Vogelzug: Prinzesschens Reisen nach Afrika
Dank kleiner Sender auf dem Rücken von Störchen beobachten Ornithologen die Vögel auf ihren Afrikareisen nun kontinuierlich über Satelliten. Zu den Routen und Flugleistungen vieler Vogelarten liefert die neue Technik grundlegende Erkenntnisse, die nun auch in internationalen Schutzprogrammen umgesetzt werden.
Prinzesschen kommt weit herum. Den Sommer verbringt die Stör-chin stets an ihrem Geburtsort Loburg in Sachsen-Anhalt. Doch im Winter besucht sie im einen Jahr Kenia, in einem anderen zieht sie weiter bis nach Tansania, oder sie fliegt sogar nach Südafrika. Dass Störche nicht jedes Jahr dasselbe Winterquartier wählen, sondern gern weit auseinander liegende Gebiete anfliegen, wissen wir erst, seit wir Einzelne von ihnen mit Sendern ausgestattet haben, deren Signale Satelliten auffangen und zur Erde zurücksenden.
Diese und viele andere unerwartete Erkenntnisse über den Vogelzug hat die Satelliten-Telemetrie bereits innerhalb weniger Jahre erbracht. Ornithologen beobachten auf diese Weise weltweit in-zwischen schon über fünfzig Vogelarten, darunter Adler, Geier, Kraniche, Alba-trosse, Sturmtaucher, Schwäne, Gänse, Enten, Pelikane und Pinguine.
Das Storchenprojekt der Vogelwarte Radolfzell der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie geht ursprünglich auf eine Initiative des damaligen Bundeslandwirtschaftsministeriums Mitte der achtziger Jahre zurück. Das Ziel war, im Rahmen der 1979 getroffenen internationalen "Bonner Konvention zum Schutz wandernder wild lebender Tiere (CMS)" ein die Kontinente überspannendes Schutzkonzept für Zugvögel und insbesondere auch für den östlichen Weißstorch zu erarbeiten, dessen Bestände bisher noch wesentlich größer sind als die westlichen.
Damals nahmen in der Ornithologie Ideen Gestalt an, Vögel mit kleinen Sendern auszustatten, deren Signale Satelliten erfassen und zur Erde schicken. So wollte man die Wege der Vögel verfolgen. Für den Weißstorch möchten wir mit Hilfe dieser Technik unter anderem herausfinden, wieweit die bisherigen Vorstellungen über seine Zugrouten, sein Zugverhalten und seine Winterquartiere stimmen, welche ökologischen Ansprüche er hat und welche Bedingungen er unterwegs und in den Überwinterungsgebieten antrifft.
Viele dieser Fragen sind gleichzeitig von hohem wissenschaftlichem Interesse. Denn trotz langer intensiver Forschungen weltweit wissen wir über manche wichtigen Phänomene des Vogelzugs immer noch äußerst wenig. Zu den größten Rätseln gehört beispielsweise immer noch, wie die Vögel überhaupt an ihren Heimatort zurückfinden. Die neuen Be-obachtungen an den Störchen sowie an manchen anderen Arten liefern hierzu nun bereits neue Erkenntnisse.
Schon immer haben sich die Menschen gewundert, wo die Vögel im Winter bleiben. Der griechische Philosoph Aristoteles (384-322) vermutete, dass die Schwalben – wie die Frösche – in der kalten Jahreszeit in Sümpfen versinken. Dies glaubte noch der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707-1778). Doch zu seiner Zeit verdichteten sich auch schon Zweifel an dieser Theorie, die Afrikareisende nährten. Es gab zum Beispiel Berichte, dass Weißstörche und Rauchschwalben in unseren Wintermonaten in West- oder Südafrika zu sehen seien, aber nicht in unseren Sommermonaten. Wie aber konnte man nachweisen, ob Vögel wirklich so weite Reisen unternahmen?
Gewissheit brachte hierüber erst die Vogelberingung, die ein dänischer Lehrer Ende des 19. Jahrhunderts erfand. Ringe von in Europa gefangenen oder als Nestlinge markierten Vögeln wurden bald aus afrikanischen Ländern zurückgeschickt. Daraus konnten Ornithologen mit der Zeit Zugrouten und Aufenthaltsorte erschließen. Doch insgesamt blieb diese Methode recht ungenau. Es hängt vom Zufall ab, ob jemand einen der beringten Vögel findet oder erjagt und den Ring dann an die daran angegebene Adresse schickt. Auch lassen sich so nur die Zugkorridore der Gesamtpopulation erfassen, nicht die individuellen Zugwege. Und niemals ist sicher, ob ein registrierter Vogel den normalen Weg geflogen oder am Fundort nur gestrandet ist.
