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Reiseverbot für eine Königin

Die Ägypter möchten die berühmte Büste der Nofretete ausleihen. Doch die Bundesregierung will davon nichts wissen. Gegenwind erfährt sie dabei auch von einem Hamburger Verein. Hier stellen wir seine Argumente zur Diskussion.
Als am 14. April 2007 in Kairo das Parlament tagte, war auch Zahi Hawass zugegen. Der Chef der ägyptischen Antikenverwaltung schilderte den Abgeordneten, unter welchen Umständen deutsche Forscher vor über neunzig Jahren die berühmte Kalksteinbüste der Nofretete nach Berlin brachten. Hawass setzt sich seit Jahren vehement für die Rückführung altägyptischer Antiken ein. Mit seiner Rede vor dem Parlament will er den Druck auf die deutsche Bundesregierung erhöhen.

Im Jahr 1912 war Ägypten kein souveräner Staat, sondern von den Kolonialmächten Frankreich, Großbritannien sowie dem Osmanischen Reich annektiert. Damals hatten Forscher unter der Leitung des deutschen Ägyptologen Ludwig Borchardt in Tell el-Amarna, der einstigen Hauptstadt des Pharaos Echnaton, die Nofretetebüste zusammen mit mehreren tausend weiteren Fundstücken aus dem Wüstensand geborgen.

Für die zahlreichen aus Europa finanzierten Grabungen galt das Prinzip der Fundteilung: Alles kam »auf einen Tisch« und wurde geteilt – wobei Ägypten zuerst wählen durfte. Genauso wurde es auch bei den Funden Borchardts in Tell el-Amarna gehalten. »Doch die Nofretete wurde mit Lehm unkenntlich gemacht«, erklärte Zahi Hawass, »und so außer Landes geschmuggelt.«

Und tatsächlich: Der öffentliche Streit begann erst zwölf Jahre nach dem Fund – im Jahr 1924, als die Skulptur in Berlin erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde. In Ägypten reagierten die zuständigen Behörden mit Verblüffung und Empörung.Warum war die Nofretete in Berlin? Diese einmalig schöne Büste mit der perfekt erhaltenen Bemalung war in Ägypten bis dahin schlichtweg unbekannt. Die Regierung in Kairo forderte sie umgehend zurück und warf dem deutschen Grabungsteam Betrug bei der Fundteilung vor. Berlin bestritt dies – und tut es bis heute.

»Die Ägypter haben das Recht«

Im April 2007 ließ der Kulturstaatsminister Bernd Neumann erneut mitteilen, dass der Erwerb der Nofretetebüste seinerzeit rechtmäßig war und es einen Rückgabeanspruch daher nicht gebe. Der steht aber ohnehin nicht zur Debatte, da Kairo seit 2004 nur noch um eine Ausleihe bittet. Aber auch diese Anfrage ist bisher noch nicht offiziell ergangen.

Der Staatsminister reagierte mit seiner ablehnenden Haltung vielmehr auf die Hamburger Nichtregierungsorganisation CulturCooperation e.V. und ihre Kampagne »Nofretete geht auf Reisen«. Der Verein hatte Neumann in einem offenen Brief aufgefordert, Ägypten eine befristete Ausleihe der Büste anzubieten. Allein die Ankündigung der Kampagne und der offene Brief schlugen hohe Wellen. Schlagzeilen wie »Hiergeblieben« (»Tagesspiegel«) und »Nofretete ausleihen? Auf keinen Fall!« (»Die Welt«) ließen auf deutscher Seite das nationale Pathos wieder aufflammen, mit dem der Besitz an der Büste seit fast einem Jahrhundert verteidigt wird.

Aus Kairo wurde sofort Kritik an der deutschen Haltung geübt: Deutschland begehe einen Fehler, wenn es die Büste nicht für eine Ausstellung in Kairo zur Verfügung stelle, sagte der Kulturminister Faruk Hosni. »Die Ägypter haben das Recht, die seltenen Stücke aus ihrer Geschichte, die sich im Ausland befinden, zu bewundern«, fügte er gegenüber der Zeitung »Al-Ahram« hinzu.

