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Ökosystem Termitendarm

Eine fermenterartige Gärkammer im Enddarm der sogenannten weißen Ameisen ist Lebensraum einer schwierig zu erforschenden Mikrobenfauna, die vor allem Cellulose und weitere biologisch schwer abbaubare pflanzliche Stoffe verdauen hilft.

Termiten sind gefürchtete Schad- insekten. Als Grundnahrung dient ihnen in der Regel mehr oder weniger trockenes Holz oder anderes cellulosehaltiges Material, auch solches, das sich bereits zersetzt. Da die meist fahlfarbenen, lichtscheuen Tiere, die alle in Staatengemeinschaften leben, Gegenstände von innen aushöhlen, wird ihr Zerstörungswerk an hölzernen Gebäuden oder Bauteilen oft erst kurz vor oder bei dem Einsturz offenbar.

Unter dem Begriff termes (Plural: termites) verstand man im Wissenschaftslatein früher ganz allgemein holzzerstörende Tiere, wie die fälschlich als Holzwürmer bezeichneten Larven der Klopfkäfer. Termiten machen sich aber auch über Nutzpflanzen wie etwa Zuckerrohr, Tee- oder Kaffeesträucher her, wobei sie saftige Teile als Beikost durchaus nicht verschmähen. Hinzu kommen Stoffe tierischer Herkunft wie Dung, selbst Wolle oder Leder. Vor den Allesfressern unter ihnen ist eigentlich kein organisches Material sicher, nicht einmal Kunststoff. Besonders in den Tropen verursachen sie deshalb erhebliche wirtschaftliche Schäden. Im Biohaushalt kommt ihnen jedoch eine wichtige Funktion zu, ähnlich der von Regenwürmern in den gemäßigten Breiten: Sie zerkleinern anfallende Bodenstreu und bringen sie in innigen Kontakt mit Erdpartikeln; dadurch lockern und bessern sie die nährstoffarmen tropischen Böden auf.

Manche der immerhin rund 2000 Arten kommen auch in gemäßigten Breiten vor, zum Beispiel an der französischen Atlantikküste bis zur Höhe von Paris. Die übrigen bevölkern – überwiegend unterirdisch in gegrabenen Gangsystemen und Nestanlagen – die Tropen und Subtropen. Die spektakulärsten Nester sind jene, die von steinharten, mehrere Meter hohen Hügeln überbaut sind. Ausgedehnte Tunnels oder gedeckte Laufwege, Galerien genannt, gehen davon bis zu Nahrungsquellen aus. Holztermiten bauen hingegen mit Vorliebe direkt im Holz.

Für das ungewöhnliche Staatswesen und die besonderen Freßgewohnheiten der Termiten haben sich seit langem Forscher interessiert. Uns als Mikrobiologen reizte etwas anderes: die symbiontische Mikrobengemeinschaft der Gärkammer.

Ohne die Bewohner ihres enorm erweiterten Hinterdarmabschnitts würden Termiten zugrunde gehen. Aber auch die Gastorganismen haben sich diesem Wirtsmilieu eng angepaßt: Was immer man an Tricks versucht – die meisten der einzig hier lebenden Symbiosepartner lassen sich noch heute nicht in Reinkulturen züchten, wie es für eine eingehende Untersuchung ihres Stoffwechselparts nötig wäre (die Gärkammer beherbergt zudem Mikroben, die nicht nur bei Termiten vorkommen). Für eine Reihe von Bakterien und Hefen ist uns das aber gelungen, was zugleich eine genaue Charakterisierung ermöglicht; und bei einigen der nicht kultivierbaren Organismen haben wir immerhin auf molekularer Ebene ihre systematische Zugehörigkeit bis zu einem gewissen Grade geklärt.

