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Schaffen neue Technologien neue Arbeitsplätze?


Jede Innovation, die einen bestehenden Markt erobert oder einen neuen Markt schafft, sichert bestehende und schafft neue Arbeitsplätze. Das gilt nicht nur für Produkte; das gilt grundsätzlich auch für neue Technologien in Verfahren. Jede Rationalisierung bei der Herstellung von Produkten oder bei Dienstleistungen bewirkt im Wettbewerb Preissenkungen und damit Konkurrenzvorteile wie auch neue Nachfrage. Das schafft neue Arbeitsplätze – aber häufig an anderer Stelle.

Sicherlich sind neue Technologien meist arbeitssparend und können mithin Arbeitsplätze überflüssig machen. Und es gibt Hinweise, daß wir vor weiteren Rationalisierungsschüben durch neue Technologien stehen. Gerade im Dienstleistungsbereich, etwa bei Banken und Versicherungen, scheinen die arbeitssparenden Wirkungen der Informationstechnik nach einer längeren Einführungsphase jetzt verstärkt einzusetzen.

Gewiß ist aber auch, daß der Verzicht auf ihren Einsatz die Wettbewerbsfähigkeit mindern und damit ungleich höhere Arbeitsplatzverluste zur Folge haben würde. Chancen für neue Beschäftigung würden verbaut. Eine Wahl läßt uns der globale Wettbewerb nicht. Den wettbewerbsstarken Unternehmen bietet Modernisierung jedoch die Chance, neue Felder und Dienste aufzubauen.

Zum Teil ist der Einsatz neuer Technologien nicht nur arbeits-, sondern auch kapitalsparend. Das heißt, dadurch verbilligt sich jede neue Produktgeneration. Gerade bei der Informationstechnik scheint dies fast eine Gesetzmäßigkeit zu sein. Das ist mit ein Grund dafür, daß die Herstellung von informationstechnischen Geräten inzwischen nach Deutschland zurückkehrt. Angesichts des schnellen Preisverfalls dieser Güter ist es in manchen Fällen günstiger, sie in der Nähe des Absatzmarktes zu produzieren, als den Wertverlust während eines längeren Transports etwa aus Südostasien in Kauf zu nehmen. Das Beispiel ist zwar nicht typisch, zeigt aber doch, daß wir durchaus Chancen haben, an Niedriglohn-Länder verloren geglaubte Produktion wieder zurückzuholen – wenn die Standortbedingungen stimmen.

Gerade in Bereichen, in denen die Arbeitskosten der Fertigung vergleichsweise gering sind, muß die Abwanderung von Produktion ins Ausland keine Einbahnstraße sein. Je hochwertiger ein Produkt und je größer sein Innovationsvorsprung ist, desto besser lassen sich damit heimische Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.

Wie über Produktionsstandorte entscheidet heute der grenzüberschreitende Wettbewerb auch immer stärker über die Forschungs- und Entwicklungsstandorte der Unternehmen. Global operierende Investoren suchen Zugang zu den auf ihren Geschäftsfeldern führenden Regionen in der Welt. Sie gehen dorthin, wo Spezialkenntnisse und Erfahrung in der Produktion mit Spitzenforschung zusammentreffen. Diese wirtschaftlichtechnischen, wissenschaftlichen und sonstigen relevanten Faktoren erzeugen bei einem günstigen Zusammentreffen regionale Kompetenzzentren. In zunehmendem Maße bündeln Unternehmen strategische Aktivitäten in Forschung, Produktion und Marketing in solchen Kompetenzzentren, die große Chancen für das Wachstum von Wertschöpfung und Beschäftigung bieten.

Insbesondere in Sektoren, die einem raschen Wechsel der Produktgenerationen und scharfem Technologiewettbewerb unterliegen, orientieren sich Unternehmen dorthin, wo gute Möglichkeiten zur Teilhabe an dynamischen Forschungs- und Marktprozessen bestehen. Gerade neue, im Aufbau befindliche Beschäftigungsfelder sind deshalb in weit höherem Maße betroffen als jene, in denen die deutsche Industrie bislang ihre Kernaktivitäten hat.