»Da wurde schlicht gestohlen«

Die CulturCooperation hat damit die Debatte über den heutigen Umgang mit fremden Kulturgütern und mit den Ansprüchen der Herkunftsländer wieder ins Rollen gebracht. »Mit unserer Kampagne wollen wir die verantwortlichen Kulturpolitiker dazu bringen, sich endlich von fragwürdigen Besitztiteln zu verabschieden«, erklärt Anja Kuhr, Geschäftsführerin der CulturCooperation. »Wir fordern kulturpolitische Angebote, die sowohl die Rechte und legitimen Interessen der Länder, aus denen die Objekte stammen, angemessen würdigen als auch der kulturhistorischen Bedeutung der Objekte gerecht werden.«

Nofretete ist ein Musterbeispiel für die Geschichte antiker Museumssammlungen in Europa. Seit jeher schafften europäische, später auch nordamerikanische Forscher, Laien und Händler Schätze anderer Kulturen in die eigenen Museen und Privatsammlungen. Die ersten großen Verluste von Kulturgütern der Neuzeit erfolgten mit der Eroberung Zentral- und Südamerikas durch die Spanier, die nicht einmal an der Kunstfertigkeit interessiert waren, sondern das Gold vor Ort einschmelzen ließen, um es besser transportieren zu können.

Als in der Kolonialzeit im großen Stil fremde Völker unterworfen und ausgeplündert wurden, entstanden auch die heimischen Kunst- und Antikenmuseen. Neben der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft rafften die Kolonialmächte Kunst, Schmuck, Antiken, sakrale Gegenstände, aber auch scheinbar wertlose Objekte des Alltags zusammen.

Einigen Völkern, wie den Bewohnern der Torres Strait Islands im Pazifik, blieb rein gar nichts als die Erinnerung an die Kunstfertigkeit ihrer Vorfahren. »Da wurde schlicht gestohlen, wenn es ging, ohne Einverständnis der Eigentümer mitgenommen, zum Verkauf gezwungen, die Preise wurden diktiert, es wurde überredet und überrumpelt«, schreibt der Ethnologe Hans Fischer über die Hamburger Südsee-Expedition 1908 bis 1910, deren große Beute heute vor allem im Hamburger Völkerkundemuseum glänzt.

Allein das Britische Museum in London beherbergt heute zehnmal so viele afrikanische Kunstwerke wie alle Museen Schwarzafrikas zusammen. Infolge von Sammelleidenschaft und Profitsucht der Kolonialmächte kamen mehr als dreißig Millionen Objekte aus Afrika, Asien und Lateinamerika nach Europa. Dass sich die meisten Museen weigern, die fragwürdige Herkunft ihrer Sammlungen anzuerkennen und die damals erworbenen Besitztitel noch immer für rechtens und gültig erklären, zeigt, dass die eigene Kolonialgeschichte und vor allem die Verbrechen an den kolonisierten Völkern nie wirklich aufgearbeitet oder anerkannt wurden.

Rechtmäßig in deutschem Besitz

Angesichts der ungeheuren Zahl von Gegenständen aus anderen Kulturen ist es verwunderlich, dass heute längst nicht alle Länder ihre einst geraubten Schätze zurückfordern. Offiziell sind weniger als hundert Anfragen für die Rückgabe bestimmter Exponate bekannt. Der Streit um die Nofretetebüste ist jedenfalls kein »ägyptisches Problem«, sondern nur ein viel besprochenes, besonders prominentes Beispiel. Weit weniger bekannt sind die Forderungen aus Tansania an die Schweiz, aus Kambodscha an die USA, aus Mexiko an Österreich, aus Äthiopien an Schottland, aus Niger an Frankreich oder aus der Türkei an Deutschland. Hinzu kommt eine Reihe von Anfragen nach einer Ausleihe, nach Kooperationsprojekten oder Wanderausstellungen.

