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Allgemeinbildung: Phänomen Mensch.

Brockhaus, Leipzig/Mannheim 1999. 704 Seiten, DM 98,–.


Wo "Brockhaus" draufsteht, ist stets viel drin. Dies gilt auch für den zweiten Band in der Reihe "Mensch – Natur – Technik". Namhafte Wissenschaftler versuchen, auf 700 Seiten das Wesen des Menschen auszuleuchten, von den anatomischen und molekularen Grundlagen über daraus resultierende Bewusstseinszustände und Denkvorgänge bis hin zu seiner Kommunikation und seinem komplexen Verhalten.

Herausgekommen ist ein üppiges Kompendium der menschlichen Existenz, das deren wichtigste Aspekte anspricht und in der Tiefe der Darstellung den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand widerspiegelt. Neben informativen Detailskizzen und aussagekräftigen Fotografien stehen immer wieder historische Abbildungen aus der Kunst, die dem Band über seinen Informationsgehalt hinaus auch optische Qualitäten geben. Definitionen von Fachbegriffen begleiten den Haupttext farblich hervorgehoben ebenso wie umfassende Erläuterungen zu wissenschaftlichen Methoden oder bedeutenden Forschern. Die einzelnen Kapitel können unabhängig voneinander verstanden werden; ein umfassendes Schlagwortregister und eine Fülle aktueller Literaturhinweise helfen, Themen schnell zu finden und bei Bedarf zu vertiefen.

"Was ist der Mensch?" Mit dieser anthropologischen Grundsatzfrage, die schon seit Sokrates die großen Denker der Welt bewegte, deren Beantwortung jedoch schon Immanuel Kant für unmöglich und Karl Popper für nutzlos erklärte, fällt das Buch mit der Tür ins Haus. Eine ganze Liste von Charakterisierungen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln – vom weisen "Homo sapiens" bis zum unwissenden "Homo insipiens", vom sprechenden "Homo loquens" bis zum geschwätzigen "Homo loquax" – macht deutlich, wie sehr diese Attribute von Standpunkt und Interesse des Fragenden abhängen. Sie zeigt aber auch die vielfältigen Spezifika der menschlichen Existenz, die sich quasi in einem Wimpernschlag der Evolution entwickelte – bis zum "Homo politicus et sociologicus".

In den Hauptteilen des Buches schimmert immer wieder durch, wie wenig sich der Mensch in manchen physiologischen Eigenschaften von seinen nächsten Verwandten, ja von manchem Einzeller noch immer unterscheidet, welche Besonderheiten ihm andererseits eine außergewöhnliche Stellung verleihen – bis hin zu seiner eher bedenklichen Einflussnahme auf die Evolution.

Dieser Einfluss beginnt heute schon im pränatalen Stadium und ist eines der brisantesten Probleme, wie im ersten Abschnitt vom "Werden und Vergehen" des menschlichen Lebens deutlich wird. Man denke dabei nur an die Umwelteinflüssen zugeschriebene wachsende Unfruchtbarkeit oder die ethischen Probleme der modernen Embryonaldiagnostik. Von der Sexualität – im biologischen und ethnologischen Vergleich – über Schwangerschaft und Geburtstechniken bis zum Altern und zu Hypothesen über den programmierten Zelltod reichen hier die Inhalte.

"Der menschliche Körper" mit seinen anatomischen und physiologischen Gegebenheiten – der Mechanik des Fußgewölbes, dem Cholesterinstoffwechsel oder den Ionenflüssen an Nervenfasern – ist der zweite Schwerpunkt. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von Killerzellen und schematische Schaubilder von Immunreaktionen geben hier auch einen lebendigen Eindruck vom Abwehrkampf gegen gefährliche Eindringlinge, bei dem der Mensch wie im Falle der Malaria-Plasmodien oder HI-Viren auch heute noch oft als Verlierer dasteht.

Der Sinnesphysiologie sowie der vielschichtigen Interpretations- und Assoziationsfähigkeit unseres Gehirns ist der Abschnitt "Wahrnehmen, Erkennen, Empfinden" gewidmet. Mit welchen Mechanismen die 100 Milliarden Nervenzellen des Menschen ihre Informationen verarbeiten, strukturieren und speichern und damit Denken, Lernen sowie die eigene Reflexion ermöglichen, schließt sich daran an. Die Kommunikation des Menschen mit seinesgleichen, seine Symbolik und seine vielfältigen Sprachsysteme sind Gegenstand eines weiteren Abschnitts.

Mit dem "Verhalten des Menschen" kehrt die Thematik wieder an die Wurzeln des evolutionären Stammbaumes zurück. Zugleich werden Verhaltensweisen im Sinne der Soziobiologie interpretiert: Welchen Effekt haben heutzutage "Elterninvestment" und "Spermienkonkurrenz" auf den Reproduktionserfolg der eigenen Art oder der eigenen Gene?

Alles in allem ist das Werk ein geglückter Versuch, dem Wesen des Menschen näherzukommen und die Zusamenhänge zwischen seiner biochemischen Basis und der besonderen Stellung auf der Erde deutlich zu machen – nicht ohne dem Leser einige spannende Fragen zum Nachdenken zu hinterlassen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2000, Seite 112
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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