Leitprojekte als Instrumente der Politik

Innovationspolitik kann sich deshalb weniger denn je auf Technikförderung beschränken, sondern muß selbst neue Wege gehen. Ein Instrument sind die sogenannten Leitprojekte: Sie sollen anspruchsvolle Aufgaben mit einer konkreten Perspektive der praktischen Umsetzung verbinden und verschiedene Disziplinen und Anwendungen zusammenführen. Erproben wollen wir mit dieser Politik eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in interdisziplinären Systemansätzen, ebenso den Wettbewerb der besten Lösungskonzepte zur Realisierung substantieller Innovationen sowie die kooperative Nutzung des Know-how. Erreichen wollen wir damit eine schnelle und breite Diffusion des produzierten Wissens und eine bessere Ausschöpfung unserer technologischen Möglichkeiten.

Leitprojekte auf nationaler und europäischer Ebene können helfen, Kompetenznetzwerke aufzubauen. Die gemeinsame Orientierung von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat an Leitprojekten kann dazu beitragen, ein für den globalen Wettbewerb tüchtiges Innovationssystem entstehen zu lassen. Die Bundesregierung hat bei ihren Maßnahmen ein ganzes Spektrum von Zielen im Auge, die kurz skizziert seien.

Wichtig ist die Förderung einer neuen Kultur der Selbständigkeit, von kleinen und mittleren Unternehmen. Ihnen fehlt insbesondere während der ersten Jahre bis zur Markterschließung häufig das Eigenkapital zur Finanzierung der hohen Entwicklungsaufwendungen. Mit unseren Programmen konnten wir private Kapitalgeber zunehmend stimulieren, sich stärker für junge, innovative Unternehmen zu engagieren.

Forschungseinrichtungen können Interessenten für derartige Beteiligungen durch eine fachliche Beratung bei der Bewertung solcher Technologieunternehmen unterstützen. Erste Vereinbarungen der Fraunhofer-Gesellschaft mit Kreditinstituten gibt es inzwischen bereits, und weitere Einrichtungen entwickeln gegenwärtig eigene Angebote.

Trotz aller Fortschritte weist der Innovationskapitalmarkt in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten, insbesondere den USA, noch erhebliche Defizite auf. Investoren erwarten attraktive Renditen. Für Unsicherheiten, die potentielle Kapitalgeber zögern lassen, gibt es eine Reihe von Ursachen, welche die Bundesregierung gegenwärtig in Kontakt mit vielen Beteiligten auszuräumen sucht. Vor allem gilt es, günstigere Rahmenbedingungen für privates Engagement zu schaffen. Deshalb begrüße ich, daß es inzwischen in Deutschland mehrere Initiativen für neue Börsenstrukturen gibt, die auch jungen Technologieunternehmen die Finanzierung ihrer Projekte erleichtern könnten.

Es sind in Deutschland vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen gewesen, in denen während der letzten Jahre neue, zukunftssichere Arbeitsplätze entstanden. Ihre Stärke im Wettbewerb hängt entscheidend davon ab, ob es ihnen gelingt, sich in Wertschöpfungsketten zu integrieren und ihre Innovationsaktivitäten in Netzwerken mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und Kunden zu entwickeln. Deshalb sollen unsere Fördermaßnahmen eben diese Vernetzungsfähigkeit an den Schnittstellen zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion verbessern.

Wir wollen außerdem erreichen, daß kleine und mittlere Unternehmen zu Ergebnissen staatlich geförderter Forschungsvorhaben und öffentlicher Forschungseinrichtungen noch leichter Zugang bekommen. Dazu müssen diese Institutionen stärker Netzwerke mit Unternehmen bilden und mit ihnen zusammen Forschungsergebnisse auf dadurch erreichbare Innovationen prüfen sowie Chancen und Risiken von Anwendungen und deren Marktpotential abschätzen.

