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Philosophische Weltbilder des 20. Jahrhunderts. Eine interdisziplinäre Studie zu Max Planck und Werner Heisenberg


Im Jahre 1900 trug Max Planck vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft über sein Strahlungsgesetz vor, dessen theoretische Begründung ihn zur Einführung von Energiequanten zwang. Damit hatte er der Quantentheorie, der er selbst später so skeptisch gegenüberstand, die Bahn gebrochen.

Planck (1858 bis 1947) war in seinem Denken durch den Neukantianismus, die einflußreichste philosophische Bewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert, geprägt. So sehr, wie ihn sein Glaube an eine verborgene "reale Außenwelt" in seiner Forschung motivierte, hinderte ihn seine Weltanschauung daran, die Quantentheorie mit all ihren Konsequenzen zu akzeptieren. Bis zu seinem Lebensende hielt er am Kausalitätsprinzip fest – der nach seiner Vorstellung unentbehrlichen Voraussetzung dafür, sich ausgehend von der Erfahrungswelt der realen Welt nähern zu können. Dagegen ist nach der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation das Kausalitätsprinzip im Raum-Zeit-System zwar nicht falsch, aber auch nicht anwendbar, weil eben die Voraussetzung – eine beliebig genaue Kenntnis über den Anfangszustand einer Bewegung – nicht erfüllbar ist (siehe "Werner Heisenberg und das Unbestimmtheitsprinzip" von David C. Cassidy, Spektrum der Wissenschaft, Juli 1992, Seite 92).

Auch das Prinzip der Objektivierbarkeit geriet ins Wanken: Die Frage nach dem "Ding an sich", wie es nach Immanuel Kant (1724 bis 1804) hinter all dem existiert, was unsere Erfahrung überhaupt erst ermöglicht, kann nach der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie so nicht mehr gestellt werden. Nach dieser Interpretation, die Werner Heisenberg (1901 bis 1976) zusammen mit Niels Bohr (1885 bis 1962), Max Born (1882 bis 1970) und anderen Physikern aufstellte, sind Materie und Licht "an sich" weder Teilchen noch Wellen. Wir benötigen abhängig vom Experiment jeweils das eine oder andere Bild, um unsere Erfahrungen zu beschreiben. Also läßt sich das beobachtete Objekt nicht mehr vom beobachtenden Subjekt trennen. An die Stelle der Frage nach dem "Ding an sich" trat die nach der Idee hinter allen Erscheinungen, die kennzeichnend für die Philosophie Platons ist und Leitgedanke für Heisenbergs Forschung war.

Cornelia Liesenfeld bezeichnet in ihrer nun als Buch vorliegenden Dissertation die Weltanschauungen Plancks und Heisenbergs als exemplarisch für den Übergang vom Neukantianismus zum empirischen Platonismus in unserem Jahrhundert. Sie hält es für wenig sinnvoll zu fragen, ob die Forschung das Weltbild eines Physikers präge oder sein philosophisches Weltbild Einfluß auf seine Forschung nehme. Vielmehr beeinflußten die Entwicklung des physikalischen Denkens und die des philosophischen Weltbildes sich wechselseitig. Einer weiteren These zufolge stützten sich die Weltanschauungen von Planck, Albert Einstein (1879 bis 1955) und Heisenberg an kulturellen oder nationalen Vorgaben: Bei Planck war es die Philosophie Kants, bei Einstein die des jüdischen Philosophen Baruch de Spinoza (1632 bis 1677) und bei Heisenberg das Werk Platons.

Alle drei standen in ihren jungen Jahren dem Positivismus des österreichischen Philosophen und Physikers Ernst Mach (1838 bis 1916) sehr nahe. Noch während ihrer Lernphase strebten sie danach, in diesem Sinne alle metaphysischen Elemente aus der physikalischen Erkenntnislehre zu eliminieren. Später wandten sie sich davon ab und entwickelten ihr jeweils eigenes Weltbild.

In den jungen Jahren eines Physikers, so Cornelia Liesenfeld, prägt eher die Forschung sein philosophisches Weltbild; im Alter, wenn dieses sich gefestigt hat, ist es im allgemeinen umgekehrt. Das kann so weit gehen, daß sich der betreffende Forscher, wenn er älter ist, gegen neue Theorien wehrt.

Demnach birgt die Entwicklung eines philosophischen Weltbildes, sofern sie überhaupt stattfindet, immer eine fördernde und eine bremsende Kraft. Erstere nennt die Autorin "positive Heuristik". Bei Planck ist es die Frage nach dem "Absoluten" oder dem "Ding an sich", bei Heisenberg die nach der alles durchdringenden Ordnung und bei Einstein die Suche nach dem Göttlichen in der Natur, dem nichtpersonalen Gott (deus sive natura) Spinozas. Die "negative Heuristik" dagegen äußerte sich bei Planck und Einstein im Festhalten an Objektivierbarkeit und Kausalität wider die Einsichten der Quantentheorie; Heisenberg hatte seine Zweifel an der Theorie der Quarks.

Bremsend wirkt die negative Heuristik aber nur für den Forschungserfolg des einzelnen, denn gerade kritisches Nachfragen kann das Verständnis einer Theorie vorantreiben. Dies wurde besonders deutlich auf der fünften Solvay-Konferenz, die 1927 in Brüssel stattfand. Die von Einstein in dem Versuch, die Unbestimmtheitsrelation ad absurdum zu führen, vorgeschlagenen Gedankenexperimente dienten im Endeffekt sogar einer Stützung der Kopenhagener Deutung.

Dem Geleitwort der Autorin zufolge benötigt man keine physikalischen Vorkenntnisse für die Lektüre dieses interdisziplinären Werkes. An einigen Stellen hat sie physikalische Zusammenhänge kurz skizziert oder auf die Fachliteratur verwiesen. Noch schöner wäre es, würde man das bahnbrechende Ergebnis des jeweils besprochenen Physikers am Anfang eines Abschnittes mit einer kurzen Erläuterung finden. Das würde die erstaunlichen – keineswegs zurechtinterpretierten – Parallelen von philosophischen und physikalischen Weltbildern noch deutlicher machen. Einige Begriffe aus der Philosophiegeschichte wird man je nach Vorkenntnissen in einem Lexikon nachschlagen müssen.

Ein Werk, für dessen Lektüre man sich ein wenig Mühe geben muß – aber die Mühe lohnt sich.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1994, Seite 128
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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