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Ökotourismus. Reisen zwischen Ökonomie und Ökologie.

Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1997. 316 Seiten, DM 88,–.

Rund 500 Millionen Auslandsreisen werden nach Schätzungen der Welt-Tourismus-Organisation (WTO) jedes Jahr unternommen, Reisen im eigenen Land sind noch weitaus häufiger. Die bereisten Regionen verkraften die Touristenströme immer weniger.

Dies gilt auch für staatlich geschützte Naturgebiete. Im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien, berühmt für seine wildromantische Bergwelt und seine alten Mammutbaumbestände, hielten sich schon Mitte der sechziger Jahre täglich bis zu 60000 Besucher auf. Das Haupt-tal des Parks glich einer belebten Innenstadt und hatte sogar ein Gefängnis. Während 1967 mehr als zwei Millionen Touristen kamen, sind es seit 1993 mehr als vier Millionen pro Jahr. Die Parkverwaltung kümmerte sich über Jahrzehnte hauptsächlich um die kommerzielle Nutzung der Wildnis: Tourismus, Holznutzung, Weidewirtschaft und Jagd. Erst in jüngster Zeit wandte sie sich dem Naturschutz zu.

Dies ist ein Paradebeispiel dafür, wie Naturgebiete durch Massentourismus zur bloßen Kulisse für Freizeitaktivitäten verkommen. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger brachte diese Massenflucht aus dem zivilisierten Alltagsleben, hinein ins organisierte Abenteuer mit komfortabler Übernachtung auf dem Campingplatz oder im Hotel, auf die Formel: „Der Tourismus zerstört, was er sucht, indem er es findet.“ So war bereits vor 1900 im Yosemite-Nationalpark der letzte Grizzlybär erlegt worden.

Dagegen setzen die Autoren ihr Grundkonzept: Touristen sollen die bereisten Naturgebiete nicht mehr als Konsumenten verbrauchen, sondern durch ihr Verhalten und ihre Finanzkraft deren Schutz dienen. Touristik-Unternehmen und Naturschützer müssen deshalb gemeinsam neue Formen des Reisens entwickeln – eben Ökotourismus.

Die drei Hauptautoren, die aus dem Geographischen Institut der Humboldt-Universität Berlin kommen, wenden sich ebenso an Studenten wie an Praktiker aus Naturschutz und Tourismus sowie an Reiseveranstalter und Bereiste. Sie wollen eine abgesicherte, einprägsame und praxiswirksame Antwort geben auf die Frage, inwieweit Naturschutz durch Naturgenuß möglich sei.

Der erste der drei großen Teile des Buches bringt Definitionen und eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation des Tourismus. In einem geschichtlichen Abriß ist die Entwicklung des Ressourcen- und Naturschutzes gut herausgearbeitet. Es folgt eine Darstellung so verschiedener Konfliktpotentiale aus der Naturschutz-Praxis wie Landnutzungsdruck, Akzeptanz der Schutzgebiete bei der lokalen Bevölkerung, Eingriffe internationaler oder regionaler Naturschutzgruppen sowie Ausbildung und Bezahlung von Wildhütern. Die Aufzählung ist durchaus als Checkliste für Naturschutz- oder Tourismusprojekte geeignet, wenngleich die verwendeten Beispiele gelegentlich etwas abstrakt sind.

Im zweiten Teil beschreiben zahlreiche Autoren in 20 kurzen Beiträgen, wie sich Naturtourismus in einer Auswahl ebenso vieler Gebiete entwickelt: drei in Deutschland, zwei im übrigen Europa, die anderen in aller Welt. Insbesondere versuchen sie – im wesentlichen auf eigene Erfahrungen gestützt – die Auswirkungen der Projekte auf die Menschen vor Ort zu ergründen. Doch bleibt der Wert des Ökotourismus für den Erhalt der vorgestellten Gebiete oft im dunkeln, weil keine Vergleiche mit den herkömmlichen Reisen in die jeweilige Region angestellt werden. Ein Porträt der 1990 von Naturschutzverbänden in Washington gegründeten Ecotourism Society ergänzt die Zusammenstellung.

Unter dem Titel „Lessons learned“ fassen die Herausgeber im dritten Teil alle Beiträge aus dem zweiten zusammen. Anschließend bewerten sie das Vorgestellte in kurzen Statements und stellen Forderungen an Touristik, Naturschutz und Politik.

Diesen letzten Teil wünschte ich mir besser ausgearbeitet. Hier vertun die Herausgeber die Chance, die Diskussion um Ökotourismus zu strukturieren, ihre Argumente aufeinander aufbauend zu formulieren und Prioritäten zu setzen. Beispielsweise klingt außer einigen (zweck-) optimistischen Passagen wiederholt Skepsis gegenüber dem Anliegen des Buches durch: Mehrfach äußern die Hauptautoren, daß Ökotourismus nur eine Nische in einem riesigen Markt sein könne und kein Massentourismus, daß er nur schwer zu organisieren sei und die Einhaltung seiner Ziele immer wieder neu überwacht werden müsse. Die Autoren bündeln diese Aussagen jedoch nicht; sie schreiben nicht, mit welchen Beispielen sie konkret ihre Feststellungen und Forderungen begründen und an wen genau diese sich richten.

Wichtig wäre auch, ausführlicher als hier geschehen darzulegen, wie die Touristik-Unternehmen selbst ihre Ansprüche an naturverträgliches Reisen formulieren und wie sie langfristig ihre Konzepte – vor allem mit Blick auf eine Wachstumsbegrenzung ihrer Märkte – umsetzen wollen. So weit scheint die Entwicklung jedoch noch nicht gediehen; wohl deshalb bleibt das Werk an etlichen Stellen etwas abstrakt.

Alles in allem ein lesenswertes Buch zu einem aktuellen Thema, ansprechend aufgemacht mit vielen Landkarten, erfreulich arm an Druckfehlern, solide ausgestattet mit Autoren-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis sowie einem umfangreichen Index. Mit den Herausgebern bleibt zu hoffen, daß Ökotourismus in Zukunft wirksam zum Erhalt von Naturgebieten beitragen kann.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1999, Seite 112
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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