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Natürliche Verstärkungsfasern für Kunststoffe


Naturstoffe waren bis vor etwa 70 Jahren auch in den heutigen Industrieländern die wichtigste Ressource zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen und technischen Produkten aller Art. Textilien, Seile und Segeltuch entstanden beispielsweise aus Flachs und Hanf. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts fertigte man Sessel und Kraftstoffbehälter früher Flugmaschinen aus Naturfasern mit einem geringen Anteil an polymeren Bindern; und 1908 dienten Papier und Baumwolle der Verstärkung von Phenol- oder Melamin-Formaldehyd-Harzen – so entstanden erste Verbundwerkstoffe zur Massenproduktion von Platten und Rohren für die Elektrotechnik.

Doch billiges Erdöl und eine sich in den fünfziger und sechziger Jahren rasch entwickelnde Petrochemie ließen Kunststoffe bald dominieren, insbesondere im technischen Bereich. Erst in den letzten Jahren gewannen nachwachsende Rohstoffe durch Ansätze zu nachhaltigem Wirtschaften wieder an Interesse.

Die hochtechnisierten Länder können dabei von der Dritten Welt lernen, wo man nie auf Naturfasern zu verzichten vermochte. So forschen beispielsweise in Indien mehrere Institute über Jute und nutzen deren Fasern im Verbund mit Polyester für Halbzeuge, Rohre und Paneele. In Großprojekten, von der indischen Regierung gefördert, wurden solchermaßen verstärkte Polyesterharze sogar zum Bau eines Hauses (Madras-Haus, 1978) sowie eines Getreidespeichers verwendet. Mit Stroh vermengter Lehm ist nach wie vor in vielen Regionen der Erde ein wichtiges Baumaterial (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1981, Seite 15, und Februar 1982, Seite 22); für bescheidene architektonische Aufgaben wird es sogar in der Bundesrepublik wieder empfohlen (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1985, Seite 14).

Die westliche, insbesondere die deutsche Forschung konzentriert sich auf innovative Lösungen für die Automobilindustrie. Beispielsweise gewann man in der DDR jahrzehntelang Verstärkungsfasern für die Kunststoffkarosserie des "Trabant" aus Textilabfällen. Derzeit entwickelt das Unternehmen Mercedes-Benz eine K-Serie, wobei das K für "Kraut" beziehungsweise "Kompost" steht: Als Ausgangsmaterial werden Holz, Flachs, Ramie und künftig – sofern der Anbau wieder erlaubt ist – auch Hanf untersucht. Erprobt werden bereits Türverkleidungen aus Holzpreßstoffen oder Naturfaserpreßmassen und Formhimmel aus flachsfaserverstärkten Epoxidharzen oder Polyurethanen.


