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Ozonkartierung per Satellit

Einige Prozesse, die das Leben auf der Erde maßgeblich prägen, lassen sich nur von Satelliten aus permanent und weltweit erforschen. Doch eine Vielzahl anspruchsvoller und aufwendiger Schritte ist erforderlich, um die so gewonnenen Rohdaten aufzubereiten. Der Ozonabbau in der Stratosphäre ist dafür ein gutes Beispiel.


Das jährlich wiederkehrende Ozonloch über der Antarktis symbolisiert längst die oft irreversiblen, von Menschen hervorgerufenen Veränderungen der natürlichen Lebensbedingungen (Bild 1). Obwohl die grundlegenden Mechanismen seiner Entstehung mittlerweile recht gut verstanden sind, gibt es im Detail nach wie vor große Wissenslücken, und Theorie und Realität differieren; beispielsweise schwindet das stratosphärische Ozon im Winter über Europa deutlich stärker als vorhergesagt.

Lange Zeit galt die Zusammensetzung der oberen Atmosphäre als hauptsächlich photochemisch bestimmt. Infolgedessen suchte man in Computermodellen im wesentlichen die verschiedenen Konstituenten durch chemische Reaktionen zu verknüpfen und ihre Wechselwirkungen mit elektromagnetischer Strahlung zu simulieren. Transporteffekte, beispielsweise durch Windfelder, wurden nicht oder nur stark vereinfacht in parametrisierter Form berücksichtigt. Zunehmend verlagert sich nun das Forschungsinteresse auf die Fragestellung, wie dynamische Vorgänge in der Atmosphäre die natürliche Variabilität des Ozons beeinflussen.

Die räumliche und zeit-liche Dynamik dieses dreiatomigen Sauerstoffmoleküls zu erfassen ist eine der vielfältigen Aufgaben der Satellitenfernerkundung. Joseph C. Farman und seine Mitarbeiter hatten von 1977 bis 1984 einen dramatischen Schwund der Ozonkonzentration über der Forschungsstation Halley Bay in der Antarktis beobachtet: Von Frühling zu Frühling hatte sie um schließlich mehr als 40 Prozent abgenommen. Messungen des Satelliten Nimbus-7 lieferten erstmals globale Daten und machten das Ausmaß des Schadens deutlich (Spektrum der Wissenschaft, März 1988, Seite 70).

Ein tieferes Verständnis der Vorgänge erfordert jedoch nicht nur weltweite, sondern vor allem auch kontinuierliche Messungen über lange Zeiträume hinweg. Als einziges Meßverfahren gestat-tet die Satellitenfernerkundung derartige Langzeitreihen global und operationell, also im Dauerbetrieb, zu gewinnen und entsprechend der wissenschaftlichen Fragestellungen weiterzuverarbeiten.

Die letztgenannte Aufgabe erfordert zum Teil aufwendige mathematisch-physikalische Verfahren, die derzeit nur wenig standardisiert sind – eine Folge geringerer finanzieller Unterstützung für das sogenannte Bodensegment im Vergleich zu Bau und Betrieb der Sensoren und Satelliten. So ist eine Vielzahl von Daten bislang ungenutzt geblieben, statt zu anwendungsorientierten Produkten aufgearbeitet und potentiellen Nutzern möglichst einfach zugänglich gemacht zu werden.

Dieser mißliche Umstand rührt vermutlich auch daher, daß die breite Öffentlichkeit und die zuständigen politischen Gremien kaum eine Vorstellung davon haben, welch eine Vielzahl von Schritten erforderlich ist, jene aufschlußreichen Bilder hervorzubringen, die nicht nur der Wissenschaft von Nutzen sind. Am Beispiel der Ozonmessungen mit dem Global Ozone Monitoring Experiment (GO-ME), eines europäischen Sensors zur globalen Vermessung zahlreicher atmosphärischer Spurengase, wollen wir den Prozeß der Weiterverarbeitung demonstrieren. Das System fliegt seit April 1995 an Bord des europäischen Erderkundungssatelliten ERS-2 auf einer polarnahen Umlaufbahn; dem Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) in Oberpfaffenhofen bei München, einer Einrichtung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), obliegen die gesamten Aufgaben des Bodensegments, vom Empfang der Rohdaten bis zur Präsentation der Ergebnisse im Internet.

