Roboter. Unsere nächsten Verwandten.
Rowohlt, Reinbek 1997.
352 Seiten, DM 42,-.
352 Seiten, DM 42,-.
Als vor etwa 20 Jahren in dem Film "Krieg der Sterne" eine kleine Blechdose namens R2D2 und ihr goldglänzender Kollege 3CPO zum ersten Mal über die Kino-Leinwände geisterten, war die Welt noch kein globales TV-Dorf; der Vorläufer des Internet, das ARPAnet, verband nur wenige ausgewählte Rechnersysteme, und richtige Computer hatten die Ausmaße kleinerer Bürogebäude. Ein paar dieser Dinge haben sich mittlerweile geändert. Aber Maschinen mit kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten wie R2D2 gehören noch immer in das Reich der Fiktion.
Zweifellos hat die Wissenschaft von der künstlichen Intelligenz in den letzten Jahrzehnten einige beachtenswerte Erfolge erzielt – doch fast immer nur auf sehr speziellen Gebieten, die wenig mit wirklich intelligentem Verhalten zu tun haben. Gut Schach zu spielen ist eben keineswegs eine besonders herausragende geistige Fähigkeit – gilt es doch lediglich, den Raum aller Spielzüge möglichst effektiv nach dem jeweils besten abzusuchen. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit, daß ein einigermaßen gut geschriebenes Computerprogramm auf einem schnellen Spezialrechner den Weltmeister Garri Kasparow schlug.
Kläglichst versagt die künstliche Intelligenz ausgerechnet bei den Leistungen, die Mensch und Tier eher nebenbei, ohne die geringste bewußte Anstrengung erbringen: visuelles und auditives Erleben der Welt, Fortbewegung in unbekanntem Terrain, Inspektion und Ergreifen von Gegenständen. Zumindest gilt dies bis heute so.
Gero von Randow, Wissenschaftsredakteur der "Zeit", beschreibt nun die Anfänge einer Entwicklung, an deren Ende möglicherweise in wenigen Jahren eine technische, vielleicht auch eine neue soziale Revolution stehen wird: die Konstruktion von Maschinen mit kognitiven Eigenschaften, von mechanisch-elektronischen Wesen, die sich in einer variablen Umwelt einigermaßen intelligent verhalten können.
Aus den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen – Biologie, Physik und Kybernetik, aber auch Psychologie und Philosophie – kommen die Erkenntnisse, die moderne Hexenmeister nutzen, solche künstlichen Wesen zu erschaffen. Von Randow nimmt seine Leser mit auf eine spannende Reise in die Robotik- Labors der Welt und stellt außer der Wissenschaft auch die Menschen vor, welche sie be- und vorantreiben. Und spätestens, wenn er die Arbeitsatmosphäre im Robotics Institute in Pittsburgh (Pennsylvania) schildert – "Klassik- und Jazz-CDs, Lötkolben,... Colaflaschen (1,5 Liter)" –, kommt moderne Mythenbildung fast schon von allein auf.
Doch das ist nur eine von vielen Ebenen des kurzweiligen Buches. Es kommt klar gegliedert und zielstrebig daher; folgerichtig heißt das zweite Kapitel "Was ist das, ein Roboter?" Die Antwort: eben nicht das, was man landläufig darunter versteht, etwa die programmgesteuerten elektromechanischen Monster, die Automobile zusammenschweißen und lackieren. Statt dessen geht es um flexibel agierende künstliche Systeme mit ausgefeilten Sinnesorganen und Gliedmaßen, um Maschinen, die zur Wahrnehmung und Analyse einer sich verändernden Umwelt fähig sind und darauf selbsttätig angemessen reagieren können.
Das Buch tastet sich von der Peripherie zum Wesentlichen vor. Nach der Beschreibung künstlicher Glieder und Gelenke mit ihren teilweise recht exotischen Bewegungsmöglichkeiten diskutiert von Randow die unterschiedlichsten Sensoren und die dadurch ermöglichten Wahrnehmungsleistungen. Dabei versucht er immer wieder, den Leser das Staunen zu lehren über die eigenen, für selbstverständlich gehaltenen sensorischen und motorischen Fähigkeiten. Es ist eben keineswegs einfach für eine schwere Roboterhand, ein rohes Ei so zu ergreifen, daß es heil bleibt, und noch schwieriger, dieses Ei zuvor mittels Kamera und Hochleistungsrechner im Gras oder Stroh zu entdecken.
Man lernt dabei viel über die Tricks des Handwerks, so etwa, wie die Forscher für ihre manchmal recht ausgefallen aussehenden Konstruktionen Ultraschallsensoren aus Kameras, Teile aus Metallbaukästen und Servomotoren der Modellbauer verwenden.
Querbezüge zu allen Wissenschaften, in denen die neue Disziplin hausieren geht, insbesondere zur Biologie, bereiten den Leser langsam auf eine – schon im Untertitel angedeutete – These vor: Künftige Roboter werden die nächste Stufe in der Evolution des Lebens sein.