Neue Ära der Vogelforschung
Die Satelliten-Telemetrie eröffnet nun völlig neue Möglichkeiten. In günstigen Fällen, wenn die Sender lange genug halten, lassen sich mit Hilfe dieser Technik einzelne Vögel schon jahrelang verfolgen und auf dem zigtausende Kilometer weiten Zug täglich mehrmals orten. Wir haben schon über hundert Weißstörche mit Sendern versehen und von vielen zumindest einen Teil ihrer Zugstrecke hin und zurück verfolgen können. Etliche vermochten wir sogar lückenlos vom Wegzug bis zu ihrer Rückkehr ins Brutgebiet im folgenden Jahr zu telemetrieren. In einigen Fällen gelang dies über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren.
1991 erhielten die ersten sechs Jungstörche aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt einen Sender. Im Herbst 1993 folgten wir dem ersten Vogel via Satellit bis nach Südafrika und auf seinem Rückzug noch bis nach Sambia – über eine Gesamtdistanz von 13000 Kilometern. Von der Störchin Prinzesschen lieferte ein Sender in der Wintersaison 1994/95 während des gesamten Hin- und Rückzugs (des "Wegzugs" und "Heimzugs") Signale: auf einer Strecke von über 16000 Kilometern bis zur Serengeti in Tansania und zurück. Diese Störchin, die wir nun bereits mehrere Winter hindurch beobachtet haben, wurde in diesem Frühjahr zusammen mit fünf mit Sendern versehenen Artgenossen zum Fernsehstar. Die Morgenmagazine von ARD und ZDF und das Internet brachten zwei Wochen lang täglich die neuesten Nachrichten von ihrem Flug.
Anfänglich sollten diese Studien ein Projekt der D-2-Raumfahrtmission werden, was sich wegen der "Challenger"-Katastrophe 1986 jedoch zerschlug. Schließlich konnte sie mit dem kommerziellen, satellitengestützten Ortungs- und Sammelsystem Argos (Advanced Research and Global Observation Satellite) verwirklicht werden, das CNS (Centre National D’Etudes Spatial) in Frankreich, Nasa und NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) in den USA gemeinsam betreiben. Die Finanzierung trug hauptsächlich das Bundesumweltministerium. Die Leitung hatte die Vogelwarte Radolfzell in Verbindung mit der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz. Zunächst diente das Argos-System in den siebziger Jahren der Erforschung mariner und atmosphärischer Daten. Heute steht es einer Vielzahl von Nutzern zur Verfügung und wird auch in vielen Umweltschutzprojekten eingesetzt. Die Zentralstation in Europa, von der wir unsere Daten beziehen, liegt in Toulouse.
Vor zwanzig Jahren versahen Biologen erstmals große wandernde Tiere mit Satellitensendern. Die ersten Vögel konnten sie Mitte der achtziger Jahre telemetrieren, nachdem leichtere Sender verfügbar wurden. Zunächst waren dies große Vögel wie Adler und Albatrosse, die ein Gewicht von mindestens 200 Gramm ohne Beeinträchtigung zu tragen vermochten. Wir selbst erprobten die Technik zuerst 1990 an Zwergschwänen, die mit Sendern von Holland in ihre nordsibirischen Brutgebiete zogen, und später an einem Gänsegeier in Spanien.
Die Studien mit Störchen wurden möglich, als Sender auf den Markt kamen, die mit allem Zubehör deutlich unter 100 Gramm wogen. Die Apparatur, die wir heute verwenden, wiegt nur noch 35 Gramm, rund ein Prozent des Gewichts eines ausgewachsenen Storchs. Wir wissen, dass diese Sender die Vögel überhaupt nicht beeinträchtigen. Der Sender verschwindet mitsamt dem Rucksack fast völlig im Rückengefieder. Nur die Solarzelle und die Antenne sind zu sehen. Von Solarzellen versorgte Sender sind nicht nur leichter als früher die batteriegetriebenen, sondern bleiben auch um vieles länger in Funktion. Die Antenne steht am Rücken vor – der Storch putzt sie wie einen Federkiel mit.