Das Instrument


GOME geht auf einen Vorschlag der Atmosphärenchemiker John Burrows von der Universität Bremen und Paul Crutzen vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz zurück (Crutzen erhielt für seine Forschungen 1995 den Chemie-Nobelpreis; siehe Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1995, Seite 18). Der Sensor ermittelt Gehalt und räumliche Verteilung von Spurengasen anhand von Absorptionsspektren. So filtert Ozon ultraviolette Strahlung aus dem Sonnenlicht heraus, insbesondere bei Wellenlängen von 220 bis 310 und von 320 bis 340 Nanometern (millionstel Millimetern); man spricht von der Hartley- beziehungsweise von der Huggins-Bande. Zum spektralen Fingerabdruck des Gases gehört auch eine schwächere Absorption sichtbaren Lichts im Bereich der Chappuis-Bande von 430 bis 750 Nanometern. GOME unterteilt diese Wellenlängenbereiche in vier Spektralkanäle, die mit Silicium-Zeilendetektoren vermessen werden, und zwar mit einer für satellitengestützte Systeme extrem hohen spektralen Auflösung (Bild 2).

Als Strahlungsquelle dient die Sonne – der Sensor arbeitet darum nur auf der jeweils sonnenbeschienenen Erdseite. Entlang seiner Sichtlinie nimmt er vom Erdboden reflektiertes oder in der Atmosphäre gestreutes Licht auf. Alle Ozonmoleküle, die auf dieser Linie liegen, schwächen das registrierte Signal, so daß man durch Vergleich mit dem direkt auf den Sensor einfallenden Sonnenlicht auf ihre Menge schließen kann.

GOME ist auf den Nadir der Umlaufbahn ausgerichtet, blickt also gewissermaßen senkrecht auf die Erdoberfläche unter dem Satelliten. Dabei tastet das Experiment die Atmosphäre mit einem schwenkbaren Spiegel auch quer zur Flugrichtung ab. Dessen Bewegung dauert in der einen Richtung 4,5, in der anderen 1,5 Sekunden. Da der Satellit sich in dieser Zeit auf seiner Bahn weiterbewegt, ergibt sich – auf die Erdoberfläche projiziert – ein streifenförmiges Abtastmuster von maximal 960 Kilometern Breite und 40 Kilometern Länge je Scan. Bei einer Belichtungszeit von 1,5 Sekunden erhält man deshalb beim langsameren Schwenk drei Aufnahmen von je 40 mal 320 Quadratkilometern, beim schnellen Drehen in die Gegenrichtung eine mit 40 mal 960 Quadratkilometern.

Durch regelmäßige Kalibrierung sucht man mögliche Veränderungen der Instrumenteneigenschaften – etwa infolge einer Alterung der Halbleiterdetektoren – zu erkennen und bei der Datenauswertung zu berücksichtigen. Beispielsweise mißt der Sensor von Zeit zu Zeit die Emissionslinien einer PtCrNe-Gasentladungslampe an Bord. Die Wellenlängen von Platin, Chrom und Neon sind sehr gut bekannt und werden mit den Meßergebnissen verglichen. Indem der Beobachtungsspiegel bei der Kalibrierung den Sensor auf sich selbst abbildet, von außen einfallende Strahlung also ausschließt, wird auch der sogenannte Dunkelstrom des Geräts bestimmt und dann von den gemessenen Strahlungsintensitäten abgezogen.

Erste Stufen der Verarbeitung


Die Spektraldaten übermittelt der Satellit zu den Bodenstationen des ERS-2-Betreibers, der europäischen Raumfahrtagentur ESA, von wo sie über ISDN-Leitungen oder auf Magnetband zum DFD gelangen (Bild 3). Diese täglich etwa 432 Megabyte an Informationen bilden die Grundlage für eine Reihe von Datenprodukten, die nach ihrem Verarbeitungsgrad in Stufen eingeteilt werden.

Auf der Stufe 0 stehen die Rohdaten, also hauptsächlich digitalisierte Werte der Detektorspannungen und zugehörige Meßgrößen zur Spiegelstellung. Sie werden durch interne Angaben des Instruments etwa von Temperatursensoren sowie zur Lage des Satelliten ergänzt. Typische Verarbeitungsschritte auf diesem Niveau sind: schnelles Einlesen, Entfernen von Störsignalen, Extrahieren ausgesuchter Rohdaten und Aufbereiten für die weitere Auswertung beispielsweise durch Wechsel der Datenformate.