An sich ist diese These nicht neu, und auch auf dem deutschen Büchermarkt wurde sie schon ausführlich vertreten, vor allem von dem amerikanischen Robotiker Hans Moravec in "Mind Children" (Hoffmann und Campe 1990, besprochen in Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1992, Seite 137). Sie drängt sich auch förmlich auf, wenn man eines jener sechsbeinigen Krabbelmonster namens Genghis oder Hannibal auf sich zustaksen sieht. Falls die Technik sich weiter so rasant entwickelt und demnächst immense Computerkapazitäten via Internet dem einzelnen Nutzer zur Verfügung stehen, wird dann nicht der Mensch selbst zum Schöpfer ihm durchaus ähnlicher Wesen werden können und diese als seine neuen Kinder ansehen?
Die menschliche Neigung, Dinge schon dann als belebt oder beseelt anzusehen, falls sich diese nur irgendwie ähnlich Lebendigem beziehungsweise wie unsereins verhalten, ist latent stets vorhanden und trübt leicht den Blick für wesentliche Unterschiede. Ein Service-Roboter, der in Krankenhäusern Essen verteilt, ist zwar ein beeindruckendes Produkt gegenwärtiger Hochtechnologie, aber auch nur das. Sobald ihm ein unvorhergesehenes Hindernis – und sei es ein gelangweilter Krankenhauspatient – im Weg ist, muß er stehenbleiben. Solche Fälle zeigen, daß die Maschinen erheblich weniger kognitive Fähigkeiten haben als jede Stubenfliege.
Hier zeigt sich eine deutliche Schwäche des Buches. Der Autor teilt allzu offensichtlich die Begeisterung jener Wissenschaftler, über die er berichtet, und verwechselt eben auch echte Lebewesen mit Maschinen, die sich nur in einzelnen Aspekten wie solche verhalten. Doch selbst eine perfekte Simulation ist keineswegs identisch mit dem Vorbild: Ein echter Waldbrand hat andere Qualitäten als jeder je auf dem Rechner simulierte.
Zudem sind, wie jeder Fachwissenschaftler zugeben wird, die bisherigen Erkenntnisse darüber, auf welche Art und Weise Organismen ihre Umwelt erfassen, interpretieren und daraus entsprechende Reaktionen ableiten, extrem mager. Wir sind enttäuschend weit entfernt von einem Verständnis für die Vorgänge in unseren Gehirnen, die uns mit genau jenen kognitiven Fähigkeiten ausstatten, welche unserer Art seit einigen hunderttausend Jahren das Überleben ermöglicht haben.
Mehr noch: Die in den Kunstwesen implementierten Algorithmen sind typischerweise um Klassen schlechter als jene, die selbst einfachste Lebewesen routinemäßig einsetzen; für komplexere oder bessere – soweit solche überhaupt bekannt sind – fehlt schlicht die Rechenleistung. Da wird auch die gesamte Kapazität, die das häufig beschworene Internet zur Verfügung stellen könnte, keine echte Hilfe sein. Roboter sind sicherlich, und zwar im ureigensten Sinne des Wortes, "Kinder unseres Geistes", aber auf absehbare Zeit zumindest nicht unsere legitimen evolutionären Nachfolger.
Man muß aber keineswegs, wie Moravec, das Schreckgespenst einer evolutionären Ablösung der Menschheit durch ein Roboterheer bemühen, um die Beschäftigung mit dem Thema zu rechtfertigen. "Arbeit und Krieg" – diese Kapitelüberschrift kennzeichnet pragmatisch die künftigen Anwendungsgebiete der mit rudimentärer Intelligenz ausgestatteten Apparate. Auf beiden Feldern dürften sich ähnlich dramatische Umbrüche anbahnen wie zu den Zeiten, als der PC die Schreibmaschine verdrängte.
So träumen Militärstrategen schon jetzt von einer Armada von Minirobotern, mit deren Hilfe sie feindliche Armeen besiegen könnten, ohne einen eigenen menschlichen Soldaten einsetzen zu müssen. Realistischer ist der Service-Roboter, dem einige Marktstrategen eine bedeutende Zukunft verheißen. Automatische Putzkolonnen, Müllsortierer, intelligente Rollstühle und Operationsassistenten in der Chirurgie sind einige Beispiele. Hier liegen sicherlich große Wirtschaftspotentiale; und von Randows Buch mag dazu beitragen, daß diese Entwicklung in Deutschland nicht genauso verschlafen wird wie seinerzeit die der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.
Wer sich über den gegenwärtigen Stand der faszinierenden, sich schnell weiterentwickelnden Sparte Robotik informieren will, sollte dieses Buch lesen. Wer sich für die menschliche Zukunft und deren soziale und politische Realitäten interessiert, vielleicht auch.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 110
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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