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Offene Nukleargeheimnisse?

Durch Pakistans losen Umgang mit Geheiminformationen könnten Terroristen Zugang zu Nuklearinformationen haben


All die Jahre haben mehrere Regierungen Pakistans dem Westen versichert, sie hätten ihre Atomwaffen samt Zubehör und Technologie fest im Griff und im Lande unter strenger Kontrolle. Aber genau davon waren westliche Nuklearanalysten niemals restlos überzeugt. Etliche Mitglieder des pakistanischen Nuklearprogramms sowie des Militärs könnten sehr wohl noch Sympathien für die radikal-islamische Sache pflegen. Besonders Anlass zu Besorgnis lieferten die illegale Hilfe und Sicherheitsverletzungen in der Entwicklung des Programms.

Von Anfang an baute es auf illegale Beschaffungsmaßnahmen und vorsätzliche Täuschung. Kontakte mit halbseidenen Mittelsmännern wurden ebenso gepflegt wie mit Firmen, die westliche Exportrichtlinien in Abhängigkeit vom Preis befolgten, den zu zahlen man bereit war. In einer bestimmten Organisationskultur finden frustrierte Mitarbeiter immer Gründe, geheime Objekte oder vertrauliches Wissen abzugeben.

Indien ist von solchen Problemen weniger betroffen, denn sein Nuklearprogramm ist älter als das Pakistans. Ursprünglich bezog Indien seine nukleare Infrastruktur von westlichen Zulieferern, bis westlichen Regierungen klar wurde, in welchem Maße Entwicklungsländer ihr ziviles Nuklearprogramm missbrauchten, um Atombomben herzustellen. Pakistan ist da-bei keineswegs das einzige Land, das mit der Geheimhaltung lax umgeht. So war bekannt, wie schlecht das deutsche Programm einer zivilen Gaszentrifuge unter Verschluss blieb. Ende der 1980er Jahre wurde der Irak gehei-merweise von deutschen Nuklearexperten unterstützt.

Eine Schlüsselkomponente, die Herstellung von hoch angereichertem, bombenfähigen Uran, hatte sich Pakistan durch Spionage angeeignet. Mitte der 1970er Jahre arbeitete der Initiator des Programms, A. Q. Khan, in einer holländischen Ingenieurfirma. Dort hatte er die Aufgabe, geheime Entwurfspläne von Gaszentrifugen zu übersetzen. So hatte er Zugang zu einer Vielfalt kritischer Informationen. Nach seiner Rückkehr nach Pakistan, gründete Khan dann die Ingenieur-Forschungs-Laboratorien, heute bekannt als Dr.-Khan-Forschungslaboratorien, um dieses Wissen in eine Bombenfabrik umzumünzen.

Laut einem Memorandum, welches das US-amerikanische State Department 1983 freigegeben hatte, verbarg Pakistan seine Anreicherungsaktivitäten mit falschen Angaben über die Verwendung von Ausrüstungsimporten aus dem Westen. So deklarierte Pakistan seine Gaszentrifugenanlage einmal als Fabrik zur Herstellung synthetischer Butter. In einem Interview vom Jahre 1999 sagte Khan, sein Programm hätte sich Ausrüstungsgegenstände über Offshore-Zwischenfirmen in Japan, Singapur und anderswo beschafft.

Um an Geheiminformationen he-ranzukommen, verfuhren Khan und seine Kollegen nach einer Art Robin-Hood-Methode. Ende der 1980er Jahre veröffentlichten sie dann in westlichen Zeitschriften einige Artikel über Gaszentrifugen. Damit sollte demonstriert werden, dass Pakistan in der Lage sei, Atombomben zu bauen.

Einer der pakistanischen Artikel stellt die einzige, öffentlich verfügbare Untersuchung von Gebläsen zur Herstellung von extrahartem Spezialstahl dar. Jahrelang betrachtete Urenco, eine britisch-deutsch-holländische Anreicherungsfirma, allein die Erwähnung solcher Gebläse als einen Bruch ihrer Geheimhaltungsregeln.

Wie weit gingen Pakistans Kernphysiker noch bei ihrer Verbreitung der Kunst des Bombenbaus? Die UN-Waffeninspektoren stießen im Irak auf ein einseitiges Geheimdokument mit der Aufschrift TOP SECRET. Es enthielt ein Angebot seitens Pakistans zur Hilfe bei Nuklearwaffen. Laut diesem Dokument sei 1990 eine Zwischenperson an den irakischen Geheimdienst herangetreten. Diese Person bot an, dass A. Q. Khan Bombenentwürfe an den Irak liefern würde.

Den Waffenkontrolleuren gelang es nicht, diese Person aufzuspüren, Pakistan und Khan bestritten jede Beteiligung. Gleichwohl nahmen die Iraker das Angebot ernst – und lehnten es ab, wohl aus Furcht, Khan könnte dabei zu viel über Iraks Nuklearwaffenprogramm erfahren.

Im März 2001 wurde Khan als Leiter des pakistanischen Nuklearprogramms abgelöst. Im Sommer 2001 tauchten Berichte auf, dass Khans Labor seine Beziehungen mit Nordkoreas Programm für ballistische Raketen weiterpflegen würde.

Es gibt keinerlei Beweise für eine Verbindung zwischen der Regierung Pakistans und irgend einer Terroristengruppe. Aber, wie bekannt, unterstützte Pakistan die Taliban in Afghanistan bis zum 11. September.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2002, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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