Direkt zum Inhalt

Nobelpreis für Chemie - Kohlenstoff in Fußballform

Harold W. Kroto, Richard E. Smalley und Robert F. Curl wurden für die Entdeckung einer neuen Modifikation von festem Kohlenstoff geehrt, in der die Atome zu polyederartigen Hohlkörpern mit fünf- und sechseckigen Seitenflächen verknüpft sind.

Selten weckt eine wissenschaftliche Entdeckung nicht nur Begeisterung in Forscherkreisen, sondern bewegt auch die Phantasie der breiten Öffentlichkeit. In den letzten gut zehn Jahren passierte dies gleich zweimal: bei den Hochtemperatur-Supraleitern und bei den Fullerenen, jenen runden, käfigartigen Kohlenstoffmolekülen, die durch ihre Ähnlichkeit mit Fußbällen auch dem Laien unmittelbar sinnfällig sind. Und so stellte sich denn von Anfang an weniger die Frage, ob als vielmehr wann und wem für diese beiden Entdeckungen der Nobelpreis verliehen würde. Nachdem die Hochtemperatur-Supraleiter 1987 bereits an der Reihe waren, schien die Auszeichnung für die Fullerene fast schon überfällig.

Das überwältigende Interesse an den ungewohnt anschaulichen Kohlenstoff-Kugeln spiegelte sich auch in dieser Zeitschrift wider, in der zwischen 1989 und 1993 vier Beiträge darüber erschienen – darunter insbesondere im Dezember 1991 der Bericht von zwei der drei jetzt ausgezeichneten Forscher selbst (Curl und Smalley). Faszinierend war vor allem, daß in einer Zeit, in der sich die Wissenschaft zunehmend in der Erforschung immer komplizierterer Details verliert, noch eine so elementare Entdeckung gelang.


Vom Sternenstaub zu Nanosphären

Deren Geschichte ist zudem ausgesprochen spannend und in ihrem verschlungenen Verlauf zugleich ein Lehrstück darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnis gewöhnlich zustande kommt. Am Anfang stand, wie so oft, ein Theoretiker: Der Chemiker Eiji Osawa berechnete 1960 an der Universität Kioto, daß ein Molekül aus 60 Kohlenstoffatomen in Fußballform ungewöhnlich stabil sein müsse. Weil er seine Ergebnisse jedoch in Japanisch veröffentlichte, blieben sie so gut wie unbekannt.

So wußten auch Wolfgang Krätschmer vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und Donald Huffman, der als Humboldt-Stipendiat bei ihm arbeitete, nichts davon, als sie 1982/83 durch Verdampfung und Kondensation von Kohlenstoff herauszufinden suchten, wie sich kosmischer Staub bildet. Unter anderem heizten sie einen Graphitstab in einem Heliumstrom elektrisch auf. Bei relativ niedrigem Gasdruck kondensierte aus dem Dampf ein Pulver, das ein äußerst ungewöhnliches Ultraviolettspektrum mit zwei Höckern aufwies (Bild 2 rechts). Die beiden Forscher erkannten sofort, daß es sich um ein besonderes Material handeln mußte; aber das UV-Spektrum, das im wesentlichen durch die elektronische Struktur einer Verbindung bestimmt wird, war nicht aussagekräftig genug für eine Identifizierung.

Etwa zur gleichen Zeit beschäftigte sich auch Harold Kroto an der Universität von Sussex in Brighton (England) mit dem Ursprung kettenförmiger Kohlenstoffmoleküle im interstellaren Raum, von denen er vermutete, daß sie in der Atmosphäre roter Riesensterne entstünden. Als er 1984 erfuhr, daß Smalley an der Rice-Universität in Houston (Texas) einen Apparat zum Verdampfen von Material mit einem Laser entwickelt hatte, mit dem sich die Bildung von Clustern – winzigen Häufchen aus wenigen identischen Atomen – untersuchen ließ, erwirkte er von Curl, dem Leiter des dortigen Fachbereichs Chemie, der mit Smalley zusammenarbeitete, eine Einladung zu einem Gastaufenthalt. Smalley und Curl wollten ihre eigenen Untersuchungen jedoch zunächst abschließen, so daß Kroto erst im August 1985 Gelegenheit für seine Experimente erhielt.