Auf der Stufe 1 erfolgt die Umrechnung der Detektorspannungen in Strahlungsdichten. Dazu verwendet man Kalibrationsdaten, die für jeden Spektralkanal den Zusammenhang zwischen einfallender Strahlungsdichte und dem Ausgangssignal des Detektors beschreiben. Jedes Spektrum wird mit einer Angabe zu Meßort und Meßzeit versehen.

Auf Stufe 2 werden mit aufwendigen Strahlungstransportrechnungen die Spurengasdichten ermittelt; dabei wird auch die Streuung elektromagnetischer Strahlung an Molekülen und Partikeln korrigiert, die den spektralen Charakteristika der Spurengase überlagert ist. Dieser Anteil ist sehr breitbandig und läßt sich für kleine Wellenlängenbereiche durch ein Polynom modellieren und vom Gesamtspektrum abziehen; übrig bleiben differentielle Absorptionen (Bild 2). Die optische Dichte, ein Maß der Wechselwirkung zwischen elektromagnetischer Strahlung und der von ihr durchquerten Materie, wird mit einem Algorithmus an diese Werte angepaßt, der auf Entwicklungen am Max-Planck-Institut für Chemie und an den Universitäten Heidelberg und Bremen basiert. Sie hängt direkt vom Spurengasgehalt ab, der sich nun durch Vergleich mit Referenzspektren bestimmen läßt.

Auf diese Weise erhält man die Zahl aller Ozonmoleküle entlang der Sichtlinie – genauer: einer schräg verlaufenden Luftsäule – von der Sonne durch die Atmosphäre zum Instrument (Bild 4). Diese Säulendichte ändert sich je nach Beobachtungs- und Beleuchtungsgeometrie. Um die Konzentration in der Gesamtsäule senkrecht über dem Meßort zu bestimmen, modelliert man die Zunahme der Absorption des einfallenden Lichts durch ein Spurengas auf dem Weg durch die Atmosphäre und berücksichtigt zudem eine eventuelle Wolkenbedeckung.

Wolken sind für das Instrument praktisch undurchsichtig, so daß die gemessene Ozondichte nur einem Teilweg durch die Atmosphäre, nämlich dem von der Wolkenoberkante zum Satelliten, zugeordnet werden kann. Deshalb mißt GOME im Spektralbereich um 760 Nanometer zusätzlich die sogenannte A-Bande des gewöhnlichen Sauerstoffmoleküls. Unter der Annahme, daß O2 in der gesamten Atmosphäre homogen verteilt ist, müssen Abweichungen in der Intensität dieser Bande von Wolken – nicht gesehenen Sauerstoffmolekülen – herrühren, woraus sich die Wolkenhöhe ableiten läßt. Den Ozongehalt auf diesem fehlenden Teilweg des Lichts kann man aus Erfahrungswerten abschätzen.

Auf diese Weise erhält man Säulendichten des Gases in der Atmosphäre senkrecht unter der jeweiligen Umlaufbahn des Satelliten. Wegen der streifenförmigen Erfassung sind die Meßpunkte weder räumlich noch zeitlich gleichmäßig verteilt. Die Interpretation von Stufe-2-Daten ist deshalb kompliziert, erfordert fundiertes Fachwissen und bleibt meist Experten vorbehalten. Den gesamten Informationsgehalt auch Nichtspezialisten zu erschließen, indem die Daten beispielsweise mit anderen kombiniert oder komplexe Analyseverfahren darauf angewendet werden, ist Aufgabe der sogenannten Datenveredelung; deren Produkte gehören zur dritten Stufe.