Anforderungen technischer Anwendungen

Naturfasern lassen sich in drei Gruppen einteilen: pflanzliche wie Baumwolle, Flachs, Hanf, Ramie, Jute und Sisal, tierische wie Wolle und Seide sowie mineralische wie Asbest. Zur Verstärkung von Kunststoffen nutzt man allerdings üblicherweise die pflanzlichen Fasern. Sie können aus Haarbildungen bestehen wie bei Baumwolle und Kapok, aus Faserbündel genanntem Stützgewebe zweikeimblättriger Pflanzen sowie aus Bündeln von Wasser und Nährstoffe transportierenden Gefäßen einkeimblättriger Gewächse wie Flachs oder Sisal. Für technische Anwendungen müssen diese Materialien in definierter Qualität, ausreichender Menge und über einen längeren Zeitraum verfügbar sein. Derzeit werden weltweit etwa 3,6 Millionen Tonnen Jute- und 0,8 Millionen Tonnen Flachsfasern pro Jahr produziert (im Vergleich zu 1,2 Millionen Tonnen Glasfasern). Zwar weisen unter den pflanzlichen die Flachsfasern die höchste Festigkeit auf, sind aber bis zu 30 Prozent teurer als solche aus Glas; zudem schwankte der Preis in den letzten Jahrzehnten. Er hängt großenteils von der Aufbereitung ab, denn diese bestimmt die Faserqualität. Naturgemäß ist das Ausgangsmaterial in seinen Eigenschaften wesentlich inhomogener als synthetisch produziertes. Dementsprechend gilt es, durch geeignete Aufschlußverfahren oder eine Faserbehandlung die Eigenschaften der einzelnen Fasern zu vereinheitlichen. Das betrifft zum einen den Grad der Vereinzelung von Fasern, wozu auch die auf dem Bündel befindliche Klebschicht zu entfernen ist (Degummierung), zum anderen strukturelle Eigenschaften, welche die mechanischen Kennwerte bestimmen, sowie die Beschaffenheit der Faseroberflächen. Sie sind letztlich dafür verantwortlich, wie gut die Kunststoffmatrix anhaftet, ob Wasser in die Faser eindringen kann und wie schlecht entflammbar sie ist. Hingegen sind technische Glasfasern üblicherweise bereits mit einer Schlichte zur Verbesserung der Faser-Matrix-Haftung versehen, was die Kosten senkt. Aus ökonomischen Gründen werden sich Glasfasern also kaum durch natürliche substituieren lassen. Andererseits bieten nachwachsende Rohstoffe ökologische Vorteile wie Schonung von Ressourcen und die neutrale Kohlendioxid-Bilanz (bei der Verbrennung wird nur so viel CO2 abgegeben, wie die Pflanze während des Wachstums aufgenommen hat). Auch wären Bauteile aus entsprechenden Verbundwerkstoffen einfacher zu entsorgen, solche mit biologisch abbaubaren Kunststoffen als Matrix sogar kompostierbar – allerdings auch nur für spezielle Anwendungen zu gebrauchen.

Struktur und Eigenschaften pflanzlicher Fasern

Alle Pflanzenfasern ähneln einander in der chemischen Zusammensetzung, wobei der wesentliche Bestandteil – Cellulose – zwischen 60 und 85 Gewichtsprozent variieren kann; außerdem enthalten sie Hemicellulose, Lignin und Pektin. Das Verhältnis dieser Stoffe wird vor allem durch die Bodenverhältnisse im Anbaugebiet, das Wetter während des Wachstums, das Alter und das Aufschlußverfahren beeinflußt.

Die physikalisch-mechanischen Eigenschaften bestimmt wesentlich die strukturelle Anordnung der genannten Komponenten. Üblicherweise besteht eine Filament genannte Grundeinheit der Pflanzenfasern aus Zellen, die einen mehrschichtigen Verbund bilden. Jede Lage enthält mehrere kristalline, also geordnete Cellulose-Bereiche, die über amorphe Lignin- und Hemicellulose- Partien miteinander verbunden sind. Bei den meisten Faserpflanzen teilt sich eine einzelne Zelle in mehrere konzentrische Lagen, die primäre und drei sekundäre Zellwände (Bild 1); letztere unterscheiden sich unter anderem in ihrer Zusammensetzung und der Orientierung der Cellulosebereiche, so daß sich für jede Pflanzenfaser verschiedene mechanische Kennwerte ergeben (Bild 2). Weitere Parameter sind der Polymerisationsgrad, die Kristallstruktur (etwa je nach Cellulosetyp), die Kettenorientierung in kristallinen und nichtkristallinen Bereichen sowie Gehalt und Größe von Poren.

Pflanzenfasern haben, bezogen auf die Materialdichte, allgemein relativ hohe Festigkeiten und Steifigkeiten. So ist die Dichte von Naturfasern im Mittel halb so groß wie die von Glasfasern, dadurch ergeben sich beispielsweise für Flachs auch ähnliche Eigenschaften. Allerdings streuen die Kennwerte, wie erwähnt, wesentlich stärker.

