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Prävention von Brustkrebs

Laut einer jüngsten Studie beugt Tamoxifen Mammakarzinomen vor; eine verwandte Substanz könnte denselben Schutzeffekt bei weniger Nebenwirkungen haben.

Seit den siebziger Jahren dient das Medikament Tamoxifen zur Behandlung von Brustkrebs. Als sich in diesem Frühjahr herausstellte, daß es der Erkrankung auch vorbeugt, waren viele Onkologen überrascht – selbst die Wissenschaftler am Nationalen Krebsinstitut (NCI) der USA in Bethesda (Maryland) und die Mitglieder des National Surgical Adjuvant Breast and Bowel Project (NSABP), deren auf sechs Jahre angesetzte Studie das erfreuliche Resultat erbracht hatte.
Die abschließende Auswertung der Untersuchung war eigentlich erst für 1999 vorgesehen. Doch als die beteiligten Forscher im März dieses Jahres einen routinemäßigen Blick auf die bisherigen Daten warfen, stellten sie fest, daß "die Substanz einen viel größeren Effekt hatte als erwartet", wie Joseph P. Costantino, ein Biostatistiker am NSABP erklärt.
Das Kollektiv umfaßte 13388 Patientinnen mit besonders hohem Brustkrebsrisiko. Nach durchschnittlich vierjähriger Teilnahme wurde bei 3,2 Prozent der 6707 Frauen, die täglich 20 Milligramm eines Placebos in Tablettenform eingenommen hatten, Brustkrebs in irgendeinem Stadium diagnostiziert, dagegen nur bei 1,7 Prozent der 6681 Frauen, denen die gleiche Dosis Tamoxifen verabreicht worden war. Um denselben Betrag von 45 Prozent reduzierte die Substanz auch die Anzahl derjenigen Wucherungen, die sich bereits zu bösartigen invasiven Tumoren entwickelt hatten.
"Dies ist das erste Mal, daß von einem Medikament nachgewiesen wurde, daß es Brustkrebs verhüten kann", begeistert sich V. Craig Jordan, der an der Northwestern-Universität in Evanston (Illinois) über Mammakarzinome forscht. Eine ausgewogene Ernährung sowie körperliche Betätigung haben zwar auch eine gewisse vorbeugende Wirkung. "Doch die Hinweise darauf sind eher indirekt", meint Peter Greenwald, Leiter der Abteilung für Krebsprävention am NCI.
Dagegen erwies die Studie, so Costantino, mit einer Zuverlässigkeit von 99,999 Prozent, daß Tamoxifen den Ausbruch von Brustkrebs zu verzögern oder ganz zu verhindern vermag. Das Ergebnis war derart eindeutig, daß es die beteiligten Wissenschaftler für ethisch nicht vertretbar hielten, den Frauen in der Placebogruppe das Medikament weiterhin vorzuenthalten.
Daß das NCI damit indirekt öffentlich die Einnahme von Tamoxifen zur Verhütung von Brustkrebs befürwortet, könnte viele Ärzte in Schwierigkeiten bringen. Sie dürften mit einer Flut von Anfragen nach der Substanz überschüttet werden, denen sie nicht entsprechen können, weil die Zulassung von Tamoxifen zur vorbeugenden Behandlung noch nicht erteilt wurde. Nach Schätzung des NCI ist allein in den USA bei 26 Millionen Frauen das Brustkrebsrisiko hoch genug, um die Einnahme des Mittels zu rechtfertigen. Alle mehr als sechzigjährigen erfüllen das Kriterium, bei den jüngeren muß die Gefährdung dagegen mit einem am NCI eigens dafür entwickelten Computerprogramm abgeschätzt werden.
Laut Jordan ist eine solche Abwägung wichtig, weil Tamoxifen seinerseits Gefahren birgt und bestenfalls nur das kleinere Übel ist. So zeigte die genannte Studie auch, daß das Medikament mit 95prozentiger Wahrscheinlichkeit das Risiko für Gebärmutterhalskrebs von 2 auf 5 Promille steigert. Desgleichen erhöhte sich die Häufigkeit von Blutgerinnseln in der Lunge von 0,9 auf über 2,5 Promille. Weitere Risiken könnten sich vielleicht erst nach Jahren herausstellen. Bisher läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob Tamoxifen alles in allem die Lebenserwartung steigert.
Größere Hoffnungen setzt man in dieser Hinsicht auf das chemisch eng verwandte Raloxifen. Letztes Jahr in den USA zur Prävention von Osteoporose zugelassen, hat es bei zwei kürzlich durchgeführten kleineren Studien offenbar auch die Brustkrebsrate gesenkt. Wie Tamoxifen dockt es an Östrogenrezeptoren in Brust-, Knochen- und Gebärmutterzellen an. Dabei hat es durchweg eine hemmende Wirkung, während Tamoxifen aus ungeklärten Gründen in Knochen und im Uterus den gleichen Effekt wie das weibliche Geschlechtshormon hat und nur in der Brust den entgegengesetzten. Dort blockiert es die Wirkung des Östrogens und bringt entstehende Tumoren damit, wie man glaubt, um das nötige Wachstumssignal.
Nach den Ergebnissen bisheriger Studien birgt Raloxifen anders als Tamoxifen und die Östrogentherapie von Frauen nach den Wechseljahren kein erhöhtes Risiko für Gebärmutterhalskrebs. Als weiterer Vorteil scheint es die Konzentration des schädlichen LDL-Cholesterins im Blut zu senken und so die Gefahr von Herzerkrankungen zu verringern. Um das Potential von Raloxifen auszuloten und zu klären, ob Tamoxifen insgesamt mehr nutzt als schadet, plant das NSABP eine fünfjährige Studie an 22000 Frauen, in der die Wirkungen der beiden Substanzen miteinander und mit der eines Placebos verglichen werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1998, Seite 30
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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