Qualitätsmanagement und Flexibilität
Bis Mitte 1996 hatten etwa 15000 deutsche Unternehmen ein Qualitätsmanagementsystem (QM-System) nach internationaler Norm aufgebaut und dafür ein Zertifikat erhalten; pro Jahr werden etwa 6000 neue Zertifizierungen erwartet. Das Konzept – eingeführt 1987 mit der Normenreihe DIN EN ISO 9000 – setzte sich vor allem im produzierenden Gewerbe durch; die Dienstleistungsbranche zieht nach. Doch gibt es trotz des Drucks eines sich verstärkenden Trends auch generelle Vorbehalte. Insbesondere mittelständische Unternehmen fürchten, auf standardisierte Abläufe festgelegt zu werden und nicht mehr flexibel agieren zu können.
Bestärkt wird die Skepsis dadurch, daß viele zertifizierte Unternehmen die erheblichen Investitionen nicht in nennenswerten wirtschaftlichen Erfolg umzusetzen vermochten. Die Hoffnung, kostspielige Produktmängel zu verringern, hat sich oft nicht erfüllt. Viele Kunden haben erkannt, daß ein Zertifikat des Lieferanten noch keineswegs höhere Produkt- und Servicequalität garantiert, was den Marketingeffekt der Auszeichnung zunehmend mindert.
Obendrein bleibt es nicht beim Aufwand für die Einführung eines QM- Systems. Regelmäßig fallen erneut Kosten an: Die befristete Gültigkeit des Zertifikats erfordert beispielsweise jährlich eine stichprobenartige Überprüfung des Unternehmens durch externe Gutachter; im Drei-Jahres-Turnus entspricht dies dem Umfang eines vollständigen Zertifizierungs-Audits.
Im Spannungsfeld von Planbarkeit und Reaktionsbereitschaft
Die Ursachen für das Mißverhältnis von Aufwand und Nutzen sind häufig schon in der Art und Weise zu suchen, wie Unternehmen ihr QM-System eingeführt haben. Oft ging es darum, möglichst rasch mit Wettbewerbern gleichzuziehen. Die Schwierigkeit, das richtige Maß an organisatorischen Regeln, also an mehr oder weniger konkreten und im Detail ausgearbeiteten Vorgaben zu finden, wurde oft drastisch unterschätzt, zumal die Anwendung der Norm doch einige Erfahrung mit der Standardisierung und Dokumentation von Abläufen verlangt. Ihre Anforderungen sind allgemein gehalten und deshalb von branchenneutralem Charakter, dementsprechend müssen sie für die jeweilige Firma sowie für Prozesse und Produkte erst interpretiert werden.
Organisatorische Standards nach DIN EN ISO 9000 regeln betriebliche Abläufe außerdem idealtypisch, setzen also im Grunde voraus, daß diese in immer gleicher Weise verlaufen und somit genau vorhersagbar seien. Dies trifft am ehesten noch auf Unternehmen zu, die Serienprodukte herstellen. Interne Störungen der Abläufe lassen sich dort auch meist durch gezielte präventive oder reaktive Maßnahmen aufheben.
Dagegen bergen Zuliefer- und Abnehmerbeziehungen ein schwerer beherrschbares Störungspotential. Darauf haben sich insbesondere stark kundenspezifisch fertigende Unternehmen einzustellen (Bild 1). Der Anspruch, jeden Prozeß im vorhinein genau festzulegen, ist etwa im Sondermaschinenbau – also beispielsweise bei Herstellern von Druck- oder Werkzeugmaschinen – unrealistisch (Bild 2): Das Produkt, das der Kunde auf der zu liefernden Maschine produzieren will, wird zum Zeitpunkt der Bestellung häufig selbst noch entwickelt. Änderungen sind also in allen Phasen bis hin zur Montage die Regel. Ein normenkonformes QM-System erfordert dann eine kaum überschaubare Zahl von Sonderregelungen, und die von Kunden und Märkten geforderte Reaktionsschnelligkeit und Anpassungsfähigkeit ist kaum zu gewährleisten.
