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Preise für die Umweltnutzung – gibt es eine bessere Lösung?



Seit fast 20 Jahren wird die ökologische Steuerreform diskutiert, und einige Nachbarländer – etwa Dänemark – haben bereits mit ihrer Umsetzung begonnen. In Deutschland hat man das Konzept zwar in fast allen Parteiprogrammen aufgegriffen, aber bislang nicht politisch verwirklicht. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß viele Menschen mit Ökosteuern eher Unangenehmes verbinden: Autofahren soll teurer werden, von einem Benzinpreis von 5 Mark pro Liter war schon die Rede, die Heizkosten erhöhen sich, und die Industrie zeichnet ein düsteres Szenario über Standortverlagerung und Arbeitsplatzabbau. Warum also sollte man sich für die Idee erwärmen, daß die Umweltnutzung teurer werden muß?

Eine sinnvolle Auseinandersetzung mit der ökologischen Steuerreform muß mit den umweltpolitischen Zielen der Gesellschaft beginnen. In den letzten Jahren ist das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung immer stärker akzeptiert worden. Ihm zufolge sollen die ökologischen Lebensgrundlagen nur so beansprucht werden, daß sie auch langfristig allen Menschen auf der Erde zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, daß sich Belastungen durch schädliche Stoffe strikt an der Aufnahmekapazität der Umwelt orientieren müssen. Hieran gemessen ist noch viel zu tun: Luft und Gewässer werden nach wie vor durch Emissionen und Abfälle übermäßig strapaziert, Naturräume durch die Ausweitung der Siedlungs- und Verkehrsflächen zerstört. Bleibt es beim derzeitigen Ausstoß von Treibhausgasen, droht langfristig der Klimakollaps. Darum sollen die Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland bis zum Jahr 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent reduziert werden.

Gegen einen solchen nationalen Alleingang wird eingewandt, der Nutzen einer Einzelanstrengung, die Verpflichtungen nur für den eigenen Staat vorsieht, komme der ganzen Welt zugute, die Kosten aber würden nur vom eigenen Land getragen. Folglich müsse man auf eine globale Vereinbarung warten. Ein internationales Abkommen wäre sicherlich wünschenswert; die jüngste Klimakonferenz im japanischen Kyoto Ende letzten Jahres hat allerdings gezeigt, daß mit solchem Abwarten nur bescheidene Erfolge zu erzielen sind.

Zudem übersieht man dabei die besondere Verantwortung der Industrieländer: Wenn den ärmeren Ländern ein Entwicklungsspielraum bleiben soll, müssen die reicheren ihre Emissionen drastisch verringern, damit die globalen Ziele erreicht werden. Natürlich stoßen nationale Maßnahmen auf größere Probleme im eigenen Land als weltweit abgestimmte. Dennoch ist es falsch, eine nationale Ökosteuer mit dem Argument abzulehnen, ein globales Instrument sei effizienter; man würde Äpfel und Birnen miteinander vergleichen.

Die Verteuerung umweltschädlicher Aktivitäten durch Steuern ist ein ökonomisch effizientes und marktkonformes Mittel, um eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Unternehmen und Haushalte vermeiden umweltschädliche Handlungen dann, wenn ein solches Verhalten für sie besonders einfach und kostengünstig ist. Die erhöhten Preise regen außerdem umweltfreundliche Innovationen an. Und schließlich lenken Ökosteuern den Strukturwandel der Wirtschaft in eine Richtung, die sich positiv auf die Umwelt auswirkt. Die allmähliche Umsteuerung der Wirtschaft folgt den Marktkräften: Das Instrument der Preise für die Umweltnutzung kann folglich dieselben Vorteile für sich verbuchen, die auch die Marktwirtschaft zu einem überlegenen Wirtschaftssystem machen.

Ähnlich wirkt auch das zweite, von Ökonomen favorisierte Instrument der Umweltpolitik: handelbare Zertifikate. Dabei wird eine bestimmte Menge an Emissionsrechten – etwa für Kohlendioxid – an die Unternehmen vergeben, die diese untereinander handeln können. Der sich bildende Zertifikatspreis erfüllt dann denselben Zweck wie eine Ökosteuer. Die gewünschte Gesamtmenge wird zuverlässig eingehalten.

Ein besseres Instrument als Ökosteuern sind Zertifikate allerdings nicht. Es geht darum, einen Prozeß der Anpassung in Richtung langfristiger, nicht exakt bestimmbarer Ziele in Gang zu setzen, und nicht darum, einen bestimmten Zustand zu fixieren. Zudem ist eine Reihe von praktischen Gestaltungsfragen nicht hinreichend geklärt. Wenn die Zertifikate bei der Erstausgabe versteigert werden, entstehen staatliche Einnahmen wie bei Ökosteuern. Sollen diese dann über eine Steuerreform integriert werden? Wenn hingegen eine kostenlose Vergabe erfolgt, stellt sich die Frage, wer nach welchem Kriterium und in welcher Höhe eine Zuteilung erhält. Eine ökonomische Überlegenheit von Zertifikaten gegenüber Steuern ist vor diesem Hintergrund nicht zu begründen.