Höherwertige Datenprodukte


Zur Datenveredelung werden oft zunächst die Einzelmessungen zu Gesamtozonverteilungen verknüpft, um flächendeckende Karten zu erstellen. Im Prinzip könnte man hierzu solange warten, bis GOME die Erdoberfläche einmal komplett erfaßt hat, das ist aber selbst bei grober Auflösung erst nach drei Tagen der Fall. Nun wird die globale Verteilung des Gesamtozons jedoch im wesentlichen durch Transportprozesse kontrolliert: Etwa 90 bis 95 Prozent des Ozons befinden sich in der unteren und mittleren Stratosphäre, also in etwa 10 bis 35 Kilometern Höhe; von tropischen Breiten abgesehen laufen photochemische Reaktionen dort sehr langsam ab, so daß das Gesamtozon bis zu einigen Wochen vor allem den atmosphärischen Zirkulationen und Turbulenzen folgt. Viele dieser dynamischen Prozesse verlaufen aber in weniger als drei Tagen, etwa der Aufstieg von Luftmassen über Gewitterzonen oder über ungewöhnlich warmen Meeresregionen; Schwerewellen dauern typischerweise sogar nur wenige Minuten bis zu einigen Stunden.

Wesentlich aussagekräftiger sind flächendeckende Karten der mittleren Ozonverteilung eines Tages. Um nun die Meßlücken zu füllen, gibt es ein Arsenal von Verfahren und Methoden, die nicht immer physikalisch begründet sind. Allerdings haben die Resultate dann mitunter auch nicht sehr viel mit der Realität zu tun. Geeigneter sind Verfahren, die Informationen über die physikalischen Eigenschaften des den Beobachtungen zugrundeliegenden Atmosphäresystems berücksichtigen. Man sucht also eine Kombination von Meßdaten mit einem physikalischen Modell der Atmosphärendynamik.

Oberhalb von etwa 9 bis 14 Kilometern bestimmen sogenannte planetare Wellen die großräumige Dynamik; das sind periodische Lufbewegungen mit Wellenlängen in der Größenordnung des Erdradius. Sie werden in den unteren Atmosphärenschichten durch das vielgestaltige Relief der Erdoberfläche oder durch thermische Prozesse hervorgerufen und breiten sich horizontal und vertikal aus.

Zum Beispiel kann eine Gebirgskette eine ostwärts gerichtete Luftströmung nach Norden ablenken. Dem wirkt aber aus Gründen der Drehimpulserhaltung die Corioliskraft entgegen und kehrt die Strömungsrichtung um. Weil die Luftmassen träge sind, bewegen sie sich über ihren ursprünglichen Ort hinaus, und die Corioliskraft wirkt als Rückstellkraft mit umgekehrtem Vorzeichen. Sie erzeugt so letztlich eine Strömung, die sinusförmig um einen geographischen Breitenkreis alterniert (Bild 5). Nicht nur Gebirge, auch Gebiete mit starken Temperaturunterschieden können solche Oszillationen auslösen. Zwar werden bei allen derartigen Vorgängen meist Schwingungen verschiedener Frequenzen angeregt, doch die Atmosphäre wirkt als Resonator, der nur bestimmte Eigenschwingungen zuläßt, die man als freie laufende planetare Wellen bezeichnet.

Allein die Verteilung von Land- und Seemassen erzwingt aber bereits sogenannte quasistationäre – also zeitunabhängige – Wellen, ähnlich wie sich ein auf dem Grund eines Bachlaufs liegender Stein im Strömungsmuster der Wasseroberfläche durchprägt. Insbesondere die regelmäßige Wiederkehr des winterlichen Tiefdruckgebiets in der Troposphäre (beziehungsweise des korrespondierenden Hochdruckgebiets in der Stratosphäre) über den Aleuten ist darauf zurückzuführen.

Das aktuelle planetare Wellenmuster beeinflußt unseres Erachtens maßgeblich die globale Ozonverteilung: Horizontaler Transport verfrachtet zum Beispiel ozonarme Luftmassen von äquatorialen zu hohen Breiten. Deshalb läßt sich die Längen- und Breitenabhängigkeit der Ozondichteschwankungen mit Hilfe eines mathematischen Modells planetarer Wellen simulieren. Das am DFD verwendete Rechenverfahren, die sogenannte harmonische Analyse, beinhaltet im wesentlichen eine Linearkombination harmonischer Funktionen. Dafür werden die Ozondaten eines Tages – maximal von 15 Orbits – entlang eines Breitenkreises gesammelt und die Modellparameter nach der Methode der kleinsten Quadrate daran angepaßt. Typischerweise sind dazu in mehreren Iterationsschritten jeweils etwa 24 freie Parameter simultan über einen Satz nichtlinearer Gleichungen zu bestimmen, wobei die Lösungen für alle Breitenkreise aus Kontinuitätsgründen miteinander gekoppelt sein müssen. Unerwünschte Effekte, wie Fehlmessungen sie verursachen können, werden durch nachgeschaltete Filter korrigiert. So lassen sich selbst kleinräumige Strukturen vom Modell erfassen. Allerdings stellen solche Problemfälle sehr hohe Ansprüche an die Softwarearchitektur, weil das Verfahren operationell, also permanent und ohne Beaufsichtigung arbeiten soll.

