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Nylon aus Glucose


Nylon war die erste Kunstfaser und ist mit einer weltweiten Jahresproduktion von etwa zwei Millionen Tonnen noch immer eine der wichtigsten. Interessanterweise wurde das Polymer ursprünglich teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Ausgangsmaterialien waren landwirtschaftliche Produkte wie Haferspelzen oder Maiskolben mit einem hohen Gehalt an Pentosen (Xylose, Arabinose und Ribose). Aus ihnen ist über mehrere Stufen Adipinsäure zugänglich, die als Ausgangssubstanz für die Nylon-Synthese dient.

Dieses Verfahren wurde schon bald durch ein einfacheres verdrängt, das von dem preiswerteren petrochemischen Grundstoff Benzol ausgeht. Unter Umweltaspekten ist die heutige Syntheseroute allerdings keineswegs optimal. Abgesehen davon, daß die Verwendung eines fossilen Rohstoffs generell die globale Kohlendioxid-Bilanz ungünstig beeinflußt, werden im letzten Schritt (der Oxidation eines Gemisches von Cyclohexanol und Cyclohexanon mit Salpetersäure) große Mengen Lachgas (Distickstoffmonoxid) frei, das eines der wichtigsten Treibhausgase und mitverantwortlich für die Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht ist. Rund 10 Prozent der weltweiten Emissionen dieses Gases stammen schätzungsweise aus der Adipinsäure-Herstellung.

Karen Draths und John Frost von der Purdue-Universität in West Lafayette (Indiana) haben deshalb ein im wesentlichen biotechnologisches Verfahren zur Herstellung von Adipinsäure aus Glucose entwickelt, die als Baustein der Cellulose zu den am reichlichsten vorhandenen Naturstoffen überhaupt zählt ("Journal of the American Chemical Society", Band 116, Seite 399). Die beiden Wissenschaftler nutzten dazu den Biosyntheseweg für die Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan und setzten bei einem Zwischenprodukt an: der 3-Dehydro-Shikimisäure (DHS).

Als Mikroorganismus für die enzymatische Synthese verwendeten sie eine Mutante des Bakteriums Escherichia coli, die wegen eines fehlenden Enzyms besonders viel DHS anreichert. In dieses Bakterium führten sie Plasmide (ringförmige DNA-Stücke) mit Genen für Enzyme ein, die einzelne Schritte bei der weiteren Umsetzung von DHS über Protocatechusäure (3,4-Hydroxybenzoesäure) und Brenzcatechin in Mukonsäure katalysieren. Die Mukonsäure konnte anschließend im Kulturmedium mit einem Platin-Katalysator zu Adipinsäure hydriert werden.

Weil dieses Verfahren einen nachwachsenden Rohstoff nutzt, unter milden Bedingungen abläuft (während die herkömmliche Synthese hohe Temperaturen und Drücke erfordert) und keinerlei giftige oder sonst schädliche Stoffe freisetzt, ist es extrem umweltfreundlich. Allerdings liegt die Ausbeute mit 30 Prozent noch recht niedrig. Außerdem dürfte es einiger Anstrengungen bedürfen, den Prozeß aus dem Labor- in den großtechnischen Maßstab umzusetzen. Die Entdecker selbst sehen ihre Synthese als Option für das nächste Jahrhundert.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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