Sozialer Nahrungshaushalt

Suche und Verteilung von Nahrung obliegen in einem typischen Termitenstaat nicht fortpflanzungsfähigen Arbeitern (Bild 1 oben). Sie bilden die kopfstärkste Kaste und können – anders als bei Ameisen und Bienen – männlich oder weiblich sein. Sie versorgen andere Nestgenossen, so die kleinen Larven, die Soldaten und das Königspaar, mit Futtersaft oder vorverdautem Darminhalt. (Bei manchen Arten fungieren hingegen Altlarven als sogenannte Scheinarbeiter; sie können sich bei Bedarf in Geschlechtstiere umwandeln.) Die Verdauungssysteme aller Individuen zusammen bilden so etwas wie einen sozialen Nahrungshaushalt.

Termiten häuten sich mehrmals im Laufe ihrer Entwicklung. Da jedesmal auch der Hinterdarm mit der von einer dünnen Chitinschicht ausgekleideten Gärkammer erneuert wird, müssen die Tiere über verzehrten Darminhalt stets erst wieder mikrobielle Symbionten aufnehmen. Dies könnte für das Entstehen des ungewöhnlichen Sozialwesens der weißen Ameisen mit verantwortlich gewesen sein.

Mit ihren Namensvettern haben sie freilich stammesgeschichtlich wenig zu tun. Ihre nächsten Verwandten unter den Insekten sind vielmehr die Schaben, eine der ältesten Insektenordnungen, und mit diesen hatten sie vermutlich schon im Erdaltertum die letzten gemeinsamen Vorfahren. Termiten – selbst eine eigene Ordung – sind somit die ältesten staatenbildenen Insekten. Ihre beim Ausschwärmen noch geflügelten Geschlechtstiere haben fast immer zwei gleiche Flügelpaare, und dies hat der Ordnung den Namen Isoptera (Gleichflügler) eingetragen.


Die Gärkammer

Alle Termiten beherbergen in ihrer Gärkammer symbiontische Bakterien. Bei den niederen Termiten, einem Viertel der Arten, leben darin außerdem als Partner stets Geißeltierchen, die in der Regel zu einer besonderen, primitiven Kategorie von Einzellern gehören. Auch bei verwandten holzfressenden Schaben ist das bezeichnenderweise so. Holz – die vorwiegende Nahrung niederer Termiten – ist schwer verdaulich und äußerst arm an Stickstoff, der zum Aufbau von Proteinen und Erbsubstanz benötigt wird. Die Gemeinschaft der Darmbewohner hilft nicht nur, das Material rasch chemisch aufzuschließen, sondern dient auch als Stickstoff- und Vitaminquelle.

Dennoch bevorzugen viele Termitenarten Holz, das zumindest teilweise von abbauenden Pilzen befallen und deshalb bereits leichter verwertbar sowie – wegen des Pilzgeflechts – eiweißreicher ist. Unter den höheren Termiten, die mehr oder minder Allesfresser sind, züchten einige in unterirdischen Nestkammern sogar spezielle Pilze als hochwertige zusätzliche Nahrung (ihr Kot, oft untermischt mit weiterem cellulosehaltigem Material, dient gewissermaßen als Pflanzsubstrat).

Nun ist Symbiose ein Bündnis zum gegenseitigen Nutzen. Auch die Bewohner der Gärkammer haben ihre Vorteile: In dieser ökologischen Nische sind sie vor einer unwirtlichen oder gar feindlichen Umwelt geschützt, bekommen regelmäßigen Nachschub an cellulosehaltigem Material, und trotz der daraus produzierten Fettsäuren wird das Milieu annähernd neutral gehalten – außerdem ungefähr auf gleicher Temperatur, weil die feuchte- und wärmeliebenden Tiere in ihrem teilklimatisierten Nest die ihnen genehmsten Räume aufsuchen.

Bis die Nahrung in die voluminöse Gärkammer gelangt, hat sie bereits mehrere Bearbeitungsschritte hinter sich (Bild 1 unten). Von den Mundwerkzeugen grob vorgekaut, wird sie – vermischt mit Sekret – in einem mit Chitinleisten bewehrten Kaumagen feiner zerkleinert. Der Nahrungsbrei bekommt bei seiner weiteren Passage im Mitteldarm Verdauungsenzyme zugesetzt (darunter auch cellulosespaltende, die aber allein nicht ausreichen). Außerdem scheiden spezielle Organe, die man funktionell mit Nieren vergleichen könnte, Harnsäure als Abfallprodukt des Eiweißstoffwechsels in den Darm aus.

