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Theater: Oxygen

Aus dem Englischen von Edwin Ortmann. Wiley-VCH, Weinheim 2001. 137 Seiten, € 15,90


Dass die Naturwissenschaft samt dem Schicksal ihrer Protagonisten den Weg ins Theater finden kann, ist durch Bertolt Brechts "Galileo Galilei", Friedrich Dürrenmatts "Die Physiker" oder Heinar Kipphardts "In der Sache J. Robert Oppenheimer" hinlänglich bewiesen worden. Längst gehören die Stücke zum Kanon des Deutschunterrichts. Trotzdem überraschte der große Broadway-Erfolg von Michael Frayns Stück "Copenhagen" über das legendäre Treffen zwischen Werner Heisenberg und Niels Bohr im Jahre 1941.

Die komplexe Geschichte der Quantenmechanik und der Atombombe, die Verantwortung der Wissenschaftler in der Zeit des Nationalsozialismus und das wechselvolle Leben zweier großer Physiker bilden den geradezu enzyklopädischen Hintergrund einer winzigen Episode, von der nur wenig klar ist außer einem: Die Freundschaft von Heisenberg und Bohr war nach dem Gespräch in Kopenhagen schwer beschädigt. Wer wissen möchte, warum diese Fußnote der Weltgeschichte so faszinierend ist, der lese Frayns Stück, von dem nun die deutsche Übersetzung erschienen ist.

Bohr, seine Frau Margrethe wie auch Heisenberg spielen nach ihrem Tod verschiedene Deutungen der Situation durch. Ohne große Hintergrundkennt-nisse erschließen sich zumindest die moralischen und – teilweise sehr anrührenden – menschlichen Dimensionen des geheimnisumwitterten Treffens, bei dem es irgendwie um die Möglichkeit einer Atombombe ging. In Historikerkreisen herrscht in Bezug auf die Details keinerlei Einigkeit.

Das Schauspiel erweckt Neugier nach mehr Hintergrundinformation, und das Buch befriedigt sie durch eine gelungene Auswahl von Kommentaren namhafter Wissenschaftshistoriker, die zudem einen guten Eindruck von den Möglichkeiten und Grenzen der (Wissenschafts-)Geschichtsschreibung vermitteln. Zusammen mit dem umfangreichen Nachwort des Autors – ursprünglich für die amerikanische Buchfassung geschrieben – und einer Auswahlbibliografie ist der Kommentarteil mehr als doppelt so lang wie der Text des Stücks! Zu bemängeln ist dabei nur, dass zwar alle Kommentatoren vorgestellt werden, nicht aber der Autor, der nicht nur angesehener englischsprachiger Dramatiker, sondern auch Journalist, Dokumentarfilmer und Übersetzer ist.

Carl Djerassi und Roald Hoffmann nähern sich dem Thema "Wissenschaft im Theater" auf andere Weise. Djerassi, amerikanischer Chemiker und "Mutter der Pille" (so der Titel seiner Autobiografie), hat bereits als Romancier bewiesen, dass sich das Leben der Wissenschaftler-Community unterhaltsam darstellen lässt. Hoffmann, unter anderem Nobelpreisträger für Chemie, ist Autor mehrerer Essay- und Gedichtbände. Beide Autoren haben ein ambitioniertes Stück geschrieben, denn sie möchten – wie sie ausdrücklich im Vorwort erwähnen – mit "Oxygen" sehr grundsätzliche Fragen behandeln: Was ist eine wissenschaftliche Entdeckung? Was bedeutet es, Erster zu sein?

Der Plot: Das Nobel-Komitee für Chemie möchte anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Nobelpreises einen "Retro-Nobelpreis" verleihen, mit dem eine bahnbrechende Entdeckung vor 1901 ausgezeichnet werden soll. Die Wahl fällt auf die Entdeckung des Sauerstoffs, für die es jedoch drei Anwärter gibt: Antoine Laurent Lavoisier, Carl Wilhelm Scheele und Joseph Priestley, alle drei Pioniere der modernen Chemie. Die Handlung springt zwischen einem fiktiven Treffen der drei Chemiker beim schwedischen König im Jahre 1777 und den Diskussionen des Komitees im Jahre 2001 hin und her. Was bei der bloßen Lektüre wie ein Lehrstück mit unübersichtlich vielen Szenen und Intermezzi wirkt, verwandelt sich bei einer gelungenen Inszenierung – wie die von Isabella Gregor bei der deutschen Uraufführung am Würzburger Mainfrankentheater – durchaus in temporeiches und witziges Theater.

Ein anregendes Begleitbuch des Deutschen Museums in München spannt das Stück – legitimerweise – vor den Karren des "Public Understanding of Science". Es liefert interessante Informationen über die Autoren, Entstehung und Inszenierung von "Oxygen", die Geschichte der Chemie und speziell die Entdeckung des Sauerstoffs sowie Einblicke in die aktuelle Forschung und Vorschläge für den Einsatz von "Oxygen" im fächerübergreifenden Schulunterricht.

Vielleicht ist das Stück zumindest für ein Laienpublikum etwas überfrachtet. Trotzdem ist es ein viel versprechender Versuch in dem Genre, das Djerassi "Science in theatre" nennt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2002, Seite 112
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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