Oststörche und Weststörche
Bereits die Beringung half viele Aspekte des Storchenzuges klären. In gut hundert Jahren erhielten über 300000 Weißstörche individuell gekennzeichnete Ringe, von denen mehr als 35000 zurückgesandt wurden. Die Fundorte ließen erkennen, dass der Weißstorch auf zwei Routen nach Afrika zieht. Die Westroute führt über Gibraltar nach Westafrika, in die Sahelzone und bis nach Nigeria, die Ostroute in einem schmalen Korridor über den Bosporus, Israel und Sinai in die Savannen südlich der Sahara und bis nach Südafrika. Die so genannte Zugscheide in Europa zwischen "Weststörchen" und "Oststörchen" verläuft von Norddeutschland nach Bayern.
Wie die Telemetrie-Studien zeigen, halten sich die West- und Oststörche in Afrika nicht völlig getrennt. Ein Storch aus Sachsen-Anhalt flog auf der Ostroute in den Sudan und dann nach Westen bis nach Nigeria. Doch noch wichtiger für den Storchenschutz ist, dass wir auf ein bisher unbekanntes großes Aufenthaltsgebiet der Oststörche stießen. Für das erste größere Etappenziel, an dem die Störche wochenlang verweilen, hielten die Ornithologen bisher den Osten des Sudan. Genauso wichtig ist für die Vögel aber eine große Region im westlichen Sudan und im Tschad. Aus diesem Gebiet hatte die Bevölkerung nie Ringe zurückgesandt.
Über die Rast während des Zuges wussten wir bisher auch nicht viel. Unsere Mitarbeiter (darunter Michael Kaatz und Karl-Heinz Dubian) sind telemetrierten Störchen auf ihrer Reise durch Europa und bis nach Syrien mit Auto oder Flugzeug gefolgt und haben sie auf den Rastplätzen beobachtet. Bisher haben sie – in Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Türkei und Syrien – über 200 Rastplätze registriert und deren Qualität und Zustand nach dem Storchenbesuch erfasst. In Israel, durch das sämtliche Oststörche in einem schmalen Korridor ziehen, warten unsere Kollegen (unter anderem Willem van der Bossche und Yossi Leshem) in der Zugzeit an den Rastplätzen auf die Sender tragenden Störche. An den Sendeantennen sind diese Vögel im Schwarm am Boden mit dem Fernglas zu erkennen. Wo sie sich gerade befinden, melden zunächst grob die Satellitendaten und genauer dann eigene Peilungen der Signale aus der Nähe.
Wie wir feststellten, ziehen Störche sehr zügig. Für die 5500 bis 6000 Kilometer von Ostdeutschland bis in den Sudan brauchen sie normalerweise nur rund drei Wochen. Sie fliegen am Tag sieben bis zehn Stunden und legen bei einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 35 Stundenkilometern täglich 250 bis 300 Kilometer zurück. Ähnlich verläuft der Rückzug zum Brutgebiet.
Eine unbekannte Zugstrategie
Da Störche die großen Flugstrecken weitgehend segelnd überwinden, sind sie auf Aufwinde angewiesen, von denen sich der ganze Schwarm am Vormittag, sobald genügend Thermik aufkommt, zunächst in Höhen bis zu 4000 Meter tragen lässt. Dann segelt er in Zugrichtung bis zum nächsten Aufwind, schraubt sich wiederum höher und so fort. Diese Flugtechnik kostet verhältnismäßig wenig Energie. Da geeignete Thermik nur über Land herrscht, müssen die Vögel das Meer möglichst meiden und können nur am Tag und bei günstigem Wetter ziehen. Erst wenn die Aufwinde am Nachmittag nachlassen, fallen die Störche zur Rast ein. Und am nächsten Vormittag fliegen sie weiter.
Nur bei sehr schlechtem Wetter legen sie zwischendurch einen Ruhetag ein. Auch fressen sie auf den Rastplätzen höchstens bei gutem Angebot viel. In Israel, wo mitunter an einem Tag 100000 Störche ankommen, nehmen sie überhaupt keine Nahrung zu sich, sondern trinken allenfalls bei großer Hitze.