Voraussetzung für die erfolgreiche Nutzung von Innovationen ist der Schutz von Ideen. Während Großunternehmen sich in der Regel Neuerungen systematisch patentieren lassen, haben kleine und mittlere Unternehmen damit oft Probleme – schon weil es häufig an Kenntnissen des Verfahrens und des betrieblichen Wertes von Patenten und Patentinformationen mangelt. Diese Schwachstelle geht das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) mit einem Maßnahmenbündel im Rahmen eines neuen Patentkonzeptes an. Von 1997 an werden kleine und mittlere Unternehmen insbesondere bei der ersten Patentanmeldung durch Beratung, Recherchen und Zuschüsse zu Patentierungskosten Unterstützung erhalten können.

All diese Maßnahmen dienen dazu, Deutschland auf künftig zentralen technologischen Feldern im weltweiten Wettbewerb zu stärken. Wo das gelingt, werden auch zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen.

Im folgenden will ich exemplarisch einige entscheidende Schlüsselbranchen herausgreifen, um dieses Potential anschaulich zu machen.


Informationstechnik

Wissen ist die wertvollste Ressource. Die Informations- und Kommunikationstechniken werden die Wertschöpfungsketten weiter entscheidend verändern, sowohl durch mobile Arbeitsplätze, Telearbeit und Telekooperation als auch durch Anwendungen wie elektronische Finanzdienstleistungen, elektronischen Handel oder Verkehrstelematik. Besondere Bedeutung kommt der Informationstechnik auch bei der Globalisierung der Märkte zu. Weltweit Möglichkeiten zur Kostenoptimierung zu nutzen, ist nur durch eine effiziente Steuerung möglich. Informationsflüsse sind für solche international orientierten Unternehmensstrategien essentiell.

Soeben hat im Auftrag des BMBF die Unternehmensberatungs-Firma Arthur D. Little eine Studie zu den Beschäftigungspotentialen der Informationstechnik vorgelegt. Ein Ergebnis wird manchen überraschen: Deutschlands Infrastruktur bietet exzellente Voraussetzungen im internationalen Vergleich. In der Bewertung liegt die Bundesrepublik zwar knapp hinter den USA, aber deutlich vor Japan. Die Glasfaserverkabelung der Telekom beläuft sich auf eine Strecke von 100000 Kilometern, in den neuen Bundesländern ist sie sogar flächendeckend. Im Frühjahr ist mit dem Breitband-Wissenschaftsnetz die leistungsstärkste Datenbahn der Welt in Betrieb genommen worden; schon im Herbst wird bei der Datenübertragung zwischen den Hochschulen und Forschungsinstituten eine Spitzenleistung von 622 Megabit pro Sekunde erreicht.

Gegenwärtig besteht gleichwohl insbesondere gegenüber den USA ein spürbarer Anwendungsrückstand. Bis zum Jahre 2010 könnten allerdings in deutschen Anwender- und Anbieterbranchen per Saldo etwa 210000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Noch beeindruckender ist, daß informationstechnische Anwendungen in den nächsten 15 Jahren etwa 1,2 Millionen Arbeitsplätze erhalten werden, die in Deutschland ohne diese Innovationen verlorengingen. Zudem werden informationsverarbeitende Tätigkeiten generell wesentlich zum Erhalt der deutschen Wettbewerbsfähigkeit beitragen.

Es ist abzusehen, daß wirtschaftliche Erfolge und Mißerfolge in der Informationsgesellschaft einer größeren Dynamik unterliegen: Die Innovationszyklen beschleunigen sich derart, daß nur eine deutlich anwendungsorientierte Forschung kurze Reaktionszeiten gewährleisten kann. Das BMBF unterstützt deshalb gezielt informationstechnische Entwicklungen und Anwendungen, die Arbeitsplätze sichern oder schaffen können. Dafür konzentrieren wir uns auf relevante Schlüsseltechnologien, zum Beispiel optische Breitbandkommunikation, Mustererkennung und hochauflösende Scanner-Verfahren, sowie auf Forschungsfelder mit absehbarem Praxisbezug wie etwa Teledienstleistungen und Verkehrstelematik.