Die so synthetisierten Karten zeigen Tagesmittel der globalen Verteilung des Gesamtozons mit einer Zeitunschärfe von 12 Stunden. Das reicht bereits für den Großteil der Anwendungen aus, und das Verfahren ist im operationellen Betrieb Standard. Auf diese Weise findet man beispielsweise zu allen Jahreszeiten über dem Nordatlantik immer wieder fingerförmige Ausläufer von Luftmassen mit verringertem Ozongehalt, die von niedrigeren Breiten bis nach Europa hinein reichen (Bild 6). Die Ursachen dieser sogenannten Streamer sind aus solchen Karten allerdings nicht abzulesen. Es könnte sich um Transporte ozonabgereicherter äquatorialer Luftmassen zu höheren Breiten handeln, was der Lehrbuchmeinung widerspräche, wonach im wesentlichen großräumige Zirkulationszellen Luftmassen zwischen niedrigen und höheren Breitengraden transportieren; dementsprechend intensiv wird dieser Gedanke derzeit diskutiert. Doch auch Prozesse in tieferliegenden Schichten – etwa eine Anhebung der Tropopause durch ein troposphärisches Frontensystem – sind als Grund denkbar. Klarheit dürften vertikal auflösende Messungen bringen, wie sie spätestens mit dem Start des europäischen Umweltsatelliten ENVISAT gegen Ende 1999 zur Verfügung stehen werden.

Streamer lassen die Belastung durch UV-B-Strahlen mitunter von einem Tag auf den anderen erheblich ansteigen. Deshalb sind diese Vorgänge in der Atmosphäre nicht nur für den Wissenschaftler interessant, sondern auch für Gesundheits- und Umweltorganisationen und die Öffentlichkeit. Im Rahmen einer Forschungsinitiative der Europäischen Union realisiert das DFD mit nationalen und internationalen Partnern deshalb ein Frühwarnsystem.

Weil die Ozon-Karten räumlich hoch aufgelöst, täglich und über lange Zeiträume hinweg routinemäßig erstellt und archiviert werden, kann man auch für beliebige Regionen die zeitliche Entwicklung des Ozongehalts untersuchen und Gebiete identifizieren, in denen die Luft besonders oft arm an dem als UV-Filter wirkenden Gas ist. Solche Informationen insbesondere im Verein mit aktuellen Angaben zu Bewölkungsgrad und Höhe über dem Meeresspiegel sind etwa für die Landwirtschaft von erheblicher Bedeutung, da mit zunehmender UV-Strahlungsbelastung der Ernteertrag abnimmt. Dasselbe gilt für die Fischerei, denn auch die Bildung von Meeresplankton, der Grundlage der Nahrungskette, und die Entwicklung von Fischembryos, die sich zu Anfang meist dicht unterhalb der Wasseroberfläche aufhalten, wird durch UV-Licht beeinträchtigt.

Abgesehen von solchen praktischen Anwendungen sind die täglichen globalen und regionalen Ozonkarten auch für die Grundlagenforschung interessant. So werden Streamer immer wieder auch als Ausläufer polarer Wirbel beobachtet und treten besonders deutlich im ausgehenden Winter auf. Nach vorherrschender Meinung sind diese Vorgänge für das Verständnis der Stabilität solcher Wirbel wichtig, da diese Ausläufer als Entweichen polarer Luftmassen aus der Rotationsströmung und als ein irreversibles Einmischen in die umgebende Atmosphäre interpretiert werden können.