Dieses Verhalten war eine Überraschung. Viele Vögel, auch die meisten Singvögel, ziehen vor allem nachts und rasten zwischendurch oft mehrere Tage. Diese Arten zehren auf dem Zug von beträchtlichen Fettdepots, die sie dann bei einer Rast wieder auffüllen.
Störche haben eine völlig andere, bisher unbekannte Strategie. Sie gehen ohne bedeutende Fettreserven auf die Reise, wie wir mit tomografischen Aufnahmen nachwiesen. Und auch auf dem Zug rasten sie immer nur kurz und fressen wenig. Dafür fliegen sie so rasch wie möglich zum Ziel.
Zu den interessantesten Forschungsgebieten gehört, wie Vögel sich auf dem Zug orientieren. Beim Wegzug ins Wintergebiet müssen sie zumindest die grobe Richtung einhalten, beim Heimzug aber sogar den Ort wiederfinden. Schon früher hatten Studien an Käfigvögeln erbracht, dass Zugvögel im Herbst danach streben, in eine bestimmte Himmelsrichtung zu fliegen. Auf dem Zug selbst machen sie aber oft große Bögen oder auch scharfe Winkel. Teilweise umgehen sie so Gebirge, Wüsten oder große Wasserflächen. Nun zeigten die Telemetrie-Studien, dass Störche – und ebenso viele andere Vögel – weite Strecken dennoch erstaunlich geradlinig zurücklegen. Auf den 2500 Kilometern von Ostdeutschland bis zum Golf von Iskenderun im Süden der Türkei weichen die Störche von einer Geraden nur um wenige Prozent ab. Auch in Afrika fliegen sie die ersten 2000 bis 3000 Kilometer auf einer geraden Linie. Demnach verfügen sie über ein vorzügliches inneres Kompass-System. Flusstäler oder Gebirgszüge haben als Leitlinien offenbar keine beson-ders große Bedeutung.
Um in die Heimat zurückzufinden, hätten Störche im Prinzip zwei Möglichkeiten. Sie könnten sich nach Landmarken richten, die sie vom Hinflug her kennen. Sie könnten ihren Kurs aber auch unabhängig davon per Navigation bestimmen, das heißt den Heimatort zum Beispiel über die Stellung von Himmelskörpern oder mit Hilfe des Erdmagnetfelds gewissermaßen anpeilen. Dazu müssten sie die Koordinaten ihres Aufenthaltsortes mit denen des Heimatortes in Beziehung setzen können. Es sieht tatsächlich so aus, als könnten Störche echte Navigation nutzen. Sie fliegen zwar auf dem Wegzug und dem Heimzug oft in demselben engen Korridor, doch weichen sie manchmal deutlich von der früheren Route ab. Welche physikalischen Parameter Störche beim Navigieren verrechnen, ist allerdings noch nicht sicher.
Gleiches haben Untersuchungen anderer Arten ergeben. Manche Vögel ziehen auf dem Hin- und Rückflug einen völlig anderen Weg oder fliegen sogar riesige Schleifen – offenbar wählen sie jeweils die Route mit den günstigeren Umweltbedingungen. Eilen sie dann die letzten 1000 Kilometer in gerader Strecke heim, zeigt dies, dass sie die Richtung ihres Brutgebiets genau kennen.
Nur noch 20000 Brutpaare
Ein Zugvogel hat drei Lebensräume: das Brutgebiet, den Zugweg und das Winterquartier. Bei bedrohten Arten gilt es alle drei Räume zu schützen. Auch der Weißstorch leidet nicht nur unter der modernen Landwirtschaft und Lebensweise des Menschen in Europa. Viele Störche gehen auf dem Zug oder in den afrikanischen Ruhegebieten verloren, sei es durch Bejagung – die bei den großen Schwärmen nicht schwer ist –, sei es durch Nahrungsmangel wegen Dürre (wie zeitweise in der Sahelzone) oder infolge Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen gegen Nagetiere und vor allem Wanderheuschrecken, die zu ihrer wichtigsten Beute gehören. Noch ist nicht geklärt, wie stark den Störchen Pestizide in der Nahrungskette schaden.
Bereits im 19. Jahrhundert bemerkten Vogelkundler, dass die Bestände des Weißstorchs abnahmen, der früher in jedes Dorf, auf jede Wiese gehörte. Nicht zuletzt wegen dieses mancherorts dras-tischen Rückgangs formierten sich die ersten Vogelschutzverbände, kamen die ersten Vogelschutzgesetze auf und entstanden die ersten Schutzkonzepte.