Bei diesen Versuchen entstanden tatsächlich die von ihm als Ursache bestimmter Linien in den kosmischen Mikrowellenspektren vermuteten kurzen Kohlenstoffketten (Polyine). Bei ihrem massenspektroskopischen Nachweis fiel allerdings auf, daß sich offenbar auch noch deutlich größere Cluster bildeten (Bild 2 links). Die unter gewissen Versuchsbedingungen bei weitem intensivste Bande im Massenspektrum stammte von einer Verbindung aus 60 und ein ebenfalls sehr starker Peak von einer aus 70 Kohlenstoffatomen. Demnach mußten sich die Atome bei diesen magischen Zahlen zu besonders stabilen Gebilden formieren. Aber welche waren das?

Es dauerte einige Tage, bis der Groschen fiel, und es ist nicht mehr genau zu rekonstruieren, wem die Idee kam, daß geschlossene Hohlkörper aus Sechs- und Fünfecken die beobachtete Stabilität erklären könnten, weil darin alle Valenzen abgesättigt und im Falle des exakt kugelförmigen C60 zudem sämtliche Atome äquivalent sind (Bild 1): Hinterher reklamierten sowohl Smalley als auch Kroto den entscheidenden Geistesblitz für sich. Jedenfalls war die Lösung, wie Kroto später schrieb, "sicherlich zu perfekt, um falsch zu sein", so daß die Forscher "alle Vorsicht über Bord warfen" und die Entdeckung ohne weitere Beweise publizierten ("Nature", Band 318, Seite 162; 18. November 1985).

Es wäre auch schwierig gewesen, solche Beweise zu erbringen; denn mit Smalleys Laserverdampfung ließen sich maximal einige zehntausend Moleküle im Gaszustand erzeugen – zu wenig, um sie mit physikalischen Methoden charakterisieren, geschweige denn mit den menschlichen Sinnen wahrnehmen zu können. Die Fullerene, wie die Entdecker die Kohlenstoffkäfige (außer dem runden C60 und dem ellipsoidalen C70 gibt es noch weitere mit unregelmäßigerer Struktur) wegen ihrer Ähnlichkeit mit den geodätischen Kuppeln des amerikanischen Ingenieurs und Philosophen Richard Buckminster Fuller nannten, blieben auf befremdliche Weise ungreifbar: Sie existierten – wie Curl und Smalley es in ihrem Artikel in dieser Zeitschrift ausdrückten – "nur gleichsam als flüchtige Signale in exotischen Apparaten".

Jahrelang versuchten die beiden Wissenschaftler, durch Variation der Verdampfungsbedingungen die Ausbeute an C60 zu erhöhen oder das Molekül aus dem anfallenden Ruß zu extrahieren – ohne Erfolg. Desgleichen scheiterten alle Bemühungen von Chemikern, das Molekül mit traditionellen organischen Synthesemethoden schrittweise aufzubauen. Allmählich schwand so die Hoffnung, die Substanz jemals wenigstens in Milligramm-Mengen in Händen halten und so auch jene Skeptiker überzeugen zu können, denen eine Linie im Massenspektrum und noch so plausible theoretische Überlegungen allein als Existenzbeweis nicht genügten.


