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Ökologische Wirtschaftspolitik. Zwischen Ökodiktatur und Umweltkatastrophe.

Birkhäuser, Basel 1996.
344 Seiten, DM 39,80.

Durch Aufklärung allein entwickeln sich Umweltbewußtsein und das dementsprechende Handeln nicht so rasch, wie es geboten wäre. Soll man, da große Gefahr droht, das Richtige notfalls durch diktatorische Maßnahmen erzwingen?

Die Autoren, die dem Wuppertal Institut angehören, versprechen einen Ausweg aus diesem Dilemma unter dem Begriff der "Dematerialisierung" unserer Wirtschaftweise. Ohne weitere quantitative Begründung fordern sie, die Stoffströme in Wirtschaft und Gesellschaft seien innerhalb von 50 Jahren um den Faktor 10 zu verringern. Damit übertreffen sie noch um einiges die Forderung ihrer Institutskollegen Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory B. Lovins und L. Hunter Lovins; diese hatten in "Faktor vier" – unter dem Versprechen doppelten Wohlstands – nur die Halbierung des Materialverbrauchs verlangt (Spektrum der Wissenschaft, April 1996, Seite 118). Die Quantität allein macht jedoch die Botschaft nicht überzeugender.

Zweifellos ist die Verminderung des Verbrauchs natürlicher Rohstoffe einschließlich der Ressourcen Boden, Luft und Wasser ein gebotener und begrüßenswerter Schritt zum ökologischen Wirtschaften. Nur scheinen die Autoren darin ein Universalkonzept zu sehen, dessen Befolgen automatisch alle anderen Maßnahmen der Umwelterhaltung und -regenerierung einschließe. Hinzu kommt, daß das Buch außer einer allgemeinen Beschreibung aller bekannten Umweltprobleme kaum praktikable Hinweise enthält, wie denn die Dematerialisierung konkret anzugehen sei.

In Widersprüche verstricken sich die Autoren auch mit dem zutreffenden, aber zu vordergründig eingesetzten Hinweis auf die undurchschaubare Komplexität des ökologischen Geschehens. Dieser ist offensichtlich mit der simplen Forderung nach Reduzierung der Stoffströme nicht beizukommen, besonders wenn man – richtigerweise - verlangt, daß die sozialen Auswirkungen einer solchen Strategie mit zu berücksichtigen seien. Das betrifft zum Beispiel die existenzielle Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Exporten bestimmter Rohstoffe.

So bleibt es vielfach bei einer akademischen Auseinandersetzung mit letztlich eben sehr konkreten Umweltproblemen. Es wird viel zitiert (im Anhang sind ungefähr 350 Literaturangaben aufgelistet); und zur Geschichte der Theorien einer auf das Gemeinwohl gerichteten Wirtschaftspolitik, angefangen bei John Maynard Keynes und Josef Alois Schumpeter über Milton Friedman und Dennis Meadows bis zu Max Weber und Ernst Ulrich von Weizsäcker, findet sich manche interessante Passage, auch wenn sich die Autoren meist nur auf kritische Kommentare beschränken.

Es gibt durchaus interessante Ausführungen, so zum Modell des Parteienwettstreits um die Erhaltung politischer Machtpositionen, zu den Konsequenzen des Marktversagens und zur Internalisierung externer Effekte. Aber häufig verlieren die Autoren gerade an solchen Stellen den konkreten Bezug zum Thema ihres Buches. Vielfach wird der Leser auf schwankenden Boden gelockt und dann allein gelassen – etwa derart: "Das alte Ideal wissenschaftlicher ,Wahrheit ist nicht erreichbar. Das bedeutet auch, daß neue Ansätze notwendig sind, die einen adäquaten Umgang mit Nichtwissen ermöglichen."