Doch trotz aller Bemühungen dünnten die Storchenpopulationen im westlichen Europa während des 20. Jahrhunderts immer mehr aus. In den achtziger Jahren waren die Bestände von ehemals einigen hunderttausend Brutpaaren auf 20000 Paare zusammengeschmolzen. Die meisten Störche Westeuropas leben heute in Spanien. In der ehemaligen Bundesrepublik brüteten Mitte der achtziger Jahre nur noch gut 600 frei lebende Paare. In einigen Ländern war der Weißstorch sogar ausgestorben: in der Schweiz und in Holland, auch in Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland. In Dänemark gab es 1998 nur noch drei Brutpaare von ehedem hunderten. Mit Auswilderungen und Nisthilfen ließen sich zwar die dezimierten Bestände halten oder in manchen Regionen auch wieder vergrößern, doch bleiben die Zahlen niedrig. Viele Weststörche ziehen in der Regel höchstens ein oder zwei Junge auf – zu wenig, um zumindest die großen Verluste auf dem Zug auszugleichen.
Dagegen haben die Populationen in Ostdeutschland und Osteuropa heute noch über hunderttausend Brutpaare, die durchschnittlich drei Junge aufziehen. Besonders in den ehemaligen Ostblockländern scheinen die Lebensbedingungen für Störche noch günstig zu sein. Zu befürchten ist allerdings, dass sich dies leider unter verbesserten Wirtschaftsbedingungen und besonders nach der Ost-erweiterung der EU rasch ändern wird. Deswegen soll das im Rahmen der Bonner Konvention geplante Schutzkonzept für den Oststorch auch die Brutverhältnisse umfassen.
Zu den erfreulichen Ergebnissen unseres Forschungsprojektes gehört, dass die Vertragsstaaten Südosteuropas und des Nahen Ostens durchziehenden Störchen zwar Rastgebiete für die Nacht bieten müssen, nicht aber reichhaltige Nahrungsgründe. Dies erleichtert die Verhandlungen außerordentlich.
Allerdings müssen die Störche auf ihrem ersten großen Zwischenstopp im Sudan und im Tschad unbedingt genügend Nahrung vorfinden. Denn in den dortigen Savannen bleiben sie ein bis zwei Monate lang und legen sich beträchtliche Fettreserven zu. Diese scheinen sie in den Gebieten zu brauchen, in denen sie den Rest des Winters verbringen – offenbar ist das Nahrungsangebot dort unsicher. Die meisten Störche ziehen später im Schwarm weiter nach Süden, nach Kenia oder Tansania, und manchmal noch im Dezember bis an die Südspitze Afrikas.
Der heutige Vogelzug in Europa hat sich in vielen Einzelheiten in Anpassung an die steten Klimaveränderungen nach der letzten Eiszeit entwickelt. Bis heute beobachten wir, wie sich Brutgebiete verschieben und Zuggewohnheiten ändern. Dass es Vögeln Vorteile bringt, jahraus, jahrein enorme Flugstrecken zurückzulegen, mag besonders für arktische Arten einsichtig erscheinen. Die nördlichen Tundren bieten ihnen im Sommer sehr reiche Nahrungsgründe, die sie wegen der langen Tagesdauer auch gut nutzen können, um ihre Brut in wenigen Wochen großzuziehen. Den Winter müssen viele Vogelarten jedoch in südlichen Gefilden verbringen, auch wenn dort das Nahrungsangebot durch-aus nicht immer optimal ist.
Rekord: über 40000 Kilometer
Jedes Jahr begeben sich weltweit schät-zungsweise rund 50 Milliarden Vögel zweimal jährlich auf den Zug. Von den heute lebenden etwa 10000 Vogelarten sind über die Hälfte zumindest teilweise Zugvögel, von denen viele ganze Kontinente überqueren – wobei die Küstenseeschwalbe, die von der Arktis des Nord-pazifiks bis zur Antarktis wandert, mit rund 40000 Kilometern im Jahr den Rekord hält.
Noch immer gibt es auf der Landkarte des Vogelzugs große weiße Flecken. Das betrifft etwa entlegene Gebiete in Zentralasien, China und Indien. Von manchen seltenen Arten kennen wir nicht einmal die Brutgebiete und von einer Reihe auch nicht die Zugrouten.