Das Renommee und die Legitimation der hiesigen Sammlungen und ihrer musealen Zurschaustellung wurden durch diese Forderungen zwar prinzipiell in Frage gestellt, meist jedoch ohne sichtbares Ergebnis: Europa mauert und hütet seinen Schatz in mitunter zwanghafter Manier. Viele Kuratoren und Direktoren ignorieren schlichtweg, unter welchen Machtverhältnissen die Sammlungen zusammengetragen wurden, und verstehen den Besitz als eine Art Gewohnheitsrecht.

Zur Ignoranz gesellt sich die Arroganz: Die Idee, das kulturelle Welterbe sei in Europa am besten aufgehoben, kursierte schon lange vor der Entwicklung klimatisierter Vitrinen und macht heute immer dann die Runde, wenn eine Ausleihe in ein weniger technisiertes Land verweigert werden soll. Dabei ist der Anlass oft die Einweihung eines Museums – so wie in Ägypten, wo 2010 im rund 240 Kilometer südlich von Kairo gelegenen El-Minia das neue und hochmoderne Echnaton-Museum eröffnet werden soll.

Ägypten wünscht sich die Nofretete nur für die Eröffnungsausstellung – nur für drei Monate. Doch bevor eine solche Anfrage überhaupt auf dem Schreibtisch der Berliner Museen landen konnte, bemühte sich Neumann bereits, einen Schlussstrich unter die Debatte zu setzen. Er gab nicht nur erneut bekannt, dass Nofretete rechtmäßig in deutschem Besitz sei, sondern nun auch »auf Grund ernst zu nehmender konservatorischer und restauratorischer Bedenken« nicht mehr transportiert werden könne.

Anders als in Berlin eröffnet die Bitte um eine Ausleihe in einem ähnlichen Fall in London gerade ungeahnte Perspektiven: Das Britische Museum kündigte überraschend seine Bereitschaft an, die »Elgin Marbles« nach Athen, den Ort ihrer Herkunft, auszuleihen. Seit Jahrzehnten streiten sich Griechenland und Großbritannien heftig um den rechtmäßigen Besitz an dem großartigen Tempelfries der Akropolis. Denn von den 97 Friesplatten befinden sich 56 in der Kunstdiaspora in London (Abenteuer Archäologie 2/2006, S. 46).

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Skulpturenfries auf der von den Türken besetzten Akropolis durchaus gefährdet. Lord Elgin (1766–1841) war britischer Botschafter im Osmanischen Reich und ein Liebhaber der griechischen Antike. Er kaufte mit einem bis heute umstrittenen Vertrag die Kunstwerke von den Türken, ließ die Reliefs von den Marmorblöcken schneiden und abtransportieren. 1813 bot er alles dem Britischen Museum zum Kauf an, wo die »Elgin Marbles« seitdem das viel bestaunte Herzstück der Antikensammlung sind. Die Griechen hatte niemand gefragt. Mehrere Kulturminister kämpften für die Rückgabe – beharrlich, aber ohne Erfolg.

Furcht vor dem Präzedenzfall

Am 16. April 2007 kam schließlich die Wende. Im Rahmen einer feierlichen Zeremonie an der Akropolis hatte Griechenland die Forderung an das Britische Mu­seum bestärkt, endlich die Wiederherstellung eines der größten Monumente der Menschheitsgeschichte zu ermöglichen. Und tatsächlich lenkte der Museumsdirektor Neil McGregor nun überraschend ein.

Der Grund: Die Griechen hatten erstmals nicht die Rückgabe verlangt, sondern lediglich eine Ausleihe. McGregor koppelte seine Zusage dann auch an die Bedingung, dass Athen den rechtmäßigen Besitz Großbritanniens an dem Fries abschließend anerkenne. Die griechischen Behörden reagierten prompt und vereinbarten Gespräche zwischen den Regierungen. In Athen wartet bereits das neue Akropolis-Museum auf die Elgin Marbles, für die dort ihr ursprünglicher Platz im über hundert Meter langen Ensemble vorgesehen ist. Alle anderen fehlenden Teile werden aus verschiedenen Ländern zurück gebeten.

Die Universität Heidelberg hatte kürzlich den Anfang gemacht und ein kleines Stück, die steinerne Ferse einer Figur, zurückgegeben. Als Grund nannte die Universität die Bedeutung der Akropolis als Weltkulturerbe und die Absicht, damit einen Denkanstoß für andere Institutionen zu geben, die weitere Teile des Frieses besitzen.