Erst in der Gärkammer erfolgt schließlich der Hauptumsatz der holzreichen Nahrung, ebenso das Recycling des Harnsäure-Stickstoffs, beides auf mikrobiellem Wege. Dieser natürliche Fermenter faßt beispielsweise bei der Gelbfußtermite (Reticulotermes flavipes) weniger als einen Mikroliter (Kubikmillimeter), beherbergt jedoch, wie mikroskopische Auszählungen ergaben, etwa eine bis zehn Millionen Bakterienzellen und etwa 30000 bis 40000 Geißeltierchen (Flagellaten) – das sind umgerechnet rund 60 Prozent des Inhalts.

Anders als Vor- und Mitteldarm stellt die Gärkammer ein fast sauerstofffreies Milieu dar. Zwar diffundiert Sauerstoff aus dem fein verästelten luftführenden Tracheensystem ein, dem Atmungsorgan der Insekten, das auch den Darmtrakt versorgt; er wird aber dicht an der Kammerwand von gewissen Symbionten verbraucht. Sie schützen somit andere Mitbewohner, für die er giftig wäre. Für viele Darmmikroben sind Sauerstoffkonzentrationen von etwa 20 Prozent wie in der Atmosphäre schon nach kurzer Zeit tödlich.

Wenn einem Ökosystem Sauerstoff fehlt, wird der Abbau organischer Kohlenstoffverbindungen zu anorganischen Stoffen kompliziert. In der Regel müs-sen dann verschiedene Gruppen von Mikroorganismen zusammenwirken, wobei jede irgendein teilweise abgebautes Produkt anderer weiterverwertet. Im Falle von Cellulose und Hemicellulose (die zweite der drei Hauptkomponenten pflanzlicher Gerüstsubstanz) entstehen in der Gärkammer letztlich kurzkettige Fettsäuren, vor allem Essigsäure, sowie molekularer Wasserstoff, Kohlendioxid und Methan. Die Essigsäure wird dann über die Darmwand in den Körper der Termite aufgenommen. Ihre aktivierte, an ein Coenzym gebundene Form ist eine Art Universalsubstanz des Stoffwechsels: Sie kann sowohl zum Energiegewinn abgebaut als auch zum Aufbau verschiedener körpereigener Verbindungen verwendet werden.


Urtümliche Verhältnisse

So lange diese Ernährungssymbiose auch bekannt ist – die Erforschung der mikrobiellen und biochemischen Zusammenhänge steht erst am Anfang. Zum einen sind manche Termiten im Labor nur schwer zu halten. Zum anderen lassen sich, wie erwähnt, die wenigsten ihrer besonderen Geißeltierchen bislang in Kultur züchten, und bei den termitenspezifischen Bakterien sieht es nicht viel besser aus. Immerhin nehmen das "Who is who" und das "Wer mit wem" in dieser Gesellschaft nun Gestalt an und enthüllen ein faszinierendes Beziehungsgeflecht.

Die auffälligsten Mitglieder sind die anaeroben – unter Sauerstoffausschluß lebenden – Geißeltierchen der niederen Termiten und der verwandten holzfressenden Schaben. Mehr als 400 Arten wurden bislang identifiziert; die meisten kommen in keinem anderen Ökosystem vor. Die Darwin-Termite (Mastotermes darwiniensis) zum Beispiel, die stammesgeschichtlich älteste noch lebende Vertreterin ihrer Ordnung, beherbergt allein sechs Arten (Bilder 2 bis 4).

