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Nobelpreis für Medizin - G-Proteine

Diese Moleküle an der Innenseite der Zellmembran vermitteln eine Vielzahl von Signalen weiter, die außen an Rezeptoren einlaufen|; dabei können sie nach Bedarf verschiedene Signale zusammenführen oder ähnliche wahlweise in mehrere zellinterne Übertragungswege einspeisen. Für ihre Entdeckung erhielten Alfred G. Gilman und Martin Rodbell den diesjährigen Nobelpreis für Medizin und Physiologie.

Kommunikation ist alles – auf jeder Ebene. Kein Mensch könnte existieren, würden seine Zellen nicht unaufhörlich kommunizieren. Dutzende körpereigener Botenstoffe sind bekannt, die wenigsten aber dringen in die Zielzellen ein. Sie docken vielmehr außen an jeweils verschiedenen Rezeptorproteinen an, die daraufhin an ihrem inneren Ende eine bestimmte Abfolge molekularer Schritte auslösen. Den Signalfluß vom Rezeptor zur nächsten Instanz übernehmen in vielen Fällen Moleküle einer besonderen Klasse: die G-Proteine.

Benannt sind sie nach einer charakteristischen Eigenart: Sie binden Guanyl-Nucleotide, die wie alle Nucleotide aus einer organischen Base (in diesem Falle Guanin, G), einem Zucker und bis zu drei Phosphatgruppen bestehen.

Wenn zum Beispiel ein Adrenalin-Stoß Leberzellen Glucose (Traubenzucker) ins Blut ausschütten läßt, dann ist ein G-Protein als Mittler im Spiel. Es sitzt an der Innenseite der Zellmembran und wird vom Adrenalin-Rezeptor aktiviert, sobald das Hormon andockt. Daraufhin aktiviert es seinerseits ein ebenfalls membrangebundenes Molekül, den Effektor. In diesem Falle ist das ein Enzym, das aus einer Vorstufe cAMP erzeugt. Cyclisches Adenosinmonophosphat – so der volle chemische Name – ist ein sogenannter zweiter Bote, der das Signal von der Membran weiter ins Zellinnere trägt.

Stellt man sich Adrenalin als Person vor, die ihre Anwesenheit an der Haustür durch ein verabredetes Klingelzeichen kundtut, dann ist der Rezeptor der Klingelknopf, der Effektor die Klingel, cAMP der Klingelton und das G-Protein der Strom, der im imaginären Klingeldraht fließt.

Entdeckt wurden cAMP und sein Erzeuger-Enzym in den fünfziger Jahren von Theodore W. Rall und Earl W. Sutherland an der heutigen Case-Western-Reserve-Universität in Cleveland (Ohio). Dafür und für den Beweis, daß Adrenalin sowie Glucagon – ein weiteres Hormon – über cAMP letztlich ihre Wirkung auf den Stoffwechsel entfalten, erhielt Sutherland 1971 den Nobelpreis für Medizin. Er glaubte allerdings ursprünglich, die Klingel sei gleichzeitig der Klingelknopf, das Erzeuger-Enzym also zugleich der Rezeptor; diese Ansicht blieb bis in die späten sechziger Jahre verbreitet.

Zu einer anderen Schlußfolgerung kam jedoch Martin Rodbell an den amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstituten in Bethesda (Maryland), als er an isolierten Fettzellen untersuchte, wie Hormone die Produktion von cAMP beeinflussen. Mehrere regten sie an, aber jedes Hormon über einen eigenen Rezeptor. Ihm erschien es als unökonomisch und somit unwahrscheinlich, daß jeder Rezeptor über einen gleichartigen als Erzeuger-Enzym wirksamen Abschnitt verfügen sollte, wenn diese Arbeit ein getrenntes Enzym für alle gemeinsam erledigen könnte. Als Mittler und Signalüberträger zwischen Rezeptor und Enzym postulierte er deshalb ein drittes Molekül, das er transducer nannte.


Energiegeladen

Im Jahre 1970 entdeckte er dann zusammen mit seinem Mitarbeiter Lutz Birnbaumer, daß das Hormon Glucagon bei Leberzellpräparationen nur in Gegenwart der energiereichen Verbindung Guanosintriphosphat (GTP) die Bildung von cAMP anzuregen vermochte. Der Energiespender war offensichtlich auch im Falle von Adrenalin im Spiel, wie eine Arbeitsgruppe in Jerusalem feststellte; denn das Hormon veranlaßte auch irgendwie die Abspaltung einer Phosphatgruppe von GTP, so daß Guanosindiphosphat (GDP) entstand.