Nur eine Ausrichtung des Bildungssystems auf die Anforderungen der Informationsgesellschaft befähigt die jetzt Heranwachsenden, die Lebensumstände ihrer Generation umsichtig zu gestalten. Außerdem muß den bereits Erwerbstätigen erleichtert werden, Zugang zu neuen anspruchsvollen und hochwertigen Arbeitsplätzen zu finden sowie bislang nicht gekannte Anwendungen, Dienste und Produkte zu nutzen. Das Projekt "Schulen ans Netz", vom BMBF gemeinsam mit der Telekom initiiert, soll 10000 Schulen die neuen Technologien und ihre Anwendung erschließen; es ist ein konkreter Beitrag dazu, junge Menschen mit aktuellen Innovationen neu vertraut zu machen.

Schließlich müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen den neuen Anforderungen einer sich entwickelnden Informationsgesellschaft gerecht werden. Deshalb ist es ein entscheidender Fortschritt, daß der Bund sich mit den Ländern auf national einheitliche Regelungen für die neuen Dienste verständigt und Zugangsfreiheit durchgesetzt hat.


Biotechnologie

Weltweit – und auch zunehmend in Deutschland – wird die Biotechnologie als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts erkannt. Mit ihr verbinden sich Hoffnungen auf Lösungen von Problemen in allen Lebensbereichen und auf kreative Tätigkeiten im Produktions- und Dienstleistungssektor. Innovationen zeichnen sich zum Beispiel ab in der Medizin bei der Erkennung und Heilung schwerer Krankheiten, im Umweltschutz durch bioabbaubare Materialien oder bei der biologischen Reinigung von Abluft, Abwasser und kontaminierten Böden, in der Informationstechnik durch molekulare Bauelemente oder in der Meß- und Analysetechnik etwa durch Biosensoren.

Das große Entwicklungspotential der Biotechnologie für viele Anwendungen deutet sich teilweise erst an; die Verbreitung von Expertenwissen und damit die wirtschaftliche Nutzung haben gerade erst begonnen. Gar nicht abzusehen sind dabei die Märkte, die sich aus der Diffusion biotechnologischer Forschungsergebnisse und Erkenntnisse in Disziplinen wie Elektronik, Informatik und Materialwissenschaften völlig neu bilden werden. In Chemie, Pharmazie, Landwirtschaft und Umweltschutz hat Deutschland viel geleistet und ist in diesen Bereichen mit einem Welthandelsanteil von 20 Prozent noch immer führend. Synergien mit der Biotechnologie, die sicherlich bedeutsam werden, suchen diese Disziplinen aber erst zögerlich; und besorgniserregend ist ein großer Rückstand der Bundesrepublik in der Entwicklung und Produktion gentechnischer Güter.

Der Weltmarkt für biotechnische Verfahren und Produkte wird sich immens vergrößern: Im Jahre 1991 betrug der Umsatz bereits sechs Milliarden Dollar, doch für 2000 werden rund 100 Milliarden erwartet – das Sechzehnfache. Damit werden global zwei Millionen neue, meist hochqualifizierte Arbeitsplätze entstehen. In der Europäischen Gemeinschaft hat die Biotechnologie schon gegenwärtig direkte Auswirkungen auf neun Prozent der Bruttowertschöpfung und damit auf rund neun Millionen Arbeitsplätze.

Zwar gehört Deutschland bei einschlägigen weltmarktrelevanten Patentanmeldungen pro Kopf der Bevölkerung zu den führenden Staaten, hat indes Defizite beim Umsetzen des Grundlagenwissens in marktfähige Produkte. Hier wollen wir aufholen und bis 2000 die Spitzenstellung in Europa erreichen. Die Ausgangsbedingungen sind in den letzten Jahren erheblich verbessert worden; unter anderem haben wir das deutsche Gentechnikgesetz novelliert und eine Überarbeitung des europäischen Rechts initiiert.

Die wissenschaftliche Basis an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird ebenfalls gestärkt. So soll mit dem neuen Fördergebiet Humangenom-Forschung und Gentherapie zum internationalen Spitzenstand möglichst rasch aufgeschlossen werden. Außerdem werden die Grundlagen für die moderne Bio-Industrie und die molekulare Medizin weiter ausgebaut; allein dafür sollen in den nächsten Jahren 300 Millionen Mark bereitgestellt werden.