Wie alle höheren einzelligen Organismen verfügen auch die Gärkammer-Flagellaten über mindestens einen Zellkern, sind also Eukaryoten – wörtlich: Echtkerner (Bild 5). Ihnen fehlen aber Mitochondrien (sozusagen die Kraftwerke des Atmungsstoffwechsels) und oft weitere sonst für höhere Zellen typische Organellen. Energie gewinnen diese Einzeller statt dessen meist in Hydrogenosomen – so benannt, weil darin, außer Essigsäure als Hauptendprodukt molekularer Wasserstoff (griechisch-lateinische Form: Hydrogenium) anfällt. Der Untergruppe der Oxymonaden (Bild 6) fehlt selbst diese Zellorganelle; wahrscheinlich gewinnen sie ihre Energie ausschließlich durch Gärung. Noch merkwürdiger an all diesen Symbionten ist, daß bei ihren Ribosomen, den Proteinfabriken, ein bestimmtes Makromolekül kürzer ist als sonst, eher vergleichbar dem von Bakterien.

Untersuchungen dieses ribosomalen Moleküls (der 16S-rRNA), aus dessen Veränderungen man auf stammesgeschichtliche Verzweigungen schließen kann, deuten darauf hin, daß diese Zellen Formen von Eukaryoten darstellen, die vielleicht bereits vor mehr als einer Milliarde Jahre existierten – bevor sich Mitochondrien als Organellen etablierten. Deshalb hat man die Gärkammer-Flagellaten nun mit den ebenfalls spartanisch ausgerüsteten Diplomonaden und Microsporidien (zwei Einzellergruppen, die sich ebenfalls sehr früh von der Hauptlinie der Eukaryoten abgespalten haben) in einer Kategorie zusammengefaßt und unter dem Begriff Archaezoen von anderen eukaryotischen Protozoen abgegrenzt.

Als anaerobe Organismen konnten sie seit ihrem Erscheinen wohl nur in ökologischen Nischen ohne Sauerstoff überleben oder ihn bestenfalls in geringen Mengen tolerieren. Möglicherweise sind nach dem Aufkommen der ersten Termiten, das man im späten Erdaltertum vermutet, derartige Geißeltierchen mit der Nahrung immer wieder in den Darm gelangt; dort haben sie sich allmählich eingenistet, bis daraus schließlich eine enge Symbiose zu beiderseitigem Nutzen erwuchs. Alle Termiten in Südamerika, Afrika und Australien besitzen noch immer eine vergleichbare Flora, so daß die Partnerschaft wohl vor mehr als 300 Millionen Jahren, noch bevor der südliche Großkontinent Gondwanaland zerfiel, schon weitgehend etabliert war.


Seilschaften

Nicht selten sind die Gärkammer-Flagellaten mit verschiedenen Bakterien besetzt, die anscheinend wiederum zu ihnen symbiontische Beziehungen unterhalten. Das bekannteste Beispiel ist Mixotricha paradoxa aus der Darwin-Termite: Das Geißeltierchen ist von einem dichten Pelz aus langen, in sich beweglichen Bakterien umhüllt, die zur Gruppe der Spirochäten gehören; zusätzlich trägt es verschiedene stäbchenförmige Bakterien (Bild 2 rechts).

Spirochäten sind stets ein dominierender Bestandteil der Mikrobenwelt aller Termiten, auch der höheren, die generell keine Flagellaten beherbergen. Bei mikroskopischer Betrachtung des Gärkammerinhalts fallen sie sofort auf, weil sie sich wegen ihrer sehr langgestreckten schraubigen Form und der typischen schlängelnden Bewegungen gut von anderen Bakterien abheben (Bild 7 unten).

Keine einzige dieser Spirochäten läßt sich bislang kultivieren; deshalb weiß man noch kaum etwas über ihre Physiologie und ihre Bedeutung im Ökosystem. Entsprechend basiert ihre systematische Einteilung bisher lediglich auf äußeren und inneren Gestaltmerkmalen, was unbefriedigend und nicht selten irreleitend ist. Neben einer Vielzahl kleiner Formen existieren recht große: Sie sind immerhin rund ein zehntel Millimeter lang, aber nur ein tausendstel dick. Einstweilen werden sie aufgrund ihrer Gestaltmerkmale in vier Gattungen unterteilt.

