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Pflanzliche Proteine für technische Anwendungen


Einerseits Massenmarkt mit geringer Wertschöpfung, andererseits Nischenprodukte für höhere Preissegmente – die heutigen Nutzungskonzepte für nachwachsende Rohstoffe pendeln zwischen diesen Extremen.

Ganze Pflanzen ebenso wie Abfall- und Reststoffe sollen energetisch in Kraftwerken genutzt werden. Der Erlös ist vergleichsweise gering. Dies gilt auch für die Verarbeitung pflanzlicher Sekundär- und Reststoffe zu Dämm- und Füllmaterial in der Baustoffindustrie. Allerdings kann man auf diese Weise große Mengen umsetzen.

Demgegenüber steht das Konzept, einzelne Stoffgruppen wie Stärke, Zucker oder Öle zu veredeln und so das natürliche Synthesepotential der Pflanzen zu nutzen. In der Regel erschließen sich dadurch oft nur Marktsegmente vergleichsweise teurer Produkte. Zudem fallen bei der Nutzung einzelner Fraktionen große Mengen an Reststoffen an.

Ökologisch ebenso wie ökonomisch sinnvoll ist es also, die Verwertung sämtlicher Inhaltsstoffe der Pflanzen zu fordern. Einsatzmöglichkeiten von Ölen und Fetten sowie von Kohlenhydraten sind bereits gut untersucht; pflanzliche Proteine wurden bislang für technische Anwendungen wenig beachtet. Unser Institut entwickelt derzeit Verfahren, sie auch industriell zu verwerten.

Ihr Masseanteil in Agrarprodukten beträgt zwischen 20 und 50 Prozent. Während tierische Proteinmoleküle eher räumlich gestreckt sind, liegen pflanzliche in sogenannter globulärer, das heißt verknäuelter Struktur vor. Dabei sind hydrophobe (wasserabweisende) Seitenketten der Aminosäuren nach innen, hydrophile (wasseranziehende) dagegen nach außen gerichtet, so daß pflanzliche Proteine im Vergleich zu den meisten tierischen besser in wäßrigen Medien gelöst und aus dem Rohmaterial extrahiert werden können.


Gewinnungsverfahren

Das Ausgangsmaterial – Sojabohnen, Erbsen, Sonnenblumenkerne und andere – wird dazu nach Möglichkeit geschält, bis auf Partikelgrößen von 0,2 Millimetern trocken gemahlen und anschließend mit Wasser versetzt. Die Löslichkeit der Proteine bestimmt der pH-Wert: In alkalischem Milieu (pH 8 bis 10) ebenso wie in stark saurem ist sie aufgrund der starken Polarität der Aminosäuren an der Oberfläche sehr hoch, so daß etwa 70 bis 80 Prozent des Rohproteins in Lösung gehen. Durch eine gezielte Änderung des pH-Wertes fallen die Proteine aus. Mit Standardmethoden wird die Flüssigkeit abgetrennt und der proteinhaltige Quark getrocknet; die Trockensubstanz enthält etwa 90 Prozent Protein.

Es ist auch möglich, das Milieu so einzustellen, daß das Protein nicht in Lösung geht, sondern andere Stoffe aus dem mit Wasser versetzten Ausgangsmaterial gewaschen werden. Am Ende dieser Reinigungskette erhält man ein Konzentrat, dessen Proteingehalt bei etwa 70 Prozent liegt. Beide Verfahren sind bewährt und erfordern nur geringen Aufwand an Material und Kosten.

Bereits bei der Gewinnung ist der spätere Anwendungszweck zu berücksichtigen, weil sie die Raumstruktur des Proteinmoleküls verändern kann und diese die funktionellen Eigenschaften bestimmt. Wird beispielsweise eine Charge nicht über die Denaturierungstemperatur erhitzt, bleibt die globuläre Struktur erhalten. Für einige Anwendungen ist das von Vorteil, andere dagegen benötigen eine lineare Anordnung der Aminosäuren im Molekül; dementsprechend muß das Rohprotein an die Anwendung angepaßt werden.

Ein Beispiel dafür ist das amphotere Verhalten von Proteinen, das heißt ihre Fähigkeit, durch hydrophile Seitenketten einerseits, hydrophobe andererseits so unterschiedliche Moleküle wie die von Wasser und Fettsäuren wie eine Brücke zu verbinden. So bilden sich Gele und Schäume oder lassen sich Emulsionen stabilisieren. Durch Wahl der Verfahrensparameter – pH-Wert, Temperatur, Druck und Konzentrationen der gelösten Ionen – sucht man, diese Eigenschaften schon bei der Gewinnung aus der pflanzlichen Basis anzulegen.


Klassische Anwendungen

Hauptabnehmer von Proteinisolaten ist die Lebensmittelindustrie, die sie unter anderem als emulsions- oder schaumstabilisierende Zusätze in Desserts oder in Drinks einsetzt. Die Untersuchung der Beziehungen zwischen Struktur und Funkionalität erwies, daß Proteine auch technisch genutzt werden können, und zwar prinzipiell tierische wie pflanzliche. Der Ursprung jedes tierischen sind jedoch wiederum pflanzliche Proteine. Weil diese Umwandlung gesamtenergetisch ungünstig ist (der Wirkungsgrad beträgt weniger als fünf Prozent) und weil große Mengen pflanzlicher Rohstoffe zur Verfügung stehen, sind deren Proteine vorzuziehen.