Für manche Anwendungen sind Zeitunschärfen von einem halben Tag freilich nicht akzeptabel. Sollen beispielsweise von einem Stratosphärenflugzeug aus gewonnene Daten mit Satellitenmessungen verglichen werden, kommt es nicht nur auf eine gute Übereinstimmung des Meßvolumens an; die Messungen müssen auch möglichst gleichzeitig erfolgen. Am DFD berechnen wir deshalb als besonderen Service auf Nachfrage globale und regionale Schnappschüsse der Ozonverteilung für beliebige Zeitpunkte. Dazu werden Parameter des Modells der planetaren Wellen wie deren Amplituden mit Hilfe eines sogenannten Kalman-Filters geschätzt. Dieses Verfahren der Spektralanalyse erlaubt, das sich dynamisch entwickelnde System Atmosphäre mathematisch zu modellieren. Außer der räumlichen Verteilung des Ozons wird dabei auch deren zeitliche Änderung berücksichtigt, indem man jeden Meßwert unter Angabe von Meßort, -zeitpunkt und -fehler verwendet. Das Verfahren ist zum Teil recht kompliziert und muß bei dieser Anwendung meist individuell kontrolliert werden. Ein wesentlicher Vorteil ist aber eine weitgehende Unabhängigkeit von der Meßgeometrie, insbesondere den Abständen der Datenpunkte – Lücken stören kaum, und jeder Meßpunkt läßt sich verwenden. Instabilitäten des Instruments, Unsicherheiten der Kalibrierung und anderes sind Fehlerquellen. Darum werden die modellierten Ozonsäulenwerte regelmäßig mit Messungen von Bodenstationen verglichen. Demnach ist die harmonische Analyse im Mittel auf etwa drei, der Kalman-Filter auf etwa fünf Prozent genau.



Langzeitprognosen


Der Ozongehalt der Atmosphäre hat sich in den vergangenen Jahrzehnten außerhalb der tropischen Breiten überall deutlich vermindert. Allerdings ist dieser Trend nicht einheitlich, sondern regional und jahreszeitlich verschieden. So treten über der Nordhemisphäre besonders während der Winter- und Frühjahrsmonate hohe Verluste auf. Die mittlere Ozonkonzentration zu dieser Jahreszeit hat hier um bis zu acht Prozent pro Dekade abgenommen. In mittleren Breiten der Südhemisphäre beträgt der Rückgang fast saisonal unabhängig etwa fünf, und während der Monate September bis November in hohen südlichen Breiten mehr als zehn Prozent pro Dekade.

Diese Entwicklung wird trotz stark verringerter Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen, den wichtigsten am Ozonabbau beteiligten Substanzen, noch lange anhalten; denn diese stabilen Moleküle gelangen nur verzögert in die Stratosphäre. Weil Ozon nicht nur als Schutzschild gegen UV-Strahlung wirkt, sondern auch ein Treibhausgas ist und wesentlich die vertikale Temperaturstruktur der Atmosphäre bestimmt, muß der Trend durch Messungen und Simulationen noch lange verfolgt werden.

Computermodelle für die Prognostik müßten Chemie, Strahlung und Dynamik der Atmosphäre sowie alle Wechselwirkungen gleichermaßen berücksichtigen, dazu ist aber kein Rechner derzeit imstande. Deshalb beinhalten alle Modelle mehr oder weniger grobe Parametrisierungen der einzelnen Prozesse, also der Realität nur angenäherte Funktionen. Zudem wird aus Gründen der Rechenzeit vornehmlich mit zonal, also über einen Breitenkreis gemittelten Daten gearbeitet. Entsprechende Meßwerte werden auch zur Initialisierung des Rechenvorgangs benötigt. Eine häufig verwendete Datenbasis – COSPAR International Reference Atmosphere, kurz CIRA – beruht auf Messungen der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA mit dem TOMS-Sensor (total ozone mapping sensor) des Satelliten Nimbus-7 aus dem Zeitraum von November 1978 bis Oktober 1982. Der Vergleich von CIRA- mit aktuellen GOME-Daten enthüllt aber, daß trotz mancher Übereinstimmung bei übergeordneten Strukturen in wichtigen Details erhebliche Abweichungen auftreten (Bild 7). CIRA-basierte Simulationen weichen deshalb mitunter stark von der Realität ab.

