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Oxidation verstehen - Grundlagenforschung mit Molekularstrahlepitaxie


Mit einem Sauerstoffanteil von knapp 21 Prozent hat die Erde eine stark oxidierende Atmosphäre. Korrosion von Metallen und anderen Materialien und somit permanent hohe wirtschaftliche Verluste sind die Folge. Das Problem verschärft sich noch dadurch, daß moderne Technik Prozesse und Dimensionen erschließt, bei denen eine Oxidation unmittelbar die Leistungsfähigkeit von Bauteilen einschränkt. Zwei Beispiele:

- Der Wirkungsgrad von Heißdampfturbinen ließe sich zur effektiveren und damit umweltfreundlicheren Stromproduktion durch höhere Arbeitstemperaturen steigern; bei mehr als 500 Grad Celsius setzt jedoch verstärkt Korrosion der Turbinenblätter ein.

- In mikroelektronischen Strukturen kann schon die Bildung eines winzigen Oxidfleckchens den Stromfluß unterbrechen und so die Funktion stören.

Um dem vorzubeugen oder entgegenzuwirken beziehungsweise um gezielt oxidische Oberflächen mit bestimmten Eigenschaften zu erzeugen, muß man die Reaktion des Sauerstoffs mit dem jeweiligen Material bis ins Detail verstehen. Solch eingehende Kenntnisse sind jedoch nur an Schichten zu gewinnen, deren Wachstum sogar auf atomarer Ebene zu kontrollieren ist.


Die Metallabscheidung

Die modernste Methode, kristalline Schichten mit derartiger Präzision herzustellen, ist die Molekularstrahlepitaxie (kurz MBE nach englisch molecular beam epitaxy); das Verfahren wird beispielsweise in der Galliumarsenid-Halbleitertechnik häufig eingesetzt. Eine Anlage an unserem Institut dient speziell zum Abscheiden von Metallschichten (Bild 1). Die zentrale Einheit besteht aus einer großen Kammer mit mehreren Verdampferquellen für jeweils ein Metall. In ihrem Zentrum befindet sich eine dreh- und heizbare Halterung für Kristallsubstrate, auf die man die Atomstrahlen aus den Verdampfern ausrichtet. Mehrere Pumpen erzeugen während des Aufdampfens ein Ultrahochvakuum, um Kontaminationen der aufwachsenden Schicht durch Restgase zu vermeiden. Mit pneumatisch betätigten Schiebern vor den Quellen lassen sich die einzelnen Atomstrahlen abrupt unterbrechen und so wohldefinierte Grenzflächen zwischen zwei verschiedenen Materialien herstellen. Der gesamte Prozeß wird fortwährend überwacht und rechnergesteuert. Damit allein ist es freilich noch nicht getan, wenn beispielsweise eine kristalline Schicht aus Chrom mit sehr glatter Oberfläche hergestellt werden soll; dieses Element nutzt man unter anderem zum Korrosionschutz moderner Stähle. Man braucht ein geeignetes Substrat, und für Metalle ist das Saphir, eine Edelstein-Varietät des Aluminiumoxids Korund (Al2O3), denn er ist in hohem Maße gleichmäßig strukturiert sowie chemisch und thermisch stabil. Außerdem lassen sich Scheiben daraus überaus glatt präparieren, so daß verbleibende Rauhigkeiten nicht größer sind als eine Atomlage. Würde man allerdings Chrom direkt auftragen, entstünden einzelne kristalline Domänen mit jeweils eigenem Ordnungsgrad. Deshalb dampft man eine dünne Zwischenschicht aus dem hochschmelzenden Metall Niob auf. Die Erfahrung zeigt, daß es sich mit großer kristalliner Perfektion und durchgehender Orientierung auf Saphir abscheidet. Läßt man darauf Chrom aufwachsen, überträgt sich nun dieser Aufbau auf dessen Gitter. Diese Prozesse lassen sich direkt verfolgen, indem man hochenergetische Elektronen unter streifendem Einfallswinkel auf die Oberfläche schießt. Sie werden entsprechend ihrer Interferenz an deren Struktur abgelenkt und mit einem der Elektronenkanone gegenüberliegenden Leuchtschirm sichtbar gemacht (reflection high energy electron diffraction, RHEED). Das Interferenzmuster enthält Informationen über die Geometrie, die Symmetrie und den Ordnungsgrad der wachsenden Schicht (Bild 2). Durch die Kombination von MBE und RHEED läßt sich das Wachstum also atomlagenweise in situ beobachten und steuern; Ultrahochvakuum und Kammerarchitektur sind darauf abgestimmt. Mit der Molekularstrahlepitaxie kann man außer einzelnen Schichten auch Übergitter herstellen, also Strukturen aus zwei verschiedenen Materialien, die durch abwechselndes Öffnen und Schließen der Schieber vor den Verdampferquellen periodisch aufeinandergeschichtet werden. Erst in den letzten Jahren gelang damit der Durchbruch zu neuen Methoden der Nanostrukturierung von Metallen und dem gezielten Aufbau von Multilagen mit bestimmten Eigenschaften. Besondere Bedeutung haben magnetische Übergitter erlangt, etwa für Magnetfeldsensoren in Datenspeichern oder im Automobilbau. Es sind aber einkristalline dünne Metallschichten, die ermöglichen, ein prinzipielles Verständnis von Oberflächenreaktionen wie der von Sauerstoff mit Metallatomen bei der Oxidation zu gewinnen. Dabei wächst nämlich eine neue Kristallstruktur auf.

