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Plastiklaser ante portas

Vielseitig einsetzbare Laser aus Kunststoff, die sich nach Wunsch formen und biegen lassen oder auch als quadratmetergroße Folie zu kaufen sind, scheinen in greifbare Nähe gerückt. Sie könnten ein neues Kapitel in der Erfolgsgeschichte des Lasers aufschlagen.


Letzter Schritt in der Autoproduktion des nächsten Jahrtausends: Der neue Wagen wird nach dem Verlassen des Fließbandes in eine dünne Folie gewickelt, deren Innenfläche für eine Sekunde grün aufblitzt – fertig ist das Auto. Beim letzten Lasercheck konnte kein Fehler mehr entdeckt werden. Das Chassi hat exakt die vorgegebene Form, und auch die übrigen Teile entsprechen den Spezifikationen. Die an die Folie angeschlossenen Hightech-Computer melden "Gute Fahrt!".

Werden komplexe Formen zur abschließenden Qualitätsprüfung heute noch mühsam mit dünnen Laserstrahlen abgescannt, so reicht im kommenden Jahrtausend möglicherweise eine Folie, die einen flächendeckenden Laserblitz aussendet. Möglich wird das durch neue Materialien – organische Stoffe, die beliebig formbar sind und Laserlicht auch in großen Flächen abstrahlen.

Laser bestehen im wesentlichen aus zwei Komponenten: einem Medium, das Licht aussendet, und einem Resonator mit halbdurchlässigen Spiegeln am Ende, die nur einen Teil dieses Lichtes passieren lassen und den Rest reflektieren. In dem Medium werden Elektronen über einen Pumpmechanismus auf ein höheres Energieniveau angehoben. Fällt eines davon spontan in den Grundzustand zurück, sendet es ein Lichtquant aus, das zwischen den Spiegeln hin und her reflektiert wird. Dabei veranlaßt es andere Elektronen im Medium, gleichfalls unter Abgabe eines Photons in ihr Ausgangsniveau zurückzukehren – ein als stimulierte Emission bezeichnetes Phänomen.

Auf diese Weise kommt es zu einer sich selbst verstärkenden Kettenreaktion, durch die schließlich alle Elektronen koordiniert in den Grundzustand zurückfallen. Dabei senden sie eine Lawine aus Lichtquanten einheitlicher Farbe aus, die alle im Gleichtakt schwingen: den kohärenten Laserstrahl.

Voraussetzung für den breiten Einsatz von Lasern in vielerlei technischen Geräten war die Einführung von Halbleitern als aktives Lasermedium. Sie zeichnen sich durch einen sehr einfachen Pumpmechanismus aus: Elektronen lassen sich darin allein durch Anlegen einer elektrischen Spannung in ein höhergelegenes Niveau überführen, aus dem sie dann unter Abgabe von Licht in den Grundzustand zurückkehren; man bezeichnet diesen Vorgang als Elektrolumineszenz.

Die gebräuchlichen Halbleiter sind kristalline anorganische Materialien. Daraus ergeben sich einige gravieren-de Nachteile: Kristalle lassen sich weder nach Belieben formen noch verbiegen; außerdem emittieren sie Licht nur aus kleinen Öffnungen. Beides hat die Einsatzmöglichkeiten von Lasern bisher deutlich eingeschränkt.

Doch Abhilfe ist in Sicht. Vor vier bis fünf Jahren berichteten eine deutsche und eine amerikanische Forschergruppe zum ersten Mal, daß bestimmte Kunststoffe eingestrahltes Licht verstärkten, statt es, wie sonst üblich, mehr oder weniger zu absorbieren. Offenbar erfüllen diese Substanzen eine Grundvoraussetzung für die Eignung als Lasermedium: Sie erlauben die stimulierte Emission aus einem angeregten Zustand.

Deshalb witterten Ulrich Lemmer und Jochen Feldmann am Lehrstuhl für Photonik und Optoelektronik der Ludwig-Maximilians-Universität München die Chance, aus dem Material einen biegsamen organischen Laser zu konstruieren. Dazu brauchten sie nur noch einen passenden Spiegel. Der hatte freilich knifflige Anforderungen zu erfüllen, wenn die Vorteile der formbaren Polymere nicht verspielt werden sollten. Er mußte ebenso flexibel sein wie das optisch verstärkende Medium und sich genauso kostengünstig produzieren und auf die Polymerschicht aufbringen lassen.

Die zündende Idee kam Feldmann zufällig. An einem Freitagnachmittag besuchte er einen Gastvortrag, den Volker Wittwer vom Fraunhofer-Institut für solare Energieforschung an der Universität München hielt. Der Dozent demonstrierte, wie Sonnenkollektoren durch einfache Kunststoffolien entspiegelt werden könnten. Unter dem Elektronenmikroskop erscheinen diese Folien wie ein Wellblech. Die feinen Rillen auf der Oberfläche, die einfach in das Polymer eingeprägt werden, lassen lediglich senkrecht einfallendes Licht passieren, während sie Lichtstrahlen aus anderen Richtungen reflektieren. Vom Lichtblitz zum Geistesblitz – Feldmann wurde klar, daß genau diese Folien den angestrebten Polymerlaser vervollständigen könnten.