Zur Fertigung von Verbundwerkstoffen hoher Qualität ist eine gute Faser-Matrix-Haftung, salopp gesagt eine gute Verklebung der Fasern mit dem Kunststoff, erforderlich. Um diese zu verbessern, eignen sich chemische Lösungen, üblicherweise Substanzen mit Molekülgruppen, die einerseits mit der Faseroberfläche und andererseits mit dem Kunststoff zu reagieren vermögen; Beispiele dafür sind Silane, Maleinsäureanhydrid und Polymethylen-Polyphenyl-Isocyanat. Physikalisch kann man die Oberflächen beispielsweise durch Beschuß mit hochenergetischen Ionen (Corona- und Cold-Plasma-Verfahren) aktivieren. So erhöhen sich im Verbund, je nach Faser-Kunststoff-Kombination, die erwünschten mechanischen Kennwerte bis auf das Doppelte.


Umwelteinflüsse

Im Unterschied zu Fasern aus Glas oder Kohlenstoff unterliegen natürliche stark der Alterung infolge äußerer Einwirkungen. Bei kompostierbaren Werkstoffen ist das freilich günstig.

Säuren und Laugen sowie ultraviolette Strahlen vermögen beispielsweise den Zusammenhalt natürlicher Fasern zu zerstören (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, September 1995, Seite 96); dem läßt sich allerdings mittels geeigneter Modifikatoren teilweise vorbeugen. Enzyme bauen nichtmodifizierte Cellulose-Naturfasern innerhalb eines halben bis ganzen Jahres ab. Auch dagegen gibt es eine Behandlung, die diesen Zeitraum auf mehr als zwei Jahre ohne Veränderung der mechanischen Kennwerte verlängert; trockene Lagerung ergibt sogar zweieinhalb Jahre bei nur geringen Änderungen speziell von Festigkeit und Bruchdehung, wobei Sisal im Vergleich zu den Bastfasern Henequen und Abaka stabiler ist.

Trocknung vermag sogar den negativen Einfluß von extremem Frost, also Temperaturen von etwa -70 Grad Celsius, auf die Festigkeit zu reduzieren. Hohe Temperaturen um 130 Grad Celsius bewirken nach etwa 80 Tagen einen deutlichen Abbau, wodurch sich die Festigkeit von Baumwolle auf 68 (bei 100 Grad auf 10) Prozent des Ursprungswerts vermindert; bei Flachs sind es 41 beziehungsweise 12, bei Ramie 26 beziehungsweise sechs Prozent.

Im Verbund mit einer Kunststoffmatrix verringert Feuchte die mechanischen Kennwerte, wobei sich Meerwasser deutlich stärker als Süßwasser auswirkt. Zudem können dann auch Bakterien und Pilze das Material befallen. Ramie- und Jutefasern sind gegen solche Einflüsse resistenter als andere Pflanzenfasern.

Naturfaserverstärkte Kunststoffe

Mit Naturfasern verstärkt man meist Duro- und Thermoplaste. Erstere vernetzen so, daß sie sich danach nicht mehr formen lassen; Beispiele sind Epoxid- und Polyesterharze. Thermoplaste wie die Polyolefine hingegen nutzt man für Halbzeug, das mittels Wärme in die Endform gebracht wird.

Die ökonomisch wichtigsten naturfaserverstärkten Duroplaste sind derzeit die SMC (Sheet-Moulding Compound) und BMC (Bulk-Moulding Compound) genannten Werkstoffe. Daraus bestehen schon häufig Stoßfänger, Heckklappen und Spoiler von Automobilen sowie Abschirmungen und Gehäuse elektrischer Geräte.