In der Bundesrepublik brauchen wir neue Forschungs- und Produktionsstätten in diesem Bereich. Vor kurzem habe ich die erste gentechnische Produktionsanlage in Nordrhein-Westfalen eingeweiht. Es gibt weitere Investitionsabsichten großer deutscher Chemiekonzerne, die hierzulande außer Forschungs- auch Produktionsanlagen aufbauen wollen. Unser Land wird als Standort für die Biotechnologie zunehmend attraktiv für ausländische Investoren und Firmen; insbesondere die USA zeigen Interesse an Kooperationen und Beteiligungen.

Auch angeregt durch den BioRegio-Wettbewerb, den das BMBF ausgeschrieben hat, ergreifen viele Regionen in Deutschland gegenwärtig die Initiative für konzertierte Aktionen von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zur wirtschaftlichen Nutzung biotechnologischer Forschungsergebnisse. Erwartet wird jeweils ein Gesamtkonzept, auf das sich die Partner vertraglich verpflichten: zum Beispiel Industrieunternehmen mit einer Eigenbeteiligung an Verbundprojekten, Landesregierungen und Kommunen mit Fördermitteln und Genehmigungen oder Banken und Risikokapitalgesellschaften mit Finanzierungszusagen.

Die drei Regionen, die nach dem Urteil einer unabhängigen Jury die besten Vorraussetzungen für die Umsetzung biotechnologischen Wissens in Verfahren, Produkte und Dienstleistungen schaffen, erhalten Priorität bei der Vergabe von BMBF-Fördermitteln für einen Zeitraum von fünf Jahren. Der Wettbewerb soll also Kapazitäten und Aktivitäten konzentrieren, die Bundesrepublik insgesamt für Investitionen in eine Schlüsseltechnologie attraktiver machen und den Kapitalgebern – auch ausländischen – kalkulierbare Perspektiven für ihr Engagement aufzeigen. Damit begünstigen wir gleichfalls das Entstehen regionaler Kompetenzzentren, die für die Nutzung der Arbeitsplatzpotentiale neuer Technologien immer stärker an Bedeutung gewinnen.


Umwelttechnik

Umweltschutz kostet Geld und kann die Wettbewerbsfähigkeit belasten; dieses Argument ist oft zu hören. Dabei sollte aber mitbedacht werden, daß Maßnahmen des Umweltschutzes sehr wohl die Produktivität steigern können.

So hat das BMBF ein Verfahren gefördert, das den Stickoxidausstoß bei der Glasproduktion um 80 Prozent mindert; zugleich senkt es aber auch den Energieverbrauch um 30 und die Anlageninve-stitionen um 20 Prozent. Die deutsche Glasindustrie ist einem erheblichen Konkurrenzdruck sowohl aus Frankreich, Großbritannien und Italien sowie neuerdings auch aus den ehemaligen Ostblockländern ausgesetzt; teils müssen die ausländischen Produzenten nicht so hohen Umweltstandards genügen, teils haben sie niedrigere Arbeitskosten oder günstigere Energiepreise. Die ökologische Innovation trägt aufgrund ihrer ökonomischen Effekte dazu bei, bereits erwogene Standortverlagerungen ins Ausland zu vermeiden, mithin Arbeitsplätze im Inland zu erhalten.

Desgleichen kann zum Beispiel eine umweltfreundliche Energieerzeugung Beschäftigung fördern. Die Stromgestehungskosten moderner Windenergieanlagen etwa sind durch den technischen Fortschritt in den letzten Jahren an günstigen Standorten bis auf zehn Pfennig je Kilowattstunde gesunken und haben sich damit jenen herkömmlicher Kraftwerke von rund acht Pfennig je Kilowattstunde angenähert. Wenn man die Umweltkosten einbezieht, insbesondere die durch die Freisetzung des klimabeeinflussenden Kohlendioxids bei der Verbrennung fossiler Energieträger, wird die Windkraft gesamtökonomisch noch günstiger. Die Mehrzahl der in der Bundesrepublik errichteten Windenergieanlagen stammt zudem aus deutscher Produktion; und rund 150 Anlagen mit zusammen rund 35 Megawatt Leistung wurden allein 1995 exportiert. Schon heute gibt es rund 5000 Beschäftigte in diesem kleinen Sektor der Ernergiewirtschaft.


