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Photonische Kristalle durch Selbstorganisation

Das Rechnen mit Licht statt Elektronen böte viele Vorteile. Es erfordert Substanzen, die sich gegenüber Photonen so verhalten wie Halbleiter gegenüber Elektronen. Möglicherweise sind solche photonischen Kristalle auf einfache Weise durch Selbstorganisation zugänglich.


Datenverarbeitung und Elektronik sind heutzutage noch praktisch synonym. Zwar transportieren Lichtleiter riesige Datenmengen über große Distanzen, und Speichertechniken auf holographischer Basis stehen kurz vor der breiten Anwendbarkeit – doch die höheren Weihen der Rechentechnik blieben bisher dem Silicium vorbehalten.


Vorzüge des Rechnens mit Licht



Photonen bieten als Träger von Informationen eine Menge Vorteile. So werden sie im Unterschied zu Elektronen nicht an den atomaren Bestandteilen des Mediums gestreut und können sich widerstandsfrei geradlinig dar-in ausbreiten. Energieverluste spielen deshalb kaum eine Rolle, und alle daraus resultierenden Nachteile wie Wärmeentwicklung und die Notwendigkeit von Verstärkern entfallen. Außerdem ist das Frequenzband, das zur Übertragung genutzt werden kann, viel breiter als bei Elektronen: Durch eine Glasfaser paßt weitaus mehr Information auf einmal als durch einen elektrischen Leiter.

Was auf dem Weg zur Datenverarbeitung mit Licht bisher fehlt, ist das optische Äquivalent zum elektronischen Mikroprozessor. Diese Funktion erfordert sogenannte photonische Kristalle, die sich gegenüber Licht so verhalten wie Halbleiter gegenüber Elektronen. Bisher ist es nicht gelungen, solche "optischen Halbleiter" auf einfache, preisgünstige Weise in großen Mengen zu produzieren. Nun sind Chemiker der Universität Rochester (US-Bundesstaat New York) diesem Ziel jedoch einen großen Schritt näher gekommen.

Bei Kristallen denkt man gewöhnlich an die regelmäßigen Gitter von Stoffen wie Diamant, Kochsalz oder Kupfer, welche eine geordnete Struktur auf atomarem Niveau aufweisen. Die einzelnen Gitterbausteine – Atome, Ionen oder Moleküle – sind dort meist nur Bruchteile eines Nanometers voneinander entfernt. Der Begriff Kristall ist aber viel großzügiger definiert. Es spielt keine Rolle, ob die Gitterbausteine Atomkerne oder etwa Orangen sind; solange das entstehende Gebilde eine periodisch wiederholte Struktur, also eine sogenannte Fernordnung, aufweist, ist es ein Kristall.

Bei photonischen Kristallen muß der Abstand zwischen den Bausteinen, die sogenannte Gitterkonstante, im Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes liegen – also zwischen 400 und 800 Nanometern. Das bedeutet, daß die Gitterpunkte ungefähr tausendmal weiter voneinander entfernt sein müssen als etwa beim Kochsalz. Die Kristallbausteine sind dann natürlich auch keine Atome mehr, sondern viel größere Einheiten. Woraus sie konkret bestehen, spielt für die optischen Eigenschaften des photonischen Kristalls keine Rolle; wichtig ist nur, daß sich der Brechungsindex mit einer Periode ändert, die der Wellenlänge des Lichtes entspricht.

Das heißt aber auch, daß eine Vielzahl von stofflichen Systemen und Herstellungstechnologien in Frage kommen. Es gibt sogar natürlich vorkommende photonische Kristalle: Opale. In diesen Edelsteinen sind ausgehärtete, wasserarme Silicatkügelchen in regelmäßigen Abständen in einem "Zement" von weicheren, wasserreichen Silicaten angeordnet und bilden so ein Gitter, dessen Bausteine einen geeigneten Abstand für die Datenverarbeitung mit Licht haben.


Wege zum "optischen Halbleiter"



Einige Wissenschaftler stellen künstliche Opale her und versuchen, deren optische Eigenschaften über Größe und Abstand der härteren Silicatkügelchen zu beeinflussen. Andere Forscher dagegen nutzen Arbeitstechniken der Halbleiterindustrie und Nanotechnologie, um durch Schneiden oder Ätzen periodische Strukturen in festen Materialien zu erzeugen. Wieder andere suchen winzige, mit Luft gefüllte Hohlkügelchen in regelmäßigen Abständen in Keramikwerkstof-fe wie Titanoxid einzulagern oder auf chemischem Weg regelmäßige Kohlenstoffstrukturen aufzubauen.