Die entscheidenden Experimente waren schnell gemacht. Der lichtverstärkende Stoff, den Klaus Müllen und Ulli Scherf vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz zur Verfügung stellten, wurde in einem Lösungsmittel auf die Spiegelfolie getropft und in einer Zentrifuge verteilt. Nachdem das Lösungsmittel verdampft war, erhielten die Münchener Forscher ein dünnes, biegsames, zweilagiges Plättchen, das schon bei schwacher optischer Anregung einen grünen Laserstrahl senkrecht zur Oberfläche aussandte.

Skeptiker, die der beschichteten Folie nur eine sehr begrenzte Haltbarkeit vorhersagten, wurden eines besse-ren belehrt. Obwohl nicht auf besondere Reinheit der Materialien geachtet worden war, strahlte das Plättchen auf Anhieb über mehrere Stunden.

Mittlerweile konnte das Münchner Team, dem außerdem Christian Kallinger, Andreas Haugeneder und Stefan Riechel angehören, den Resonator weiter verbessern. Anstelle der eindimensionalen Wellblechstruktur wird heute eine zweidimensionale Form verwendet, die an einen Eierkarton auf Mikrometerskala erinnert. Sie bringt vielerlei Vorteile. Zum einen zeigen die daraus hergestellten Plastiklaser eine niedrigere Laserschwelle: Der Verstärkungseffekt setzt schon bei schwächerer Beleuchtung ein. Zum anderen läßt sich über die zweidimensionale Nanostrukturierung in Verbindung mit einer Variation der Schichtdicke des aktiven Leiterpolymers die räumliche Abstrahlcharakteristik kontrollieren. Dadurch kann man die Intensitätsverteilung des emittierten Laserlichts beliebig steuern und so die unterschiedlichsten Muster erzeugen.

Ein großes Problem bleibt freilich noch zu lösen. Bislang muß der Münchener Laser optisch, das heißt durch einen anderen Laser, gepumpt werden. Eine unkomplizierte Anwendung erfordert aber, das verstärkende Polymer elektrisch anzuregen.

Doch es besteht Hoffnung. Bei den ersten Lasern zu Beginn der sechziger Jahre stellte sich dasselbe Problem. Auch die damals verwendeten Rubinkristalle ließen sich nur optisch anregen. Doch schon bald fand sich ein Ausweg. Zunächst verwendete man Gase als Licht emittierende Medien, und schließlich wurden aus Leuchtdioden auf Halbleiterbasis die Halbleiterlaser entwickelt.

Bereits Ende der achtziger Jahre entdeckten Wissenschaftler an der Universität Cambridge Elektrolumineszenz auch in Kunststoffen. "Plastik kann leuchten" wurde damals zum Slogan unter den Forschern. Dünne Filme aus bestimmten organischen Materialien zeigen intensive Elektrolumineszenz im roten, grünen und sogar im blauen Spektralbereich, der wegen der vergleichsweise hohen Energie immer etwas problematisch ist.

Mittlerweile werden organische Leuchtdioden von zahlreichen Firmen zur Marktreife entwickelt. Sie sind einfach herzustellen und überschreiten nach entsprechender Optimierung deutlich die von der Industrie geforderten 10000 Stunden Dauerbetrieb. So ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten verbrauchsarmen und beliebig formbaren Plastikbildschirme auf den Markt drängen und die heutigen Modelle auf der Basis von Elektronenröhren oder Flüssigkristallen ablösen.

Die rasanten Fortschritte bei den organischen Leuchtdioden könnten auch die Entwicklung eines elektrisch gepumpten Plastiklasers vorantreiben. Zu den aussichtsreichsten elektrolumineszierenden Kunststoffen gehören sogenannte konjugierte Polymere – genau jene Substanzen, die sich kürzlich als Lichtverstärker erwiesen haben und von der Gruppe um Feldmann für den optisch gepumpten Laser verwendet wurden. Es handelt sich um lange Ketten aus Kohlenstoffatomen, in denen sich Doppel- mit Einfachbindungen abwechseln. Auch sie besitzen lose gebundene Elektronen, die sich zum Leuchten anregen lassen.

In jüngster Zeit haben Richard Friend und seine Mitarbeiter in Cambridge erfolgversprechende Versuche dazu unternommen. Erstmals konnten sie innerhalb des Polymers per elektrischer Anregung Besetzungsdichten in den höheren Energieniveaus der Elektronen erzeugen, die an die Laserschwelle heranreichen. Offenbar ist es also möglich, genügend Elektronen durch einen angelegten Strom in energiereiche Zustände zu pumpen, daß durch stimulierte Emission Laserlicht abgestrahlt werden kann.

Bis zum praktisch einsetzbaren organischen Laser ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Vielleicht werden die Halbleiterlaser im Taschenformat, die in einigen Kreisen schon fast zur Grundausstattung eines Aktenkoffers gehören, demnächst von leuchtenden Folien oder biegsamen Polymerlasern abgelöst. Bleistifte zum Zusammenknoten waren immerhin schon in den achtziger Jahren der Hit bei Kindern der unteren Schulklassen. Ob flexible Plastiklaser zum Spielzeug für Erwachsene werden, wird sich innerhalb der nächsten Jahre zeigen. In Medizin und Technik eröffnen sie jedenfalls faszinierende Möglichkeiten. Dies erkannte auch die Philip-Morris-Stiftung, die Lemmer und Feldmann mit ihrem diesjährigen Forschungspreis auszeichnete.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1999, Seite 12
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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