Uns interessierte, ob diese Gruppen wirklich eine eigenständige stammesgeschichtliche Entwicklung durchgemacht haben, getrennt von den anderswo freilebenden, nicht-symbiontischen Spirochäten. Dazu brauchten wir die Gene für ihre 16S-rRNA. Mittels der Polymerase-Kettenreaktion, die das gezielte Vervielfältigen des interessierenden Abschnitts erlaubt, gewannen wir von der Spirochäten-Population der Darwin-Termite ausreichend Genmaterial, um die Abfolge der Bausteine analysieren zu können. Insgesamt fanden sich zwölf verschiedene Basensequenzen, aus denen sich die der jeweiligen RNA ableiten ließen. Mit markierten molekularen Sonden, die sich jeweils gezielt an eine dieser bakteriellen Sequenzen anlagerten, konnten wir die zugehörigen Spirochäten in der Population dann identifizieren. Beim Vergleich mit bereits in Datenbanken vorliegenden Sequenzen ergab sich eine 80- bis 90prozentige Ähnlichkeit mit der Treponema-Gruppe des Spirochäten-Stammbaums. Arten der Gattung Treponema sind wichtige Krankheitserreger, gehören aber auch zur normalen Flora von Mensch und Tier in Mundraum, Verdauungstrakt (insbesondere im Pansen der Wiederkäuer) und Genitalbereich.

Die auf diesem Umweg erstmals geglückte Sequenzierung eines Gens anaerober Gärkammer-Spirochäten zeigt, daß diese Organismen sich nahtlos in die Systematik bekannter Vertreter der "Korkenzieherbakterien" einfügen und somit keine Sonderentwicklung darstellen. Zugleich ergeben sich interessante Anhaltspunkte für ihre physiologische Rolle. So verhilft ein Vertreter einer nahe verwandten Gattung – Spirochaeta caldaria – im Laborversuch dem Bakterium Clostridium thermocellum zu einem rascheren Abbau von Cellulose (es kommt in Material vor, das sich unter Sauerstoffabschluß zersetzt). Und weil gewisse kultivierbare Spirochäten Traubenzucker fermentieren und dabei Essigsäure als Endprodukt produzieren, könnte dies auch eine Funktion der symbiontischen Stämme aus dem Termitendarm sein.

Die speziell auf dem Mixotricha-Flagellaten der Darwin-Termite angesiedelten Sorten haben eine weitere, nicht mit dem Stoffwechsel verknüpfte Funktion: Sie ermöglichen anscheinend erst durch das koordinierte wellenförmige Schlagen ihrem Wirt, sich durch den Holzbrei fortzubewegen (Bild 2 Mitte rechts). Seine vier Geißeln am Vorderende nutzt dieser lediglich, um seine Richtung zu steuern (Bild 2 links).

Am hinteren Teil nimmt der Flagellat die winzigen Holzpartikel auf, die er verwertet. Da er aber bislang nicht zu kultivieren ist, sind Details seiner Biochemie, genau wie die seiner Kollegen in der Darwin-Termite, noch ungeklärt. Zumindest gibt es Indizien dafür, daß nicht alle sechs Arten von Flagellaten dieser Termite auf Holz als Nahrung angewiesen sind: Nach einer mehrtägigen Stärke-Diät des Insekts verschwinden zunächst die vier großen von ihnen (darunter Mixotricha), die beiden kleineren hingegen vermehren sich stark. Nach mehrmonatiger Diät aber gehen auch sie verloren.

Einige Gärkammer-Flagellaten, darunter ein kleiner aus der Darwin-Termite (Bild 3), beherbergen sogar in ihrem Inneren Bakterien. Es handelt sich um Methanbildner, erkennbar an ihrer charakteristischen Fluoreszenz. Sie verbinden die Oxidation von Wasserstoff mit der Reduktion von Kohlendioxid und bilden dabei Methan. Hochrechnungen zufolge emittieren Termiten weltweit jährlich je rund 100 Millionen Tonnen Methan und Wasserstoff sowie etwa 10 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre.

