergrunds bis in 270 Kilometer Tiefe zu gewinnen.

Gemessen wurden die Laufzeiten von longitudinalen seismischen Druckwellen – kurz P-Wellen genannt – auf dem Weg von ihrem Ursprungsort, also dem Hypozentrum des betreffenden Erdbebens, zu den verschiedenen Meßstationen. Aus den Differenzen zwischen beobachteten und theoretischen Werten läßt sich mit dem mathematischen Verfahren der Inversion die Variation der seismischen Geschwindigkeiten innerhalb des untersuchten Gesteinskörpers berechnen.

Bild 2 zeigt das so gewonnene Tomogramm als dreidimensionales Blockdiagramm, bei dem die südöstliche Ecke ausgeschnitten wurde. Die auffälligste Struktur ist ein (rot dargestelltes) Gebiet erniedrigter P-Wellen-Geschwindigkeit, das sich von der Untergrenze des Blocks bis an die Oberfläche erstreckt und an der Basis ungefähr 200 Kilometer breit ist. Die Werte im Zentrum dieser Anomalie sind um 2 bis 2,5 Prozent geringer als in der Umgebung.

Das Tomogramm zeigt einen direkten räumlichen Zusammenhang der Zonen erniedrigter P-Wellen-Geschwindigkeiten mit den Vulkanen Cantal und Mont Dore an der Oberfläche. Dagegen las-sen sich – anders als zum Beispiel beim Ostafrikanischen Grabenbruch – keine besonders ausgeprägten Strukturen mit dem Südende des Limagne-Grabens in Verbindung bringen. Zu den östlichen Ausläufern des Zentralmassivs hin ist die Zone niedriger Geschwindigkeit klar begrenzt.

Wie sind diese Ergebnisse nun geodynamisch zu deuten? Mit gut 2 Prozent ist die Erniedrigung der P-Wellen-Geschwindigkeit zu gering, als daß sie durch große Anteile an geschmolzenem Material im Untergrund verursacht sein könnte. Unter diesen Umständen läßt sie sich am besten durch eine Temperaturerhöhung von 150 bis 200 Celsiusgraden gegenüber dem umgebenden Mantel erklären; denn je wärmer eine Gesteinsmasse ist, desto langsamer breiten sich Erdbebenwellen darin aus. Wenn man zudem bedenkt, daß der Vulkanismus in den letzten zwei Millionen Jahren auf einige eng begrenzte Gebiete im Bereich des Zentralmassivs beschränkt war, kann man die Geschwindigkeitsanomalien als Restspur eines thermischen Signals interpretieren, das allmählich abklingt; die mit ihm zusammenhängende magmatische Aktivität hatte ihren Höhepunkt im Miozän bis Pliozän (vor 25 bis 2 Millionen Jahren).

Auf der Basis verschiedener älterer geophysikalischer und petrologischer Studien haben insbesondere Francis Lucazeau und Roger Bayer vom Zentrum für Geologie und Geophysik in Montpellier schon 1982 postuliert, daß sich unter dem Zentralmassiv die Asthenosphäre (die zähplastische Mantelschicht unter der starren Lithosphäre, welche die äußere Erdschale bildet) nach oben ausbeult. Unsere tomographischen Ergebnisse bestätigen diese Hypothese eines asthenosphärischen Diapirs. Gleichzeitig präzisieren sie die räumliche Ausdehnung, Form und Amplitude der Anomalie bis in größere Tiefen.

In dieses Bild passen auch geochemische Befunde, die eine von uns (Marjorie Wilson) gemeinsam mit Hilary Downes vom Birkbeck-College in London kürzlich an Proben aus verschiedenen west- und zentraleuropäischen Vulkangebieten gewonnen hat; untersucht wurden der Gehalt an Spuren- und Hauptelementen sowie das Verhältnis verschiedener Isotope von Strontium, Neodym und Blei.

Die Gesteine waren durchweg aus gering differenzierten, das heißt nahezu unveränderten Magmen erstarrt. Ihre geochemische Signatur ergab als Quelle eine Mischung von litho- und asthenosphärischem Mantelmaterial, wobei die lithosphärische Komponente mit wenigen Ausnahmen lediglich einen geringen Anteil hatte.

Besonders bemerkenswert ist, daß diese Komponente zwar je nach der Grundgebirgsscholle, von der sie stammt, in ihrer Zusammensetzung variiert, der asthenosphärische Anteil jedoch unabhängig von der geographischen Lage stets fast identisch ist. Dies deutet auf einen gemeinsamen Ursprung hin.

Aus alledem schließen wir, daß sich unter dem Zentralmassiv ein sogenannter Plume befindet, ein pilzförmiger Aufstrom von Gesteinsmaterial aus tieferen Mantelregionen ähnlich dem, der beispielsweise die Hawaii-Inselkette geschaffen hat, während die Pazifische Platte darüber hinwegdriftete. Er ist allerdings sicherlich sehr viel kleiner als der Hawaiianische und auch nicht mehr aktiv: Der von ihm ausgehende Vulkanismus hat seit dem Miozän-Pliozän deutlich abgenommen und ist inzwischen praktisch erloschen.

Demgegenüber scheinen vor allem die geochemischen Befunde darauf hinzuweisen, daß es sich nicht um eine isolier-te Erscheinung handelt. Vielmehr dürfte der asthenosphärische Diapir unter dem Zentralmassiv zu einem umfangreichen System von kleinen Mantelplumes gehören, die den verbreiteten tertiär-quartä-ren Vulkanismus in Europa hervorgerufen haben. Weitere solche ehemaligen Magmapilze sollten sich beispielsweise unter der Eifel und dem Böhmerwald befinden.

Woher aber stammen diese Plumes? Ihre mäßige Größe und der relativ geringe Temperaturunterschied zur Umgebung legen einen nicht allzu tiefen Ursprungsort nahe. Dabei könnte es sich um die Grenze zwischen oberem und unterem Mantel in 670 Kilometern Tiefe handeln. Denkbar wäre allerdings auch, daß die west- und mitteleuropäischen Plumes von einer thermischen Instabilität in nur etwa 400 Kilometern Tiefe herrühren, an der sich bei bestimmten Mineralen des Erdmantels wegen des zunehmenden Drucks die Kristallstruktur ändert.

In diesem Falle könnte die alpidische Kollision als Auslöser gewirkt haben, indem sie eine Art tektonische Welle in Form einer sich extrem langsam ausbreitenden Änderung der Druck-Spannungs-Verhältnisse in Bewegung setzte, die sich über die Lithosphärenwurzel nach unten fortpflanzte. Beim Auftreffen auf die Diskontinuität in 400 Kilometern Tie-fe hätte sie dort möglicherweise eine Störung hervorgerufen, durch die sich Mantelmaterial ablöste und nach oben strömte.

Vorerst müssen diese Überlegungen noch Spekulationen bleiben, weil das vorliegende Datenmaterial keine seismisch klare Auskunft gibt. Um auch über diesen Tiefenbereich quantitative Aussagen machen zu können, müßte man im Rahmen eines größeren Experiments hochwertige Meßapparaturen in einem noch dichteren und weiter gespannten Netz aufstellen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1995, Seite 28
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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