Gerade in Asien zeigen sich die Vorteile der Satelliten-Telemetrie als Hintergrund für den Vogelschutz. Zu den ersten untersuchten Vogelarten gehörten Kraniche, die an ihren Lebensraum sehr hohe Ansprüche stellen. Etwa die Hälfte ihrer weltweit rund 15 Arten sind bereits erheblich dezimiert oder an sich selten. Manche von ihnen haben nur kleine Brut- und Wintergebiete und meist auch sehr schmale Zugkorridore, sind also schon deshalb besonders gefährdet. Von einigen asiatischen Arten wusste man bisher sehr wenig über die Zugwege oder die meisten Brutplätze. Einige davon wurden inzwischen gefunden. Zu den dringlichsten Aspekten der Schutzmaßnahmen gehört nun, die Bevölkerung der Durchzugsgebiete über die Seltenheit dieser Vögel zu informieren, um sie von der Bejagung abzuhalten.
Der amerikanische Präriebussard wurde zu Telemetrie-Studien aus Not erkoren, weil die Brutpaare in Nordamerika seit einiger Zeit unerklärlicherweise drastisch weniger wurden. In den Brutgebieten ließ sich keine Ursache dafür erkennen. Darum wurden Vögel mit Sendern versehen und bis in die Winterquartiere in Südamerika verfolgt. In Argentinien stießen die Forscher auf den wahrscheinlichen Grund für den Schwund der Populationen. Sie orteten dort bewegungslose Sender und fanden dann schätzungsweise 5000 tote Bussarde. Sie vermuteten 20000 Todesopfer, so viel wie der halbe Brutbestand Kanadas. Offenbar hatten sich die Vögel vergiftet, als sie mit Pestiziden verseuchte Tiere fraßen. Verhandlungen haben inzwischen bewirkt, dass die Argentinier in den Überwinterungsgebieten weniger Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzen.
Die Satelliten-Telemetrie hat sich in der Vogelzugforschung trotz der immer noch erheblichen Kosten erstaunlich rasch durchgesetzt. Endlich kann die Forscherneugier lange Strecken mit den Vögeln mitwandern. Schon mehrfach haben die Vögel uns dabei gezeigt, dass wir ihre Flugstrecken bisher erheblich unterschätzt haben. Zwergschwäne, die in Westeuropa überwintern und in Nordsibirien brüten, ziehen tatsächlich Hunderte von Kilometern direkt über die Ostsee. Unerwartet kam auch der Befund, dass Gänsegeier von den Pyrenäen bis nach Zentralspanien wandern. Besonders aber staunten französische Forscher, als Wan-deralbatrosse, die im Südatlantik nahe der Antarktis auf den Crozet-Inseln brüten, auf der Nahrungssuche etwa nach kleinen Tintenfischen am Tag bis zu tausend Kilometer zurücklegten. Der monatliche Durchschnitt betrug rund 15000 Kilometer – zehnmal so viel wie bisher angenommen.
In wenigen Jahren ließen sich die enorm langen Zugrouten des Steppen-adlers von Brutgebieten in Sibirien bis in die Ruheziele im südlichen Afrika recht genau ermitteln. Ornithologen fanden ostasiatische Winterquartiere des Riesenseeadlers, der in Nordostsibirien brütet, und die bisher unbekannten Winterquartiere des Wahlbergadlers in Südwestafrika. Im nördlichen Eismeer entdeckten sie bisher unbekannte Mauserplätze der Plüschkopfente. Erkundet wurden auch Zugwege der Schnee-Eule und verschiedener Sturmtaucher, sowie Aufenthaltsorte und Zugbewegungen von Jungstörchen und Kranichen bis zur Brutreife.
Sicher hat die Satelliten-Telemetrie ihre große Zeit in der Ornithologie noch vor sich. Je kleiner die Sender werden, umso mehr miniaturisierte weitere Geräte, etwa Kameras oder Mikrofone, lassen sich an die Technik koppeln, mit denen sich das Verhalten der Vögel und ihre Umgebung aus weiter Ferne beobachten lassen. Noch träumen wir nur davon, auch Kleinvögel mit Satellitensendern auszustatten, die immerhin das Heer der Zugvögel ausmachen.