Um stets aktuelle Startwerte für Modellrechnungen liefern zu können, bietet das DFD zonale Ozon-Mittelwerte an, die aus den täglichen Meßdaten der Ozonsäulen gewonnen werden. Damit läßt sich zugleich die Zuverlässigkeit von Simulationen überprüfen. Die zonal gemittelten Daten geben freilich keinen Aufschluß über regionale Änderungen entlang eines Breitenkreises. Deshalb werden am DFD für jeden Ort monatliche Durchschnittswerte der Ozonverteilung berechnet und bereitgestellt.

So zeigt sich zum Beispiel, daß im Januar über Europa der Ozonschwund doppelt so groß sein kann wie der zonal gemittelte Wert. Dafür könnten insbesondere planetare Wellen verantwortlich sein, die ozonarme arktische Luftmassen heranführen und besonders im Winter in der Stratosphäre stark ausgeprägt sind. Dieser Aspekt wird intensiv diskutiert.

Andererseits verdanken wir diesen globalen Schwingungen vermutlich, daß der winterliche Ozon-Schwund auf der Nordhemisphäre nicht so groß ist wie über dem Südpol. Dort ist das Spurengas im polaren Wirbel gefangen, einer schnellen Luftströmung, die bei etwa 60 Grad südlicher Breite den Südpol umkreist. Ein Luftaustausch in Nord-Süd-Richtung ist kaum möglich, und die Stratosphäre kann sich im Dunkel der Polarnacht auf Temperaturen von etwa minus 80 Grad Celsius abkühlen, die für den Ablauf der ozonzerstörenden Reaktionen erforderlich sind. Einen Polarwirbel gibt es während des hiesigen Winters auch auf der Nordhalbkugel, doch wird er durch planetare Wellen unablässig in Stärke, Form und Lage modifiziert, während immer wieder wärmere und ozonreichere Luftmassen aus niedrigeren geographischen Breiten einströmen.



Dynamik der Atmosphäre


Luftströmungen recht unterschiedlichen Ausmaßes beeinflussen, wie dargestellt, außerhalb der Tropen in der unteren und mittleren Stratosphäre maßgeblich die Ozonverteilung. Während man deshalb einerseits Transporte modellieren muß, um aus punktuell gemessenen Dichtewerten Ozonkarten zu berechnen, lassen sich die Meßdaten andererseits auch nutzen, um die dynamische Aktivität der Atmosphäre zu untersuchen.

Ein Maß dafür bilden insbesondere die Amplituden der stationären planetaren Wellen, die deutlich die globale Zirkulation beeinflussen, mit dem polaren Wirbel wechselwirken und so wesentlich seine Form und Lage mitbestimmen. Stationäre planetare Wellen sind in der Regel auf der Nordhalbkugel mit ihrem gebirgigeren Oberflächenrelief viel stärker ausgeprägt. Der weitaus größte Teil der atmosphärischen Variabilität wird dabei durch Schwingungen erklärt, deren Wellenlänge gleich dem Umfang des jeweiligen Breitenkreises ist (Wellenzahl 1).

Seit Juni 1996 wird am DFD aus den von GOME gemessenen Ozonsäulendichten täglich ein dynamischer Aktivitätsindex (DAI) abgeleitet. Dazu wird die gemessene zonale Verteilung eines Tages, wie beschrieben, modelliert und die mittlere Amplitude der stationären Welle mit Wellenzahl 1 für beide Hemisphären separat abgeschätzt. In Übereinstimmung mit der Theorie, wonach planetare Wellen sich nur dann von der Tropo- in die Stratosphäre ausbreiten können, wenn der mittlere stratosphärische zonale Wind aus Westen kommt, ist der DAI während der lokalen Wintersaison hoch. Im Sommer hingegen dämpft ein Ostwind die stationären Wellen schon in der oberen Troposphäre (Bild 8). Der saisonale Übergang von einer ruhigen zu einer aktiven mittleren Atmosphäre erfolgt innerhalb nur weniger Wochen.

Den zeitlichen Verlauf des DAI überlagern kürzere Schwingungen mit Periodendauern von einigen Tagen bis zu etwa drei Wochen, und zwar wiederum ausgeprägter in der Wintersaison. Sie sind großteils auf laufende planetare Wellen zurückzuführen.