Mobilität und Verkehr

Personen- und Güterverkehr auf den Straßen erreichen die Grenzen der Raumnutzung und überlasten die Umwelt. Eisenbahn und Binnenschiffahrt, die noch freie Kapazitäten bieten oder schaffen können, müssen verstärkt den Verkehrszuwachs aufnehmen. Eine intelligente Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger spart Wegezeiten und damit Kosten. Dergleichen kann Telematik die Leistungsfähigkeit vorhandener Verkehrswege ohne zusätzlichen Landschaftsverbrauch erhöhen.

Preiswerte zusätzliche Verkehrskapazitäten durch Einsatz neuer Technologien stärken die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und sichern damit Beschäftigung. So wie es gelungen ist, Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch zu entkoppeln, muß jetzt verhindert werden, daß zunehmende Mobilität mit immer höheren Verkehrsbelastungen einhergeht.


Die Aufgabe der Unternehmen

Innovationen und dadurch entstehende neue Arbeitsplätze sind freilich nicht nur eine Angelegenheit von Forschung und Entwicklung. Eine in Deutschland von der öffentlichen Hand erfolgreich geförderte Technologie bietet noch keine Gewähr, daß sie dann auch in Deutschland zur Wertschöpfung eingesetzt würde, wodurch neue Arbeitsplätze entstünden. Damit diese Nutzeffekte eintreten, muß der Standort attraktiver werden. Die Stichworte dafür sind bekannt: Deregulierung der Märkte, Flexibilisierung, Senkung der Kosten für die sozialen Sicherungssysteme und damit der Lohnzusatzkosten sowie Rückführung der Staatsquote.

Eine arbeitssparende Wirkung neuer Technologien ist an sich noch nicht beunruhigend. Nachteilig für den Standort wird eine Innovation erst dann, wenn die im Zuge des Strukturwandels wegfallenden oder ins Ausland verlegten Arbeitsplätze nicht durch neue, zukunftsorientierte ersetzt werden.

Deutschland verfügt über qualifizierte, kreative, hochmotivierte Arbeitskräfte. Die technologische Leistungsfähigkeit hat nach wie vor beachtliche Substanz, Vielfalt und Breite. Wir haben es immer wieder verstanden, durch hohe Anstrengungen in Forschung und Entwicklung und durch geschickte Ausnutzung der internationalen Arbeitsteilung insbesondere bei höherwertigen Investitionsgütern – Maschinen, Automobilen und elektrotechnischen Geräten – sowie in der Chemie Wettbewerbsvorteile zu erringen und dynamische Marktsegmente zu besetzen.

Inzwischen weisen aber viele der Branchen, auf die wir uns konzentriert haben, global betrachtet ein eher geringes Wachstum auf. Nur noch in sechs von 61 künftig wichtigen Technologiefeldern gehört die Forschung in Deutschland zur Weltspitze. Technologisch ist die deutsche Wirtschaft nicht mehr vielseitig genug; in vielen Hochtechnologie-Branchen mit großen Wachstumschancen sind wir unterdurchschnittlich vertreten.

Kostenreduzierung mittels lean management und lean production hat zwar viele Unternehmen über die letzte Rezession hinweggerettet. Aber eine langfristig tragfähige Strategie ist Verschlankung allein nicht, wie Untersuchungen gezeigt haben: Zahlreiche schlanke Unternehmen wachsen weniger, wagen weniger und weisen geringere Innovationsraten auf. Besonders erfolgreich sind dagegen solche, die ihre Anstrengungen in Forschung und Entwicklung an klaren Zielen orientieren, insbesondere auf Spitzenqualität setzen, die Innovationsprozesse gut managen und den Kunden bedarfsgerechte Produkte anbieten.

Einen Vorsprung im Wettbewerb erreicht am ehesten, wer bewährte Stärken mit neuen Potentialen kombiniert. Allerdings muß die gesamte Gesellschaft die Bedeutung neuer Technologien für künftigen Wohlstand – und eben auch für mehr Beschäftigung – erkennen und den Mut aufbringen, die Chancen zu nutzen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1996, Seite 36
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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