Die Störchin Prinzesschen ist in diesem Frühjahr wieder 10000 Kilometer weit geflogen. Als wir ihr vor acht Jahren erstmals auf dem Zug folgten, war sie etwa 6 Jahre alt. Da Störche 25 Jahre alt werden, könnte sie uns mit viel Glück auch in den nächsten Jahre zeigen, was in ihrer Welt zählt.
Literaturhinweise
Vogelzug. Eine kurze, aktuelle Gesamtübersicht. Von Peter Berthold. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992.
Eine neue Dimension der Vogelforschung: Die Satelliten-Telemetrie. Von Peter Berthold, Eugeniusz Nowak und Ulrich Querner in: Der Falke, Bd. 44, Heft 5–6, 1997, S. 134.
Stichwort
Vogelzug
Schätzungsweise 50 Milliarden Vögel weltweit sind Zugvögel. Im Gegensatz zu den Standvögeln suchen sie für die ungünstige Jahreszeit ein entferntes Ausweichgebiet (ein so genanntes Winterquartier) auf. Beim Wegzug (dem Flug ins Winterquartier) lassen sie sich vor allem von einem inneren Programm leiten, dass den Zugweg vorgibt. Der Heimzug (Rückflug ins Brutgebiet) erfolgt nach den neuen Ergebnissen vermutlich weitgehend durch Navigation, also nicht durch einfache Umkehr des Wegzugs.
Storchenzug
Der Weißstorch fliegt ab Mitte August Richtung Süden. Oststörche (Ostzieher) umgehen das Mittelmeer auf der Ostroute via Bosporus, Golf von Iskenderun und Sinai. Sie überwintern im Sudan bis zum Tschad, oder weiter südlich in Kenia, Tansania oder Südafrika. Weststörche nehmen die Westroute über Gibraltar und ziehen nach Westafrika bis Nigeria. Die Zugscheide verläuft in Deutschland von Norddeutschland nach Ost-Bayern. Ab Ende Februar kehren die ersten Störche in die Heimat zurück. Sie brüten ab Anfang April.
Dauerüberwachung aus dem Weltall
Für das Argos-System (der Name steht für Advanced Re-search and Global Observation Satellite) sind zurzeit fünf Satelliten ausgerüstet, die in etwa 850 Kilometer Höhe, also auf relativ niedrigen Umlaufbahnen, über die Pole um die Erde kreisen. Aus dieser Höhe erfassen die Empfänger die Funksignale der auf sie abgestimmten Sender von einem 5000 Kilometer weiten Bereich auf der Erde. Wegen der polaren Umlaufbahn werden Sender in höheren Breiten häufiger erfasst als in Äquatornähe. Doch auch dort passiert ein Satellit einen Sender noch etwa sechsmal täglich.
Der Satellit befindet sich etwa zehn bis fünfzehn Minuten im Empfangsbereich des Senders – lange genug für dessen Ortung. Die Sendeimpulse, die alle 60 Sekunden mit einer Frequenz von 401,65 Megahertz ausgestrahlt werden, lassen sich über den Doppler-Effekt lokalisieren. Einfach gesagt werden die Frequenzverschiebungen berechnet, die sich dadurch ergeben, dass Sender und Empfänger sich relativ zueinander bewegen. Solange sich der Satellit dem Sender nähert, steigt die Frequenz kontinuierlich, wenn er sich entfernt, nimmt sie ab.
Das Signal des Senders enthält Informationen über die Sendernummer, die Batteriespannung sowie über die Umgebungstemperatur und die Bewegungsaktivität des Vogels. Der Satellit übermittelt diese Daten zur Erde, wenn er die nächste hierfür eingerichtete Bodenstation überfliegt. Von dort werden die Daten in unserem Falle zum europäischen Argos-Betriebszentrum in Toulouse weitergeleitet, wo die Position des Senders berechnet wird.
Diese Position erhalten wir dann sogleich über unsere Netzverbindung. Mit nur geringer Zeitverzögerung von zwei bis acht Stunden erfahren wir den aktuellen Aufenthalt des Vogels, unter optimalen Bedingungen bis auf 150 Meter genau.