Der Durchbruch

Wäre es bei diesem Stand der Dinge geblieben, hätten die Fullerene für immer ein Schattendasein im Kuriositätenkabinett der Chemie geführt und ihren Entdeckern sehr wahrscheinlich auch keine Nobelehren eingebracht. Doch nach der "Nature"-Veröffentlichung von Kroto, Curl und Smalley erinnerte sich Huffman, nun an der Universität von Arizona in Tucson, an die Verdampfungsprobe mit dem zweihöckrigen UV-Spektrum und fragte sich, ob diese Doppelbande durch Fullerene hervorgerufen werden könne. Weder er noch sein ehemaliger Kollege Krätschmer glaubten jedoch so recht an diese Vermutung. Deshalb ließen sie sich Zeit mit der Überprüfung.

Erst 1989 stellten sie mit ihren jeweiligen Mitarbeitern Konstantinos Fostiropoulos und Lowell Lamb das Material erneut her und nahmen, um einen Hinweis auf seine Zusammensetzung zu erhalten, außer UV- auch Infrarotspektren davon auf. Solche Spektren liefern Informationen über die Schwingungsmöglichkeiten eines Moleküls, die wiederum von seiner räumlichen Struktur (insbesondere von deren Symmetrie) und von den Bindungsverhältnissen abhängen.

Zur Begeisterung und zum großen Erstaunen der Forscher fanden sie tatsächlich nur genau die vier Infrarot-Banden, die theoretisch für einen C60-Käfig zu erwarten waren. Aber noch immer wollten sie nicht glauben, daß ihre Probe wirklich größtenteils aus Kohlenstoffkugeln bestand. Deshalb präparierten sie das Material noch einmal mit dem relativ seltenen Kohlenstoff-Isotop der Masse 13 (statt 12) und vergewisserten sich, daß die vier Infrarotbanden in der vorherberechneten Weise zu niedrigeren Wellenlängen verschoben waren.

Doch auch damit gaben sie sich noch nicht zufrieden. Das Material war aufgrund seiner Herstellung unsauber und schlecht definiert. Um das enthaltene C60 charakterisieren und seine Struktur beweisen zu können, mußte man es abtrennen und reinigen. Dies gelang schließlich durch Behandeln mit Benzol: Aus der filtrierten gelben Lösung schieden sich beim Verdunsten bräunlichgelbe Kristalle aus, an denen mit verschiedenen spektroskopischen Methoden und insbesondere durch Röntgenstreuung die Fußballstruktur von C60 endlich zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte ("Nature", Band 347, Seite 354; 27. September 1990).


Forscher im Fullerenfieber

Die Kunde von der unverhofften Möglichkeit, Fullerene in Gramm-Mengen zu erzeugen, und von der Bestätigung ihrer ungewöhnlichen Struktur schlug in Fachkreisen enorme Wellen, deren Ausläufer bis in die populären Medien schwappten. Der Stoff beflügelte die Phantasie der Forscher, die eine Vielzahl einzigartiger Anwendungsmöglichkeiten vorhersahen. Das Spektrum reichte vom Schmiermittel über Miniaturkapseln für Wirkstoffe bis zu der Mutmaßung, C60 könne das Tor zu einer ähnlich reichhaltigen und wirtschaftlich bedeutenden neuen Chemie aufstoßen wie im letzten Jahrhundert das Benzol, der Grundkörper der aromatischen Verbindungen.

So entwickelte sich ein regelrechtes Fullerenfieber. Die amerikanische Wissenschaftszeitschrift "Science" erkor C60 zum Molekül des Jahres 1991, und der genannte "Nature"-Bericht schnellte an die Spitze der meistzitierten wissenschaftlichen Veröffentlichungen; im zweiten Quartal 1992 belegten Fachartikel über Fullerene und ihre Verbindungen gleich die obersten zehn Plätze in der Hitliste der am häufigsten zitierten Publikationen in der Chemie.

Die ersten Ergebnisse schienen die hochgesteckten Erwartungen noch zu übertreffen. So ließen sich Metallatome in die Kugel einbauen (Bild 1) und vielerlei chemische Gruppen daran anhängen. Es stellte sich sogar heraus, daß Derivate von C60 die Vermehrung des AIDS-Erregers HIV hemmen können: Sie binden sich an das aktive Zentrum der viruseigenen Protease und blockieren so dieses eiweißspaltende Enzym.