Außerhalb der Flagellaten kommen nur wenige Methanbakterien frei in der Gärkammer vor. Sie können aber, wie zwei Arbeitsgruppen inzwischen nachgewiesen haben, auch an der Gärkammerwandung sitzen. Dort müssen sie mit anderen Bakterien um Wasserstoff konkurrieren. Im Zellplasma ihres Einzellerwirts hingegen sieht man sie oft in der Nähe von Hydrogenosomen, also unmittelbar an einer Wasserstoff- und damit an ihrer Energiequelle. Indem die Untermieter vor Ort den Stoff umsetzen, der in höheren Konzentrationen das Wachstum ihres Wirts beeinträchtigt, wird die Partnerschaft für beide Seiten profitabel.


Gunst um Gunst

Da die Holznahrung der Termiten extrem wenig Stickstoff enthält (er macht nur ein Tausendstel des Kohlenstoffanteils aus), ist seine Rückgewinnung aus der in den Darm ausgeschiedenen Harnsäure des "Urins" von Vorteil. Gewisse Bakterien der Gärkammer spalten die Harnsäure und nutzen das entstehende Ammonium als Stickstoffquelle; möglicherweise können die Termiten es ebenfalls direkt weiterverwerten – ansonsten erhalten sie Stickstoff durch die Aminosäuren, die aus den Zellen der Mikroorganismen freigesetzt werden.

Trotzdem ist in diesem Ökosystem Stickstoff knapp. Deshalb hat eine weitere bakterielle Fähigkeit besondere Bedeutung: seine Fixierung aus der Luft, in der sein Anteil immerhin rund 80 Prozent beträgt. Im Termitendarm bewerkstelligen dies Arten der Gattungen Enterobacter, Rhizobium und Desulfovibrio. Auch in der Darmflora des Menschen kommen Arten der Gattung Enterobacter vor. Rhizobien-Arten sind hingegen als Bodenbakterien bekannt; manche leben in Symbiose mit Hülsenfrüchtlern und versorgen diese Pflanzen mit dem lebenswichtigen Baustoff. Die Mitglieder der Gattung Desulfovibrio sind hingegen eher für ihre namensgebende Eigenschaft bekannt, die Oxidation von Wasserstoff oder organischer Stoffe mit der Reduktion von Sulfat zu verbinden (im Termitendarm stammt es vermutlich aus aufgenommenen Bodenpartikeln). Das Produkt ist Schwefelwasserstoff, die charakteristische Geruchskomponente fauler Eier (er wird wiederum von anderen Bakterien als Schwefelquelle genutzt). Wie unsere laufenden Untersuchungen zeigen, sind solche sogenannten Sulfatatmer unter Termiten weit verbreitet und kommen auch bei der verwandten holzfressenden Schabe Cryptocercus punctulatus aus Nordamerika vor. Bemerkenswerterweise gehören sämtliche bislang aus der Gärkammer isolierten Stämme der Gattung Desulfovibrio an (Bild 7 oben), obwohl in der Natur noch andere Gattungen von Sulfat-Reduzierern existieren.

Physiologische Experimente offenbarten eine weitere, bislang unbeachtete Funktion dieser symbiontischen Sulfatatmer: Sie sind auch zu einer wirkungsvollen Sauerstoffatmung fähig, wobei Sauerstoff und Wasserstoff in einer Knallgasreaktion zu Wasser umgesetzt werden. Mit dem Entfernen von überschüssigem Sauerstoff im Gärkammersystem wirken sie einem Hochwachsen aerober Bakterien entgegen, die Essigsäure in Gegenwart von Sauerstoff vollständig zu Kohlendioxid abbauen und damit dem Wirtsinsekt entziehen würden. Andere verwertbare Fettsäuren, außer der Essigsäure, kommen in der Gärkammer nur in geringen Konzentratio-nen vor.