Neues Zeitalter der Vogelforschung
Als das satellitengestützte Ortungs- und Sammelsystem Argos in den siebziger Jahren eingerichtet wurde, war es dazu vorgesehen, marine und atmosphärische Daten zu sammeln. Die ersten Sender wogen einschließlich Batterie mindestens ein Kilogramm. Anfang der achtziger Jahre begannen Zoologen das System zu nutzen, um Tiere auf ihren Wanderungen zu beobachten. Zuerst erhielten nur große Säuge- und Meerestiere die schweren Sende-Ausrüstungen: darunter Eisbären, Karibus, Kamele, Seekühe, Meeresschildkröten und Haie.
Zu Beginn der achtziger Jahre entwickelten die USA für kleine Flugkörper Sender von weniger als 200 Gramm. 1990 standen ähnlich leichte Sender in Japan zur Verfügung. Diese erprobten Ornithologen an großen Vögeln. Mitte der achtziger Jahre begannen amerikanische Studien am Pfeif- und Trompeterschwan, Riesensturmvogel und Weißkopfseeadler. Französische Wissenschaftler führten ab diesem Jahr Studien an Wanderalba-trossen im südlichen Indischen Ozean durch.
Ebenfalls 1990 arbeitete die Vogelwarte Radolfzell zusammen mit dem Ornithologen Eugeniusz Nowak erstmals mit diesem System. In unserem ersten Projekt versahen wir Zwergschwäne mit Satelliten-Sendern und konnten die Vögel in Etappen von Holland bis Sibirien orten. Danach erprobten wir die Technik bei einem Gänsegeier in Spanien.
Die Versuche waren so erfolgreich, dass wir nun mit den inzwischen noch kleineren Sendern das Storchenprojekt beginnen konnten. Die Störche tragen an der heute verwendeten Sendervorrichtung, die alles in allem 35 Gramm wiegt, nur etwa ein Prozent ihres Körpergewichts. Gründliche Vorstudien erwiesen, dass diese Sender und die Halterung – eine Art Rucksack aus Teflonbändern, der im Gefieder verschwindet – die Vögel überhaupt nicht in ihrem Verhalten beeinträchtigten. Die herausstehende Antenne putzen sie wie ihre Federn.
Früher begrenzte insbesondere die Kapazität der Batterien die Lebensdauer der Sender. Seit wir Akkumulatoren verwenden, die über Solarzellen gespeist werden, können die Sender nicht nur viel leichter sein, sondern im Prinzip auch jahrelang in Betrieb bleiben. Mit Sendern dieser Größenordnung untersuchen Ornithologen nun weltweit Dutzende von Vogelarten, die über 600 Gramm wiegen, darunter eine Reihe von Greif-, Wasser- und Hochseevögeln bis hin zu Pelikanen und Pinguinen. Mitarbeiter von Radolfzell erforschen Kranich, Schwarz- und Schwarzschnabelstorch, Flamingo, Streifengans, Auerhuhn, Gänsegeier, Heringsmöwe und verschiedene Sturmtaucher.
Noch sind die Sender nicht klein genug, um das Heer der Singvögel und anderen kleinen Zugvögel auszustatten. Vielleicht wird es aber in Zukunft centgroße Sender geben, die wenigstens einmal am Tag ein Signal abgeben.
Die Sender müssen auch noch robuster werden, haben sie teils doch Temperaturschwankungen von minus 50 bis plus 60 Grad auszuhalten. In der Entwicklung sind bereits auch Sender, deren Aktivität sich während des Betriebs steuern lässt, sodass beispielsweise eine jeweils günstige Sendefrequenz eingestellt wird und der Forscher bestimmt, wann er Daten braucht und wann der Sender ruhen kann.
Die beweglichen Mini-Sendestationen der Zukunft werden zusätzlich winzige Kameras, Mikrofone und verschiedenste Sensoren tragen, sodass zugleich genaue Flug- und Wetterdaten sowie physiolo-gische Werte des Vogels erfasst wer-den. Das erlaubt Rückschlüsse etwa auf Stressfaktoren und die Rastplatzqualität. Auch manche Aspekte des Verhaltens der Tiere untereinander lassen sich so vielleicht unverfälschter erfassen als bisher.
Noch sind die Kosten dieser Technik erheblich. Sie dürften aber umso mehr sinken, je breiter und häufiger die Satelliten-Telemetrie Anwendung findet. Das gilt ebenso, wenn erst mehr Satellitenbetreiber um die Nutzer konkurrieren.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2002, Seite 52
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