Ihre Amplituden sind vergleichsweise gering, doch können sie mit den stationären planetaren Wellen linear und nichtlinear wechselwirken. Dabei entsteht unter Umständen eine Schwingung, deren Amplitude pulsiert und den Wärme- und Impulsfluß zwischen den Breitenkreisen moduliert, so daß sich das Zirkulationsmuster der gesamten Atmosphäre ändert. Bei resonanter Interferenz vergrößert sich die Amplitude der stationären planetaren Welle nahezu schlagartig. Sie bricht wie eine auf Fels laufende Brandung und überträgt Energie in die Umgebung. Als Folge wird der polare Wirbel massiv geschwächt, ja, er kann unter Umständen sogar seine Zirkulationsrichtung umkehren, was einem Wechsel von Winter- zu Sommerbedingungen entspricht. Solche Ereignisse vermögen insbesondere im Frühjahr die Ozonschicht in den mittleren Breiten der Südhemisphäre dramatisch auszudünnen. Ein zunächst mehr oder weniger polsymmetrischer ungestörter polarer Wirbel (DAI ist niedrig) verlängert sich, der ihn umgebende Ring hoher Ozondichte reißt auf, und ozonarme Luftmassen werden aus seinem Innern herausgeschleudert und in die Zirkulation gemäßigter Breiten eingespült (Bild 8). So gelangen große Massen an ozonabgereicherter Luft plötzlich bis über dicht besiedelte Breiten wie Australien oder Neuseeland. Die Berechnung des DAIs, der bei ungestörtem Wirbel niedrig, bei deformiertem hoch ist, ergänzt deshalb das STRAT-ALERT-Warnsystem der World Meteorological Organisation (WMO).

Planetare Wellen beeinflussen freilich nicht nur die Ozonschicht, sondern auch die Verteilung anderer Spurengase so wie die von Temperatur und Wind. Insbesondere für die Modellierung von Klima und Wetter ist deshalb eine verläßliche Datenbasis zu Präsenz, Anregungsstärke und Frequenzverteilung solcher Wellen von Nutzen. Hierzu werden die Zeitreihen des DAI einer Spektralanalyse unterzogen; ihrem stark zeitabhängigen Charakter entsprechend verwenden wir dazu die Methode der Wavelet-Transformation. Die Spektrogramme, im etwa monatlichen Turnus fortgeschrieben, zeigen den ausgeprägten Jahresgang: Die Schwingungen treten vorzugsweise im Winter auf und verschwinden im Sommer fast völlig.

Noch unterschätzen Computermodelle den beobachteten Ozonabbau in polaren Breiten und vermögen die in mittleren Breiten beobachteten Trends nicht zu reproduzieren. Die Simulation der Photochemie allein reicht nicht hin, da ein komplexes Wechselspiel energetischer, (photo)chemischer und dynamischer Prozesse das Geschehen bestimmt. Viele davon lassen sich in den Computermodellen nicht exakt nachbilden oder wären nur mit unrealistischem Aufwand zu simulieren. Der Ausweg ist eine geeignete parametrische Darstellung; aber dazu bedarf es weiterer experimenteller, insbesondere satellitengestützter Beobachtungen.

Literaturhinweise

– The Global Ozone Monitoring Experiment – Scientific Achievements of GOME-1 and Expectations for GOME-2. Von A. Hahne, ESA Publications Division, ESTEC, Nordwijk 1997.
– Mehr Meßdaten! Von K. F. Künzi und J. P. Burrows in: Physikalische Blätter, Heft 52, Seiten 435 bis 441, 1996.
– Monitoring of polar ozone depletion using ERS-2 GOME. Von M. Bittner, S. W. Dech und R. E. Meisner in: ESA-Earth Observation Quarterly, Heft 55, Seiten 6 bis 10, 1997.
– The dynamics of the stratospheric polar vortex and its relation to springtime ozone depletions. Von M. R. Schoeberl und D. L. Hartmannin: Science, Heft 251, Seiten 46 bis 52, 1991.
– Atmosphäre, Klima, Umwelt. Mit einer Einführung von Paul Crutzen. Spektrum der Wissenschaft – Verständliche Forschung. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1996.
– GOME-Datenprodukte des DFD sind im World Wide Web abrufbar unter http://auc.dfd.dlr.de/GOME/product


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 54
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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