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Papiermaschinen. Versuch über Communication & Control in Literatur und Technik.

Akademie-Verlag, Berlin 1996.
704 Seiten, DM 98,-.

"Es ist möglich, den Effekt einer Rechenmaschine zu erreichen, indem man eine Liste von Handlungsanweisungen niederschreibt und einen Menschen bittet, sie auszuführen. Eine derartige Kombination eines Menschen mit geschriebenen Instruktionen wird ,Papiermaschine' genannt." So führte der britische Mathematiker Alan M. Turing (1912 bis 1954) die Idee der Maschine ein, die heute seinen Namen trägt und für die lediglich ein (endlos langer) Papierstreifen, ein Bleistift und ein Radiergummi nötig sind.

So kurios dieser Rechenautomat auf den Außenstehenden wirken mag, so ist er doch von eminenter theoretischer Bedeutung. Bernhard J. Dotzler schreibt schon auf der ersten Seite seines Vorwortes, das er "Vorsatz" nennt: "Die Turing-Maschine ist Schlußstrich und Neubegründung in einem einer universalen Mediengeschichte von den Papyri Ägyptens bis zu Gutenbergs Standardisierung der ,Speicher in Buchform', von eines Anton Reiser ,Schwierigkeiten im Umgang mit Büchern' – denn ,das Blattumschlagen schien nun einmal für Reisern eine unglückliche Sache zu sein' – bis zu derselben Abschaffung durch oder in elektronischen Schaltkreisen."

Dieser Satz beschreibt den Kern der Aufgabe, die sich der Autor gestellt hat; zugleich kennzeichnet er die von ihm gewählte besondere Darstellungsweise. Sein Werk ist nicht nur eine wissenschaftliche Untersuchung – eine Dissertation an der Berliner Humboldt-Universität –, sondern viel mehr: Es ist Meta-Literatur und als solche nicht dem Postulat optimaler Verständlichkeit unterworfen. Im Gegenteil: Es setzt auf Mehrdeutigkeit, es scheint kryptisch verschlüsselt und bedarf der Interpretation. Der Lesestoff ist einerseits unglaublich assoziationsreich und anregend, andererseits schwer verständlich. Man müßte viele Absätze und wohl das ganze Buch mehrfach lesen, um die Aussage zu verstehen.

Worum geht es? Einerseits um den Automaten in der kybernetischen Bedeutung des Wortes, andererseits um die gesamte Literatur seit den griechischen Klassikern, die sich in irgendeiner Weise auf einschlägige Themen bezieht: Logik, Algorithmen, Automaten und Rechenmaschinen, formale Sprachen, Steuerung und Kommunikation. Somit findet der Leser in dem Werk eine einmalige Auslese von Texten, die schon unter historischen Aspekten interessant sind.

Dotzler begnügt sich aber nicht mit der Materialsammlung, er distanziert sich sogar von der üblichen geschichtlichen Aufarbeitung; vielmehr sucht und findet er in allen diesen Materialien Aufschlußreiches für seine These. Aber was ist diese These? Im letzten Kapitel, dem "Epilog", sucht man sie vergebens; dort steht nur: "Die Fortsetzung folgt." Es geht wohl um die Natur des menschlichen Denkens, die sich in Rechenmaschinen und Automaten spiegelt. Doch je besser man die Entsprechungen versteht, desto deutlicher wird auch, wie weit die Fähigkeiten der Automaten noch hinter denen des menschlichen Gehirns zurückliegen.

In den letzten Jahren haben es einige Bücher über verwandte Themen zu Bestsellern gebracht, beispielsweise "Gödel, Escher, Bach" von Douglas R. Hofstadter und "Computerdenken" von Roger Penrose. So bekannt werden die "Papiermaschinen" wohl kaum werden, aber so mühsam zu lesen und so reich an Anregungen wie diese Bücher ist Dotzlers Werk allemal.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1997, Seite 138
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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