Der Gemeinschaft der Gärkammerbakterien werden schließlich noch andere wichtige Aufgaben zugeschrieben, so der Schutz vor krankheitserregenden Bakterien und die Versorgung mit Vitaminen.


Von Cellulose bis Lignin

Wie erwähnt, beherbergen höhere Termiten keine Flagellaten, sondern praktisch ausschließlich Bakterien in ihrer Gärkammer. Trotz zahlreicher Versuche war die Bedeutung dieser Organismen für den Cellulose-Abbau umstritten. Inzwischen haben wir mehr als 70 ihn ausführende Bakterienstämme aus höheren und niederen Termiten isoliert, das heißt in Reinzucht kultiviert. Einige gehören, wie sich zeigte, der Gattung Cellulomonas an, die celluloseabbauende Bodenbakterien umfaßt. Andere sind Bazillen, also Vertreter der weit verbreiteten Gattung Bacillus. Wieder andere ließen sich noch nicht systematisch einordnen. Während im Rinderpansen nur strikt anaerobe Bakterien den Cellulose-Abbau übernehmen, leben die Bazillen des Termitendarms besser mit Sauerstoff, und die Cellulomonaden tolerieren ihn zumindest in geringer Konzentration.

Das Polysaccharid Cellulose als eine verwertbare Hauptkomponente von Holz wird in Termiten summa summarum zu etwa 60 bis 99 Prozent abgebaut; dies ist zwar nicht das alleinige, aber doch wohl das überwiegende Werk der Mikrobengemeinschaft. Immerhin scheinen die Insekten eigene Spaltenzyme zu haben, die synergistisch mit den mikrobiellen wirken. Zudem herrscht in ihrem Mitteldarm ein stark basisches Milieu, das die kristalline Struktur der Holz-Cellulose aufbrechen kann.

Von den Hemicellulosen werden etwas weniger, knapp 50 bis knapp 80 Prozent, umgesetzt. Diese zweite wichtige Holzkomponente ist chemisch komplex und enthält Xylane als mengenmäßig bedeutsamsten Bestandteil. Allein der vollständige Abbau dieser Substanzen – ebenfalls wasserunlöslicher Polysaccharide – erfordert das Zusammenspiel einer ganzen Garnitur von Enzymen. Wir konnten zwar eine dafür zuständige Gemeinschaft symbiontischer Bakterien aus dem Termitendarm isolieren und charakterisieren; doch zeigte sich dabei, daß offenbar keine Art allein Hemicellulosen völlig aufzuschließen vermag. Somit ist der in Mischkultur durchaus effiziente Abbau wohl nur im Zusammenspiel zu erzielen. Außerdem haben wir nun erstmals auch Hefepilze mit dieser Fähigkeit aus der Gärkammer isoliert.

Die Frage, wieweit das chemisch komplexe Lignin als eigentliche Stützsubstanz holziger Pflanzenteile von Termiten abgebaut wird, war bislang offen. Verschiedene Untersuchungsmethoden erbrachten Abbauraten zwischen null bis gut 80 Prozent, wobei aber eine direkte Beteiligung der Mikroben nicht nachgewiesen wurde. Außerdem war kein natürlicher Abbaumechanismus für dieses komplexe, aromatische Ringe enthaltende Polymer bekannt, der unter Sauerstoffausschluß funktionieren würde.

Wir haben aus verschiedenen höhe-ren und niederen Termiten Misch- und Reinkulturen der Mikrobenfauna darauf geprüft, ob sie in Gegenwart oder in Abwesenheit von Sauerstoff zugefügte niedermolekulare Ligninbausteine (Phenylpropane) umsetzen konnten. Unter anaeroben Bedingungen wurde der aromatische Ring nur modifiziert, aber nicht aufgebrochen. Das geschah erst in Gegenwart von Sauerstoff, der im Tier durch das Tracheensystem an 0die Gärkammer herangeführt wird. (Möglicherweise werden in der Nähe der Wandung auf diesem Stoffwechselweg auch für Insekten toxische aromatische Verbindungen wie Tannine, Phenole oder Terpenoide oxidiert und in unschädliche Folgeprodukte umgewandelt.) Vergleichbare Reaktionen mit solchen aromatischen Verbindungen finden übrigens auch im menschlichen Darm statt.