Umweltpolitik wurde in der Vergangenheit fast ausschließlich über das Ordnungsrecht betrieben, indem man den Unternehmen bestimmte Grenzwerte und Verfahren vorgab. Dieser Weg ist allerdings nicht geeignet, einen umfassenden technologischen und strukturellen Wandel herbeizuführen. Die Behörden müßten Millionen von Haushalten und Unternehmen exakt vorschreiben, in welchem Umfang sie fossile Energieträger verwenden dürfen. Der Aufwand wäre immens und die Bevormundung kaum akzeptabel: Eine Ökodiktatur würde drohen. Außerdem sind die Innovationsanreize unter einem bürokratischen Regulierungsregime gering. Umweltziele gegen den Markt durchzusetzen ist ein wenig aussichtsreiches Unterfangen.

Als Alternative propagiert man oft freiwillige Selbstverpflichtungen: Die Wirtschaftsverbände sorgen eigenverantwortlich für die Umsetzung umweltpolitischer Ziele. Wie aber kann ein Verband seine Mitglieder dazu bewegen, kostenträchtige Maßnahmen tatsächlich durchzuführen? Da Druckmittel praktisch nicht zur Verfügung stehen, läßt sich wahrscheinlich kaum mehr erreichen, als ohnehin passiert wäre. Genau dies wird den bisherigen Selbstverpflichtungen vorgeworfen – etwa der Klimaschutzvereinbarung der deutschen Industrie.

Im Vergleich mit diesen Alternativen sind Ökosteuern ein sinnvolles Instrument. Sie eignen sich vor allem dann, wenn eine Vielzahl von Unternehmen und Haushalten sich grundlegend den Umweltanforderungen anpassen müssen. Dies trifft beim Klimaschutz, etwa im Verkehrsbereich, sowie bei der Abfallentsorgung und der Bodenversiegelung zu; Energie-, Abfall- und Flächensteuern gehören somit zum Kern einer ökologischen Steuerreform. Um den Prozeß reibungslos zu gestalten, bietet sich ein Steuersatzpfad an: Während der Tarif in den ersten Jahren niedrig ist, steigt er langfristig stark an. So bleibt der Wirtschaft genügend Zeit, neue Produkte oder Verfahren einzuführen, und alle Beteiligten können sich allmählich an umweltverträgliche Konsumstile gewöhnen.

Solche Ökosteuern würden dem Staat nach einigen Jahren über 100 Milliarden Mark einbringen – die Summe entspricht etwa einem Achtel der gesamten Steuereinnahmen oder einem Sechstel der Sozialversicherungsbeiträge. Was soll mit dem Aufkommen geschehen? Für ökologische Subventionsprogramme ist es nicht geeignet: Erstens ist es schwer, ein solches Fördervolumen effizient zu verwenden; zweitens sind Subventionen in größerem Umfang gar nicht nötig, da die Preisimpulse der Ökosteuern bereits lenkend wirken.

Drittens schließlich ist eine weitere Erhöhung der Staatsquote ordnungspolitisch bedenklich und wegen der schon gegenwärtig hohen Abgabenbelastung politisch kaum durchsetzbar. Daher hat sich die Diskussion auf aufkommensneutrale Ökosteuer-Konzepte konzentriert: Das zusätzliche Aufkommen wird vollständig dazu verwendet, bestehende Steuern und Abgaben herabzusetzen. Die Kritik am deutschen Steuersystem kann hier für ein finanzpolitisch ausgewogenes Konzept hilfreich sein: Senkt man die (Arbeitgeber-)Beiträge zur Sozialversicherung, lassen sich die Arbeitskosten verringern und damit die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung verbessern. Dafür spricht auch, daß ein erheblicher Teil der Sozialversicherungsausgaben sogenannte versicherungsfremde Leistungen sind, die ohnehin aus Steuern finanziert werden sollten. Das wirtschaftliche Wachstum läßt sich ankurbeln, indem man die investitionsfeindlichen Unternehmenssteuern – zum Beispiel die Gewerbesteuer – senkt oder ganz abschafft. Um die Belastungen der privaten Haushalte auszugleichen, ließen sich die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung und die Umsatzsteuer reduzieren oder auch der Grundfreibetrag der Einkommensteuer erhöhen.