Es ist natürlich schwierig, die einzelnen Fälle umstrittener Kulturgüter mit ihren komplexen historischen Hintergründen zu vergleichen. Die Sorge der europäischen Museen um das Prestige und sogar die eigene Existenz ist jedoch unübersehbar. Jedes Nachgeben, so die Befürchtung, könnte ein Präzendenzfall werden und eine ganze Lawine von Rückgaben ins Rollen bringen.

Nur noch Kuhglocken?

Die Stimmungsmache gegen die Herkunftsländer war 1996 in besonders grotesker Erscheinung in Österreich zu verfolgen. Als der damalige Staatspräsident Thomas Klestil den Vorschlag machte, einen bedeutenden Federschmuck der Azteken an Mexiko als Geschenk zurückzugeben, erinnerte der Direktor des Völkerkundemuseums ihn daran, dass es sich hierbei »um einen unveräußerlichen Teil österreichischen Kulturerbes handelt«. Auch die Kulturministerin reagierte auf den Vorschlag entsetzt. »Was sollen wir denn dann ausstellen? Kuhglocken?«, zitierte die Tageszeitung »Der Standard«. Seit Jahresbeginn befasst sich das Parlament nun auf Initiative der Grünen erneut mit dem so genannten Penacho de Montezuma, den Mexiko seit Jahrzehnten zurückfordert.

Wie es gehen könnte, zeigen beispielhaft die Niederländer. Schon in den 1980er Jahren hatte sich etwa das Royal Tropical Institute in Amsterdam, das eine der größten Sammlungen außereuropäischer Kunst beherbergt, selbstkritisch mit seiner Geschichte auseinandergesetzt und eine rege Zusammenarbeit mit Museen der ehemaligen Kolonialgebiete etabliert. Heute sieht das Royal Tropical Institute seine Aufgabe nicht mehr darin, fremde Kulturschätze zu besitzen, sondern in deren Erhalt und dem Austausch mit Museen in aller Welt.

Grundsätzlich bieten sich für die wenigen vorliegenden Forderungen einige Regelungen an, die heute konsensfähig sein sollten. Im Fall von Ländern, denen wie den Torres Strait Islands im Pazifik kein einziges Stück eigener Geschichte blieb, muss die Rückgabe einzelner Objekte eine Selbstverständlichkeit sein.

Gleiches gilt, wenn es sich, wie im Fall des mexikanischen Federschmucks in Wien, um besonders seltene und kulturell beispielhafte Objekte handelt. Auch wenn es keine konkreten Rückforderungen gibt, sollten Museen hier zu Lande bemüht sein, bedeutende Kulturgüter an die Ursprungsländer auszuleihen.

Ob die »schönste Berlinerin« jemals auch ägyptische Museumsbesucher verzücken wird, bleibt derweil ungewiss. Nachdem sich auch der Kulturausschuss des Bundestags um die Sicherheit der Kalksteinbüste sorgt und die Ablehnung des Kulturministers unterstützt, gilt es nun, auf eine offizielle Anfrage aus Kairo zu warten. Die ägyptische Antikenverwaltung hat in Abstimmung mit dem Kultur- und dem Außenministerium bereits an­gekündigt, die Nofretete zur Ausleihe für die Eröffnung des Echnaton-Museums anzufordern. Die konservatorischen Argumente Neumanns halten sie für vorgeschoben.

Der Ton wird schärfer: Sollte die Bundesregierung den Antrag ablehnen, werde Ägypten »nie mehr archäologische Ausstellungen in Deutschland organisieren«, sagte Hawass der ägyptischen Nachrichtenagentur Mena.

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epoc – 04/12

Vor 100 Jahren entdeckten deutsche Forscher im ägyptischen Tell el-Amarna die berühmte Büste der Nofretete. Für uns ist das 100-jährige Fundjubiläum der Anlass, dieses Heft der ägyptischen Königin, ihrem Ehegatten Echnaton und den ganz besonderen Umständen der Amarnazeit zu widmen.

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