Oxidation von Metallen

Das Bilden von Metalloxiden und das Oxidationswachstum vollziehen sich in zahlreichen Teilprozessen, die Chemiker wie Physiker seit vielen Jahrzehnten zu verstehen suchen. Vereinfacht lassen sich folgende Schritte unterscheiden: – Sauerstoffmoleküle (O2) lagern sich auf einer Metalloberfläche an, und Elektronen werden vom Metall auf das Molekül übertragen; – dabei dissoziieren die Sauerstoffmoleküle in Ionen; – in der obersten Atomlage entstehen Metall-Sauerstoff-Verbindungen und bilden Keime für das Wachstum; – weitere Elektronen und Metall-Ionen dringen an die Oberfläche und unterhalten das Oxidwachstum, während gleichzeitig die entstehenden Leerstellen in das Innere des Metalls transportiert werden; – schließlich bildet sich eine geschlossene Oxidschicht. Deren Wachstum im Mikrometerbereich hat Mitte der dreißiger Jahre erstmals der Göttinger Physiker Carl Wagner beschrieben. Unter bestimmten Bedingungen für die Elektronen- und Ionenströme, so fand er, nimmt die Dicke der Schicht proportional mit der Quadratwurzel der verstrichenen Zeit zu. Dabei bestimmt die Diffusionskonstante der Metall- und Sauerstoff-Ionen im Oxid den Proportionalitätsfaktor. Obwohl diese phänomenologische Beschreibung für dicke Schichten experimentell befriedigend bestätigt wurde, blieben viele Fragen über die physikalischen Prozesse gerade im Anfangsstadium der Oxidation offen. Auch war damit nicht zu erklären, warum manche Metalle leichter rosten als andere, Edelmetalle kaum Sauerstoff anlagern und Aluminium sehr effektiv gegen Korrosion geschützt ist. In den vierziger Jahren untersuchte dann der Engländer Sir Neville Mott (Nobelpreis 1977) die Oxidation unter festkörperphysikalischen Gesichtspunkten. Insbesondere betonte er, daß Metalle freie Elektronen als Träger des elektrischen Stroms zur Verfügung haben, viele Oxide aber Isolatoren sind. Wenn die Oxidschicht eine gewisse Dicke erreicht hat, gelangen deshalb Elektronen aus dem Metall nur noch schwer an die Oberfläche. Damit aber neuer Sauerstoff sich anlagern kann, werden sie dringend benötigt. Solange die Oxidschicht noch dünn ist, vermögen sie hindurchzutunneln. Wird die Tunnelbarriere jedoch zu dick, kommt das Wachstum der Oxidschicht zum Stillstand. Das ist bei Aluminium sehr bald der Fall. Eine Oxidschicht, die bei Raumtemperatur nur etwa einen Nanometer dick ist, schützt das Metall vor weiterer Oxidation. Allgemein läßt sich sagen, daß sich die Elektronen- und Ionenströme ausgleichen müssen, damit die Oxidschicht makroskopisch elektrisch neutral bleibt. Ist ein Strom wesentlich geringer als der andere, hemmt dies das weitere Wachstum. Bei Aluminium wirken die Elektronen so, bei Chrom zeigten unsere Experimente jedoch einen anderen Mechanismus auf.

Röntgenstrukturuntersuchungen

Die Reaktion von Sauerstoff mit der Metalloberfläche läßt sich mit einer Reihe oberflächenspezifischer Methoden präzise untersuchen. Strukturelle Eigenschaften vermißt man meist mittels Elektronenbeugung; diese sehr empfindlichen Verfahren geben aber nur Aufschluß über die obersten Atomlagen. Prozesse, die sich an den tieferen Grenzflächen abspielen, bleiben hingegen dabei verborgen.