Erste technische Anwendungen als Bindemittel gab es bereits zu Anfang des Jahrhunderts; doch die sich rasch entwickelnde Petrochemie lenkte die Forschung zu fossilen Rohstoffen hin. Proteine werden noch bei der Herstellung photographischer Papiere und Verpackungen verwendet; der sogenannte Strich glättet die Oberfläche und wirkt als Bindemittel für die wasserlösliche Druckfarbe. In Europa nahm man dazu früher das aus Milch gewonnene Casein; petrochemische Konkurrenzprodukte reduzierten den Absatz auf weniger als 10000 Tonnen jährlich. Lediglich in den Vereinigten Staaten und Kanada verbraucht die Papierindustrie 70000 Tonnen Protein pro Jahr, das dort aus Sojabohnen gewonnen wird.

Den amphoteren Charakter von entfalteten Proteinen oder deren Hydrolysaten (Proteinbruchstücken, hergestellt durch Spaltung kovalenter Bindungen durch Wasser) nutzt die Kosmetikindustrie, um Fett-Wasser-Mischungen als Emulsionen zu stabilisieren. Derzeit werden Hydrolysate aus Kollagen in Cremes eingesetzt. Das in Bindegeweben (insbesondere Haut, Knorpel oder Sehnen) enthaltene Gerüstprotein wird aus Gerbereiabfällen bezogen – etwa 6000 Tonnen pro Jahr; der Industrie entstehen dabei kaum Kosten. Der Trend in der öffentlichen Meinung, pflanzliche Produkte vorzuziehen, motiviert manche Unternehmen, tierisches Protein durch pflanzliche Hydrolysate zu ersetzen. Diese sind aber keine Abfallprodukte und damit teurer; konkurrenzfähig werden sie nur durch entsprechende Qualität.


Technische Polymere

Eine völlig neue Anwendung suchen wir derzeit an unserem Institut zu erschließen: die Verarbeitung von Proteinen zu Kunststoffen in Extrudern. Biokunststoffe werden heute schon aus Stärke, Zucker, Ölen oder Fetten hergestellt. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, daß auch tierische Proteine – analog den Standardkunststoffen Polyethylen und Polypropylen – thermoplastisch verarbeitet werden können, also unter Druck und Hitze erweichen und fließen; diese Anforderungen auch für pflanzliche Proteine zu erfüllen, ist Gegenstand unserer Forschung.

Thermoplastisches Verhalten ist auch eine Voraussetzung für das materielle Recycling technischer Polymere (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1993, Seite 102). Somit sehen wir eine Möglichkeit, daß nach Abschluß unserer Entwicklungsarbeiten pflanzliche Proteine in gängigen Verfahren alternativ zu petrochemischen Rohstoffen genutzt werden können und sich Anforderungen wie die biologische Abbaubarkeit um die Werkstoff-Wiederverwendung erweitern lassen. Weil pflanzliche Proteine in vielen Reststoffen enthalten sind, die bislang nur unvollständig verwertet werden, ist der wirtschaftliche Anreiz deutlich.

Untersucht haben wir handelsübliche Proteine, ein tierisches (Casein) und ein pflanzliches, isoliert aus Sojabohnen. Sie wurden befeuchtet, mit einem geeigneten Weichmacher versetzt und dann in einem Doppelschneckenextruder plastifiziert. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von Bruchflächen des Casein-Extrudats (Bild) zeigen eine homogene Struktur; der Weichmacher wurde also wie gewünscht in die Polymermatrix eingebettet. Das ist eine Voraussetzung für die thermoplastische Verarbeitung. Im Extruder knetet ein Schneckengewinde das Kunststoffgranulat, macht es so fließfähig und homogen und preßt die Masse schließlich durch eine Schlitzdüse als Folie aus (Spritzgußmaschinen erzeugen auf ähnliche Weise Formteile). Ohne Weichmacher würde das Proteinpolymer aber nur bei höheren Temperaturen plastisch und könnte denaturieren.

Wir verwenden äußere Weichmacher, deren polare Gruppen sich an die des Polymers anlagern und so die Molekülstruktur auflockern. Im Unterschied dazu werden innere Weichmacher über kovalente Bindungen eingebaut.

Der aus Casein gewonnene Kunststoff wurde zerkleinert und erneut im Extruder verarbeitet. Das Rezyklat hatte dieselben Eigenschaften wie das Ausgangsmaterial. An Extrudatsträngen haben wir auch die Dehnungs- und Zugfestigkeit bestimmt; die Werte liegen in der gleichen Größenordnung wie die von Polyethylen.

Dies läßt sich über pflanzliches Protein noch nicht definitiv sagen, wenngleich unsere Untersuchungen darauf hindeuten. Aus Sojaprotein hergestelltes Extrudat hat eine andere Bruchflächenstruktur als das aus Casein (Bild). Offenbar hat sich der zugesetzte Weichmacher nicht in die Polymermatrix eingebaut, sondern sie lediglich als Film überzogen. Das Produkt ist nicht homogen und damit als technischer Kunststoff unbrauchbar.

Die chemische Zusammensetzung des Soja-Isolats kann nicht die Ursache sein, weil sie der des Caseins ähnelt, das zudem – im Unterschied zu vielen anderen tierischen Proteinen – ebenfalls eine geknäuelte Raumstruktur hat. Deshalb vermuten wir, daß die starke thermische Belastung der Sojaproteine bei der konventionellen Gewinnung – eine Erwärmung über 100 Grad Celsius inaktiviert ein trypsin-abbauendes Enzym – die Molekülkonformation ungünstig verändert: Bindungen werden aufgebrochen und der Ladungszustand beeinflußt.

Wir arbeiten aber bereits an neuen Gewinnungsverfahren. Weil Isolate aus Sojabohnen typische pflanzliche Proteine sind, dürften sich unsere Ergebnisse auf viele Arten wie Raps, Sonnenblume, Erbse, Mais oder Lupine übertragen lassen. Die Produktion von technischen Protein-Polymeren mit thermoplastischen Eigenschaften wäre demnach nicht auf einige wenige Quellen beschränkt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 105
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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