Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Neuroplastizität: Selbst ist das Hirn

Warum sehen die Gehirne von eineiigen ­Zwillingen nicht gleich aus? Sogar Forscher staunen darüber, wie stark sich die anatomischen Strukturen durch Erfahrung formen.
Eineiige Zwillinge

Anfang der 1990er Jahre betrachtete ich mit einigen Kollegen die dreidimensionalen Gehirnrekonstruktio­nen eineiiger Zwillinge. Was wir sahen, verblüffte uns. Wir hatten eine große anatomische Übereinstimmung erwartet, doch die Zwillingsgehirne waren sich gar nicht so ähnlich. Viele der markanten Furchen und Windungen sahen ganz unterschiedlich aus. Mal waren die Strukturen länger, mal kürzer, oder sie verliefen einfach anders (siehe Zeitleiste S. 54: 1995). Unser erster Eindruck bestätigte sich, als wir sie einzeln vermaßen. Tatsächlich ließen sich die Gehirne der Zwillingspärchen allein anhand ihrer zahlreichen anatomischen Landmarken einander nicht zuordnen.

Zu jener Zeit konnten wir uns dies nicht so recht ­erklären. Eineiige Zwillinge verfügen doch über die gleichen Gene und wachsen meist unter denselben ­Umständen auf. Es ist also kaum zu erwarten, dass nur ­einer der beiden Zwillinge in der Kindheit etwa unterernährt oder Umweltgiften ausgesetzt war – zumindest ließ sich das bei unseren Probanden ausschließen. Konnten sich die auffälligen anatomischen Besonderheiten allein auf Grund anderer, nichtgenetischer Einflüsse im Lauf des Lebens entwickelt haben?

Inzwischen weiß man, dass das menschliche Gehirn in der Tat in hohem Maß formbar ist – "plastisch", wie Hirnforscher es nennen. Erfahrungen und Lernen verändern dabei nicht nur die Verschaltungen zwischen Nervenzellen, sondern sogar übergeordnete anatomi­sche Strukturen. Diese Anpassungsfähigkeit bezeichnen wir als Neuro- oder Hirnplastizität ...

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – »Zeiten ohne Handy machen uns freier«

Wie wirkt sich die digitale Reizüberflutung durch Handy und Social Media auf unsere Konzentration und mentale Gesundheit aus? Antworten dazu in unserem Interview mit der Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Außerdem: Katzen-Qubits – neue Hoffnungsträger für Quantencomputer. Jetzt in »Die Woche«.

Spektrum Kompakt – Gedächtnis

»Es liegt mir auf der Zunge« – dieses Gefühl kennt wohl jeder. Manches bleibt nie im Gedächtnis hängen, anderes über Jahre hinweg. Erinnern und Vergessen sind komplexe Prozesse, die noch nicht vollständig verstanden sind und von digitalen Helfern, aber auch durch Schlaf beeinflusst werden.

Gehirn&Geist – Neuroplastizität im Alter: Klares Denken bewahren

Bei manchen Menschen scheint das Gehirn altersbedingte Schäden besonders gut ausgleichen zu können. »Neuronale Kompensation« nennt sich ein Mechanismus, der dabei hilft, im Alter trotz neuronalem Abbau klares Denken zu bewahren. Wir stellen die drei bisher bekannten Wege einer solchen »neuronalen Kompensation« vor. Daneben berichten wir, welche Verfahren sich in der Psychotherapie bewährt haben und welche Richtlinien es hierzu in Deutschland gibt. Der dritte Teil der Serie »Kognition im Tierreich« behandelt die Kognition von Walen sowie Delfinen und geht der Frage nach, inwieweit sie menschliches Verhalten verstehen. Außerdem informieren wir, wie das Fettgewebe mit dem Gehirn kommuniziert und so Einfluss auf das Körpergewicht und die Gewichtsregulierung nimmt.

  • Quellen

Allard, T., et al.: Reorganization of Somatosensory Area 3b Representations in Adult Owl Monkeys After Digital Syndactyly.In: Journal of Neurophysiology, 66, S, 1048-1058, 1991

Bezzola, L. et al.: Training-Induced Neural Plasticity in Golf Novices.In: Journal of Neuroscience 31, S. 12444–12448, 2011

Draganski, B. et al.: Neuroplasticity: Changes in Grey Matter Induced by Training.In: Nature 427, S. 311-312, 2004

Ericsson, K. A. et al: The Role of Deliberate Practise in the Acquisition of Expert Performance.In: Psychological Review 100, S. 363-406, 1993

Hebb, D. O.: The Organization of Behavior. New York: Wiley, 1949

Jäncke, L.: The Plastic Human Brain.In: Restor Neurol Neurosci, 27, S. 521-538, 2009

Jäncke, L.: Einführung in die Kognitiven Neurowissenschaften. Hogrefe, Göttingen 2013.

Jäncke, L.: Das plastische Hirn.In: Lernen und Lernstörungen 3, S. 227–235, 2014

Jäncke, L.: Music Drives Brain Plasticity. In: F1000 Biology Reports, 1, S. 1-6, 2009

James, W.: The Principles of Psychology. New York, London: Holt and Macmillian 1890

Langer, N. et al.: The Effects of Working Memory Training on Functional Brain Network Efficiency.In: Cortex 49, S. 2424–2438, 2013

Langer, N. et al.: Effects of Limb Immobilization on Brain Plasticity.In: Neurology 78, S. 182–188, 2012

Konorski, J. : Conditioned Reflexes and Neuron Organization. Translated from the Polish Panuscript under the Author’s Supervision. Cambridge: Cambridge, University Press, 1948

Munte, T. F. et al.: The Musician’s Brain as a Model of Neuroplasticity.In: Nature Reviews. Neuroscience 3, S. 473-478, 2002

Recanzone, G. H. et al.: Plasticity in the Frequency Representation of Primary Auditory Cortex Following Discrimination Training in Adult Owl Monkeys.In: Journal of Neuroscience 13, S. 87-103, 1993

Smith, S. M. et al.: Functional Connectomics from Resting-State fMRI.In: Trends Cogn Sci 17, S. 666-682, 2013

Steinmetz, H. et al.: Brain (A) Symmetry in Monozygotic Twins.In: Cerebral Cortex, 5, S. 296-300, 1995

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.