Wesentlich einfacher und eleganter ist ein neuartiges Verfahren, das Samson A. Jenekhe und X. Linda Chen von der Universität Rochester unlängst entwickelt haben (Science, Bd. 283, S. 372). Dabei entsteht das photonische Gitter durch einen Kristallisationsprozeß gewissermaßen von selbst. Ausgangsmaterialien sind spezielle grenzflächenaktive Substanzen, die zu den sogenannten Block-Copolymeren zählen. Sie bestehen aus einem starren stäbchenförmigen Kopf (Polyphenylchinolin) mit einem langen flexiblen Schwanz (Polystyrol). In einem geeigneten Lösungsmittel wie Schwefelkohlenstoff, das eine hohe Affinität zum Schwanz und eine geringe zum Kopf hat, lagern sich viele einzelne Polymermoleküle – Kopf nach innen und Schwanz nach außen – zu einheitlich großen, hohlkugelartigen Aggregaten von einigen Mikrometern Durchmesser zusammen (Bild auf S. 26). Die Struktur dieser sogenannten Micellen bleibt erhalten, wenn das Lösungsmittel anschließend vorsichtig verdampft wird.

Die Gitterkonstante des entstehenden Kristalls wird durch den Durchmesser der Kugeln bestimmt und liegt bei den Polymeren, die von den US-Wissenschaftlern verwendet wurden, im unteren Mikrometerbereich. Das ist für photonische Anwendungen zwar etwas zu groß; das passende Licht wäre Infrarotstrahlung. Da die Polymerchemiker aber ein beachtliches Know-how im Maßschneidern derartiger Moleküle haben, dürften sie Parameter wie Zusammensetzung, Kettenlänge oder Emulsionsbedingungen leicht so verändern können, daß photonische Kristalle mit geeigneten Gitterkonstanten herauskommen. Die US-Forscher haben außerdem gezeigt, daß sich der Brechungsindex des Materials durch Einbringen von Fullerenen in das Innere der Micellen beeinflussen läßt. Damit deutet sich ein Weg zur gezielten Manipulation der optischen Eigenschaften an.

Genau wie bei elektrischen Halbleitern ist es nämlich auch bei ihren photonischen Gegenstücken nicht der Kristall ohne Fehl und Tadel, auf den es ankommt. Herkömmliche Halbleiter weisen eine sogenannte Bandlücke auf: Für Elektronen sind Energien und damit auch Frequenzen innerhalb eines bestimmten Bereiches verboten. Die Hersteller moderner Elektronik tun nun eigentlich nichts anderes, als diese Bandlücke zu manipulieren, indem sie in das Material, meist Silicium, bestimmte Fremdatome als Störstellen einbauen. Diese Dotierung und die Kombination unterschiedlich dotierter Schichten ermöglicht die gesamte Palette der elektronischen Bauelemente.

Fast genauso und doch ganz anders ist es beim photonischen Kristall. Auch er besitzt eine Bandlücke, aber eben nicht für Elektronen, sondern für Photonen bestimmter Energie. Folglich ist Licht eines gewissen Frequenzbereiches im Kristall "verboten". Diese Bandlücke läßt sich ebenfalls durch den Einbau von Störstellen manipulieren. Gegenüber Halbleitern haben die photonischen Kristalle aber zwei bedeutende Vorteile.

Da ihre Gitterkonstante tausendmal größer ist, kann man die Störstellen gezielt an bestimmten Punkten anbringen – bisher dienen dazu Methoden aus der Mikro- und Nanotechnologie – und damit erstaunliche Effekte erzielen. Zum Beispiel bringen "Kanäle" im Kristall die Photonen dazu, fast verlustfrei um die Ecke zu biegen (Bild auf S. 27); oder man kann in kleinen, durch Störstellen hervorgerufenen Hohlräumen Lichtquanten bestimmter Frequenz einsperren und auf diese Weise Information speichern. Die Schildbürger, die Licht in ihr fensterloses Rathaus trugen und hofften, es bliebe dort, erfahren so eine späte Rehabilitation. Zudem kann man im Gegensatz zu elektronischen Systemen das Verhalten eines photonischen Kristalls anhand der Maxwellschen Gleichungen exakt berechnen, so daß sich ein gewünschtes Bauteil am Computer modellieren läßt und man es dann "nur noch" herstellen muß.


Wettlauf der Technologien



Ob die Zukunft der Informationsverarbeitung wirklich der Photonik gehört, ist derzeit freilich – trotz aller erreichten Fortschritte – immer noch offen. Die Lösung der wissenschaftlich-technischen Probleme ist schließlich nur eine Seite der Medaille. Eine ebenso wichtige Rolle spielen andere Faktoren; dazu gehören das weitere Entwicklungspotential der herkömmlichen Elektronik ebenso wie die Realisierungschancen alternativer Technologien – Nanocomputer auf chemischer beziehungsweise molekularbiologischer Basis oder Quantencomputer – und nicht zuletzt der cash flow der IT-Unternehmen. Eine faszinierende Vision ist ein mit Licht rechnender Urenkel von Pentium, Alpha und Co aber allemal, und sei es nur, weil man ihm mit der Taschenlampe ein "Reset" geben könnte.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 26
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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