Die Autoren behaupten – wahrscheinlich zu Recht –, die monetäre Bewertung der Natur stoße auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Sie bieten als Ausweg an, den Umweltverbrauch aller Produkte vom Paprika bis zum Auto zu erfassen; anhand der entsprechenden Zahlen wäre den Unternehmen ein Weg zur Verminderung der Materialintensität um vier bis fünf Prozent im Jahr zu weisen. Selbst wenn das praktikabel wäre, was zu bezweifeln ist, hätte es tiefgreifende Auswirkungen auf Welthandel und globale Arbeitsteilung. Diesen Problemen stellen sich die Autoren jedoch nicht.

Des weiteren fordern sie einen neuen Ordnungsrahmen, der das Überleben der Gesellschaft und den Schutz ihrer natürlichen Lebensgrundlagen gewährleistet. Dazu bedürfe es eines Satzes von Regeln für die Bewegung und Entfaltung der Mitglieder der Gesellschaft im Umweltraum. Dieses auf den deutschen Volkswirtschaftler Walter Eucken (1891 bis 1950) zurückgehende Konzept basiert auf der Annahme, daß in der (sozialen) Marktwirtschaft eine Verletzung der Regeln Gegenreaktionen und letztlich Nachteile für den Verletzer nach sich ziehe. Genau dieser Mechanismus existiert aber nach allen bisherigen Erfahrungen für ökologiepolitische Regelungen nicht, oder er wirkt nur mit sehr großer Verzögerung.

Um dem Vorwurf zu entgehen, einer Ökodiktatur das Wort zu reden, charakterisieren Hinterberger, Luks und Stewen ihr Dematerialisierungskonzept als Leitbild, das mit unterstützenden Maßnahmen freiwillige ökologische Verhaltensänderungen bewirken soll. Dabei plädieren sie für das Schaffen von Freiräumen mit ökologischen "Leitplanken" (was immer das heißen soll), in denen neue Wohlstandsmodelle ausprobiert werden könnten. Letztlich bleibt es dann bei der Forderung, Phantasie zu entwickeln für den dematerialisierten Lebensstil.

Ich hätte an dieser Stelle ein wenig mehr Anleitung und Denkanstöße zu einer machbaren ökologischen Wirtschaftspolitik erwartet. "Der Weg ist das Ziel", überschreiben die Autoren eines der Kapitel. Doch sollte das Ziel nicht vielmehr eine bewahrte Umwelt sein? Und abgesehen von dem verbalen Mißgriff – auch der Weg bleibt doch sehr im dunkeln.

So werden im Abschnitt III "Lösungsansätze" auf Seite 237 (von 319 Textseiten) kaum konkrete, begründete und vor allem machbare Strategien geboten. Ein Beispiel: "Dienstleistungen statt Material" lautet eine der Devisen im Buch. Zweifellos wären die kleinen Technologieparks in unseren Wohnungen, manches Auto und manche andere private Technik entbehrlich beziehungsweise durch Leihgeräte oder Dienstleistungen ersetzbar. Diese Erkenntnis ist wahrlich nicht neu, aber ihre Umsetzung ist bisher gescheitert. Es wäre verdienstvoll gewesen, wenn die Autoren hier neue Wege gewiesen hätten.

Sie verharren indes auf einer leicht einzunehmenden Position: Es gehe nicht um die Planung des notwendigen Strukturwandels, sondern um die Vorgabe einer Richtung, und dafür müßten sich Wertvorstellungen, soziale Organisationsstrukturen und Technologien ändern. Zweifellos braucht es Anstöße, um selbstorganisatorische Entwicklungen auf neuen Pfaden in Gang zu setzen. Nur bleiben diese Entwicklungen gegenwärtig hoffnungslos hinter der fortschreitenden Umweltzerstörung zurück.

Also vielleicht doch Planung und ein bißchen Ökodiktatur? Offene Fragen, die mit dem Buch nicht beantwortet werden. Das ist um so bedauerlicher, als die Autoren die vielen verdienstvollen, wenn auch noch unzureichenden Umweltinitiativen staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen gering schätzen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 131
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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