Bei komplexen synthetischen Oligolignolen versagte hingegen die symbiontische Mikrobengemeinschaft. Lignin selbst kann deshalb binnen der rund 24 Stunden, in denen der Nahrungsbrei im Darmtrakt verweilt, niemals effizient umgesetzt werden. Denkbar ist aber, daß es dort in innigen Kontakt mit sauerstoffliebenden Bakterien gerät, die mit Bodenpartikeln aufgenommen werden. Das könnten insbesondere die fälschlich als Strahlenpilze bezeichneten Streptomyceten sein, die polymere Naturstoffe abbauen. Nach dem Ausscheiden der Kotbällchen würden sie und weitere Mikroorganismen Lignin außerhalb des Darms spalten und es, da Termiten Kot wieder fressen, doch noch als Nahrung erschließen. Mit dieser Vorstellung ließen sich die sehr widersprüchlichen Ergebnisse verschiedener Wissenschaftler zum anaeroben Abbau der Substanz in der Gärkammer verstehen.

Längst sind noch nicht alle Typen von Mitgliedern der Gärkammergemeinschaft erfaßt, geschweige denn ihre Funktionen. Welche Aufgabe etwa die von uns aus niederen und höheren Termiten isolierten einzelligen Hefepilze haben, untersuchen wir erst.

Solche Forschungen sind gewiß für sich interessant, weil sich damit Einblicke in ein hochkompliziertes Miniatur-Ökosystem und in die Evolution zunächst bizarr anmutender, aber äußerst effizienter Symbiosen ergeben. Sie tragen zudem zum Verständnis biochemischer Umsetzungen bei, die insbesondere durch immense Gasemissionen die gesamte Biospäre beeinflussen. Schließlich könnten sie für uns Menschen direkten praktischen Nutzen haben, denn sicherlich ließe sich der eine oder andere mikrobielle Abbauprozeß zur Gewinnung neuer Rohstoffe aus Holz anwenden.

Literaturhinweise

- Role of Microorganisms in the Digestion of Lignocellulose by Termites. Von J. A. Breznak und A. Brune in: Annual Reviews of Entomology, Band 39, Seiten 453 bis 487, 1994.

– Lignocellulose Degradation by Microorganisms from Termite Hills and Termite Guts: A Survey on the Present State of Art. Von A. Varma, B. K. Kolli, J. Paul, S. Saxena und H. König in: FEMS Microbiology Reviews, Band 15, Seiten 9 bis 28, 1994.

– Degradation of Lignin Monomers by the Hindgut Flora of Termites. Von T. Kuhnigk, E. Borst, A. Ritter, P. Kämpfer, A. Graf, H. Hertel, H. König in: Systematic and Applied Microbiology, Band 17, Seiten 76 bis 85, 1994.

– Phylogenetic Analysis and in Situ Identification of Uncultivated Spirochetes from the Hindgut of the Termite Mastotermes darwiniensis. Von M. Berchtold und H. König in: Systematic and Applied Microbiology, Band 18, Seiten 66 bis 73, 1996.

– Hemicellulose-Degrading Bacteria and Yeasts from the Termite Gut. Von A. Schäfer, R. Konrad, T. Kuhnigk, P. Kämpfer, H. Hertel und H. König in: Journal of Applied Bacteriology, Band 80, Seiten 471 bis 478, 1996.

– A Feasible Role of Sulfate-Reducing Bacteria in the Termite Gut. Von T. Kuhnigk, J. Branke, D. Krekeler, H. Cypionka, H. König in: Systematic and Applied Microbiology, Band 19, Seiten 139 bis 149, 1996.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1997, Seite 68
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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