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Rechtschreibreform gebilligt

Nach langen, intensiven Diskussionen und Vorbereitungen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung werden Vertreter der deutschsprachigen Staaten am 1. Juli eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnen, die das baldige Umsetzen des – in den letzten Jahren mehrfach überarbeiteten – Reformwerks ermöglicht.

Bei den langjährigen Bemühungen um eine Vereinfachung der amtlichen Rechtschreibung der deutschen Sprache, die in der Öffentlichkeit zum Teil heftige Kontroversen ausgelöst hatten, war es im November 1994 zu einem Durchbruch gekommen: Der Internationale Arbeitskreis für Orthographie und die Delegationen der betroffenen Länder einigten sich während einer Konferenz in Wien auf einen Neuregelungsvorschlag, der nur noch einer sorgfältigen redaktionellen Bearbeitung bedurfte (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1995, Seite 106).

Nachdem die Konferenzbeschlüsse in das Regelwerk eingearbeitet und aktuelle Änderungen in das umfangreiche Wörterverzeichnis aufgenommen worden waren, konnte die revidierte Fassung am 13. April 1995 den zuständigen Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz vorgelegt werden. Um jedem Interessierten den Einblick in dieses vollständige Regelwerk zu ermöglichen und um insbesondere allen, die sich – wie beispielsweise Verlage – auf die neue Rechtschreibung einstellen müssen, ausreichend Vorbereitungszeit zu geben, wurde die gesamte Vorlage veröffentlicht ("Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Vorlage für die amtliche Regelung." Herausgegeben vom Internationalen Arbeitskreis für Orthographie. Gunter Narr Verlag, Tübingen 1995).

Während die Regierungen Österreichs und der Schweiz dem Neuregelungsvorschlag umgehend zustimmten, erhoben einzelne deutsche Politiker Einspruch gegen einige veränderte Wortschreibungen. Erneut wurde – zum Teil heftig – debattiert. Immer wiederkehrenden Fehlinformationen in den Medien mußte das Institut für deutsche Sprache mit einer Richtigstellung begegnen.

Ende September 1995 beauftragte die Kultusministerkonferenz eine Kommission, noch bestehende Probleme für eine abschließende Beratung und Entscheidung aufzubereiten. Diese sogenannte länderoffene Amtschefskommission hatte zudem die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom 26./27. Oktober 1995 zu berücksichtigen. Im Ergebnis der Beratungen wurden einige veränderte Wortschreibungen zurückgenommen und eine Verlängerung der Übergangsfristen vorgeschlagen. Diese Änderungen wurden daraufhin mit den zuständigen staatlichen Stellen Österreichs und der Schweiz abgestimmt. Auf ihrer Plenarsitzung am 30. November und 1. Dezember 1995 stimmten schließlich die Kultusminister der Bundesländer der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu. Die Konferenz der Ministerpräsidenten billigte diesen Beschluß am 14. Dezember 1995; am 17. April 1996 wurde das Bundeskabinett unterrichtet.

Das geänderte Regelwerk wird in dieser – nun endgültigen – Form die Grundlage für die Gemeinsame Erklärung darstellen, die am 1. Juli 1996 von Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie weiteren interessierten Staaten in Wien unterzeichnet werden soll


Inhaltliche Änderungen

Auf den Beratungen der Amtschefskommission, an denen auch drei Sprachwissenschaftler des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie teilnahmen, wurde an den neuen Regeln keine Kritik geübt. Änderungsvorschläge zielten ausschließlich auf die Zurücknahme einzelner in Wien bereits beschlossener Reformschreibungen, wodurch zum Teil Ausnahmen weiter bestehen bleiben. Zusammengefaßt stellen sich diese "Änderungen der Änderungen" wie folgt dar:

- Nicht gebilligt wurden die Schreibweisen Karrosse/Karrosserie, Packet, Pott/Jackpott und Zigarrette/Zigarrillo;

- Bonbonniere, Chansonnier, Saisonnier und Ordonnanz bleiben die Hauptformen (daneben Bonboniere, Chansonier, Saisonier und Ordonanz);

- Schreibungen mit diakritischen Zeichen sind denen ohne gleichgesetzt (etwa Château/Chateau);

- Kommuniqué bleibt Hauptform (daneben Kommunikee);

- nicht gebilligt wurden Restorant und Holokaust;

- außer (wie vorgeschlagen) bei phon/phot/graph wird f statt ph nur bei Delfin akzeptiert, die Hauptform bleibt aber Delphin;

- nicht gebilligt wurden Rabarber, Reuma und Rytmus (einschließlich Eurytmie); Eurythmie ist als Nebenform zugelassen (Hauptform Eurhythmie);

- gebilligt sind Katarr, Myrre und Hämorriden als Nebenformen zu Katarrh, Myrrhe und Hämorrhoiden;

- die thSchreibungen (einschließlich Thron) bleiben erhalten; nur bei Panther und Thunfisch, die Hauptformen bleiben, ist auch Panter und Tunfisch möglich;

- die Schreibungen Frevel/freventlich und Fehde werden nicht geändert;

- die Schreibungen Albtraum und Alptraum stehen gleichberechtigt nebeneinander, werden also nicht semantisch differenziert;

- Großschreibung gilt für Heiliger Vater, Letzte Ölung und Dritte Welt; differenziert wird nach Eigenname und Begriff bei Eiserner/eiserner Vorhang und Kalter/kalter Krieg.


Umsetzung der neuen Regelung

Zunächst war vorgesehen, die Rechtschreibreform bereits 1997 in den Schulen einzuführen. Als Folge der politischen Beratungen in Deutschland ist jedoch entschieden worden, erst mit Beginn des Schuljahres 1998/99 ausschließlich die neue Rechtschreibung zu lehren (allerdings überlegen die Kultusminister einiger Bundesländer gegenwärtig, Schulanfänger bereits von diesem Herbst an nach den neuen Regeln zu unterrichten). Auch die Übergangszeit wurde verlängert: Bis zum Ende des Schuljahres 2004/05 gilt die bisherige Schreibung zwar als überholt, jedoch nicht als falsch. Außerschulischen Bereichen wie Behörden, Verlagen und Presseorganen steht es frei, bereits nach Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung in Wien die neue Rechtschreibung zu praktizieren.

Künftig wird eine Zwischenstaatliche Kommission die Entwicklung der deutschen Rechtschreibung verfolgen und gegebenenfalls den staatlichen Stellen Korrekturen oder Ergänzungen vorschlagen, die dann von den Wörterbuchredaktionen umzusetzen sind. Dieses Gremium, das seine ständige Geschäftsstelle am Institut für deutsche Sprache in Mannheim haben wird, hat darüber zu wachen, daß die amtlichen Regeln nicht willkürlich ausgelegt oder verändert werden. Die Kommission wird Sachverständige hinzuziehen können und den staatlichen Stellen regelmäßig über ihre Arbeit Rechenschaft ablegen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1996, Seite 120
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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