Thermoplastische Halbzeuge werden zwar für technische Anwendungen bevorzugt eingesetzt, nicht zuletzt, weil sich die Kunststoffe wieder einschmelzen und erneut verwenden lassen, doch ist die thermische Stabilität von Naturfasern auf etwa 230 Grad Celsius begrenzt. Für Verbundwerkstoffe eignen sich deshalb nur solche Thermoplaste, deren Verarbeitungstemperatur diesen Wert nicht überschreitet. Dies sind in erster Linie Polyolefine wie Polyethylen und Polypropylen (Polyamid, Polyester und Polycarbonat sind, weil sie mehr als 250 Grad Celsius erfordern, wenig oder nicht geeignet).

Innerhalb dieser Werkstoffgruppe ist der sogenannte glasfasermattenverstärkte Thermoplast (GMT) der wirtschaftlich wichtigste Vertreter. Das Chemieunternehmen BASF in Ludwigshafen entwickelte deshalb einen naturfasermatten-verstärkten Thermoplast (NMT): Zunächst werden Matten durch Vernadeln eines Fasergeleges hergestellt (eine sogenannte Krempelanlage löst Faserflocken zu einem gleichmäßigen Flor auf; mit Nadeln wird dieser zum Vlies verdichtet). In einer Doppelbandpresse führt man sie dann mit einer Polypropylen-Schmelze zwischen umlaufenden Stahlbändern zusammen. In einer Heißpreßzone schmilzt der Kunststoff auf und durchtränkt die Fasermatten, und schließlich wird das Material unter Druck abgekühlt.

Das Ulmer Forschungszentrum des Unternehmens Daimler-Benz entwickelte alternativ dazu ein Extrusions-Preßverfahren (kurz Express genannt): In eine entsprechend geformte, temperierte Presse werden Naturfaservliese eingelegt und darauf thermoplastische Schmelzefilme mit einem verfahrbaren Extruder aus einer Breitschlitzdüse aufgetragen; anschließend wird beides verpreßt. Bei einer optimal auf das Bauteil abgestimmten Verfahrensführung läßt sich mit einmaligem Extrudieren ein Schichtaufbau aus zwei Vliesen mit dem Schmelzefilm dazwischen herstellen.

Allerdings zeigen bislang veröffentlichte Untersuchungsergebnisse, daß die mechanischen und physikalischen Eigenschaften naturfaserverstärkter Kunststoffe nur bedingt die Kennwerte glasfaserverstärkter erreichen. Durch Kombination von Natur- mit Glas- oder Kohlenstoff-Fasern läßt sich dies teilweise ausgleichen; auch werden solche Hybridverbunde durch Umwelteinflüsse deutlich weniger beeinträchtigt.

Um biologische Abbaubarkeit durchgängig zu ermöglichen, wird seit wenigen Jahren auch über naturfaserverstärkte Biopolymere geforscht. Als Matrix nimmt man meistens handelsübliche Produkte wie Biopol, Bioceta, Mater Bi oder Sconacell A. Untersuchungen des Instituts für Strukturmechanik der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Braunschweig an unterschiedlichen flachsfaserverstärkten Biopolymeren ergaben, daß Zugfestigkeit und Elastizitätsmodul dieser Verbunde deutlich von der jeweiligen Matrix und dadurch von der Faser-Matrix-Haftung beeinflußt werden (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, Seite 87). Experten halten Bioverbundwerkstoffe in einigen Anwendungsbereichen als Konstruktionswerkstoffe für geeignet, sofern sie dabei keinen extremen Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Diese Werkstoffsysteme sollten sich beispielsweise für Verkleidungselemente mit tragenden Inserts in Automobilen und Waggons sowie Möbeln eignen.

Für alle hier besprochenen Materialien gilt also, daß sie nur bedingt mit den herkömmlichen Faserverbundwerkstoffen konkurrieren können. Für Naturfasern spricht indes außer vielen ökologischen Gründen auch ein ökonomischer: Der Landwirtschaft eröffnet sich mit diesen nachwachsenden Rohstoffen ein neues Betätigungsfeld, so daß sie ihre sonstige Überschußproduktion nicht mit Subventionen reduzieren muß, sondern Nützliches für neue technische Systeme liefern kann.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1996, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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