Deshalb gilt es im Vorfeld abzuschätzen, welche Abläufe bis zu welchem Detaillierungsgrad sinnvoll planbar sind. Wie lange dauert beispielsweise ein kompletter Prozeßdurchlauf, und wie oft wiederholt er sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums in gleichbleibender Weise? Darauf aufbauend müssen Mechanismen gefunden werden, um die Risiken nicht planbarer Abläufe zu beherrschen.
Integrierter Ansatz
Solch eine Flexibilität läßt sich mit einem strategische, taktische und operative Ebenen integrierenden Qualitätsmanagement erreichen.
Qualitätsziele systematisch zu entwickeln und auf allen Unternehmensbereichen zu etablieren ist eine strategische Führungsaufgabe, denn dieses Unterfangen bestimmt letztlich die Position des Unternehmens auf dem Markt und bedarf zudem entsprechender Organisationsstrukturen.
Was Qualität ist, definieren Kunden- und Marktanforderungen. Wer sie besser erfüllt hat größere Chancen im Wettbewerb. Deshalb sollten regelmäßig eigene und fremde Produkte beziehungsweise Dienstleistungen unter diesen Kriterien verglichen werden. Auf allen Unternehmensebenen ist zudem in Intervallen zu prüfen, ob die festgelegten Maßnahmen wirklich die Qualität im umfassenden Sinne verbessern und Kosten senken, oder ob andere Mittel und Wege besser geeignet wären, die gesteckten Ziele zu erreichen. Dazu eignen sich Verfahren nach Modellen des Total Quality Managements, dessen Kriterien nationalen und internationalen Qualitätspreisen zugrunde liegen.
Unter taktischem Management versteht der Betriebswirt die Gestaltung von Prozessen und Projekten. Qualitätsmanagement muß auf dieser Ebene funktionenübergreifend arbeiten, das heißt viele unterschiedliche Unternehmensbereiche wie beispielsweise Marketing, Entwicklung und Produktion im Rahmen eines Projektes aufeinander abstimmen. Um Flexibilität mit Planbarkeit zu vereinen, koordiniert das taktische Qualitätsmanagement zudem das auf standardisierte Abläufe bauende Prozeß- und das kundenorientierte Projektmanagement.
Die Bedingungen für das Zusammenspiel werden situativ, also anhand der jeweiligen Anforderungen geklärt; das betrifft organisatorische Vorgaben, das Bereitstellen von Ressourcen und die permanente Qualifikation der Mitarbeiter. Auf dieser Ebene läßt sich Flexibilität also einerseits besonders gut erreichen, andererseits aber auch bei schlechtem Management blockieren.
Risiken lassen sich methodisch durch die Fehlermöglichkeits- und -einflußanalyse besser erkennen. Solche Werkzeuge sind also auch für das taktische Qualitätsmanagement sehr hilfreich. Sie werden zwar bislang vorwiegend für technische Aufgaben in Konstruktion und Prozeßplanung beziehungsweise deren Verbesserung eingesetzt, können aber auch gut zur Risikoabschätzung beispielsweise für den Prozeß der Auftragsabwicklung angepaßt werden.
Die Dynamik des Unternehmens wird durch eigenverantwortliche, schnell agierende und reagierende Arbeitsgruppen auf operativer Ebene gefördert. Diese können sehr einfach prozeßnah Probleme aufzeigen und eventuelle Abweichungen von den Vorgaben schnell korrigieren. Solche kurzen Regelkreise entlasten die Gesamtorganisation. In Qualitätszirkeln erarbeiten Mitarbeiter zudem auf freiwilliger Basis Lösungen zu selbst gestellten Aufgaben aus dem eigenen Arbeitsumfeld.
Ein integriertes Qualitätsmanagement ist also in jedem Unternehmen individuell auszugestalten. Weniger entscheidend als die Wahl eines bestimmten Qualitätsmanagementystems ist, daß die Methoden und Instrumente die jeweiligen Probleme lösen helfen und von den Mitarbeitern wirksam genutzt werden können. Nicht der flächendeckende Einsatz einer Methode, sondern die gezielte, situationsorientierte Anwendung sorgen für ein effektives Qualitätsmanagement, ohne die Flexibilität des Unternehmens zu mindern.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1997, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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