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Schall & Klang.Wie und was wir hören.

Birkhäuser, Basel 1997. 248 Seiten, DM 49,80.

Die Klingel Ihres Telephons versetzt die Luft in seiner Umgebung in Schwingungen. Schallwellen laufen durch Ihr Zimmer, ähnlich wie Meereswellen im Ozean. Sie werden an den Zimmerwänden reflektiert und an Kanten gebeugt. Dadurch wird der gesamte Raum von den Schwingungen erfaßt.

Schließlich treten die Wellen durch Ihre Ohrmuschel in den Gehörgang ein und treffen an seinem Ende auf das Trommelfell. Dessen Schwingungen werden über drei Knöchelchen auf das Cortische Organ im Innenohr, eine schneckenartig aufgerollte Membran, übertragen. Auf ihr werden abhängig von der Frequenz des Telephonklingelns bestimmte Bereiche angeregt. Die Frequenz empfinden Sie als Tonhöhe, die Amplitude der Anregung als Lautstärke.

Erstaunlicherweise können Sie Ihr Telephon anhand des Sie erreichenden Schalls ziemlich sicher orten. Völlig unterbewußt bewertet Ihr Gehirn die komplexen Schwingungsmuster, die sich durch Beugung und Reflexion an Ihrem Kopf ergeben, und ermittelt daraus die Richtung der Schallquelle. Sie erkennen auch sicher, daß Ihr Telephon klingelt und nicht ein anderes. Sein Schwingungsmuster, die Verteilung der Lautstärke auf die verschiedenen Tonhöhen, ist so charakteristisch wie ein Fingerabdruck.

Sie heben ab und freuen sich, daß Ihr Großvater mit seiner angenehmen Baßstimme anruft. Doch seine Stimmlage im Bereich von etwa 100 Hertz wird durch das Telephon gar nicht übertragen. Es übermittelt lediglich Töne, deren Frequenzen oberhalb von 300 Hertz liegen. Trotzdem hören Sie den Grundton: Sie erkennen ihn aus dem Obertonspektrum heraus. Mit dem Ohr verhält es sich also ähnlich wie mit optischen Täuschungen, bei denen man oft unterbewußt ein Bild ergänzt, um dann Bekanntes darin wiederzusehen. Was Sie hören, ist folglich stark davon abhängig, wie und was Sie hören gelernt haben.

Georg Eska, Professor für Experimentalphysik an der Universität Bayreuth und selbst Musiker, beschreibt alle drei Teile des Hörprozesses in je einem großen Kapitel: das physikalische Phänomen Schall, das menschliche Gehör und schließlich die psychoakustische Verarbeitung des Schalls (allerdings spielt das hier angeführte Beispiel keine Rolle).

Der 70 Seiten lange Akustikteil führt zielstrebig die wichtigsten Begriffe ein und bezieht sie erfreulicherweise immer auf alltägliche Hörerfahrungen. Für physikalisch vorgebildete Leser dürfte diese knappe Einführung genügen. Weniger Vorbelastete werden ihn mehr als Tatsachensammlung denn als Hinführung zur Akustik lesen. Beispielsweise zieht Eska bei der Erklärung der Totalreflexion das Verhalten von Licht zum Vergleich heran (Seite 44). Aber wem ist schon die Totalreflexion des Lichtes geläufig?

Die Beschreibung des menschlichen Gehörapparats hingegen ist ein gelungener Kompromiß: Eska schafft es, die Funktionsweise des Ohrs auf etwa 80 Seiten darzustellen, ohne sich zu sehr in Detailfragen zu verlieren oder zu vereinfachend zu schreiben. Zwar empfiehlt es sich auch hier, ein wenig über Physik Bescheid zu wissen, aber schöne Beispiele helfen dem Verständnis: Wie sich der Schalldruck an akustisch harten oder weichen Medien verhält, erklärt Eska auf Seite 84 mittels eines Tennisspiels. Lediglich die Ausführungen über den Zusammenhang von programmierbaren Waschmaschinen und Nervenzellen auf Seite 139 wirken etwas verloren.

Im letzten Teil beschreibt Eska, wie die von den Ohren aufgenommenen Signale zu einem bestimmten Eindruck zusammengesetzt werden. Viele interessante Phänomene werden erwähnt, und der Leser wird für seine Lektüre belohnt, wenn sich die einzelnen Fakten zu einem Verständnis des Hörens ergänzen.

Einige Fragen bleiben allerdings ungeklärt: Während Eska auf Seite 86 behauptet, durch die Lautstärkeunterschiede zwischen linkem und rechtem Ohr könne man die Richtung der Schallquelle bestimmen, bietet er auf Seite 164 eine alternative Erklärung an: Das Gehirn ist durch geschickte Signalverarbeitung durchaus in der Lage, den ankommenden Schall zeitlich so genau zu analysieren, daß Phasenunterschiede zwischen den Signalen beider Ohren sich bemerkbar machen. Zudem kann die Theorie der Lautstärkeunterschiede nicht erklären, warum man einzelne Instrumente nicht mehr orten kann, sobald man die Musik phasenverkehrt in die Ohren gespielt bekommt.

Ebenfalls ungenau ist Eska bei der Frage, unter welchen Umständen man den Grundton aus einem Obertonspektrum erkennen kann. Auf Seite 221 beschreibt er, daß dazu bereits zwei Obertöne, je einer dem linken und dem rechten Ohr zugeführt, genügen. Dies ist nicht richtig. Der Autor bezieht sich wohl auf Experimente, die Adrian J. M. Houtsma von der Technischen Hochschule Eindhoven (Niederlande) und Julius M. Goldstein, der heute an der Washington-Universität in St. Louis (Missouri) arbeitet, schon 1972 durchgeführt haben – allerdings mit nur drei Versuchspersonen; die Ergebnisse werden heute angezweifelt.

Insgesamt erhält man einen schönen Überblick über den allgemein akzeptierten Konsens auf diesem interdisziplinären Forschungsfeld, wenn man bereit ist, das Buch aufmerksam zu lesen und sich in die zahlreichen Diagramme einzudenken. Es zeigt sich, daß das Gebiet für sein Alter gering entwickelt ist und heute noch heiß diskutiert wird. Für weitergehendes Interesse ist die gut sortierte Literaturliste hilfreich.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1998, Seite 158
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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