Einen Höhepunkt erreichte die Fieberkurve, als sich zeigte, daß bei der Umsetzung von C60 mit Alkalimetallen salzartige Festkörper entstehen (sogenannte Fulleride), die bei erstaunlich hohen Temperaturen supraleitend werden – im Falle von Rubidium unterhalb von 30 und bei Rubidium/Thallium sogar schon unterhalb von 42 Kelvin (-243 beziehungsweise -231 Grad Celsius). Wären nicht wenige Jahre zuvor die Hochtemperatur-Supraleiter entdeckt worden, hätte dies einen Rekord und eine weitere Sensation bedeutet. So aber weckte die Entdeckung zumindest Hoffnungen auf Anwendungsmöglichkeiten in der Mikroelektronik.

Genauere Untersuchungen zur Entstehung der Fullerene erbrachten schließlich weitere interessante Gebilde: zwiebelschalenartig ineinandergeschachtelte Käfige sowie Röhren aus aufgerollten hexagonalen Wabengittern mit halbkugelförmigen Kappen an den Enden (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1993, Seite 18). Auch diese Nanoröhren, die bis zu einem tausendstel Millimeter lang und je nach Anzahl der umeinandergewickelten Lagen 4 bis 30 Nanometer (millionstel Millimeter) dick sein können, versprachen vielerlei Anwendungsmöglichkeiten – etwa als winzige Verstärkungsfasern oder extrem feine Leitungsdrähte.


Ernüchterung

Nach dem fulminanten Start ist der Forschungseifer inzwischen allerdings ziemlich erlahmt. Keine der großen Erwartungen, die in die Fullerene gesetzt worden waren, hat sich bisher erfüllt. Zweifellos handelt es sich um Materialien mit vielen ungewöhlichen Eigenschaften, doch jede einzelne ihrer Fähigkeiten wird entweder von einem anderen Stoff noch übertroffen oder ist mit ihm kostengünstiger zu haben.

Auch die Fullerenchemie ist weit hinter den ursprünglichen Visionen zurückgeblieben. Der Grund dafür läßt sich leicht verstehen. Beim Benzol hängt an jedem Kohlenstoff- noch ein Wasserstoffatom, das sich durch andere chemische Gruppen ersetzen läßt, ohne daß sich die elektronische Struktur des Sechsrings grundlegend ändert; dies eröffnet eine unermeßliche Vielfalt von Kombinationsmöglichkeiten. Im Fulleren sind dagegen alle Kohlenstoffatome unter sich valenzmäßig abgesättigt, und man muß diese Bindungsstruktur aufbrechen, um andere chemische Gruppen anzuhängen; dadurch aber büßt der Käfig seine Stabilität großenteils ein.

Symptomatisch für die stark gedämpften Erwartungen ist die Stillegung einer Pilotanlage, in der die Firma Hoechst seit 1993 C60 in Kilogramm-Mengen produzierte und Wissenschaftlern kostengünstig als Forschungsmaterial zur Verfügung stellte. Das verbliebene Interesse konzentriert sich derzeit auf die Kohlenstoffröhren, die in der Nanotechnik durchaus realistische Chancen haben könnten.

Doch auch wenn die Fullerene keine industriell wichtige Anwendung finden sollten, ist ihre Entdeckung zweifellos eine große Leistung und ein bedeutender Gewinn für die Wissenschaft. Wer am Aufbau unserer Welt interessiert ist, den muß die Erkenntnis faszinieren, daß fester Kohlenstoff außer als Diamant und Graphit in einer dritten Modifikation auftreten kann. Und es gibt Anhaltspunkte, daß diese gleichermaßen exotische wie ästhetische Form des Elements wenn schon nicht auf unserem Planeten, dann im Weltall weitverbreitet ist.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1996, Seite 18
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.