Welche Wirkungen hätte eine solche Reform? Aus Sicht des Finanzministers ist wichtig, daß das Steuersystem weiter seine fiskalische Funktion erfüllt, also Mittel in ausreichender und planbarer Höhe erbringt. Ein häufig vorgebrachter Einwand ist der mögliche Konflikt zwischen Fiskal- und Lenkungsziel: Ist eine Ökosteuer wirksam, so wird sie den Verbrauch von Ressourcen verringern und damit auch die Steuereinnahmen. Bei den meisten Konzepten besteht dieses Problem jedoch nicht. Steuerausfälle durch einen Rückgang des Energieverbrauchs werden dadurch, daß man den Steuersatz jährlich anhebt, mehr als kompensiert; denn auf Preiserhöhungen reagieren Menschen bei ihrem Energieverbrauch erfahrungsgemäß relativ langsam, so daß die Erhöhung des Steuersatzes immer noch die Staatskasse füllen wird.

Manche sehen die Gefahr daher genau im Gegenteil: Gerade das steigende Aufkommen wecke bei den Politikern Begehrlichkeiten und verführe dazu, die Staatstätigkeit noch mehr aufzublähen. Natürlich gibt es keine Garantie dafür, daß sich die Politiker an die Aufkommensneutralität halten, aber dies spricht nicht gegen eine ökologische Steuerreform: Politikmißbrauch ist ein allgemeines Problem, das bei jeder staatlichen Maßnahme auftreten kann. Tatsächlich verfügt der Staat schon im bestehenden System über genügend Möglichkeiten, seine Einnahmen nahezu beliebig zu erhöhen; Ökosteuern braucht er dazu nicht. Andererseits unterliegt er einer demokratischen Kontrolle, die eine Ausweitung der Staatstätigkeit zu verhindern vermag. Wenn Ökosteuern ein so wirksames Mittel wären, um die Wähler zu täuschen und zu schröpfen, warum wurden sie dann nicht schon längst eingeführt?

Ist eine ökologische Steuerreform wirtschaftlich sinnvoll und sozialverträglich? Dieser Frage widmeten sich viele empirische Untersuchungen. Ein Ergebnis, das sich auf die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge bezieht, fällt in allen veröffentlichten Ansätzen eindeutig aus: Eine solche Reform ist mit den gesamtwirtschaftlichen Zielen Beschäftigung, Wachstum und Preisstabilität vereinbar. Viele Prognosen sagen sogar einen Beschäftigungszuwachs um einige hunderttausend Arbeitsplätze voraus. Auch verteilungspolitisch ist die Reform zu verantworten. Zwar handelt es sich um indirekte Steuern, die meist einkommensschwache Haushalte relativ stärker belasten. Doch der Staat kann diesen Effekt durch entsprechende Verwendung des Aufkommens ausgleichen, so daß die Bezieher mittlerer und geringer Einkommen insgesamt von der Reform profitieren.

Diese Resultate beziehen sich allerdings auf Durchschnittswerte für die gesamte Wirtschaft. Detaillierte Betrachtungen zeigen natürlich, daß es Gewinner und Verlierer gibt. Branchen und Unternehmen mit geringem Energieverbrauch und hoher Arbeitsintensität werden netto Vorteile haben, während solche mit hohem Energieverbrauch und geringer Arbeitsintensität belastet werden. Einzelne Betriebe könnten bei einem nationalen Alleingang ihren Standort verlagern. Fernpendler müssen bei einer höheren Mineralölsteuer zusätzlich in die Tasche greifen. Beschäftigungsrückgänge bei energieintensiven Unternehmen und höhere Transportkosten könnten in einzelnen Regionen zu einem schmerzhaften Strukturwandel führen.

Doch diese Belastungen lassen sich durch Ausnahmeregelungen abmildern. Die Palette denkbarer Ausgestaltungen reicht von allgemeinen Ermäßigungen – etwa einem reduzierten Steuersatz für die gesamte Industrie – bis zu detailliert auf die besonders betroffenen Branchen und Unternehmen zugeschnittene Maßnahmen. Grundsätzlich gilt allerdings: Ohne ökonomischen Druck wird es auch keine Umweltschonung geben.

Insgesamt ist festzuhalten, daß eine ökologische Steuerreform wirtschaftlich sinnvoll und sozialverträglich gestaltet werden kann. Es gibt keine bessere Alternative, um langfristige umweltpolitische Ziele zu erreichen. Zwar lassen sich Belastungen für einzelne Haushalte, Unternehmen und Regionen nicht vermeiden; dies gilt aber auch für andere Instrumente. Wer eine nachhaltige Entwicklung will, muß dies in Kauf nehmen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1998, Seite 30
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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