Warum GTP gebraucht wurde, entdeckte dann in den späten siebziger Jahren Alfred G. Gilman zusammen mit seinem Mitarbeiter Elliot M. Ross an der Universität von Virginia in Charlottesville. Die Geschichte schilderten er und seine Kollegin Maurine E. Linder von der Universität von Texas in Dallas, wohin Gilman 1981 gewechselt war, ausführlich in einem Artikel in Spektrum der Wissenschaft (September 1992, Seite 54). Ein mißlungener Versuch führte die Wissenschaftler zu Rodbells postuliertem transducer. Das Protein, das GTP für seine Tätigkeit benötigt, wurde 1980 von zwei weiteren Mitarbeitern Gilmans in reiner Form gewonnen. Später, nachdem auch der Adrenalin-Rezeptor und das Erzeuger-Enzym isoliert worden waren, stellten Gilman und Ross künstliche Zellmembranen her, in die sie alle drei Proteine einbetteten. Nach Zugabe von Adrenalin, ATP (als Ausgangsbasis für cAMP) und GTP entstand tatsächlich cAMP.

Dieser zweite Bote aktiviert übrigens Proteinkinasen als weitere Instanzen: Enzyme, die andere Proteine durch Anfügen von Phosphatgruppen phosphorylieren und damit regulieren. Für die Entdeckung dieser Enzyme und ihrer Gegenspieler haben vor zwei Jahren Edmond H. Fischer und Edwin G. Krebs, beide an der Universität von Washington in Seattle, den Nobelpreis für Medizin erhalten (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1992, Seite 18).

Der grobe Aufbau und die Funktionsweise von G-Proteinen sind inzwischen geklärt (Bild 1). Entscheidend ist, daß sie sich selbst abschalten, indem sie aufgenommenes GTP zu GDP spalten. Bekannt ist auch, daß gewisse bakterielle Toxine, darunter die der Erreger von Keuchhusten und Cholera, die Funktion von G-Proteinen im cAMP-Weg beeinträchtigen und dadurch Krankheitssymptome hervorrufen. Selbst bei Krebs sind G-Proteine involviert (Bild 2).

Diese Eiweißstoffe hat man außer bei Wirbeltieren auch bei Wirbellosen, Hefepilzen und höheren Pflanzen entdeckt; sie sind also bereits früh in der Evolution entstanden. Einige stimulieren das Erzeuger-Enzym für cAMP, andere hemmen es. Manche aktivieren einen Effektor, der einen weiteren, in einen anderen Signalweg eingeschalteten zweiten Boten erzeugt. Wieder andere G-Proteine sind Bestandteil in Signalwegen, die Ionenkanäle in Zellmembranen wie die für Natrium kontrollieren. Selbst beim Sehen und Riechen spielen sie eine Rolle.

Noch unübersichtlicher wird die Sache dadurch, daß die von G-Proteinen gesteuerten Signalübertragungssysteme sich in den Zellen gegenseitig beeinflussen. Wenn Übertragungswege konvergieren, weil etwa verschiedene Rezeptoren mit denselben G-Protein-Typen interagieren oder verschiedene solcher Typen dann auf dieselbe Sorte Effektor einwirken, reagiert die Zelle möglicherweise mit einer einzigen, wenn auch abgestuften Antwort auf verschiedene erste Boten. Wenn hingegen Übertragungswege divergieren, weil etwa eine Sorte Rezeptor auf verschiedene G-Protein-Typen oder ein G-Protein auf mehr als einen Effektor einwirkt, kann eine Zelle gleichzeitig mehrere Antworten auf eine einzige von außen kommende Botschaft hervorbringen. Die Versatilität von Rezeptoren, G-Proteinen und Effektoren bedeutet auch, daß eine Zelle zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich reagieren kann – indem sie ein Signal einmal über den einen und dann über einen etwas anderen Übertragungsweg leitet.

Offensichtlich sei die Zellmembran, so Gilman, eine Art hochkomplexes Schaltpult; sie empfange Signale, beurteile ihre relative Stärke und gebe die aufsummierten Signale an zweite Boten weiter, die gewährleisten, daß die Zelle auf eine sich verändernde Umgebung angemessen reagiert.

Wüßte man für jeden Zelltyp, wie dort Dutzende Arten von Rezeptoren, G-Proteinen und Effektoren miteinander verknüpft sind, ließe sich wohl vorhersagen, wie er auf irgendeine Kombination von Signalen reagiert. "Das wäre", so Gilman, "für jene, die medikamentöse Therapien zu entwickeln suchen, so wertvoll wie für einen Safeknacker der Schaltplan des installierten Alarmsystems."

Gilman hat 1969 an der Case-Western-Reserve-Universität in Medizin und Pharmakologie promoviert. Er arbeitete zehn Jahre an der Universität von Virginia, ehe er 1981 Vorsitzender der Pharmakologischen Abteilung des Southwestern Medical Center der Universität von Texas in Dallas wurde.

Rodbell promovierte 1954 an der Universität von Washington und arbeitet seit 1956 an den amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstituten, erst in Bethesda, seit 1985 am Nationalinstitut für Umweltgesundheitswissenschaften in Research Triangle Park (North Carolina).


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1994, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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