In jüngster Zeit haben wir deshalb MBE- und Röntgentechnik kombiniert. Zunächst wird eine Metallschicht von einigen Dutzend Atomlagen Dicke unter extrem reinen Bedingungen auf dem Substrat abgeschieden und das Präparat dann von der Aufdampf- in eine Meßkammer geschleust, wobei das Ultrahochvakuum erhalten bleibt. Läßt man nun dort Sauerstoff bei bestimmtem Druck für kurze Zeit kontrolliert ein, ist aus dem sich verändernden Beugungsmuster der Röntgenstrahlen zu folgern, wie die Oxidation verläuft und gleichzeitig die Dicke der reinen Metallschicht abnimmt. Auf diese Weise gewinnt man komplementäre Strukturinformationen über das verbleibende Metall und die wachsende Oxidschicht.

Das Verfahren arbeitet sehr zuverlässig, weil die Röntgenstrahlen beide Materialien in gleicher Weise gut durchdringen. Die Experimente kann man auch bei verschiedenen Temperaturen und Sauerstoffdrücken sowie mit unterschiedlichen Oxidationszeiten wiederholen und gewinnt so eine vollständige Informationen über die Geschwindigkeit des Oxidwachstums und die maximale Schichtdicke unter den jeweiligen Bedingungen.

Demnach bildet sich an der Oberfläche von Chrom ähnlich wie bei Aluminium eine schützende Oxidschicht, doch ist sie bei Raumtemperatur mit eineinhalb Nanometern fast doppelt so dick. Dieser Wert stellt sich in wenigen Sekunden ein und ändert sich dann mit der Zeit kaum noch. Außerdem haben die Röntgenuntersuchungen gezeigt, daß das Oxid kristallin und mit großer struktureller Perfektion auf dem Metall aufwächst – seine Oberfläche wie auch die Grenzfläche zwischen Oxid und Metall bleiben atomar glatt.

Erst bei höheren Temperaturen wächst die Oxidschicht weiter an und erreicht bei 450 Grad Celsius einen weiteren Sättigungswert von etwa sechs Nanometern. Bis dahin bleibt sie kristallin mit glatten Grenzflächen.

Insbesondere konnten wir mit der neuen Methode ermitteln, daß während der Oxidation Metallatome durch enge Korngrenzen – quasi Kanäle in der kristallinen Schicht – an die Oberfläche diffundieren und dort mit dem Sauerstoff reagieren, nicht umgekehrt Sauerstoff von der Oberfläche an die Metallgrenzfläche wandert. Das weitere Wachstum kommt zum Erliegen, wenn der Strom von Metall-Ionen versiegt (hingegen stünden, anders als bei Aluminium, genügend Elektronen zur Verfügung, welche die Isolatorschicht durchtunneln könnten).

Zeitliche Stabilität ist genau das, was man von einer schützenden Schicht verlangt. Oberhalb von 450 Grad Celsius oxidiert das Chrom jedoch dramatisch schnell und unaufhörlich weiter. Gleichzeitig werden Oberfläche und Grenzfläche zwischen Oxid und Metall immer rauher. Offenbar bildet sich nicht mehr überall eine gleichmäßige Schicht aus, und es entstehen dabei Leerstellen im Kristallgitter, durch die stets weiteres Metall zur Oberfläche gelangen kann. Bei diesen Temperaturen verliert die Oxidschicht also ihre schützende Wirkung (Bild 3).

Das Beispiel der Chrom-Oxidation zeigt, daß man mit heute zur Verfügung stehenden Methoden das Oxidwachstum auf atomarer Skala zu untersuchen vermag. Man darf allerdings nicht unbedingt von dem Oxidationsverhalten eines Metalls auf das eines anderen schließen, wie der Vergleich mit Aluminium zeigt.

Die Schutzfunktion von Chromoxid ist entscheidend für die Existenz von Edelstahl. Während andere Legierungsbestandteile wie Mangan, Molybdän oder Vanadium mechanische Eigenschaften solcher Eisenlegierungen bestimmen, dient Chrom speziell dem Oxidationsschutz; es diffundiert an die Oberfläche und bildet mit Sauerstoff – ähnlich wie in unseren Modellversuchen – eine wenige Nanometer dicke Oxidhaut. Oberhalb von 450 Grad Celsius allerdings läßt die Schutzfunktion drastisch nach, und auch Edelstahl wird dann sozusagen rosten. Deshalb sucht man nach Metall-Legierungen, die selbst bei höheren Temperaturen in langer Zeit nicht korrodieren. Röntgenexperimente an epitaktischen Metallschichten tragen dazu wichtige Erkenntnisse bei.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1996, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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